Aktenzeichen 5 U 2567/20
Leitsatz
Verfahrensgang
10 O 740/20 2020-06-26 Endurteil LGNUERNBERGFUERTH LG Nürnberg-Fürth
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 26.06.2020, Az. 10 O 740/20, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Gründe
I.
Die Klägerin kaufte am 26.01.2011 bei der Beklagten das Neufahrzeug Mercedes Benz CLS 350 CDI BlueEFFICENCY Coupé mit der FIN.: … zum Preis von 68.690,51 €. Das Fahrzeug wurde am 29.04.2011 an die Klägerin übergeben und im Jahr 2011 erstmals im Verkehr zugelassen. Es wies am 25.06.2020 einen Kilometerstand von 133.546 km auf. Das streitgegenständliche Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs OM 642 ausgestattet und unterfällt der Emissionsklasse Euro 5. Es verfügt über eine EG-Typgenehmigung und unterliegt keinem behördlichen Rückruf. Zur Verringerung der Stickoxidemissionen ist im Fahrzeug eine temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung eingebaut, bei dem ein Teil des Abgases in das Ansaugsystem des Motors zurückgeführt wird und erneut an der Verbrennung teilnimmt. Die Beklagte ist auch Herstellerin des Fahrzeugs und bietet eine freiwillige Servicemaßnahme für das Fahrzeug an.
Die Klägerin nimmt die Herstellerin des Fahrzeugs auf Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung in Anspruch weil die Beklagte in das Fahrzeug ein Dieselmotor der Baureihe OM 642 eingebaut habe, dessen Motorsteuerung so arbeite, dass die gesetzlichen Grenzwerte für Stickoxide (hier Euro-5-Norm) zwar unter den im Testbetrieb herrschenden Bedingungen eingehalten, im praktischen Fahrbetrieb dagegen – abhängig von der Umgebungstemperatur – weit überschritten würden. Aufgrund des unstreitigen „Thermofensters“ bestehe ein Anscheinsbeweis dafür, dass die Reduzierung der Abgasreinigung planmäßig außerhalb des nach den Prüfungsbedingungen vorgegebenen Temperaturrahmens von 20-30° C erfolge, so dass eine Prüfstandserkennung wahrscheinlich sei und kein sachlicher Unterschied zu dem Motortyp EA 189 von VW bestehe. Das von der Beklagten eingesetzte Thermofenster sei aus technischer Sicht nicht notwendig; die Typgenehmigung hätte für dieses Fahrzeug versagt werden müssen. Es sei davon auszugehen, dass die Installation der Abschalteinrichtung in der Motorsteuerungssoftware mit Wissen und Wollen eines oder mehrerer Vorstandsmitglieder oder Repräsentanten der Beklagten erfolgt sei. Diese hätten in der Vorstellung gehandelt, dass die Typgenehmigung für derart ausgestattete Fahrzeuge durch Täuschung der zuständigen Behörde erlangt worden sei. Ein Softwareupdate sei nicht geeignet, den Wagen mangelfrei zu machen; es verringere die Dauerhaltbarkeit des Fahrzeugs und verursache vorzeitig teure Reparaturen. Das Aufspielen eines Updates der Motorsteuerungssoftware sei deswegen unzumutbar.
