Aktenzeichen S 10 AS 21/17
SGB II SGB II § 7, § 12
Leitsatz
1 Grundsicherungsleistungen können versagt werden, wenn Antragsteller angeforderte Kontoauszüge der letzten drei Monate nicht vorlegen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2 Für die Feststellung, ob Einkommen oder Vermögen vorhanden sind, genügt der jeweils aktuelle Kontoauszug nicht, da die Kenntnis der Kontobewegungen der letzten Monate zur vollständigen Ermittlung von Einkommen und Vermögen erforderlich ist. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Rechtsstreit konnte nach § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist. Die Beteiligten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
Die fristgerecht erhobene und auch im Übrigen zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
Der Bescheid vom 10.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.12.2016, mit dem der Beklagte eine Leistungsgewährung versagt hat, ist rechtmäßig.
§ 66 Abs. 1 SGB I ermächtigt den Sozialleistungsträger, die Leistungen ganz oder teilweise zu versagen, wenn der Antragsteller seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 SGB I nicht nachkommt und hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert.
Dier Klägerin hat ihre Mitwirkungspflichten dadurch verletzt, dass sie entgegen § 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 3 SGB I die von ihr geforderte Vorlage von Erklärungen bzw. Unterlagen unterlassen hat.
Nach § 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB I hat derjenige, der Sozialleistungen beantragt oder erhält, alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers der Erteilung der erforderlichen Auskünfte durch Dritte zuzustimmen. Des Weiteren hat er nach § 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB I Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen. Relevant für eine Leistungsversagung können dabei nur die Tatsachen sein, die für die Leistung erheblich sind. Nichts anderes kann für angeforderte Beweismittel gelten. Erheblich sind Tatsachen oder Beweismittel nur, wenn sie geeignet sind, die erforderliche Sachentscheidung zu ermöglichen (VGH Mannheim, Urteil vom 12.03.1997, Az.: 7 S 1084/95, Rn. 19).
Nach diesen Maßgaben sind die angeforderten Erklärungen und Unterlagen durchaus als leistungserheblich in diesem Sinne zu bezeichnen.
Es steht außer Frage, dass eine Hilfebedürftigkeit i.S.d. § 7 SGB II nicht gegeben wäre, wenn der Klägerin Einkommen oder Vermögen, das über das durch § 12 SGB II geregelte Schonvermögen hinausgeht, zur Verfügung steht. Kontoauszüge lassen ohne Weiteres Rückschlüsse auf die gegenwärtige Einkommens- und Vermögenssituation zu. Dies gilt auch, soweit die Vorlagepflicht für Kontoauszüge auf den dem Beginn des begehrten Leistungszeitraums vorangehenden Monat erstreckt worden ist. Denn für die Feststellung, ob Einkommen oder Vermögen vorhanden sind, genügt der jeweils aktuelle Kontoauszug nicht, da die Kenntnis der Kontobewegungen der letzten Monate zur vollständigen Ermittlung von Einkommen und Vermögen erforderlich ist. Während der aktuelle Kontoauszug hinsichtlich Einkommen und Vermögen nur punktuelle und hinsichtlich in der Vergangenheit erworbenen Vermögens keinerlei Informationen enthält, lässt sich aus den früheren Kontoauszügen ersehen, ob der Hilfebedürftige etwa Zuwendungen Dritter empfangen hat, größere Beträge transferiert wurden oder ob sonstige leistungserhebliche Transaktionen vorgenommen wurden (Sonnhoff, in: jurisPK-SGB II, § 9 Rn. 108 m.w.N., Stand: 02.04.2013).
Die Pflicht zur Vorlage von Unterlagen etc. gilt im Übrigen auch bei einem Antrag auf Weitergewährung von Leistungen nach Ablauf des vorherigen Bewilligungszeitraums (so für Kontoauszüge ausdrücklich Bayer. LSG, Beschluss vom 13.07.2012, Az.: L 7 AS 492/12 B ER, Rn. 23 m.w.N.).
Ihre Mitwirkungspflichten hat die Klägerin trotz Fristsetzung nicht erfüllt. Weder die angeforderten Kontoauszüge noch die anderweitig begehrten Unterlagen wurden vorgelegt.
