Europarecht

Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Diesel-Pkw

Aktenzeichen  4 O 272/17

Datum:
11.8.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 148701
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Passau
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
FZV § 5
ZPO § 32, § 39, § 156 Abs. 2 Nr. 1, § 256 Abs. 1
UWG § 16
StGB § 263
EG/FGV § 4, § 6, § 25
BGB § 31, § 241 Abs. 2, § 311, § 823 Abs. 2, § 826, § 952

 

Leitsatz

1 Die hinreichende Bestimmtheit eines Feststellungsantrags setzt voraus, dass die Rechtskraftwirkung nach § 322 Abs. 1 ZPO bestimmt werden könnte. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Haftung einer juristischen Person aus §§ 826, 31 BGB setzt voraus, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter iSd § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand verwirklicht hat, wobei eine Wissenszurechnung über Mitarbeiter der juristischen Person unterhalb der Vorstandsebene nicht stattfindet. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3 Ein gesetzlicher Übergang von Ansprüchen oder Rechten an einer Kaufsache über den Eigentumswechsel hinaus findet beim Kauf nicht statt. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
4 Die Vorstellung, einen “sauberen” Diesel zu fahren, ist als bloßes Affektionsinteresse nicht von § 263 StGB geschützt. (Rn. 36 und 39) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Das Urteil ist für die Beklagte vorläufig gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages vollstreckbar.
IV. Der Streitwert wird auf Euro 6.000,00 festgesetzt.

