Europarecht

Täuschung der Käufer von Kfz mit Abschalteinrichtungen durch die Audi AG

Aktenzeichen  21 U 7310/19

Datum:
30.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 34152
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 166, § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 5 S. 1, § 27
RL 2007/46/EG Art. 5
VO (EG) 715/2007 Art. 4

 

Leitsatz

1. Das Inverkehrbringen von Fahrzeugen mit einem Motor, der über eine nicht offen gelegte Abschalteinrichtung bzw. Umschaltlogik verfügt, stellt eine konkludente Täuschung der Käufer durch die Audi AG dar, weil die Käufer der bemakelten Fahrzeuge, gleichgültig, ob sie das Fahrzeug neu oder gebraucht erwarben, arglos davon ausgingen, dass die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden. Die Käufer durften darauf vertrauen, dass das erworbene Fahrzeug entsprechend seinem objektiven Verwendungszweck im Straßenverkehr eingesetzt werden kann, über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügt und die erforderlichen Zulassungs- und Genehmigungsverfahren rechtmäßig durchlaufen worden sind. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
2. Tatsächlich enthielt der Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs jedoch zum Zeitpunkt des Kaufs eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 715/2007, weil der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand gegenüber dem normalen Fahrbetrieb gezielt durch den Einsatz einer entsprechenden Motorsteuerungssoftware reduziert worden ist. Die Technik war nicht nur zweifelsfrei unzulässig, sie diente vielmehr der gezielten Täuschung über die Einhaltung der zulässigen Abgaswerte. Dies hatte zur Folge, dass die Gefahr einer Betriebsuntersagung durch die für die Zulassung zum Straßenverkehr zuständige Behörde bestand und ein weiterer Betrieb des Fahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr möglicherweise nicht (mehr) möglich war. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

53 O 2586/18 2019-12-02 Urt LGINGOLSTADT LG Ingolstadt

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 02.12.2019, Az. 53 O 2586/18, abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 31.197,67 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 01.02.2019 Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi A Q3 mit der Fahrgestellnummer …98 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers und der Beklagten zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 43% und die Beklagte 57% zu tragen.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Gründe

II.
Die Berufungen der Parteien sind zulässig. Die Berufung des Klägers hat keinen, die Berufung der Beklagten nur insoweit Erfolg, als das Landgericht zu Unrecht den Annahmeverzug festgestellt und vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren zugesprochen hat, sowie auf Grund der zwischenzeitlichen Nutzung des Fahrzeugs eine höhere Nutzungsentschädigung, also ein geringerer Zahlungsanspruch des Klägers auszusprechen war.
Im Ergebnis hat das Landgericht zu Recht angenommen, dass die Beklagte dem Kläger haftet. Es hat dabei den Anspruch auf § 826 BGB und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV, 249 ff BGB gestützt. Das Landgericht ist allerdings – entgegen dem unstreitigen Vorbringen beider Parteien – fälschlicherweise davon ausgegangen, dass die Beklagte nicht nur Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs ist, sondern auch des darin verbauten Motors. Sowohl im Tatbestand als auch in den Entscheidungsgründen findet sich die falsche Angabe, dass der Motor von der Beklagten hergestellt worden sei, was aber unstreitig nicht zutrifft. Da der Fehler so offensichtlich ist, hält der Senat sich trotz einer fehlenden Tatbestandsberichtigung nicht an diese Feststellung gebunden.
In zweiter Instanz unstreitig ist auch der konkrete Kaufpreis des Fahrzeugs von 47.520,00 €. Zwar hat der Kläger in seinem Antrag weiter Zinsen „aus 14.561,90 €“ verlangt (Schriftsatz vom 05.03.2020, Bl. 424 d.A.). Aus dem Schriftsatz vom 19.03.2020 (Bl. 447 d.A.) ergibt sich jedoch, dass der Kläger die erstinstanzliche Feststellung des Kaufpreises nicht rügen wollte. Im Übrigen würde die bloße Nennung einer Zahl auch keine Rüge in der Sache darstellen, zumal das Landgericht überzeugend begründet hat, warum es angesichts der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten verbindlichen Bestellung von einem Kaufpreis von (50.489,00 € – 2.969 € =) 47.520,00 € ausgeht (S. 9 des Urteils).
Soweit der Kläger neuen Sachvortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 08.10.2020 in der mündlichen Verhandlung vom 19.10.2020 vorsorglich mit Nichtwissen bestritten und eine Schriftsatzfrist beantragt hat, bestand kein Anlass, diese zu gewähren. Zum einen hat der Kläger den Schriftsatz der Beklagten über eine Woche vor dem Termin erhalten, § 132 ZPO. Abgesehen davon hat die Klagepartei sich bereits erstinstanzlich wiederholt dazu geäußert, dass und warum ihrer Ansicht nach die Beklagte (mit-)verantwortlich ist für den Einsatz der manipulativen Software in dem von ihr hergestellten Fahrzeug. Ihre diesbezügliche Argumentation hat sie nicht aufgegeben. Darüber hinaus ist zur Überzeugung des Senats auch auf der Basis des ergänzenden Vortrags der Beklagten zu den Arbeitsabläufen, der arbeitsteiligen Aufgabenverteilung zwischen der Beklagten und der V.-AG und der Darlegung der zwischenzeitlichen Recherchen eine Haftung der Beklagten zu bejahen. Aus nachfolgenden Erwägungen hält der Senat auch eine Beweisaufnahme nicht für erforderlich. Im Einzelnen:
1. Die Haftung der Beklagten beruht nicht auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV, 249 ff BGB, weil § 27 EG-FGV kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB ist. Der Bundesgerichtshof hat dies in seinem Urteil vom 30.07.2020, Az. VI ZR 5/20, umfassend dargelegt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf diese Ausführungen verwiesen.