Die Beklagte hat den Vortrag der Klägerin als unschlüssig, unsubstantiiert und ins Blaue hinein gerügt. Die Beklagte bestreitet den Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung und das Vorliegen eines Mangels im Zeitpunkt des Gefahrübergangs. Kaufrechtliche Gewährleistungsansprüche seien zudem verjährt. Sie bestreitet eine Täuschung, eine sittenwidrige Schädigung oder sonstige Rechtsverletzungen. In Bezug auf die temperaturabhängige Abgasregelung habe die Beklagte ein zutreffendes, jedenfalls vertretbares Normverständnis zugrunde gelegt und davon ausgehen dürfen, dass diese schon keine Abschalteinrichtung darstelle, jedenfalls aber aus Gründen des Motorschutzes zulässig sei. In dem streitgegenständlichen Fahrzeug werde keine Programmierung verwendet, die manipulativ so gestaltet worden wäre, dass auf der Straße unter „normalen Betriebsbedingungen“ i.S.v. Art. 5 Abs. 1 bzw. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 ein anderes Verhalten des Emissionskontrollsystems angestrebt werde, als auf dem Prüfstand. Auch sei im streitgegenständlichen Fahrzeug keine Software verbaut, die lediglich für die Zwecke des Typgenehmigungsverfahrens eine Schadstoffarmut der Emissionen vortäusche, indem sie (wie offenbar insbesondere in den VW-Fällen) aufgrund einer Prüfstanderkennung die Abgasreinigung intensiviere. Das gegenständliche Fahrzeug besitze eine EG-Typgenehmigung und entspreche vollumfänglich den geltenden Abgasgrenzwerten und der Euro-5-Norm. Es liege auch kein Verstoß gegen §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV vor. Darüber hinaus seien weder Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 noch §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten bestehe nicht, weil die Klägerin schon keine greifbaren Anhaltspunkte für ihre Behauptungen vorbringe. Eine Wertminderung des Fahrzeugs oder sonstige wirtschaftliche Nachteile werden bestritten. Die Behauptungen zu den schädlichen Auswirkungen des freiwilligen Software-Updates seien spekulativ und sachlich unrichtig.
Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat am 13.03.2020 die auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs gerichtete Klage abgewiesen. Vertragliche Ansprüche seien verjährt. Die 2-jährige Verjährungsfrist des § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB sei am 29.04.2013 abgelaufen; ein arglistiges Verschweigen eines etwaigen Mangels liege nicht vor. Deliktische Ansprüche des Klägers bestünden weder aus §§ 826, 831 BGB noch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit einem Schutzgesetz, etwa § 263 Abs. 1 StGB oder §§ 6, 27 EG-FGV bzw. Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 715/2007. Eine vorsätzliche Täuschung i.S.d. § 263 StGB könne nicht festgestellt werden, weil die Art. 5 Abs. 2 i.V.m. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) Nr. 715/2007 nicht so klar formuliert seien, dass die Verwendung einer temperaturabhängigen oder sonst variablen Abgasrückführung als eindeutig unzulässig darstelle. Die Beklagte habe annehmen können, dass die von ihr gewählte Steuerung der Abgasrückführung jedenfalls dem Grunde nach nicht zu beanstanden sei. Es sei davon auszugehen, dass die Beklagte zur Erlangung der Typ-Genehmigung die in Art. 3 Nr. 9 der VO (EG) Nr. 692/2008 vorgeschriebenen Angaben zur Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems gemacht habe, so dass dem Kraftfahrt-Bundesamt die Temperaturabhängigkeit der Abgasrückführung bekannt gewesen und nicht beanstandet worden sei. Demgegenüber habe die Klägerin nicht aufgezeigt, dass den Verantwortlichen der Beklagten die Unzulässigkeit der temperaturgesteuerten Abgasrückführung gleichwohl bekannt gewesen wäre. Die §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV bzw. Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 seien keine Schutzgesetze i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB. Da schon kein Vorsatz hinsichtlich des Vorhandenseins einer unzulässigen Abschalteinrichtung bestehe, könne auch ein Schädigungsvorsatz i.S.v. § 826 BGB nicht festgestellt werden. Aus den genannten Gründen bestehe auch kein Anspruch aus § 831 Abs. 1 BGB i.V.m. § 826 BGB bzw. § 831 Abs. 1 BGB i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB, § 263 StGB, da auch ein vorsätzliches Handeln des Verrichtungsgehilfen nicht festzustellen sei.
