Europarecht

Säumniszuschlag, Steuerrecht, Sozialversicherungsrecht, Träger der Sozialversicherung, Gesamtsozialversicherungsbeitrag, Berechnungsmethode, Widerspruchsbescheid, Gemeinsame Verlautbarung, gemeinsamer Beitragseinzug, Beitragsrückstände, Gesetzgebungsverfahren, Beitragsnachforderung, Unbilligkeit, Kostenentscheidung, Aufhebung, Rechtsprechung des BSG, BSG-Urteil, Sozialgerichte, Streitwert, Berufungsbeklagter

Aktenzeichen  L 7 BA 120/18

Datum:
15.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 31991
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB IV § 24

 

Leitsatz

Säumniszuschläge werden im Sozialversicherungsrecht anders berechnet als im Steuerrecht

Verfahrensgang

S 25 R 3530/16 2017-10-24 Urt SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 24. Oktober 2017 wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Revision wird zugelassen.
IV. Der Streitwert wird festgesetzt auf 41,00 Euro.

Gründe

Die Berufung ist nach der Zulassung durch den Senat, nachdem im Übrigen auch die sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt sind, zulässig.
Die Berufung ist jedoch unbegründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht München mit Urteil vom 24. Oktober 2017 die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 07.09.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.11.2016 zurückgewiesen, soweit die Klägerseite sich gegen die verhängten Säumniszuschläge in Höhe von 41,00 EUR wendet.
1. Die Beklagte hat die Säumniszuschläge zutreffend nach § 24 Abs. 1 SGB IV festgesetzt.
Der Gesetzgeber wollte die bis zur Gesetzesänderung im Jahre 1995 geltende Berechnungsmethode durch die ab 01.01.1995 geltende Neufassung von § 24 SGB IV durch das 2. SGBÄndG nicht verändern. Im Gesetzgebungsverfahren war zwar von einer Angleichung von § 24 SGB IV an das Steuerrecht die Rede. Die Diskussion beschränkte sich im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens jedoch darauf, dass die Erhebung des Säumniszuschlages nicht mehr an die Einzugsstelle gebunden sein sollte und dass es keine zwei Arten von Säumniszuschlägen (laufender und einmaliger Säumniszuschlag) mehr geben sollte. Insbesondere sollte die Erhebung von Säumniszuschlägen nicht mehr in das Ermessen der Behörde gestellt sein (vgl. die Begründung im Gesetzentwurf BT-Drucks. 12/5187, S. 30.). Danach verfolgte der Gesetzgeber nur eine „Angleichung“ an das Steuerrecht und keine identische Regelung, also im Ergebnis nur eine punktuelle Korrektur im Sozialversicherungsbereich (vgl. BSG, Urteil vom 17.05.2001, B 12 KR 32/00 R Rz 26 zur unterschiedlichen Beschränkung der Erhebung von Säumniszuschlägen im Steuerrecht und im Sozialversicherungsrecht). Im Übrigen sind bei Säumniszuschlägen die unterschiedlichen Zielsetzungen der Rechtsmaterien als Grund dafür zu berücksichtigen, dass die die Regelungen unterschiedlich zu beurteilen sind (vgl. BAG Großer Senat, Beschluss vom 07.03.2001, GS 1/00, zu Verzugszinsen nach dem BGB und Säumniszuschlägen nach dem Steuerrecht und nach dem Sozialversicherungsrecht).
Dementsprechend wurde die Berechnungsmethode zu den Säumniszuschlägen, wie sie vor dem 2. SGBÄndG in der Sozialversicherung angewendet wurde, auch weiterhin angewendet und von den Spitzenverbänden der Sozialversicherung am 09.11.1994 in einer gemeinsamen Verlautbarung zur Erhebung von Säumniszuschlägen nach § 24 SGB IV im Rahmen des Sozialversicherungsbeitrages ab 01.01.1995 festgelegt. Dass die von der Beklagten gewählte Berechnungsmethode der Vorschrift des § 24 Abs. 1 SGB IV nicht widerspricht, wurde auch nach der Gesetzesänderung zum 01.01.1995 durch die Rechtsprechung immer wieder bestätigt. Die Berechnungen auf der Grundlage der Verlautbarung zur Erhebung von Säumniszuschlägen nach § 24 SGB IV im Rahmen des Gesamtsozialversicherungsbeitrags wurde von der Rechtsprechung durchgängig nicht beanstandet (vgl. etwa BSG, Urteil vom 17.05.2001, B 12 KR 32/00 R Rz 27; BSG, Urteil vom 12.02.2004, B 13 RJ 28/03 R zu LSG BW, Urteil vom 13.05.2003, L 9 RJ 2117/02, Rz 81)). Nicht das erstmalige Entstehen des Beitragsanspruchs bzw dessen Fälligkeit sind anspruchsbegründender Umstand für die Säumniszuschläge, sondern das Vorliegen der Säumnis in jedem Monat (BSG, Urteil vom 29.08.2012, B 12 KR 3/11 R Rz 13). Ein Anspruch auf Säumniszuschläge entsteht für jeden Monat erstmalig; der Sachverhalt der Säumnis wird mit jedem weiteren Monat jeweils neu verwirklicht (BSG aaO).
§ 24 Abs. 1 Satz 2 SGB IV wurde von der Beklagten im Einklang mit dieser Rechtsprechung angewendet, indem die in den jeweiligen Monaten aufgelaufenen Beiträge addiert und dann jeweils auf der Grundlage der Addition für die Monate Säumniszuschläge festgelegt wurden. An der von der Beklagten auf Grundlage dieser angewendeten Berechnungsmethode dann konkret vorgenommenen Berechnung ist nichts zu beanstanden; sie wurde auch von Klägerseite nicht in Frage gestellt in Höhe von 41,00 EUR.