Gründe

Die teils unzulässige Klage war im Übrigen unbegründet. Im Einzelnen ging die Kammer von folgenden Erwägungen aus:
I.
1. Das Landgericht Passau ist sachlich und örtlich nach §§ 32, 39 ZPO zuständig.
2. Die Klage ist im Klageantrag zu 1 unzulässig.
Dem Feststellungsantrag fehlt das erforderliche Feststellungsinteresse, § 256 Abs. 1 ZPO. Ist dem Kläger eine Klage auf Leistung möglich und erschöpft sie das Rechtsschutzziel, fehlt ihm das Feststellungsinteresse, weil er im Sinne einer besseren Rechtsschutzmöglichkeit den Streitstoff in einem Prozess klären kann; die Feststellungsklage ist dann unzulässig (ständige Rechtsprechung, zuletzt BGH NJW 2017, Seite 1823). Dieser Grundsatz hat Ausnahmen dann, wenn dem Kläger die Bezifferung der Leistungsklage noch nicht möglich ist oder davon ausgegangen werden kann, dass die Person des Beklagten die Respektierung des Feststellungsurteils erwarten lässt. Ausnahmen dieser Art sind nicht gegeben. Nach dem nahezu in jedem Punkt streitigen Vorbringen der Parteien und den teils groben Vorwürfen des Klägers gegenüber der Beklagten („Manipulationsmafia“, „versuchter Mord“) kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte, sollten Forderungen des Klägers im Wege eines Feststellungsantrags ausgeurteilt werden, ohne weiteren Streit diese Ansprüche der Höhe nach erfüllen würde. Die Bezifferung ist dem Kläger zuzumuten. Sein vorgetragenes vordringliches Ziel – Rückgabe des Fahrzeugs gegen Erstattung des Kaufpreises – ist ihm ohne Weiteres erreichbar, da er den Kaufpreis, den er selbst bezahlt hat, beziffern kann. Soweit er eine Unsicherheit in einem gegenzurechnenden Anspruch auf Nutzungsersatz sieht, den er nicht beziffern könne, so kann er diesen Nutzungsersatz schätzen, oder durch einen Sachverständigen feststellen lassen. Inwieweit dem Kläger ein sonstiger Schaden entstanden ist, ist nicht vorgetragen; ein weiterer, auch zukünftiger Schaden ist nicht substantiiert behauptet. Dass dies die Beklagte durch „Desinformationspolitik“ verursacht habe, ist nichtssagend (ebenso LG Braunschweig, Urteil vom 26.05.2017 11 O 4093/16; Beck RS 2017 111214).
Der Feststellungsantrag ist ferner unzulässig, da die Rechtskraftwirkung nach § 322 Abs. 1 ZPO nicht bestimmt werden könnte. Der Kläger begehrt, festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, Schadensersatz zu leisten für „Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs Audi A 4 … resultieren“. Nachdem der Kläger in vielfacher Hinsicht Manipulationen an dem Pkw behauptet, ist nicht klar, welche „Manipulation“ durch den Klageantrag festgestellt werden soll. Der geänderte Klageantrag, den der Kläger mit Schriftsatz vom 04.07.2017 angekündigt hat, bringt hierzu keine Klarheit: Er definiert zwar die Manipulation mit „in Form des Einbaus der illegalen Abschalteinrichtung“. Nachdem, was zwischen den Parteien unstreitig ist, Dieselmotore auch über zulässige Abschalteinrichtungen verfügen können, ergibt sich wiederum nicht, welche „illegale Abschalteinrichtung“ der Antrag im Auge hat. Es wird Bezug genommen auf den Bescheid des KBA vom 05.09.2016 über die Bestätigung des Software-Updates: hiernach hat das KBA das Vorhandensein zulässiger Abschalteinrichtungen geprüft und diese als zulässig eingestuft.
3. Der Anregung auf Wiedereröffnung der Verhandlung war nicht zu entsprechen.
Die Wiedereröffnung einer geschlossenen Verhandlung liegt im Ermessen des Gerichts, bzw. ist in den Fällen des § 156 Abs. 2 ZPO zwingend. Einer der Fälle des § 156 Abs. 2 ZPO ist jedoch nicht gegeben. Insbesondere wurden alle erforderlichen Hinweise (§ 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) erteilt.
II.
Zulässig ist der Klageantrag zu 2 in der durch Schriftsatz vom 23.05.2017 nachgebesserten Form. Der Anspruch ist jedoch nicht begründet, da dem Kläger kein Anspruch auf Schadensersatz gegen die Beklagte zusteht:
1. Der Kläger hat keinen Anspruch aus sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung, § 826 BGB.
a) Die Haftung einer juristischen Person, wie der Beklagten, aus §§ 826, 31 BGB setzt voraus, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter im Sinne des § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand verwirklicht hat, wobei eine Wissenszurechnung über Mitarbeiter der juristischen Person unter der Vorstandsebene nicht stattfindet (BGH NJW 2017, Seite 250). Unterstellt man im streitgegenständlichen Fall, dass verfassungsmäßig berufene Vertreter der Beklagten die Implementierung einer unzulässigen Abschaltvorrichtung veranlasst haben, so mag daraus wertend ein Vorsatz der Schädigung eines Käufers ableitbar sein (vgl. Förster, Beck OK BGB, 2016, § 826 BGB RdNr. 35; OLG Hamm NJW 1997, Seite 2121).