Mit der Berufung macht die Klägerin geltend, die Klage sei zu Unrecht abgewiesen worden, weil das im streitgegenständlichen Pkw vorhandene Thermofenster exakt auf die Prüfbedingungen im NEFZ abgestimmt sei, insbesondere, dass das Fahrzeug mindestens 6 Stunden lang einer Temperatur zwischen 20° und 30 °C ausgesetzt und geprüft werde, dass die Temperatur von Kühlwasser und Motor zwischen 20° und 30° C liege und dass die Temperatur des Prüfraums zwischen 20° und 30 °C betrage. Bei einem derartigen auf die vorgenannten Prüfbedingungen abgestimmten Thermofenster sei von einem planmäßigen Vorgehen der Beklagten auszugehen, das die bewusste Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts und der Endverbraucher beinhalte, so dass kein sachlicher und rechtlicher Unterschied zu der Prüfstandserkennung in den Fällen des Motortyps EA 189 von VW bestehe. Entgegen der Auffassung des Landgerichts habe die Klägerin das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) Nr. 715/2007 hinreichend dargelegt. Als solche sei nämlich das Thermofenster zu qualifizieren, das die Rate der Abgasrückführung abhängig von der Ladeluft-/Außentemperatur mache, und zwar unabhängig davon, ob das Kraftfahrt-Bundesamt einen Rückruf angeordnet habe. Ein solches Thermofenster sei nur dann ausnahmsweise zulässig, wenn es notwendig sei, um den Motor vor Beschädigung zu schützen, was im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben sei. Zu diesem Ergebnis sei insbesondere das Landgericht Stuttgart in seinem Urteil vom 09.05.2018 (23 U 220/18) gelangt; dieses Urteil zitiert die Klägerin in ihrer Berufungsbegründung ausführlich. Das Verhalten der Beklagten sei auch sittenwidrig gewesen, wie wiederum das Landgericht Stuttgart im zitierten Urteil zutreffend dargelegt habe. Es liege auch eine kausale Schadensverursachung durch die Beklagte vor. Die Klägerin habe nicht nur davon ausgehen können, dass die notwendige EG-Typgenehmigung im Zeitpunkt des Erwerbs formal vorliege, sondern auch, dass nicht deren nachträgliche Änderung oder Rücknahme drohe. Es sei davon auszugehen, dass der Vorstand der Beklagten nicht nur über umfassende Kenntnisse von dem Einsatz der Software verfügt, sondern mit der Herstellung und dem Inverkehrbringen der mangelbehafteten Motoren auch billigend in Kauf genommen habe, die Erwerber der Fahrzeuge dem Risiko einer Rücknahme der Typgenehmigung und Betriebsuntersagung auszusetzen. Der Schaden der Klägerin bestehe darin, dass sie aufgrund des Kaufvertrages nicht das erhalten habe, was ihr zugestanden hätte, nämlich ein technisch einwandfreies und den gesetzlichen Bestimmungen vollständig entsprechendes Fahrzeug. Insbesondere liege der Schaden darin, dass die Möglichkeit des Widerrufs der Zulassung durch das Kraftfahrt-Bundesamt bestanden habe, unabhängig davon, ob das Kraftfahrt-Bundesamt von dieser Möglichkeit tatsächlich Gebrauch gemacht habe. Dies hätte es jedenfalls tun können, weil das streitgegenständliche Kraftfahrzeug aufgrund der unzulässigen Abschalteinrichtung den gesetzlichen Bestimmungen tatsächlich nicht entsprochen habe. So habe es auch das Landgericht Stuttgart (a.a.O.) gesehen.
Die Beklagte hat bestritten, dass eine Funktion in dem streitgegenständlichen Fahrzeug existiere, durch die der Prüfstand erkannt und der Stickoxidausstoß lediglich für die Zwecke des Typgenehmigungsverfahrens gezielt reduziert werde.
II.
Die Berufung der Klägerin hat – unbeschadet der gegen die Zulässigkeit bestehenden Bedenken – offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, weil sie jedenfalls nicht begründet ist.
1. Dem Käufer eines (neuen oder gebrauchten) PKW, der mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in der Motorsteuerungssoftware versehen ist, kann zwar gegen den Fahrzeughersteller ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB auf Erstattung des für den Erwerb des Fahrzeuges verauslagten Kaufpreises abzüglich eines Vorteilausgleichs für die Nutzung Zug um Zug gegen Übereignung dieses Fahrzeuges zustehen. Das Inverkehrbringen eines Fahrzeuges unter bewusstem Verschweigen einer – bekanntermaßen – gesetzwidrigen Motorsteuerungsprogrammierung stellt nämlich eine Täuschung dar, da der Hersteller mit dem Inverkehrbringen konkludent die Erklärung abgibt, der Einsatz des Fahrzeuges sei im Straßenverkehr uneingeschränkt zulässig. Der Schaden des Fahrzeugkäufers besteht darin, dass ihm der Entzug der Betriebserlaubnis und damit die Stilllegung des Fahrzeuges droht, wobei der Schaden bereits mit dem Erwerb des Fahrzeuges eingetreten ist (vgl. BGH, Urteil vom 25.5.2020 – VI ZR 252/19).