2. Die Haftung der Beklagten ergibt sich jedoch, wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat, aus §§ 826, 31 BGB. Dabei kann in weiten Teilen auf die grundsätzliche Entscheidung des Bundesgerichtshofs in Bezug auf die Konzernmutter, die V.-AG, Bezug genommen werden, Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19. Die dort getroffenen Aussagen zur Frage der Täuschung, der Sittenwidrigkeit, des Vorliegens eines Schadens, der Kausalität, der Verpflichtung zu einer sekundären Darlegungslast und Teilen der subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen können auch auf vorliegende Fallgestaltung übertragen werden.
Der Senat sieht eine Haftung der hiesigen Beklagten nach §§ 826, 31 BGB gegenüber dem Kläger nicht allein aufgrund einer Zurechnung fremden Fehlverhaltens, sondern im Kern aufgrund eigenen deliktischen Handelns. Dies beruht auf dem von der Beklagten zu verantwortenden Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs, in dem ursprünglich eine unzulässige Abschalteinrichtung vorhanden war.
a) Das Inverkehrbringen von Fahrzeugen mit einem Motor, der über eine nicht offen gelegte Abschalteinrichtung bzw. Umschaltlogik verfügt, stellt eine konkludente Täuschung der Klagepartei durch die Beklagte dar, weil die Käufer der bemakelten Fahrzeuge, gleichgültig, ob sie das Fahrzeug neu oder gebraucht erwarben, arglos davon ausgingen, dass die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden. Die Käufer durften darauf vertrauen, dass das erworbene Fahrzeug entsprechend seinem objektiven Verwendungszweck im Straßenverkehr eingesetzt werden kann, über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügt und die erforderlichen Zulassungs- und Genehmigungsverfahren rechtmäßig durchlaufen worden sind. Tatsächlich enthielt der Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs jedoch zum Zeitpunkt des Kaufs eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 715/2007, weil der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand gegenüber dem normalen Fahrbetrieb gezielt durch den Einsatz einer entsprechenden Motorsteuerungssoftware reduziert worden ist. Die Technik war nicht nur zweifelsfrei unzulässig, sie diente vielmehr der gezielten Täuschung über die Einhaltung der zulässigen Abgaswerte. Dies hatte zur Folge, dass die Gefahr einer Betriebsuntersagung durch die für die Zulassung zum Straßenverkehr zuständige Behörde bestand und ein weiterer Betrieb des Fahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr möglicherweise nicht (mehr) möglich war, vgl. BGH Hinweisbeschluss vom 08.01.2019, Az. VIII ZR 225/17 sowie Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19. Auf die Ausführungen des Klägers zum Thermofenster und die Frage, ob dieses eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt, kommt es hier nicht entscheidungserheblich an, weil hier die von der Beklagten so bezeichnete „Umschaltlogik“ Gegenstand der Täuschung ist und den Anspruch begründet.
b) Durch diese Täuschung entstand dem Kläger als Käufer eines vom sog. Dieselabgasskandal betroffenen Fahrzeugs ein Schaden, der in dem Abschluss des Kaufvertrags als ungewollte Verbindlichkeit zu sehen ist. Dieser Schaden ist auch nicht durch das später durchgeführte Software-Update entfallen, vgl. BGH aaO vom 25.05.20, Rn. 44 ff.
c) Der Schaden in Form des Kaufvertragsabschlusses wurde durch das Handeln der Beklagten verursacht. Die haftungsbegründende Kausalität zwischen schädigender Handlung der Beklagten und dem Eintritt des Schadens bei dem Kläger ist zu bejahen. Bereits die allgemeine Lebenserfahrung rechtfertigt die Annahme, dass ein Käufer, der ein Fahrzeug zur eigenen Nutzung erwirbt, bei der bestehenden Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung von dem Erwerb des Fahrzeugs abgesehen hätte, vgl. BGH aaO Rn 51. Hier hat der Kläger aber auch bei seiner Anhörung im Termin vom 19.10.2020 überzeugend angegeben, dass er das Fahrzeug in der Meinung erworben habe, dass es die Euro 5 Abgaswerte einhält. Die Beklagte hat im Termin ausdrücklich keine weitere Anhörung oder förmliche Einvernahme des Klägers zur Kausalität beantragt.
d) Das Verhalten der Beklagten war sittenwidrig, auch wenn sie anders als die V.-AG den Motor EA 189 nicht entwickelt haben sollte.
Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft, vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann, ständige Rechtsprechung des BGH, Urteil vom 28.06.2016, Az. VI ZR 536/15, vom 07.05.2019, Az. VI ZR 512/17, zuletzt 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19.
Nicht nur das Verhalten der V.-AG, sondern auch der hiesigen Beklagten ist objektiv als sittenwidrig zu qualifizieren, weil auch die beklagte A.-AG auf der Grundlage einer strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse Fahrzeuge in den Verkehr gebracht hat, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgaswerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden. Damit ging eine erhöhte Belastung der Umwelt mit Stickoxiden einher und es bestand die Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder – untersagung der betroffenen Fahrzeuge. Ein solches Verhalten ist im Verhältnis zu einer Person, die eines der bemakelten Fahrzeuge in Unkenntnis der illegalen Abschalteinrichtung erwirbt, besonders verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren, BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, Rn. 16.