Im vorliegenden Fall ist der Kläger Zweiterwerber des Fahrzeugs. Das Fahrzeug wurde zunächst von einer Leasinggesellschaft erworben, anschließend – wohl nach Auslaufen des Leasingvertrages – von dem Kläger gekauft. Ob der Lieferung des Antriebsaggregats durch die Beklagte an die A. AG ein Kaufvertrag zugrunde liegt, ist unbekannt. Da der Pkw mit der streitgegenständlichen Motorsteuerung mit dem Verkauf an den Ersterwerber und die Zulassung auf ihn in Verkehr gebracht wurde, und der Schaden vom Kläger aus einem Minderwert des Fahrzeugs wegen genau dieser Motorsteuerungssoftware abgeleitet wird, so hatte bereits der Ersterwerber das Fahrzeug mit dem Schaden erworben. Der – unterstellte – Schaden ist also spätestens bei diesem Ersterwerber eingetreten, wenn man davon ausgeht, dass nach dem Vortrag des Klägers die Beklagte und die … AG „Mittäter“ beim Inverkehrbringen des Pkw mit der unzulässigen Abschalteinrichtung waren.
Der behauptete Schaden wurde vom Kläger lediglich entdeckt. Dies führt aber nicht dazu, dass der Kläger an die Stelle des Geschädigten tritt. Ein gesetzlicher Übergang von Ansprüchen oder Rechten an der Kaufsache über den Eigentumswechsel hinaus findet beim Kauf nicht statt. Eine mit § 952 BGB vergleichbare Vorschrift zu einem gesetzlichen Forderungsübergang von dem Voreigentümer im Zusammenhang mit der Kaufsache entstandenen Schadensersatzansprüchen fehlt. Zu einer Abtretung von Schadensersatzansprüchen ist nichts vorgetragen. Die Liquidation des Drittschadens durch den Kläger scheidet aus, weil es an einer zufälligen Schadensverlagerung fehlt.
b) Ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB scheitert jedoch auch an mangelnder Sittenwidrigkeit der behaupteten Schädigung, wobei der streitige Eintritt eines Schadens beim Kläger erneut unterstellt wird.
Sittenwidrig ist ein Handeln oder Unterlassen, wenn es gegen das Anstandsgefühl aller Billig- und Gerechtdenkenden verstößt (BGH in ständiger Rechtsprechung, z. B. BGH NJW 2017, Seite 250). Nicht ausreichend ist die Verletzung einer (vertraglichen) Pflicht und/oder die Hervorrufung eines Schadens. Es muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens hinzutreten, das sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mittel, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann, was z. B. bei einer bewussten Täuschung der Fall ist (BGH a.a.O.). Gemessen an dieser Definition war das Verhalten der Beklagten nicht sittenwidrig. Durch das in Verkehr bringen des Dieselmotors EA 189 mit einer auf die Manipulation der Prüfung der Abgasemissionen konzipierten Steuersoftware verstieß die Beklagte zwar gegen die die Prüfung regelnden Vorschriften (VO (EG) 715/2007). Diese Verordnung ist jedoch nicht Ausdruck einer sittlichen Gesinnung, sondern eine Regelung zum Schutz der Umwelt und Harmonisierung des Binnenmarktes. Das Ziel, einen Marktvorteil durch die Möglichkeit des Anbietens eines preisgünstigen Dieselmotors zu erreichen, ist nicht sittenwidrig. Ebenso wenig das Mittel: die Täuschung der Zulassungsbehörde über die Typengenehmigung durch Manipulation der Motorsteuersoftware war zwar rechtswidrig, verstieß jedoch nicht gegen das Anstandsgefühl aller Billig- und Gerechtdenkenden, und zwar schon deshalb, weil Abschaltvorrichtungen nicht per se unzulässig sind, sondern nur in der von der Beklagten implementierten Art. Abschaltvorrichtungen, die in bestimmten Betriebszuständen die Integrität des Aggregats schützen, werden nicht beanstandet. Ebenso wenig ergab sich aus der zutage getretenen Gesinnung, noch den eingetretenen Folgen ein Sittenwidrigkeitsurteil. Selbst wenn die Erschleichung der Typengenehmigung nicht öffentlich bekannt worden wäre, so war mit dem Kauf der Fahrzeuge mit der manipulierten Motorsteuersoftware für die betroffenen Verbraucher kein Schaden verbunden, da sich die Manipulation nur in der Situation eines Motortests auswirkte. Die Erhöhung des Ausstoßes an NOx gegenüber dem Testbetrieb ist dem Zulassungsverfahren immanent, das das Zulassungsverfahren gerade nicht auf die Emission des Kraftfahrzeugs in realen Betriebssituationen abstellt.
c) Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB oder § 16 Abs. 1 UWG besteht nicht, da eine Verletzung sowohl des objektiven, als auch des subjektiven Tatbestandes der Schutznormen nicht schlüssig vorgetragen ist (zum Schutzgesetzcharakter von § 16 Abs. 1 UWG: BGH GRUR 2008, Seite 818). Die Beklagte müsste hinsichtlich des objektiven Tatbestandes den Kläger getäuscht und dadurch einen Irrtum beim Kläger erregt, bzw. mit unwahren Angaben irreführend in der Öffentlichkeit geworben haben. Dies soll nach dem Vortrag des Klägers durch die Darstellung der Beklagten geschehen sein, der Pkw erfülle nach der Emissionsprüfung bei der Typenzulassung die Abgasnorm Euro 5, obwohl diese Einstufung in Wahrheit durch Einbau der Manipulationssoftware erschlichen worden sei. Ein unmittelbarer Kontakt des Klägers mit der Beklagten in Zusammenhang mit dem Kauf des Pkw ist nicht dargestellt. Zu einer Täuschung des Klägers durch die Beklagte kommt man daher ohnehin nur dann, wenn man davon ausgeht, dass die Beklagte ihre Händler als Werkzeuge für eine Täuschung instrumentalisiert hat. Vorgetragen dazu, dass verfassungsmäßige Organe in diesem Sinne aktiv geworden sind, ist substantiiert nichts.
Im Übrigen kann hinsichtlich der Entstehung eines Schadens, seiner Entdeckung und des fehlenden Übergangs auf den Kläger nach oben verwiesen werden, denn auch, wie hier, stellt sich die Problematik des Schadenseintritts.
Schließlich tritt ein Vermögensschaden – und nur diesbezüglich ist § 263 StGB Schutzgesetz – nur dann ein, wenn die Vermögensverfügung des Getäuschten bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des Gesamtwertes seines Vermögens führt. Vermögensvorteil und Vermögensschädigung müssen zudem stoffgleich sein. Durch § 263 StGB werden weder Affektionsinteressen, noch die wirtschaftliche Dispositionsfreiheit oder die Wahrheit im Geschäftsverkehr geschützt. Erst wenn sich beim Vergleich von Leistung und Gegenleistung nach dem Markt- oder Verkehrswert ein Wertgefälle zum Nachteil des durch die Täuschung Betroffenen ergibt, liegt ein Vermögensschaden vor (BGH NJW 2016, Seite 3543).
Zu einem konkreten wirtschaftlichen Nachteil, also einem geringen Marktwert des mit der streitgegenständlichen Software ausgerüsteten Fahrzeugs, ist substantiiert nichts vorgetragen. Die Ausführungen des Klägers dazu sind Spekulationen. Außerdem ist bei dem Vermögensvergleich zu berücksichtigen, dass der Kläger mit dem Kauf eines mangelbehafteten Fahrzeuges einen Nacherfüllungsanspruch erworben hat, der, wenn er erfüllt ist, den eingangs dargestellten Nachteil ausgleicht.
Möglicherweise erleidet der Kläger einen Nachteil, weil er sich zur Nacherfüllung in die Werkstätte begeben muss. Es ist aber offensichtlich, dass dieser Nachteil nicht stoffgleich mit einem Vermögensvorteil bei der Beklagten ist.
Die unterstellte Vorstellung des Klägers, einen „sauberen“ Diesel zu fahren, ist im Affektionsinteresse, weil vermögenwirtschaftlich irrelevant.
2. Die Klageforderung ergibt sich auch nicht aus §§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 4 Nr. 11 UWG a.F. Die Vorschrift ist nicht drittschützend, sondern regelt ein lauteres Marktverhalten. Gleiches gilt für den Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Artikel 12, 18 RL 2007/46/EG und §§ 4, 6, 25 EG/FGV. Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft sind keine Schutzgesetze (Förster, Beck OK BGB, 2016, § 823 BGB, RdNr. 265). Die EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung regelt, wie der Name der Verordnung schon ausweist, die Genehmigung von Kraftfahrzeugen in Ausführung der Richtlinie und haben nicht den Schutz Dritter in Auge.
3. Soweit der Kläger sich auf eine Haftung der Beklagten aus §§ 311, 241 Abs. 2 BGB beruft, so sind Vertragsverhandlungen oder in der Vertragsanbahnung oder ähnliche Kontakte zwischen den Parteien nicht vorgetragen. Soweit der Kläger eine Analogie zwischen den öffentlichen Informationen der Beklagten und der Prospekthaftung sieht, ist das nicht nachvollziehbar: Diese Äußerung der Beklagten sind keine Prospekte im Sinne des Kapitalanlagerechts oder eine vergleichbare öffentliche Äußerung.
III.
Die Kostenentscheidung beruht § 91 Abs. 1 ZPO.
IV.
Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit erfolgte gem. § 709 ZPO.
V.
Der Streitwert war entsprechend dem behaupteten Interesse des Klägers mit Euro 6.000,00 festzusetzen.

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