Europarecht

Rückzahlungspflicht für während Rechtsschutzverfahren vergütete Heilmittelleistungen

Aktenzeichen  S 44 KR 1902/15

Datum:
14.12.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 136679
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V §§ 124, 125 Abs. 5
SGG § 86a Abs. 1
BGB § 814

 

Leitsatz

1. Leistungen eines Heilmittelerbringers, die ohne Zulassung der Betriebsstätte erbracht wurden, sind nicht zu vergüten.
2. Wendet sich ein Heilmittelerbringer mit Widerspruch und Anfechtungsklage gegen den Widerruf der Zulassung seiner Betriebsstätte, so kann die Krankenkasse mit Eintritt der Bestandskraft der Widerrufsentscheidung die von ihr für Zeiträume nach der Widerrufsentscheidung an den Heilmittelerbringer zu Unrecht bezahlte Vergütung im Wege des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs von diesem zurückfordern.
1 Wenn eine Krankenkasse logopädische Leistungen während des Rechtsmittelverfahrens gegen den Widerruf der Zulassung als Leistungserbringer zunächst vergütet, dann muss der Leistungserbringer diese Zahlungen im Falle seines Unterliegens zurückerstatten. (Rn. 20 – 28) (redaktioneller Leitsatz)
2 Für die erbrachten Logopädieleistungen besteht auch kein Anspruch auf Wertersatz. (Rn. 31 – 33) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 9.405,87 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 9.405,87 Euro festgesetzt.