Auch die hier beklagte A.-AG hat nach Überzeugung des Senats das an sich erlaubte Ziel der Gewinnerhöhung ausschließlich dadurch erreicht, dass sie auf der Grundlage einer strategischen Unternehmensentscheidung die zuständige Typgenehmigungsbehörde und die für sie handelnden Technischen Dienste arglistig getäuscht hat. Die Einwände der Beklagten, dass das Zulassungsverfahren durch die V.-AG erfolgt ist und die Beklagte nur die Rechnungen und Prüfberichte erhalten hat, greifen aus nachfolgenden Gründen nicht durch.
aa) Die Beklagte war als Herstellerin des Fahrzeugs umfassend für die Beantragung der Typgenehmigung verantwortlich.
Die Übereinstimmung eines Fahrzeugs mit einem genehmigten Typ, die durch die von einem Vertreter der Beklagten unterzeichnete Übereinstimmungserklärung bestätigt wird, ist Voraussetzung für dessen Zulassung im Gebiet der Europäischen Union. Zuständige nationale Genehmigungsbehörde für das Typgenehmigungsverfahren ist das Kraftfahrtbundesamt, § 2 Abs. 1 EG-FGV. Verantwortlich für die Beantragung der EG-Typengenehmigung für das Gesamtfahrzeug in Bezug auf einen Fahrzeugtyp ist der Hersteller, hier die Beklagte, § 3 Abs. 5 S. 1 EG-FGV. Die V.-AG hat im Typgenehmigungsverfahren, wie die Beklagte selbst vorträgt, im Auftrag der A.-AG gehandelt. Die Beklagte kann sich mithin nicht darauf berufen, dass allein die V.-AG Pflichten verletzt habe, was ihr verborgen geblieben und ihr nicht zurechenbar sei.
Für die Typgenehmigung für Personenkraftwagen ist die RL 2007/46/EG maßgeblich. Der Beklagten als Herstellerin obliegen dabei alle Belange des EG-Typgenehmigungsverfahrens und für die Übereinstimmung der Produktion, vgl. Art. 5 der RL 2007/46/EG, Art. 4 VO (EG) 715/2007. Die RL 2007/46/EG enthält eine Vielzahl von Einzelvorschriften für die verschiedenen technischen Systeme und Bauteile der Fahrzeuge. Die an die Abgasemissionen der Fahrzeuge zu stellenden Anforderungen regelt die VO (EG) 715/2007 und die dazu erlassene Durchführungsverordnung (EG) Nr. 692/2008. Die VO (EG) 715/2007 verpflichtet den Hersteller in Art. 5 Abs. 1 das Fahrzeug so auszurüsten, dass die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussenden Bauteile so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht. Gemeint sind damit die realen Betriebsbedingungen, die sich unter Umständen im Labor nicht vollständig nachbilden lassen. Ferner bestimmt Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) 715/2007, dass die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringert, grundsätzlich unzulässig ist. Es gab aber zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Fahrzeugs nach dem Vortrag der Beklagten keine Verfahren, die im Zuge des Prüfungsverfahrens das Vorhandensein von unzulässigen Abschalteinrichtungen betreffend die Bedatung des Motorsteuergeräts ermitteln hätten können. Das erleichterte die Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamtes.
Für die Erteilung einer EG-Typgenehmigung prüft der Technische Dienst gemäß den Anhängen der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 692/2008 im Auftrag der Genehmigungsbehörde das Fahrzeug nach den Vorgaben der Vorschriften und erstellt über die ermittelten Ergebnisse einen Bericht. Hier ist die V. AG gegenüber dem Technischen Dienst, der Firma A..E., im Auftrag der Beklagten aufgetreten.
Insgesamt lassen diese europäischen Vorgaben keinen Zweifel an der umfassenden Verantwortlichkeit des Herstellers im Typengenehmigungsverfahren, derer die Beklagte sich als weltweit tätiger großer Motoren- und Automobilhersteller zur Überzeugung des Senats bewusst war: Art. 3 Nr. 27 RL 2007/46/EG (früher ähnlich bereits in Art. 2 RL 70/156/EWG) definiert den Hersteller als die „Person oder Stelle, die gegenüber der Genehmigungsbehörde für alle Belange des Typengenehmigungsverfahrens- oder … verantwortlich ist. Die Person oder Stelle muss nicht notwendigerweise an allen Stufen der Herstellung des Fahrzeugs, des Systems, des Bauteils oder der selbständigen technischen Einheit, das bzw. die Gegenstand des Genehmigungsverfahrens ist, unmittelbar beteiligt sein.“ Dies wird unter der Überschrift „Pflichten des Herstellers“ in Art. 5 Abs. 1 RL 2007/46/EG wiederholt. Nach Art. 4 „Pflichten des Herstellers“ der VO (EG) 715/2007 bzw. Art. 3 Abs. 1 und Abs. 6 VO (EG) 692/2008 „weist (der Hersteller) nach“, dass alle von ihm verantworteten Neufahrzeuge über eine Typengenehmigung verfügen, die Grenzwerte eingehalten werden und die Fahrzeuge den ausführlichen Prüfanforderungen entsprechen, bzw. er „gewährleistet, dass die bei der Emissionsprüfung ermittelten Werte unter den in dieser Verordnung angegebenen Prüfbedingungen den geltenden Grenzwert nicht überschreiten.“
Der Beklagten ist mithin vorzuwerfen, dass sie als Herstellerin des Fahrzeugs mit der Abgabe der Beschreibungsunterlagen und ihrem Antrag auf Erteilung einer EG-Typgenehmigung eine eigene Erklärung gegenüber der Genehmigungsbehörde abgegeben hat, was die Verpflichtung einschloss, den Motor eigenständig auf Funktionsmäßigkeit und Gesetzesmäßigkeit zu überprüfen, weil mit dem Antrag auf Erteilung einer EG-Typgenehmigung zumindest konkludent erklärt wird, dass das Fahrzeug die gesetzlichen Vorschriften einhält und insbesondere über keine unzulässige Abschalteinrichtung verfügt. Dem Anhang I der RL 2007/46/EG Ziffer 3 lässt sich auch entnehmen, dass zur Antriebsmaschine eine Beschreibung des Systems zu erfolgen hat.
