Europarecht

Staatenlose Palästinenserin

Aktenzeichen  M 25 K 15.4386

Datum:
6.4.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 132391
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StAG § 8 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, § 9
RDGEG § 3, § 5
StlÜbK § 32 S. 1

 

Leitsatz

1 Unannehmlichkeiten bei einer Urlaubsreise außerhalb des Schengen-Raums stellen keine besondere Härte dar, die eine Einbürgerung begründen könnten. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine Einbürgerung setzt voraus, dass die betroffene Person ihren Lebensunterhalt nachhaltig, selbstständig und dauerhaft sichern kann. (Rn. 22 – 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollsteckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist nicht begründet.
Der Bescheid des Beklagten vom 20. August 2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband nach § 9 StAG. Auch der hilfsweise gestellte Antrag, den Beklagten zur Neubescheidung des Antrags unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten, ist unbegründet, § 113 Abs. 5 VwGO.
Zwar ist entgegen der Ansicht des Beklagten § 9 StAG Rechtsgrundlage für die beantragte Einbürgerung der Klägerin. (s.u. 1.). Die Voraussetzungen des § 9 StAG liegen jedoch nicht vor, da der Lebensunterhalt der Klägerin nicht gesichert ist (§ 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG) und von dieser Voraussetzung nicht abgesehen werden kann (§ 8 Abs. 2 StAG, s.u. 2.).
1. Gemäß § 9 Abs. 1 StAG sollen Ehegatten Deutscher unter den Voraussetzungen des § 8 StAG eingebürgert werden, wenn
1. sie ihre bisherige Staatsangehörigkeit verlieren oder aufgeben oder ein Grund für die Hinnahme von Mehrstaatigkeit nach Maßgabe von § 12 StAG vorliegt und
2. gewährleistet ist, dass sie sich in die deutschen Lebensverhältnisse einordnen, es sei denn, dass sie nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 und Abs. 4) und keinen Ausnahmegrund nach § 10 Abs. 6 StAG erfüllen.
Mit Ausnahme der Sicherung des Lebensunterhalts (§ 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG) erfüllt die Klägerin die Voraussetzungen des § 9 StAG. Sie ist die Gattin eines deutschen Staatsangehörigen, die Kenntnisse der deutschen Sprache auf dem Niveau B1 erworben und einen Integrationskurs erfolgreich abgeschlossen hat, so dass gewährleistet ist, dass sie sich in die deutschen Lebensverhältnisse einordnet.
Entgegen den Ausführungen des Beklagten steht der Einbürgerung der Klägerin auf Grundlage des § 9 StAG nicht das Verbot der Mehrstaatigkeit (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 StAG) entgegen.
Die Klägerin, die als Palästinenserin im Gazastreifen geboren ist und keine andere Staatsangehörigkeit besitzt, ist De-Jure-Staatenlose i.S. des Art. 1 Abs. 1 des Übereinkommens vom 28. September 1954 über die Rechtstellung der Staatenlosen (BGBl. 1976 II, Seite 473/1977 II, Seite 235) – StlÜbk – (BVerwG, U.v. 23.2.1993 – 1C 45/90 – juris; BVerwG, B.v. 25.5.1993 – 1 B 21/93 – juris).
Daran hat sich mit der Schaffung der palästinensischen Autonomiegebiete durch das Kairoer Autonomieabkommen (Gaza-Jericho-Abkommen) vom 4. Mai 1994 bzw. dessen Umsetzung für den Gazastreifen am 13. Mai 1994 sowie die nachfolgenden Vereinbarungen (Oslo II Abkommen vom 28.9.1995, Wye-River Memorandum vom 23.10.1998) nichts geändert (vgl. hierzu ausführlich VG Aachen, U.v. 1.3.2001 – 4 K 3022/99 – InfAuslR 2001, S. 338 ff).