Die Mitwirkungspflichten waren auch zumutbar i.S.d. § 65 SGB I. Insbesondere konnte der Leistungsträger sich die erforderlichen Kenntnisse nicht mit geringerem Aufwand selbst beschaffen (§ 65 Abs. 1 Nr. 3 SGB I). Dabei ist v.a. zu berücksichtigen, dass es der Klägerin ein leichtes gewesen wäre, dem Beklagten die geforderten Kontoauszüge in Kopie zukommen zu lassen, während demgegenüber die Beschaffung durch den Grundsicherungsträger auf der Basis von § 60 Abs. 2 SGB II mit einem Mehraufwand verbunden ist bzw. nur ein unvollständiges Bild liefern kann (vgl. zu letzterem auch BSG, Urteil vom 19.02.2009, Az.: B 4 AS 10/08 R, Rn. 19).
Eine Unzumutbarkeit ergibt sich auch nicht aus dem zeitlichen Umfang der angeforderten Unterlagen, nachdem das BSG (Urteil vom 19.02.2009, a.a.O., Rn 13 ff.) sinngemäß entschieden hat, dass verdachtsunabhängig bei jeder Leistungsbeantragung eine Vorlage der Kontoauszüge für die letzten drei Monate verlangt werden kann.
Soweit die Klägerin in ihrer Klagebegründung auf eine Entscheidung des BVerfG vom 12.05.2005 (Az.: 1 BvR 569/05) abstellt und den Rechtssatz aufstellt, dass es bei der Beurteilung der Hilfebedürftigkeit bei Sozialleistungen nur auf das hier und jetzt ankomme und die Verhältnisse in der Vergangenheit irrelevant seien, folgt das erkennende Gericht dem nicht. Das BVerfG hat in Rn. 28 der angesprochenen Entscheidung erklärt, dass bei der Prüfung der Voraussetzungen eines Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums, soweit es um die Beurteilung der Hilfebedürftigkeit der Antragsteller geht, nur auf die gegenwärtige Lage abgestellt werden darf. Umstände der Vergangenheit dürfen nur insoweit herangezogen werden, als sie eindeutige Erkenntnisse über die gegenwärtige Lage des Anspruchstellers ermöglichen. Aus Sicht des erkennenden Gerichts schließt der letztgenannte Satz eine Überprüfung der näheren Vergangenheit nicht aus, um daraus mögliche Erkenntnisse für die Gegenwart zu gewinnen, zu denen der Hilfebedürftige dann entsprechend Stellung nehmen kann.
Eine Unzumutbarkeit der Mitwirkungspflichten lässt sich auch nicht damit begründen, dass der Beklagte auf die Möglichkeit der Vornahme bestimmter Schwärzungen hätte hinweisen müssen.
Richtig ist zwar, dass seitens des jeweiligen Antragstellers das Recht besteht, bestimmte Schwärzungen personenbezogener Daten in Kontoauszügen vorzunehmen (vgl. dazu im Einzelnen BSG, Urteil vom 19.02.2009, a.a.O., Rn. 20).
Soweit die Klägerin daraus ableitet, dass der Beklagte grundsätzlich gehalten sei, in seinen Mitwirkungsaufforderungen auf die besagte Möglichkeit von Schwärzungen hinzuweisen, kann dies im vorliegenden Fall dahinstehen. Denn bereits das der Klägerin anlässlich von früheren Antragstellungen überreichte Merkblatt zum SGB II enthält entsprechende Hinweise, was das erkennende Gericht als gleichwertig bzw. ausreichend erachtet.
Die Klägerin ist auch gem. § 66 Abs. 3 SGB I mit dem Schreiben vom 20.10.2016 auf die Möglichkeit einer Versagung von Leistungen bei Nichterfüllung der Mitwirkungspflichten hingewiesen worden.
Der Beklagte hat Ermessen ausgeübt und dies im Bescheid vom 10.11.2016 sowie im Widerspruchsbescheid vom 14.12.2016 zum Ausdruck gebracht.
Lediglich ergänzend ist festzuhalten, dass die streitgegenständlichen Mitwirkungspflichten bislang auch nicht nachträglich erfüllt worden oder sonst entfallen sind.
Aus den genannten Gründen war die Klage daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 S. 1 SGG.