Im Übrigen hält der Senat aber auch die vollständige Übertragung des gesamten EG-Typgenehmigungsverfahrens auf die Konzernmutter nicht für zulässig und sieht darin ein Organisationsverschulden. Juristische Personen sind verpflichtet, den Gesamtbereich ihrer Tätigkeit so zu organisieren, dass für alle wichtigen Aufgabengebiete, hier dem Inverkehrbringen der Fahrzeuge, ein verfassungsmäßger Vertreter zuständig sein muss, der die wesentlichen Entscheidungen selbst trifft, vgl. BGH, Urteil vom 08.07.1980, Az. VI ZR 158/78. Die Beklagte kann sich ihrer haftungsrechtlichen Verantwortung nicht dadurch entziehen, dass sie einen so elementaren Teilbereich wie das EG-Typgenehmigungsverfahren der Konzernmutter überlässt.
Tut sie dies dennoch, muss sie sich das Wissen der V.-AG von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung (von dem vorliegend auszugehen ist) entsprechend § 166 Abs. 1 BGB der Beklagten zurechnen lassen. Denn die Beklagte schildert selbst, dass die V.-AG in ihrem Auftrag tätig geworden ist, mithin eine rechtsgeschäftliche Handlung des Vertreters vorliegt. Wer sich im rechtsgeschäftlichen Verkehr bei der Abgabe von Willenserklärungen, hier dem Antrag auf Erteilung einer EG-Typgenehmigung, eines Vertreters bedient, muss es im schutzwürdigen Interesse des Adressaten hinnehmen, dass ihm die Kenntnis des Vertreters als eigene zugerechnet wird. Oder anders ausgedrückt, wer sich zur Erledigung eigener Angelegenheiten Dritter bedient, muss sich deren Wissen zurechnen lassen, vgl. BeckOK, BGB Hau/ Poseck, 55. Edition, Stand 01.08.2020, Rn. 1 zu § 166 BGB.
bb) Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass im Zulassungsverfahren die Emissionsgrenzwerte nur auf dem Rollenprüfstand geprüft werden und es ihr damals mangels verfügbarer Geräte noch nicht möglich gewesen sei, Prüfungen im realen Fahrbetrieb vorzunehmen. Unabhängig von den zur Verfügung stehenden Überprüfungsmöglichkeiten hätte die Beklagte jedenfalls bei der V.-AG nachfragen können, wie die Motorsteuerungssoftware programmiert ist, damit die vorgeschriebenen Grenzwerte eingehalten werden können. Die Beklagte hätte sich auch ohne Weiteres von der Konzernmutter die entsprechenden Unterlagen geben lassen können. Insoweit wird nicht vorgetragen, dass man dies versucht hätte, aber von Seiten der Konzernmutter dies abgelehnt worden sei oder dass man solche Unterlagen bekommen hätte, die aber geschönt gewesen seien. Selbst das von der Beklagten vorgelegte Rechtsgutachten von Prof. Dr. G. geht auf S. 23 davon aus, dass „die Möglichkeit der Aufdeckung der Abschalteinrichtung durch die AUDIeigene Entwicklungsabteilung – vermittels einer grundlegenden Prüfung der Software bzw. einer Neuentwicklung von Testverfahren – nicht vollständig ausgeschlossen werden kann…“
cc) Hinzu kommt, dass zum Zeitpunkt der Entwicklung und des Einbaus des streitgegenständlichen Motors das Spannungsverhältnis zwischen kostengünstiger Produktion und Begrenzung der Stickoxidemissionen allgemein bekannt war. Die Beklagte ist selbst Herstellerin von Dieselmotoren (nebst Steuerungstechnik) die serienmäßig in Fahrzeugen des Konzerns zum Einsatz kommen. Dass sich unter diesen Umständen kein Verantwortlicher bei der Beklagten dafür interessiert haben will, ob und wie die Konzernmutter bei dem Motor EA 189 diesen Konflikt gelöst haben könnte, erscheint nicht plausibel. Zudem hat zum damaligen Zeitpunkt der europäische Gesetzgeber das grundsätzliche Verbot unzulässiger Abschalteinrichtungen normiert, wodurch der oben beschrieben Zielkonflikt zusätzliche Bedeutung gewann.