2. Die Anwendung dieser Rechtsprechung, die zu Fahrzeugen des Volkswagen-Konzerns ergangen ist, die mit dem Motor EA189 ausgestattet sind, auf den Streitfall scheitert daran, dass nicht nur nicht feststeht, dass das Fahrzeug der Klägerin mit einer nicht zulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, sondern der Senat das Gegenteil zugrunde zu legen hätte.
2.1. Die Beklagte weist zu Recht und von der Klägerin nicht angegriffen, darauf hin, dass für das streitgegenständliche Fahrzeugmodell eine bestandskräftige Typgenehmigung des Kraftfahrt-Bundesamtes vorliegt, die auch nicht durch nachträgliche Nebenbestimmungen eingeschränkt worden ist. Die EG-Typgenehmigung ist die für einen Mitgliedsstaat der Europäischen Union in Anwendung der RL 2007/46/EG, der RL 2002/24/EG sowie der RL 2003/37/EG erteilte Bestätigung, dass der zur Prüfung vorgestellte Typ eines Fahrzeuges, eines Systems, eines Bauteils oder einer selbstständigen technischen Einheit die einschlägigen Vorschriften und technischen Anforderungen erfüllt (so die Begriffsbestimmung in § 2 Nr. 4 der Fahrzeug-Zulassungsverordnung). Mit der Erteilung der Typgenehmigung hat das Kraftfahrt-Bundesamt somit dem Hersteller, hier der Beklagten, bestätigt, dass das streitgegenständliche Fahrzeugmodell die Anforderungen der „einschlägigen Vorschriften“ erfüllt, mithin auch diejenigen der Verordnung 715/2007/EG hinsichtlich der Schadstoffemissionen. Unzweifelhaft handelt es sich dabei um einen Verwaltungsakt des Kraftfahrt-Bundesamtes gegenüber dem Fahrzeughersteller, dem hierdurch ermöglicht wird, die dem genehmigten Typ entsprechenden Fahrzeuge unter Ausstellung und Beifügung einer Übereinstimmungsbescheinigung (§ 22 EG-FGV) in den Verkehr zu bringen. Hat aber die zuständige Behörde in einem bestandskräftigen Verwaltungsakt dem Hersteller bescheinigt, dass das streitgegenständliche Fahrzeugmodell insbesondere im Hinblick auf die Schadstoffemissionen den Anforderungen genügt, so sind die Zivilgerichte auf Grund der sogenannten Tatbestandswirkung des Verwaltungsaktes daran gehindert, etwas anderes anzunehmen. Die Tatbestandswirkung des Verwaltungsaktes besagt, dass dann, wenn die zuständige Verwaltungsbehörde einen wirksamen Verwaltungsakt erlassen hat, der ein bestimmtes Verhalten ausdrücklich erlaubt, etwa durch eine Genehmigung, die Zulässigkeit des betreffenden Verhaltens eine Nachprüfung durch die Zivilgerichte so lange entzogen ist, als der Verwaltungsakt nicht durch die zuständige Behörde oder durch ein Verwaltungsgericht aufgehoben worden oder nichtig ist (BGHZ 73, 114; BGH NJW 1998, 3055; BGHZ 158, 19; BGH NVwZ-RR 2008, 154; BGH NVwZ-RR 2010, 272; BGHZ 205, 195). Mit der Tatbestandswirkung der vom Kraftfahrt-Bundesamt bestandskräftig erteilten und unverändert wirksamen Typgenehmigung wäre aber nicht vereinbar, wenn der Senat annähme, die Beklagte habe (auch) der Klägerin gegenüber mit dem Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeuges, das dem genehmigten Typ entspricht, gegen die guten Sitten verstoßen, weil das Fahrzeug mit einer nicht zulässigen sogenannten Abschalteinrichtung versehen sei, die der Erteilung einer Genehmigung entgegenstünde (so auch OLG Celle, Hinweisbeschluss vom 7.8.2019, Az: 7 U 626/19).