Gründe

Das Gericht konnte gemäß § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten bzw. sich mit der Entscheidung durch Gerichtsbescheid einverstanden erklärt haben.
Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung der im Jahr 2011 zu Unrecht für Leistungen der Stimm-, Sprach- und Sprechtherapie abgerechneten und bezahlten Vergütungen in Höhe von 9.405,87 Euro.
1. Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) zulässig. Mit der allgemeinen Leistungsklage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hat. Voraussetzung für die Zulässigkeit der echten Leistungsklage ist damit ein zwischen den Beteiligten bestehendes Gleichordnungsverhältnis, das eine (einseitig) hoheitliche Regelung der handelnden Behörde durch Verwaltungsakt gegenüber dem Adressaten – und damit eine Klage nach § 54 Abs. 4 SGG – ausschließt (vgl. BSGE 66, 159, 161). Seit der zum 01.01.2000 in Kraft getretenen Fassung von § 69 SGB V (i.d.F. des GKV-Gesundheitsreformgesetzes 2000 vom 22.12.1999, BGBl I 2626) sind die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu sämtlichen Leistungserbringern, wie Krankenhäuser, Vertragsärzten, Apotheken und allen sonstigen nichtärztlichen Leistungserbringern, ausschließlich sozialversicherungsrechtlicher Natur und damit dem öffentlichen Recht zugeordnet (vgl. BSGE 89, 24, 30 f.) Die Vergütungsansprüche zwischen Heilmittelerbringern und den Krankenkassen sind durch öffentlich-rechtliche Rahmen- bzw. Einzelverträge nach § 125 Abs. 2 SGB V ausgestaltet. Dementsprechend ist für Rückzahlungsansprüche der Krankenkassen gegen Leistungserbringer aus rechtsgrundlos erfolgten Vergütungszahlungen der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch einschlägig (vgl. nur BSGE 105, 157 = SozR 4-2500 § 129 Nr. 5, Rn. 10 m.w.N.). Die klagende Krankenkasse hat daher die Rückforderung bereits ausgezahlter Vergütungen an die beklagte Leistungserbringerin zutreffend nicht durch Verwaltungsakt, sondern im Wege der Gleichordnung durch allgemeine Leistungsklage geltend gemacht, weil sie und die Beklagte in einem Gleichordnungsverhältnis zueinander stehen (vgl. BSG, Urteil vom 20.04.2016, Az. B 3 KR 23/15 R, Juris-Rn. 14).
2. Der Klägerin steht ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch gegen die Beklagte in Höhe des unstreitig im Jahr 2011 insgesamt für seit dem Widerruf der Zulassung erbrachte Leistungen vergüteten Betrags zu. Dieser aus den allgemeinen Grundsätzen des öffentlichen Rechts hergeleitete Rechtsanspruch setzt voraus, dass im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen Grund erbracht worden sind (vgl. BSGE 101, 33 = SozR 4-2500 § 109 Nr. 9, Rn. 17). Dies ist hier der Fall. Die Klägerin hat die seit dem 12.10.2010 von der Beklagten für die Versicherten der Klägerin erbrachten logopädischen Leistungen vergütet, obwohl die Beklagte nach diesem Datum keinen hierauf bezogenen vertraglichen Vergütungsanspruch hatte. Die Beklagte verfügte seit dem 12.10.2010 nicht mehr über die notwendige Zulassung für die Betriebsstätte ihrer Praxis, um dort Versicherte zu behandeln. Daher konnte im streitigen Zeitraum vom 12.10.2010 bis 31.12.2011 ein Vergütungsanspruch der Beklagten für diese Leistungen nicht entstehen (3.). Die Beklagte hat auch keinen Anspruch auf Wertersatz (4.).
3. Zahlungsansprüche der Beklagten gegen die Klägerin wegen erbrachter stimm-, sprach- und sprechtherapeutischer Leistungen können sich nur aus der Zulassungsentscheidung zur Erbringung dieser Leistungen an Versicherte (§ 124 SGB V) i.V.m. dem anerkannten Versorgungsvertrag auf Verbandsebene ergeben, welcher die Einzelheiten der Leistungserbringung und der Vergütung regelt (§ 125 Abs. 2 SGB V). Zur Meidung von Wiederholungen wird insoweit Bezug genommen auf die ausführlichen und zutreffenden Ausführungen des BSG in seinem Urteil vom 20.04.2016 (a.a.O., Juris-Rn. 16 ff.), welches im Rahmen des Erörterungstermins vor dem Sozialgericht am 07.12.2016 mit den Beteiligten besprochen wurde und welchem sich das Gericht nach eigener Prüfung vollumfänglich anschließt.