dd) Schließlich räumt die Beklagte auch ein, dass die grundsätzliche Entscheidung in Bezug auf die Verwendung des Motors EA 189 in den Jahren 2005/2006 von dem Produkt-Strategie-Komitee getroffen worden ist, dem auch mindestens ein Vorstandsmitglied angehört hat. Dass das vorgenannte Komitee der Beklagten keine Kenntnis von den Details des Motors gehabt hat, dessen serienmäßiger Einsatz ab 2007 beschlossen worden ist, hält der Senat nicht für plausibel. Es ist nicht nachvollziehbar, dass der Einsatz des Motors in einer Vielzahl von Fahrzeugen angeordnet wird, der unstreitig beteiligte Vorstand sich bei dieser Entscheidung, die die Beklagte selbst wegen ihrer Bedeutung als „Meilenstein“ bezeichnet, nicht darüber informiert, welche Eigenschaften der Motor hat und wie es gelingt, das bekannte Problem der Einhaltung der Stickoxidwerte zu lösen. Die Beklagte trägt hier nicht einmal vor, welches Vorstandsmitglied diesem Komitee angehört hat, ob dieses in Bezug auf seinen Kenntnisstand befragt worden ist und was gegebenenfalls die Antwort war. Der ihr obliegenden sekundären Darlegungslast ist die Beklagte hier nicht in ausreichendem Maß nachgekommen. Auch die hier beklagte A.-AG hat nach Überzeugung des Senats das an sich erlaubte Ziel der Gewinnerhöhung ausschließlich dadurch erreicht, dass sie auf der Grundlage einer strategischen Unternehmensentscheidung die zuständige Typgenehmigungsbehörde und die für sie handelnden Technischen Dienste arglistig getäuscht hat. Die Einwände der Beklagten, dass das Zulassungsverfahren durch die V.-AG erfolgt ist und die Beklagte nur die Rechnungen und beanstandungsfreien Prüfberichte erhalten hat, greifen nicht durch.
Auch die Käufer von Fahrzeugen der hiesigen Beklagten vertrauten darauf, dass die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden und wurden darin arglistig getäuscht. Die Sittenwidrigkeit des Handelns ergibt sich aus dem nach Ausmaß und Vorgehen besonders verwerflichen Charakter der Täuschung von Kunden, der Täuschung des Kraftfahrtbundesamtes unter Inkaufnahme nicht nur der Schädigung der Käufer, sondern auch der Umwelt allein im Profitinteresse.
e) Die subjektiven Voraussetzungen der Haftung nach § 826 BGB sind ebenfalls erfüllt. In subjektiver Hinsicht setzt § 826 BGB einen Schädigungsvorsatz sowie Kenntnis der Kausalität des eigenen Verhaltens für den Eintritt des Schadens und der das Sittenwidrigkeitsurteil begründenden tatsächlichen Umstände voraus. Der Schädigungsvorsatz enthält ein Wissensund Wollenselement. Der Handelnde muss die Schädigung des Anspruchsstellers gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben und mindestens mit bedingtem Vorsatz gehandelt haben, BGH, Urteil vom 28.06.2016, Az. VI ZR 536/15.
Die Haftung einer juristischen Person nach § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB setzt zudem voraus, dass ihr „verfassungsmäßig berufener Vertreter“ den objektiven und subjektiven Tatbestand verwirklicht hat. Die erforderlichen Wissens- und Wollenselemente müssen dabei kumuliert bei einem solchen Vertreter vorliegen, der auch den objektiven Tatbestand verwirklicht hat, eine mosaikartige Zusammensetzung der kognitiven Elemente bei verschiedenen Personen ist hingegen nicht zulässig, vgl. BGH, Urteil vom 18.07.2019, Az. VI ZR 536/15. Darauf weist zutreffend auch das von der Beklagten vorgelegte Rechtsgutachten hin, S. 15.
Der Senat geht nicht davon aus, dass eine Wissenszurechnung im Konzern die Haftung der Beklagten begründet. Der Umstand, dass die beteiligten Gesellschaften in einem Konzern verbunden sind, genügt nämlich für sich genommen nicht, um eine Wissenszurechnung zu begründen, vgl. BGH, Urteil vom 13.12.1089, Az. IV a ZR 177/88, Rn. 14, OLG Stuttgart, Urteil vom 04.09.2019, Az. 13 U 136/18).
Die Haftung der Beklagten beruht vielmehr – wie schon ausgeführt – auf ihrem eigenen deliktischen Handeln, dem von ihr zu verantwortenden Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs.
Im Hinblick auf den neuen Vortrag im Schriftsatz vom 08.10.2020 ist die Beklagte der ihr obliegenden sekundären Darlegungslast in größerem Umfang als bisher nachgekommen, weil sie zur Organisationsstruktur, der Arbeitsorganisation, den damaligen internen Zuständigkeiten, den Berichtspflichten und den von ihr veranlassten Ermittlungen näher vorgetragen hat. Die Beklagte argumentiert damit, dass schon keine belastbaren Anhaltspunkte für eine Kenntnis der Vorstandsmitglieder im aktienrechtlichen Sinn oder von potentiellen Repräsentanten bestehe, weshalb ein vertieftes Vorgehen nicht angezeigt sei und keine Verpflichtung zu weiteren Aufklärungsmaßnahmen von Seiten des Aufsichtsrats bestehe. Dies teilt der Senat aus nachfolgenden Gründen nicht. Auch die subjektiven Voraussetzungen für eine Haftung nach § 826 BGB sind erfüllt.