2.2. Auf die Tatbestandswirkung der EG-Typgenehmigung könnte sich die Beklagte dann nicht berufen, wenn sie diese Genehmigung durch eine arglistige Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamtes erschlichen hätte, wie das der Bundesgerichtshof im Fall des VW-Konzerns in seinem Urteil vom 25.5.2020 (aaO.) angenommen hat. Derartiges wird von der Klägerin im vorliegenden Fall aber nicht schlüssig behauptet.
Zwar hat das Landgericht Stuttgart, dessen Urteil vom 9.5.2018 in der Berufungsbegründung umfänglich – und auch hinsichtlich der nachstehenden Ausführungen – zitiert wird, eine Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamtes angenommen mit der Begründung, die Beklagte habe im Typgenehmigungsverfahren nicht im Detail dargelegt, inwieweit sich die Rate der Abgasrückführung temperatur- und betriebsabhängig bei der gewählten Motorsteuerung ändere und wie sich dies auf den NOx-Ausstoß auswirke. Der Senat versteht das Vorbringen der Klägerin so, dass sie sich diese Ausführungen zu eigen macht. Hierbei handelt es sich allerdings um eine bloße Unterstellung auf Grund des Umstandes, dass die Beklagte in dem Verfahren vor dem Landgericht Stuttgart einen teilweise geschwärzten Auszug des Beschreibungsbogens betreffend die Funktion der Abgasrückführung vorgelegt hatte. Freilich hatte schon dieser Auszug, weil insoweit lesbar, gezeigt, dass die Beeinflussung der Abgasrückführungsrate durch den Parameter „Lufttemperatur“ im Genehmigungsverfahren offenbart worden war. Insoweit kann das Kraftfahrt-Bundesamt also nicht getäuscht worden sein. Sollte auch im Genehmigungsverfahren selbst ein teilgeschwärzter Beschreibungsbogen vorgelegt worden sein, wäre für das Kraftfahrt-Bundesamt ebenfalls offensichtlich gewesen, dass die Angaben zur Arbeitsweise der Abgasrückführung nicht vollständig waren; es hat sich mit den getätigten Angaben dann jedoch zufriedengegeben, andernfalls die Typgenehmigung nicht erteilt worden wäre. Auch dann kann von einer Täuschung keine Rede sein. Eine solche ist also von der Klägerin nicht schlüssig dargetan.
Mithin bedarf es im Streitfall keiner näheren Untersuchung der tatsächlichen Ausgestaltung des sogenannten thermischen Fensters; der Senat sähe bei Fortführung des Berufungsverfahrens folglich keine Veranlassung, der Beklagten aufzugeben, hierzu näher vorzutragen, und sodann durch eine Begutachtung zu untersuchen, ob die Ausgestaltung der Abgasrückführung die Einstufung als nicht zulässige Abschalteinrichtung rechtfertigt.
2.3. Einer solchen Beweiserhebung bedürfte es – unabhängig von dem rechtlichen Gesichtspunkt der Tatbestandswirkung eines bestandskräftigen Verwaltungsaktes – auch deshalb nicht, weil für die Prüfung, ob die Beklagte mit dem Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Kraftfahrzeuges die Klägerin vorsätzlich sittenwidrig geschädigt i.S.d. § 826 BGB hat, auf den Zeitpunkt dieses Inverkehrbringens abzustellen ist und nicht auf den heutigen Meinungsstand und damit auch nicht auf eine technische Bewertung der damals gewählten Art der Motorsteuerung durch den Senat im Jahr 2020 (siehe OLG München, Beschluss vom 29.8.2019, Az: 8 U 1449/19; Rz. 164 bei Juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 30.7.2019, Az: 10 U 134/19; NJW-RR 2019, 1489, Rz. 92 bei Juris). Zu fragen wäre vielmehr, ob die Beklagte zum damaligen Zeitpunkt die Abschalteinrichtung – wenn es sich um eine solche handeln sollte – in ihrer konkreten Ausgestaltung für zulässig halten durfte; wenn eine entsprechende Auslegung der damals geltenden Vorschriften zumindest vertretbar erschiene, könnte ein Schädigungsvorsatz, der das Bewusstsein eines möglichen Gesetzesverstoßes verbunden mit einer zumindest billigen Inkaufnahme derselben erfordert, nicht festgestellt werden.
