Aktenzeichen M 10 K 15.50407
AsylG AsylG § 27a, § 34a Abs. 1 S. 1, § 71a
Leitsatz
1 Der Mitgliedstaat, der die Überstellung in den eigentlich zuständigen Mitgliedstaat nicht zeitgemäß durchführt, muss die Folgen tragen (ebenso VGH München BeckRS 2015, 46404). (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Ausspruch, dass der Asylantrag mangels Zuständigkeit unzulässig ist, enthält nicht zugleich eine materiellrechtliche Aussage dahingehend, dass ein weiteres Asylverfahren iSv § 71a AsylG nicht durchzuführen ist (ebenso VGH München BeckRS 2015, 46404). (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Der Bescheid des Bundesamts … vom 2. April 2015 wird aufgehoben.
II.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, § 101 Abs. 2 VwGO.
Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg.
Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamts ist mittlerweile rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Im nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt dieser Entscheidung war die Überstellungsfrist bereits abgelaufen.
Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist vorliegend die am 19. Juli 2013 in Kraft getretene VO (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rats vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin-III-VO). Diese findet gemäß Art. 49 Dublin-III-VO auf alle in der Bundesrepublik ab dem 1. Januar 2014 gestellten Anträge auf internationalen Schutz Anwendung, mithin auf das im März 2015 gestellte Schutzgesuch der Klägerin.
Unabhängig von der Frage, ob der Asylantrag wirklich unzulässig war und die Abschiebung nach Italien angeordnet werden durfte, ist die Bundesrepublik jedenfalls nunmehr durch Zeitablauf für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin-III-VO geht die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat über, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt wird. Dieser Übergang der Zuständigkeit nach Ablauf der Sechsmonatsfrist stellt keinen fingierten Selbsteintritt, sondern eine besondere Zuständigkeitsnorm dar, die lediglich vom Ablauf der Frist abhängig ist. Die Regelung stützt sich auf die Überlegung, dass der Mitgliedstaat, der die Überstellung in den eigentlich zuständigen Mitgliedstaat nicht zeitgemäß durchführt, die Folgen tragen muss (BayVGH, B. v. 11.5.2015 – 13a ZB 15.50006 – juris, Rn. 4 ff.).
Im vorliegenden Fall ist die Überstellung nicht in diesem Sinne fristgemäß erfolgt. Die sechsmonatige Frist beginnt nach Art. 29 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO mit der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin-III-VO aufschiebende Wirkung hat, hier nach § 34 a Abs. 2 AsylG.
Über den Eilantrag des Klägers wurde am 6. August 2015 abschlägig entschieden, eine Abschiebung erfolgte aber bisher nicht.
Die sechsmonatige Frist ist daher im maßgeblichen Zeitpunkt dieser Entscheidung bereits abgelaufen. Es kann dahin gestellt bleiben, ob sich der zulässige Eilantrag des Klägers mit dem Ziel, die aufschiebende Wirkung der gegen den Überstellungsbescheid gerichteten Klage anzuordnen, auf den Lauf der Überstellungsfrist auswirkt, und es für den Lauf der Frist darauf ankommt, wann ein ablehnender Eilbeschluss in Bezug auf die Abschiebungsanordnung bekannt gegeben worden ist (s. hierzu VG Potsdam, B. v. 4.2.2016 – 6 L 87/16.A – juris – Rn.5; B. v. 16.4.2014 – 6 L 211/14.A – juris – Rn. 8). Denn nach beiden vertretenen Rechtsauffassungen ist im jetzigen Zeitpunkt die Überstellungsfrist von sechs Monaten abgelaufen. Eine gerichtliche Entscheidung, die durch Anordnung der aufschiebenden Wirkung den Fristablauf gehemmt hätte (vgl. BayVGH, B. v. 20.5.2015 – 11 ZB 14.50036 – juris, Rn. 9), ist nicht ergangen.
Das Verstreichen der Überstellungsfrist hat gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO zur Folge, dass der zunächst zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet ist und die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat übergeht. Die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrags der Klägerin ist damit auf die Beklagte übergegangen.
Lediglich ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass eine Umdeutung des „Dublin-Bescheids“ in eine ablehnende Entscheidung nach § 71a AsylG aus prozessualen und materiellen Gründen nicht in Betracht kommt (BayVGH, B. v. 18.5.2015 – 11 ZB 14.50053 – juris, Rn. 15 ff.).
Der Kläger ist auch in seinen Rechten verletzt. Zwar begründen die Bestimmungen der Dublin-III-VO grundsätzlich keine subjektiven Rechte des Schutzsuchenden. Sie dienen allein der internen Verteilung der Lasten und Verantwortung unter den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Wenn allerdings die Überstellungsfrist abgelaufen und der ursprünglich zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Übernahme bereits ist, besteht allein die Zuständigkeit der Beklagten. Der Anspruch auf Durchführung des Asylverfahrens kann dann als notwendiger Bestandteil des materiellen Asylanspruchs gegenüber dem dann zuständigen Staat geltend gemacht werden (vgl. VG Düsseldorf, U. v. 5.5.2015 – 22 K 2179/15.A – juris, Rn. 15).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.