aa) Zur Produktion erklärt die Beklagte nunmehr, dass bereits in den Jahren 2005/2006 vom Produkt-Strategie-Komitee, dem auch ein nicht namentlich benannter Vorstand angehört hat, die grundsätzliche Entscheidung getroffen worden ist, dass in bestimmten Fahrzeugen der Beklagten der von der Konzernmutter entwickelte Motor vom Typ EA 189 eingebaut wird, was letztlich ab 2007 zu einem serienmäßigen Einsatz geführt hat. Die Beklagte behauptet dazu weiter, dass weder Organe noch Repräsentanten, nicht einmal Werksmitarbeiter der Beklagten Kenntnis von den Details des Motors, insbesondere der Software gehabt hätten, weil diese verschlossen und verriegelt war und so vom Konzernserver in der Fertigung aufgespielt worden ist. Dies hält der Senat – wie oben bereits ausgeführt – nicht für plausibel. Es ist nicht nachvollziehbar, dass das oben genannte Komitee, dem unstreitig auch ein Organ der Beklagten angehört hat, den Einsatz eines Motors in eigenen Fahrzeugen befürwortet, sich aber keine Gedanken darüber macht, wie der Motor funktioniert, welche Eigenschaften er hat, und wie es gelingt, die entsprechenden Stickoxidgrenzwerte einzuhalten. Bei dem Motor handelt es sich um das Kernstück des Fahrzeugs und bei der Verwendung um eine grundlegende, eine Vielzahl von Fahrzeugen betreffende Strategieentscheidung, die mit erheblichen persönlichen Haftungsrisiken für die entscheidenden Personen verbunden ist. Da die Beklagte auch selbst Dieselmotoren entwickelt und die Frage, wie die gesetzlichen Grenzwerte technisch und wirtschaftlich kostengünstig eingehalten werden können, unter Kfz-Herstellern zu der damaligen Zeit ein Hauptthema war, kann nicht nachvollzogen werden, dass die Beklagte kein Interesse daran hatte zu wissen, wie es der Mutterkonzern geschafft hat die strengen Grenzwerte einzuhalten. Es scheint ausgeschlossen, dass die Beklagte den von der Konzernmutter entwickelten Motor ohne eigene Prüfung und Kenntnis der wesentlichen Merkmale „blind“ in ihre eigenen Fahrzeuge eingebaut hat. Es liegt vielmehr auf der Hand, dass im Unternehmen der Beklagten mindestens ein handelnder Repräsentant an der Entscheidung über die Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung beteiligt war. Dies folgt schon aus der Tragweite der Entscheidung und aus den Gesamtumständen.
Deshalb kann auch vorliegend – entgegen den Ausführungen im Rechtsgutachten Grigoleit, Seite 17 ff. – in Bezug auf die Frage der personalen Anknüpfung – wie es der BGH in dem Urteil vom 25.05.2020 getan hat – auf die bewusste Beteiligung eines Organmitglieds an der grundlegenden strategischen Entscheidung abgestellt werden.
bb) Die Beklagte kann sich nicht darauf zurückziehen, dass sie den Motor samt Software nur als externes Produkt von der V.-AG zugekauft hat und dieser vertrauen durfte. Der Bundesgerichtshof hat in der von der Beklagten zitierten Entscheidung vom 03.06.1975, Az. VI ZR 192/73, ausgeführt, dass einem Unternehmer, der für die von ihm hergestellten Geräte vorgefertigte Einbauteile verwendet, grundsätzlich die Sorgfaltspflichten eines Herstellers obliegen. Davon kann es zwar Ausnahmen geben, wovon hier allerdings schon wegen der Bedeutung des Motors für das Fahrzeug keine Rede sein kann. Die Beklagte durfte sich vorliegend nicht allein auf die fachliche Betriebserfahrung ihrer Konzernmutter und deren durchgeführte Prüfungen verlassen. Sie hätte vielmehr die konkreten Eigenschaften bei der V.-AG erfragen müssen und sich selbst von der mangelfreien Beschaffenheit des Motors im Hinblick auf ihre eigene Verantwortlichkeit im EG-Typgenehmigungsverfahren überzeugen müssen.
Der Auffassung von Prof. Dr. G. auf Seite 22 ff. des Gutachtens folgt der Senat aus den obigen Gründen nicht. Die Beklagte ist als Herstellerin wie dargelegt für ihre Angaben im Typgenehmigungsverfahren verantwortlich und es liegt keine „Drittprüfung“ (S. 28 des Gutachtens) vor, wenn die Prüfung im Auftrag und im Namen des Herstellers, also der Beklagten erfolgt.
Was das Zulassungsverfahren betrifft, zu dem die Beklagte vorträgt, dass hier nur Mitarbeiter der V.-AG gehandelt hätten, wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. Die Beklagte hat gegenüber der EG-Typgenehmigungsbehörde eine eigene Erklärung abgegeben und zumindest konkludent erklärt, dass die dem Technischen Dienst von der V.-AG vorgestellten Fahrzeuge keine unzulässigen Abschalteinrichtungen enthalten und den Gesetzen entsprechen. Da dies tatsächlich nicht zutraf, ist das Verhalten der Beklagten als vorsätzlich zu bewerten, weil die Folgen des Handelns bewusst in Kauf genommen worden sind. Selbst wenn man dies nicht so sehen wollte, hält der Senat aufgrund der Tatsache, dass die Beklagte die Durchführung des EG-Typengnehmigungsverfahrens vollständig und ohne weitere Kontrolle der Konzernmutter überlassen hat, eine Zurechnung des bei der V.-AG zweifelsfrei vorhandenen Täuschungs- und Schädigungsvorsatzes entsprechend § 31 BGB für gerechtfertigt.