2. Anders als die Klägerseite meint, konnte und durfte die Beklagte die Säumniszuschläge auch nicht wahlweise nach der im Steuerrecht angewendeten Methode festsetzen.
Zwar wird in der Literatur vertreten (vgl. Segebrecht in Schlegel/Voelzke, juris PK-SGB IV, 3. Auflage 2016, § 24 SGB IV Rz. 38), der Gesetzgeber habe in Bezug auf die Berechnungsmethode keine eindeutige Regelung getroffen und der die Säumniszuschläge nach § 24 SGB IV festsetzenden Behörde stünde daher auch die Möglichkeit zu, die Säumniszuschläge alternativ wie im Steuerrecht zu berechnen. Insoweit könnte die festsetzende Behörde möglicherweise den Umständen des Einzelfalls besser gerecht werden und schon bei der Festsetzung der Säumniszuschläge einzelfallrelevante Umstände in Abwägung zu den Zielsetzungen der Säumniszuschläge berücksichtigten.
Die vom Gesetzgeber als zwingend vorgeschriebene Festsetzung von Säumniszuschlägen bezweckt, der Säumnis bei der Erfüllung von Beitragspflichten entgegenzuwirken und den Trägern der Sozialversicherung einen gesetzlich standardisierten Mindestschadenausgleich zu gewähren (vgl. BAG Großer Senat, Beschluss vom 07.03.2001, GS 1/00 Rz 40 mwN zur Rechtsprechung des BSG). Durch den Säumniszuschlag wird dem Verspätungsinteresse des Versicherungsträgers im Verhältnis zum Zahlungspflichtigen Genüge getan (BAG aaO). Säumniszuschlägen kommt dabei eine Druckfunktion zu (vgl. etwa BSG, Urteil vom 17.05.2001, B 12 KR 32/00 R Rz 24) Mit den Säumniszuschlägen soll sichergestellt werden, dass die Sozialleistungsträger die entstandenen Beiträge zum Fälligkeitstermin auch tatsächlich zur Erfüllung ihrer Leistungspflichten zur Verfügung haben und es soll ausgeschlossen werden, dass sich der Beitragsschuldner durch rechtswidriges Verhalten ein zinsloses Darlehen verschafft oder durch verspätete Beitragszahlung selbst einen Zinsvorteil erlangt; in dieser Doppelfunktion dienen Säumniszuschläge somit der Funktionsfähigkeit und der finanziellen Stabilität der Sozialversicherung im Sinne eines überragend wichtigen Gemeinwohlbelangs und eines legitimen gesetzgeberischen Ziels (BSG, Urteil vom 29.08.2012, B 12 KR 3/11 R Rz 25).
Auf der anderen Seite ist aus verfassungsrechtlichen Gründen im Einzelfall eine Korrektur übermäßig hart oder unbillig erscheinender Folgen von gesetzlichen Regelungen wie dem Zwang zur Verhängung von Säumniszuschlägen notwendig, wobei allerdings nicht jegliche hart oder unbillig erscheinende Folge korrigiert werden muss (BSG, Urteil vom 29.08.2012, B 12 KR 3/11 R Rz 39). In Bezug auf die Verhängung von Säumniszuschlägen hat der Gesetzgeber jedoch ausreichende Vorkehrungen getroffen, um auftretende Härten zu vermeiden bzw. abzumildern (BSG aaO Rz 32), etwa indem § 24 Abs. 2 SGB IV bei unverschuldeter Unkenntnis von der Beitragspflicht Säumniszuschläge nicht erforderlich macht (BSG aaO Rz 32), eine niedrigere Verzinsung oder zinslose Stundung in Betracht kommen oder Erlass und Niederschlag der Beitragsforderung oder auch nur der Säumniszuschläge möglich sind (BSG aaO Rz 34).
Diese Möglichkeiten, dem Einzelfall bei der Verhängung von Säumniszuschlägen gerecht zu werden, sind ausreichend (BSG aaO Rz 34). Einer zusätzlichen Möglichkeit, geringere oder gar keine – wie hier von der Klägerseite begehrt – Säumniszuschläge aufgrund einer dem Steuerrecht folgenden Berechnungsweise zu verhängen, bedarf es daher nicht. Eine solche alternative Berechnung würde im Übrigen auch dem vom Gesetzgeber mit dem 2. SGBÄndG verfolgten Regelungszweck widersprechen. Es wäre keine Verwaltungsvereinfachung, wenn eine Behörde zwischen zwei Berechnungsmethoden wählen müsste und schon bei Berechnung der Säumniszuschläge sämtliche Gesichtspunkte berücksichtigen müsste, die ansonsten erst nach der Feststellung der Höhe der Säumniszuschläge berücksichtigt werden müssten. Zudem sollte die Entscheidung über Säumniszuschläge ermessensfrei ausgestaltet werden; die Auswahl zwischen zwei Berechnungsmethoden hätte jedoch wieder eine vom Gesetzgeber offensichtlich nicht mehr gewünschte Ermessensentscheidung zur Folge.
Im Ergebnis konnte die Beklagte bei der Erhebung von Säumniszuschlägen nicht zwischen zwei unterschiedlichen Verfahrensweisen wählen, nämlich der von ihr gewählten Verfahrensweise, wie sie auch die Spitzenverbände der Sozialversicherung am 09.11.1994 in einer gemeinsamen Verlautbarung zur Erhebung von Säumniszuschlägen nach § 24 SGB IV im Rahmen des Sozialversicherungsbeitrages ab 01.01.1995 herausgegeben haben, und der Methode, wie sie von den Finanzbehörden angewendet wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Der Streitwert wird auf 41,00 EUR festgesetzt, was dem allein in Streit stehenden Betrag an Säumniszuschlägen entspricht.

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