Insoweit teilt der Senat – in Übereinstimmung mit inzwischen zahlreichen Oberlandesgerichten – die Auffassung des Landgerichts, zumindest nach dem hier maßgeblichen Meinungsstand des Jahres 2011 habe die Beklagte angesichts der nicht eindeutigen Fassung der hier interessierenden Vorschriften der VO (EG) Nr. 715/2007 und der Genehmigungspraxis des Kraftfahrt-Bundesamtes die Verwendung einer hinsichtlich des Ausmaßes der Abgasrückführung (AGR-Rate) variablen und dabei insbesondere die jeweilige Außentemperatur berücksichtigenden Motorsteuerung nicht als vorschriftswidrig ansehen müssen (Senatsurteil vom 19.07.2019 – 5 U 1670/18; zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt s. auch OLG München, Beschluss vom 29.08.2019 – 8 U 1449/19 – juris -; OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019 – 10 U 134/19; NJW-RR 2019, 1489). Selbst wenn das Kraftfahrt-Bundesamt die Rechtslage heute anders sähe und deshalb von der Beklagten Änderungen der Motorsteuerung forderte – was aber hinsichtlich des streitgegenständlichen Fahrzeugmodells nicht der Fall ist – ließe dies allein den Schluss auf einen Vorsatz der Beklagten hinsichtlich der Unerlaubtheit der Abschalteinrichtung aus den dargelegten Gründen nicht zu.
Die Berufungsbegründung zeigt nicht auf, weshalb sich der Standpunkt der Beklagten schon im Jahr 2011 – oder noch früher, wenn auf die Erteilung der Typgenehmigung und nicht auf das Inverkehrbringen des konkreten Fahrzeuges abgestellt wird – als unvertretbar dargestellt habe. Auch die zitierten Passagen des Urteils des LG Stuttgart enthalten hierzu keine Ausführungen. Dieses Gericht ist anscheinend der Auffassung, das Ergebnis seiner eigenen Subsumtion – zu deren Herleitung es einen erheblichen Begründungsaufwand betreibt – hätte schon vor Jahren auch für die Beklagte derart auf der Hand liegen müssen, dass sie sich der Unzulässigkeit ihrer Motorsteuerung habe bewusst sein müssen. Diesem Standpunkt vermag sich der Senat nicht anzuschließen; er hat auch – soweit ersichtlich – bislang nirgends Zustimmung seitens der Obergerichte erfahren.
Der Senat kann einen Vorsatz der Beklagten auch nicht aus einer Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamtes im Typgenehmigungsverfahren ableiten. Insoweit wird auf die Ausführungen oben verwiesen.
Dass die Beklagte der Klägerin das Aufspielen eines Softwareupdates angeboten hat, legt den Schluss auf einen ursprünglichen Schädigungsvorsatz nicht nahe. Die Beklagte mag durchaus, wie von ihr geltend gemacht, im Zuge der technischen Weiterentwicklung ihrer Motoren eine Möglichkeit erkannt haben, die in älteren Fahrzeugmodellen eingesetzte Motorsteuerung im Sinne einer Reduktion der Stickoxid-Emissionen zu verbessern.
3. Schließlich dürfte der Klägerin auch kein Schaden entstanden sein, weil mangels einer die streitgegenständliche Fahrzeugserie betreffenden Maßnahme des Kraftfahrt-Bundesamtes nicht zu erkennen ist, dass ihrem Fahrzeug die Entziehung der Betriebserlaubnis droht oder sie wenigstens damit rechnen muss, zur Aufrechterhaltung der Betriebserlaubnis technische Veränderungen an ihrem Fahrzeug vornehmen lassen zu müssen, die sich auf die Lebensdauer oder sonstige Eigenschaften des Fahrzeuges negativ auswirken könnten.
4. Hinsichtlich der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV bzw. Art. 5 der VO(EG) Nr. 715/2007 hat das Landgericht zu Recht den Schutzgesetzcharakter verneint (BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20).
5. Die Abweisung der Klage im Hinblick auf mögliche Gewährleistungsansprüche wird mit der Berufung nicht angegriffen.
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Hinweises.