f) Auf der Basis der getroffenen Feststellungen ist damit von einem Schädigungsvorsatz der handelnden Personen auszugehen, die von den sittenwidrigen, strategischen Unternehmensentscheidungen Kenntnis hatten. Nicht nur der objektive Tatbestand, sondern auch sämtliche für den Vorsatz nach § 826 BGB erforderlichen Wissens- und Wollenselemente sind damit bei den entsprechenden Entscheidungsträgern verwirklicht. Vorstandsmitglieder oder Repräsentanten, die in eigener oder zurechenbarer Kenntnis der Funktionsweise der Software ihren serienmäßigen Einsatz in Motoren anordnen oder nicht unterbinden, billigen ihn auch und sind sich der Schädigung der späteren Fahrzeugerwerber bewusst.
3. Die Beklagte hat gemäß §§ 826, 31, 249 ff. BGB dem Kläger sämtliche aus der sittenwidrigen Schädigung resultierende Schäden zu ersetzen.
Der Kläger kann damit den von ihm aufgewendeten Kaufpreis Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des erlangten Fahrzeugs an die Beklagte zurückverlangen. Er muss sich aber dasjenige anrechnen lassen, was ihm durch das schädigende Ereignis zugeflossen ist. Dass die Grundsätze der Vorteilsausgleichung auch bei einem Anspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB anzuwenden sind, hat der Bundesgerichtshof in der Entscheidung vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, ausdrücklich bestätigt, Rn. 66 ff. Er hat auch ausgeführt, dass dem keine europarechtlichen Normen entgegenstehen. Der Senat nimmt auf die Ausführungen des Bundesgerichtshofs Bezug, aaO, Rn. 73 ff. Geklärt ist mit dieser Entscheidung weiter, dass die grundsätzlich vom Landgericht vorgenommene Berechnungsweise nach der Formel Bruttokaufpreis x gefahrene Kilometer / Restlaufleistung keinen rechtlichen Bedenken unterliegt und die Höhe der gezogenen Vorteile nach § 287 ZPO geschätzt werden kann. Die zu erwartende Gesamtlaufleistung schätzt der Senat im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens gemäß § 287 ZPO wie das Landgericht auf 300.000 km. Der Senat sieht auch keine Veranlassung, vorliegend eine modifizierte, für die Beklagte im konkreten Fall günstigere Formel heranzuziehen. Eine Schätzung hat stets pauschalisierende Elemente, die mal für die eine Seite, mal für die andere Seite Vorzüge gegenüber anderen Schätzmethoden oder präziseren Ermittlungen des zeitanteiligen Wertes der Nutzungen hat.
Vorliegend war das Fahrzeug beim Erwerb neu und hatte zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat eine Laufleistung von 103.045 km. Dies wurde von der Beklagten im Termin nicht bestritten. Unter Zugrundelegung des Kaufpreises von 47.520 € und einer Gesamtlaufleistung= Restlaufleistung bei Kauf von 300.000 km ergibt sich damit eine Nutzungsentschädigung für die gefahrenen Kilometer in Höhe von 16.322,33 €. Es verbleibt somit ein Rückzahlungsanspruch in Höhe von 31.197,67 €.
4. Dem Kläger stehen Zinsen ab Rechtshängigkeit zu, §§ 291, 288 Abs. 1 BGB ab dem 10.04.2019. Verzugszinsen waren in erster Instanz nicht, aber mit der Berufungsbegründung beantragt (Bl. 424 d.A.), jedoch mit Schriftsatz vom 02.10.2020 nicht weiter verfolgt (Bl. 521 d.A.).
Hinsichtlich der deliktischen Zinsen hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung eine Rücknahme der Klage erklärt, der die Beklagte zugestimmt hat.
5. Der Antrag auf Feststellung, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des streitgegenständlichen Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet, hätte nicht zugesprochen werden dürfen. Der Feststellungsantrag zum Annahmeverzug ist zwar zulässig, vgl. §§ 756, 726 Abs. 1 ZPO, der Antrag ist aber unbegründet, weil die Voraussetzungen der §§ 293, 295 BGB vorliegend nicht erfüllt sind. Das außergerichtliche Anwaltsschreiben des Klägers vom 22.12.2018 (Anlage K 12) war nicht geeignet, den Annahmeverzug zu begründen, weil der Kläger keine Angaben zu den gefahrenen Kilometern gemacht hat und der Beklagten damit nicht ermöglicht hat, die Nutzungsentschädigung zu ermitteln. Er hat damit die Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs nicht zu den Bedingungen angeboten, von denen er diese hätte abhängig machen dürfen. Ein zur Begründung von Annahmeverzug auf Seiten der Beklagten geeignetes Angebot ist unter diesen Umständen nicht gegeben.