Auch in den Folgejahren trat keine Veränderung ein. Dem Antrag Palästinas vom 23. September 2011 auf Aufnahme in die Vereinten Nationen als Vollmitglied wurde nicht entsprochen. Der Status der PLO-Delegation wurde mit UN-Resolution 67/19 vom 29. November 2012 lediglich aufgewertet. Palästina wurde in den Vereinten Nationen der Status eines Beobachterstaates ohne Mitgliedschaft gewährt. Auch wenn zwischenzeitlich 137 Staaten den Staat Palästina anerkannt haben (vgl. www.wikipedia.org/wiki/staat_palästina) hat die Bundesrepublik Deutschland Palästina als Staat bislang nicht anerkannt. Als de-jure-staatenlose Palästinenserin hat die Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung somit keine Staatsangehörigkeit die sie aufgeben könnte (vgl. Berlit in GK-StAR, § 10 Rn. 276). Das Verbot der Mehrstaatigkeit steht der beantragten Einbürgerung daher nicht entgegen.
2. Der beantragten Einbürgerung steht jedoch die fehlende Sicherung des Lebensunterhalts der Klägerin entgegen. Gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG muss der Einbürgerungsbewerber imstande sein, sich und seine Angehörigen zu ernähren. Die im Sinne dieser Vorschrift erforderliche Sicherung des Lebensunterhalts setzt voraus, dass der Einbürgerungsbewerber in der Lage ist, den eigenen und den Lebensunterhalt der Familie nachhaltig und auf Dauer aus einem selbst erwirtschafteten Einkommen, einem eigenen Vermögen oder einem bestehenden Unterhaltsanspruch zu bestreiten, ohne dabei auf öffentliche Mittel angewiesen zu sein. Dabei ist vorliegend jedoch zu berücksichtigen, dass sowohl der Ehemann der Klägerin als auch ihre Kinder deutsche Staatsangehörige sind. Erforderlich ist somit nur die Sicherung des Lebensunterhalts für die Klägerin (vgl. zu einem vergleichbaren Fall der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, BVerwG, U.v. 16.8.2011 – 1 C 12/10 – juris). Hinsichtlich der Sicherung des Lebensunterhalts für die weiteren Familienmitglieder wäre somit im Ermessensweg gemäß § 8 Abs. 2 StAG von der Erfüllung dieser Voraussetzungen abzusehen. Da sowohl die Klägerin als auch die gesamte Familie durchgehend seit dem Januar 2007 Leistungen nach dem SGB II beziehen und die Klägerin auch derzeit nicht arbeitet, ist der Lebensunterhalt für die Klägerin nicht gesichert. Auf die vom Bevollmächtigten der Klägerin aufgeworfene Frage, ob die Klägerin den Bezug öffentlicher Leistungen zu vertreten hat, kommt es im Rahmen der Regelung des § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG nicht an (BVerwG, B.v. 6.2.2013 – 5 PKH 13/12 – juris).
Die Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 StAG, nach denen aus Gründen des öffentlichen Interesses oder zur Vermeidung einer besonderen Härte im Ermessensweg von den Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG abgesehen werden kann, liegen nicht vor.
Ein öffentliches Interesse i.S. des § 8 Abs. 2 StAG ist nur gegeben, wenn nach dem konkreten Sachverhalt ein sich vom Durchschnittsfall eines Einbürgerungsbewerbers abhebendes spezifisch staatliches Interesse an der Einbürgerung besteht, das es ausnahmsweise rechtfertigen kann, den Ausländer trotz fehlender Unterhaltsfähigkeit einzubürgern (vgl. OVG des Saarlandes, U.v. 28.6.2012 – 1 A 35/12 – juris; OVG Lüneburg, U.v. 13.11.2013 – 13 LB 99/12 – juris; VGH Baden-Württemberg, U.v. 6.11.2013 – 1 S 244/13 – juris).