Die Beklagte hat im Rahmen des Zulassungsverfahrens nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 SGB V die Regelungen des Rahmenvertrages über die Durchführung der Stimm-, Sprech- und Sprachtherapie (RV-S) vom 07.05.1992 (in der Fassung vom 17.12.2009, gültig ab 01.01.2010) anerkannt. Anspruchsgrundlage für Vergütungsansprüche kann demnach nur der von ihr anerkannte Verbandsvertrag sein (vgl. BSG, Urteil vom 20.04.2016, a.a.O.,.JurisRn. 21).
Nach § 6 Abs. 1 dieses Rahmenvertrages sind die Leistungen, die nach diesem Vertrag erbracht werden können, in der Anlage 1 c der Rahmenempfehlungen nach § 125 Abs. 1 SGB V beschrieben. Zur Durchführung dieser Behandlungen sind „die Zugelassenen“ im Rahmen ihrer fachlichen Eignung berechtigt und verpflichtet.
Diese Bestimmung stellt eine Regelung „über die Einzelheiten der Versorgung mit Heilmitteln“ im Sinne des § 125 Abs. 2 Satz 1 SGB V dar, die von den Vertragspartnern vereinbart werden kann (BSG, Urteil vom 20.04.2016, Juris-Rn. 23).
Die Beklagte hatte aufgrund der Regelung des § 6 Abs. 1 des Verbandsvertrags keinen Anspruch auf Vergütung der mit der Klägerin in 2011 abgerechneten Behandlungen. Nach dieser Vorschrift durften Behandlungen nur von den gemäß § 124 SGB V zugelassenen Leistungserbringern erfolgen. Dies entspricht der gesetzlichen Regelung des § 124 Abs. 1 SGB V.
Die Zulassung nach § 124 Abs. 5 SGB V erfolgt durch Verwaltungsakt (§ 31 SGB X, näher BSGE 77, 108, 110). Zudem setzt § 124 Abs. 2 Satz 2 SGB V für jeden Heilmittelbereich eine eigenständige Zulassung entsprechend den jeweiligen berufsrechtlichen Anforderungen, den berufspraktischen Erfahrungen und der jeweils erforderlichen sachlichen Ausstattung der Betriebsstätte voraus (vgl. BSG SozR 4-2500 § 124 Nr. 1 Rn. 8).
Hier ist die mit Bescheid vom 01.08.2008 der Beklagten zur sprachtherapeutischen Behandlung der Versicherten der Klägerin betriebsbezogen (vgl. BSGE 77, 108, 111 f = SozR 3-2500 § 126 Nr. 1 S. 4 f) erteilte Zulassung mit Wirkung zum 12.10.2010 bestandskräftig widerrufen worden, d.h. die Beklagte hat im streitigen Zeitraum in den Räumlichkeiten ihrer Betriebsstätte Leistungen an Versicherte der Klägerin ohne die hierfür erforderliche Zulassung nach § 125 Abs. 5 SGB V erbracht. Aufgrund der – auch für das Gericht bindenden – Bestandskraft der Widerrufsentscheidung war deren Rechtmäßigkeit hier nicht erneut zu prüfen.
Auch ein Anspruch der Beklagten auf rückwirkende Neu-Zulassung zur Abgabe von Heilmitteln kommt entgegen der seitens des Bevollmächtigten der Beklagten geäußerten Rechtsauffassung nicht in Betracht, weil die Zulassungsentscheidung konstitutiven Charakter hat und daher Rechtswirkungen nur für die Zeit ab Zugang der Zulassungsentscheidung entfaltet (BSG, Urteil vom 20.04.2016, a.a.O., Juris-Rn. 29).
4. Der damit dem Grunde nach bestehende öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch der Klägerin erfasst den vollen Betrag der mit der Teilklage geltend gemachten, an die Beklagte im Jahr 2011 rechtsgrundlos gezahlten Vergütung.
Im Gleichordnungsverhältnis (vgl. oben 1.) hatte die Klägerin entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten auch kein Ermessen auszuüben. § 50 Abs. 2 SGB X findet hier bereits mangels einer Verwaltungstätigkeit der Klägerin im Über-Unterordnungsverhältnis i.S.d. § 1 SGB X keine Anwendung. Die Nichtanwendbarkeit des § 50 SGB X ergibt sich im Übrigen auch aus § 69 Abs. 1 SGB V, wonach die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und der Leistungserbringer abschließend im 4. Kapitel des SGB V und ergänzend im BGB geregelt sind.