6. Die Entscheidung des Landgerichts zu den zugesprochenen Rechtsanwaltskosten war abzuändern. Zwar kann ein Kläger grundsätzlich die ihm entstandenen außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten als Teil des Schadens nach § 826, 249 ff. BGB verlangen, jedoch nur wenn sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich und zweckmäßig waren. Angesichts der sich stellenden Rechtsfragen ist es auch nicht zu beanstanden, wenn sich der Kläger anwaltlich vorab hat beraten lassen. Ein Anspruch auf vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten besteht hier aber deshalb nicht, weil im vorliegenden Einzelfall angesichts der extrem kurzen Fristsetzungen davon auszugehen ist, dass der Kläger dem Klägervertreter von Anfang an einen unbedingten Klageauftrag erteilt hat, so dass eigene vorgerichtliche Kosten nicht anfallen (hierzu BGH NJW-RR 2012, 486, Rn. 21). Das Anspruchsschreiben stammt vom 22.12.2018 (Anlage K12), einem Samstag, Fristsetzung erfolgte bis 24.12.2018, Heiligabend und Montag. Die Klage wurde am 29.12.2018 eingereicht. Dass bei einer Fristsetzung von Samstag bis Montag = Heiligabend nicht mit einer Antwort oder gar Zahlung des Gegners gerechnet werden kann, noch dazu, wenn dieser eine Firma ist, versteht sich von selbst. Auch die unmittelbar nach den Weihnachtsfeiertagen erfolgte Klageeinreichung macht deutlich, dass hier von Anfang nicht von einer Zahlungsbereitschaft der Beklagten ausgegangen wurde und von vorn herein ein unbedingter Klageauftrag erteilt war. Vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren waren daher nicht zuzusprechen.
7. Dass die Berufung des Klägers zurückzuweisen war, ergibt sich aus den obigen Ausführungen zu 3. und 6. Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten waren nicht zuzusprechen. Hinsichtlich der Bemessung der Höhe des abzuziehenden Vorteilsausgleichs sind Fehler im erstinstanzlichen Urteil nicht zu erkennen. Die Nutzungsentschädigung ist nicht zu hoch.
Die Frage der Höhe der abzuziehenden Nutzungsentschädigung ist in erster Linie Sache des Tatrichters, der nach § 287 ZPO „unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung“ entscheidet. Der Bundesgerichtshof hat bei einem VW Sharan mit einem 2.0 TDI Motor eine Gesamtlaufleistung von 300.000 km nicht beanstandet, wobei berücksichtigt wurde, dass der dortige Van auf eine umfangreiche und robuste Nutzung ausgelegt ist (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19). In anderen Entscheidungen nahm der Bundesgerichtshof Schätzungen zur Gesamtlaufleistung in Höhe von 250.000 km (Urteil vom 30.06.2020, Az. VI ZR 354/19) oder sogar nur von 200.000 km (Urteil vom 20.07.2020, Az. VI ZR 397/19) im Rahmen der tatrichterlichen Schätzung nach § 287 ZPO hin.
Die vom Landgericht vorgenommene Schätzung auf 300.000 km Gesamtlaufleistung ist unter Berücksichtigung der oben zitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (Bandbreite zwischen 200.000 km und 300.000 km) nicht zu beanstanden. Die tatsächlichen Grundlagen der Schätzung lassen sich dem Urteil entnehmen, weil bereits im unstreitigen Tatbestand mitgeteilt wird, um welches Fahrzeug es sich handelt. Die genaue Angabe der im Einzelnen leitenden Gründe war nicht erforderlich, vgl. Thomas, Putzo, ZPO, 40. Auflage 2019, Rdnr. 11 zu § 287. Grundsätzlich falsche oder unrichtige Erwägungen wurden nicht angestellt und auch das Parteivorbringen nicht unberücksichtigt gelassen. Es ist nicht ersichtlich, dass unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt worden wären oder die Schätzung völlig abstrakt erfolgt wäre. Der Senat schätzt die Gesamtlaufleistung ebenfalls auf 300.000 km, zumal auch das hiesige Fahrzeug über einen 2.0 l Motor verfügt wie der VW Sharan in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall.
III.
1. Die Kostenquote entspricht dem jeweiligen Obsiegen bzw. Unterliegen der Parteien, §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO, wobei in Bezug auf die von dem Kläger geltend gemachten deliktischen Zinsen, 4% aus 47.561,00 € für den Zeitraum von 06.07.2013 bis 31.01.2019 ein fiktiver Streitwert von gerundet 10.600,00 € anzusetzen war, um der Zuvielforderung Rechnung zu tragen. Der fiktive Streitwert erster und zweiter Instanz beträgt damit 58.161,00 €.
Soweit der Kläger die Hauptsache hinsichtlich der Nutzungsentschädigung für erledigt erklärt hat, kann sich dies nur auf die nach Abschluss der ersten Instanz anfallende Nutzungsentschädigung beziehen. Schließlich wehrt sich der Kläger mit der Berufung nach wie vor gegen die Höhe der Nutzungsentschädigung durch das Landgericht. Hinsichtlich der seit dem erstinstanzlichen Urteil gefahrenen Kilometer und der entsprechenden Nutzungsentschädigung wäre die Berufung der Beklagten ohne das erledigende Ereignis ohne Aussicht auf Erfolg gewesen, was bei der Kostenquote nach § 91a ZPO zu berücksichtigen war.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, Nr. 711 ZPO.
Die Revision ist gemäß § 542 Abs. 2 S. 1 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Einige wesentliche Punkte sind zwar durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25.05.2020 geklärt, offen ist jedoch die Frage, ob auch die Konzerntöchter der V.-AG, insbesondere die Beklagte, für die von ihnen hergestellten, mit einem EA 189 (nebst unzulässiger Abschalttechnik) ausgestatteten Fahrzeuge deliktisch haften. Diese Frage ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstritten.
Verkündet am 30.11.2020

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