Entgegen der in der Kommentarliteratur geäußerten Auffassung (vgl. Marx in GK-StAR, § 8 Rn. 157/158) ist eine weite Auslegung dieses Rechtsbegriffs, die jede im Rahmen des § 8 Abs. 1 StAG anerkannte Einbürgerungserleichterung gleichzeitig als öffentliches Interesse i.S. des § 8 Abs. 2 StAG ansieht, nicht möglich (vgl. hierzu ausführlich OVG des Saarlandes, U.v. 28.6.2012 – 1 A 35/12 – Nr. 50 ff). Auch die vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum Staatsangehörigkeitsgesetz – VAH-StAG – vom 1. Juni 2015 sprechen gegen eine weite Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs. Gemäß Ziffer 8.2 kommt ein Absehen von der Unterhaltsfähigkeit aus Gründen des öffentlichen Interesses zum Beispiel dann in Betracht, wenn bereits Einbürgerungserleichterungen, einschließlich vorübergehender oder dauernder Hinnahme von Mehrstaatigkeit, bei einem besonderen oder herausragenden öffentlichen Interesse eingeräumt worden sind (vergleiche Nummer 8.1.3.5 und 8.1. 2.6.3.6). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Das Wohlwollensgebot des § 32 Satz 1 StlÜbK, welches im Rahmen der Ermessensentscheidung gemäß § 8 Abs. 1 StAG zu berücksichtigen ist (BVerwG, B.v. 23.12.1993 – 1 B 61/93), ist kein öffentliches Interesse i.S. des § 8 Abs. 2 StAG.
Auch eine besondere Härte als Voraussetzung für ein Absehen von der Mindestvoraussetzung des § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG ist zu verneinen. Eine besondere Härte muss nämlich durch atypische Umstände des Einzelfalls bedingt sein und gerade durch die Verweigerung der Einbürgerung hervorgerufen werden und deshalb durch eine Einbürgerung vermieden oder zumindest entscheidend abgemildert werden können (BVerwG, B.v. 6.2.2013 – 5 PKH 13/12 – juris). Die fehlende Fähigkeit der Klägerin ihren Unterhalt zu sichern, ist jedoch nicht Folge der verweigerten Einbürgerung und kann auch nicht durch die Einbürgerung vermieden werden. Die vom Bevollmächtigten der Klägerin vorgebrachten Unannehmlichkeiten bei einer Urlaubsreise der Familie außerhalb des Schengen-Raums – die Klägerin benötigt unter Umständen ein Visum für die Einreise – stellen keine besondere Härte in diesem Sinne dar.
Auch das Interesse der Klägerin an einer einheitlichen Staatsangehörigkeit der Familie wiegt nicht derart schwer, dass ein Härtefall vorliegt (vgl. OVG Lüneburg, U.v. 13.11.2013 – 13 LB 99/12 – juris).
Da die im Rahmen der Einbürgerung gemäß § 9 StAG zwingend erforderliche Sicherung des Lebensunterhalts der Klägerin nicht gegeben ist, und die Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 StAG für ein Absehen von dieser Voraussetzung nicht gegeben sind, ist ein Ermessen des Beklagten gemäß § 8 Abs. 2 StAG nicht eröffnet.
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die vom Gericht nur eingeschränkt überprüfbaren Ermessenserwägungen des Beklagten (§ 114 VwGO), wonach selbst bei Annahme der Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 StAG im Ermessenswege nicht von der Erfüllung der Unterhaltsfähigkeit abgesehen wird, nicht zu beanstanden sind. Der Beklagte hat die familiäre Situation der Klägerin sowie ihren langjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet angemessen berücksichtigt und die fiskalischen Belange höher gewichtet. Das Wohlwollensgebot des § 32 Satz 1 StlÜbK ist im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 8 Abs. 2 StAG nicht zu berücksichtigen.
Da die Unterhaltsfähigkeit der Klägerin nicht gewährleistet ist und von diesem Erfordernis auch nicht abgesehen werden kann, ist auch der hilfsweise gestellte Antrag, den Beklagten unter Aufhebung des ablehnenden Bescheides vom 20. August 2015 zu einer Neuverbescheidung des Antrags unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten, unbegründet.
Die Klage ist somit mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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