Der Anspruch ist der Höhe nach auch nicht beschränkt durch eine etwaige Anwendung der Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung nach bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen (§§ 812 ff BGB i.V.m. § 69 Satz 3 SGB V). Denn der Anwendungsbereich dieser Vorschriften ist dann nicht eröffnet, wenn – wie vorliegend -dadurch gesetzliche und (normen-)vertragliche Regelungen, die das Leistungs- und Leistungserbringungsverhalten in der GKV steuern, drohen unterlaufen zu werden. Mit den mit dem Recht der GKV befassten Senate des BSG (vgl. BSG, Urteil vom 20.04.2016, a.a.O., Juris-Rn. 34 mit Hinweis auf BSG 1. Senat, Urteil vom 28.09.2010 – BSGE 106, 303 = SozR 4-2500 § 129 Nr. 6, Rn. 32; BSG 3. Senat, Urteil vom 17.3.2005 – BSGE 94, 213 Rn. 26 = SozR 4-5570 § 30 Nr. 1 Rn. 23 m.w.N.; BSG 6. Senat, Urteil vom 4.5.1994 – BSGE 74, 154, 158 = SozR 3-2500 § 85 Nr. 6 S. 35 f m.w.N.) ist von dem allgemeinen Grundsatz auszugehen, dass Leistungserbringer auch bereicherungsrechtlich die Abgeltung von Leistungen, die unter Verstoß gegen Vorschriften, die bestimmte formale oder inhaltliche Voraussetzungen aufstellen, selbst dann nicht beanspruchen können, wenn die Leistungen im Übrigen ordnungsgemäß erbracht worden sind und für den Versicherten geeignet und nützlich sind. Nur soweit Vorschriften reine Ordnungsfunktion haben, kann danach etwas anderes gelten (vgl. BSG SozR 4-2500 § 109 Nr. 7 Rn. 29 m.w.N.).
Die – vorliegend für den bestandskräftigen Widerruf der Zulassung der Beklagten ausschlaggebende – ortsbezogene Praxisausstattung zur zweckmäßigen und wirtschaftlichen Leistungserbringung im Heilmittelerbringerrecht, welche die zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten einschließt, hat nach der zutreffenden Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 20.04.2016, a.a.O.) nicht lediglich Ordnungsfunktion. Sie ist vielmehr von solcher Bedeutung, dass das Gesetz in § 124 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB V i.V.m. Abs. 6 Satz 1 SGB V ihre Erfüllung als materiellen Zulassungsgrund bzw. ihre Nichterfüllung als eigenständigen Widerrufsgrund bei der Erlaubnis zur Erbringung stimm-, sprach- und sprechtherapeutischer Leistungen aufgestellt hat. Nur so kann sich die Leistungserbringung für Heilmittelerbringer unter Beachtung der geltenden gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen vollziehen. Die Anwendung bereicherungsrechtlicher Grundsätze zu Gunsten des Leistungserbringers würde hier das deutlich im Gesetz zum Ausdruck kommende Erfordernis einer Praxisausstattung als Garant einer geeigneten Leistungserbringung unterlaufen. Es bestünde die Gefahr, dass die Qualitätssicherung und das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 2 Abs. 1 und 4, § 12 Abs. 1 und § 70 Abs. 1 Satz 2 SGB V) bei der Behandlung der Versicherten nicht gewährleistet wären (BSG, Urteil vom 20.04.2016, a.a.O., Juris-Rn. 33).
Die Beklagte kann sich auch nicht auf den Einwand der Erfüllung einer Nichtschuld (§ 814 BGB) oder auf das Vorliegen von Umständen für ein treuwidriges Verhalten (§ 242 BGB) der Klägerin berufen. Die Klägerin hatte vielmehr wegen der gegen die Entscheidung über den Widerruf der Zulassung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens gesetzlich angeordneten aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage (§ 86a Abs. 1 SGG) vom (vorläufigen) Fortbestand der Zulassung und damit vom Bestehen eines vertraglichen Vergütungsanspruches auszugehen. Dies war der anwaltlich vertretenen Beklagten auch bekannt. Erst nach Bestandskraft der Widerrufsentscheidung konnte und musste die Klägerin die wegen des rechtskräftig bestätigten Wegfalls der Zulassung zum 12.10.2010 zu Unrecht erbrachten Leistungen im Wege der Geltendmachung ihres öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs zurückfordern.
5. Verfassungsrechtliche Bedenken stehen diesem Ergebnis nicht entgegen. Auch insoweit schließt sich die Kammer nach eigener Prüfung den zutreffenden Ausführungen des BSG in seiner Entscheidung vom 20.04.2016 (a.a.O, Juris-Rn. 35 f.) an, auf welche zur Meidung von Wiederholungen hier nochmals Bezug genommen wird.
6. Der Zinsanspruch folgt aus § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V i.V.m. § 291 BGB. Die Zinshöhe ergibt sich aus § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.
7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 GKG.

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