Europarecht

Temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung begründet keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung i.S.v. § 826 BGB

Aktenzeichen  5 U 1670/18

Datum:
19.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 19559
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
Verordnung (EG) Nr. 715/2007 Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Die in den VW-Verfahren vom KBA festgestellte und von VW eingeräumte Abschaltautomatik der Motorbaureihe EA 189 hat für Gerichtsverfahren anderer Autohersteller keine Relevanz. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein – zum Zwecke der Verbesserung des Emissionsverhaltens – vom Autohersteller freiwillig angebotenes Software-Update hat im Hinblick auf das Vorliegen eines vorschriftswidrigen Zustandes keine Aussagekraft. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 lässt sich entgegen der Auffassung der 23. Zivilkammer des LG Stuttgart nicht eindeutig entnehmen, ob die temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren ist. Die unklare Formulierung des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 steht jedenfalls der Annahme eines Schädigungsvorsatzes entgegen. (Rn. 33 – 35) (redaktioneller Leitsatz)
Die Behauptung eines Klägers, ein von ihm erworbener Pkw der Marke Daimler Benz, Modell C 200 CDI BE, verfüge über eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, ist als Behauptung „ins Blaue hinein“ bzw.  „aufs Geratewohl“ zu qualifizieren mit der Folge, dass darüber kein Beweis erhoben werden muss.  (Rn. 22 – 25) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

10 0 304/18 2018-07-13 Endurteil LGNUERNBERGFUERTH LG Nürnberg-Fürth

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 13.07.2018, Az. 10 O 304/18, wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Dieses Urteil sowie das vorbezeichnete Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 31.100,00 € festgesetzt.

Gründe

II.
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.
Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches gegen die Beklagte als Herstellerin des vom Kläger anderweitig erworbenen Fahrzeuges wegen sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) oder Verstoßes gegen ein Schutzgesetz (§ 823 Abs. 2 BGB sind vom Kläger nicht ausreichend dargelegt worden. Eine Beweisaufnahme hat nicht zu erfolgen.
1) In erster Instanz hatte der Kläger seinen Schadensersatzanspruch ausschließlich auf die Behauptung gestützt, die Motorsteuerung des Dieselmotors in seinem – nicht bei der Beklagten gekauften – PKW sei so programmiert gewesen, dass sie den Fahrzeugbetrieb auf einem Prüfstand im Neuen europäischen Fahrzyklus erkenne und dann die Abgasbehandlung so steuere, dass die vorgeschriebenen Grenzwerte für den Stickoxid-Ausstoß eingehalten würden, während im „Normalbetrieb“ die zur Verringerung des Stickoxid-Ausstoßes dienende Abgasrückführung außer Kraft gesetzt und damit ein überhöhter Stickoxid-Ausstoß verursacht werde. Dieser – unverkennbar an die inzwischen allgemein bekannte Manipulation der Abgaswerte in Fahrzeugen des Volkswagen-Konzerns mit dem Dieselmotor EA 189 sich anlehnenden – Darstellung hat die Beklagte widersprochen und die Verwendung einer den Prüfstandsbetrieb erkennenden Motorsteuerung in ihren Fahrzeugen in Abrede gestellt.
Zu Recht hat das Landgericht über die Behauptung des Klägers keinen Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens erhoben. Zwar darf ein Kläger, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, im Rechtsstreit auch solche Tatsachen behaupten; über deren Vorliegen er kein sicheres Wissen hat und ein solches auch nicht erlangen kann. Eine Partei kann deshalb genötigt sein, eine von ihr nur vermutete Tatsache zu behaupten und unter Beweis zu stellen (zuletzt BGH, NJW-RR 2015, 829). So liegt es auch hier; der Kläger kann, sofern er nicht eine mutmaßlich aufwändige technische Untersuchung durchführen lässt, kein sicheres Wissen darüber haben, ob die Motorsteuerung seines PKW so gestaltet ist, dass sie – wie im Fall des erwähnten Motors des Volkswagen-Konzerns – einen Prüfstandsbetrieb erkennt und dann – in welcher Weise auch immer – den Verbrennungsvorgang im Motor so steuert, dass die relevanten Emissionsgrenzwerte – hier wohl der Euro-5-Norm – eingehalten werden, während außerhalb des Prüfzyklus, also im gewöhnlichen Fahrbetrieb, der Verbrennungsvorgang anders gesteuert wird und es deshalb insbesondere zu höheren, nicht mehr normgerechten Stickoxid-Emissionen kommt. Jedoch wird ein solches prozessuales Vorgehen dann unzulässig, wenn die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhaltes willkürlich Behauptungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufstellt, was nur dann angenommen werden darf, wenn es an jeglichen tatsächlichen Anhaltspunkten für die Richtigkeit der betreffenden Behauptung fehlt (BGH, a.a.O., sowie NJW-RR 2004, 337). Im vorliegenden Fall fehlte es, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, in diesem Sinne an jeglichen tatsächlichen Anhaltspunkten; weder hatte der Kläger solche aufgezeigt noch waren oder sind sie sonst für das Gericht in irgendeiner Weise erkennbar.
Auf der Hand liegt, dass die inzwischen allgemein bekannte Verwendung einer manipulativen Motorsteuerung in Fahrzeugen des Volkswagen-Konzerns, die mit dem Motor der Baureihe EA 189 ausgestattet sind, für den Streitfall keinerlei Aussagekraft haben kann. Dieser Motor ist im Fahrzeug des Klägers – wie wohl generell in Fahrzeugen der Beklagten – nicht eingebaut; vielmehr handelt es sich hier um einen Motor der Baureihe OM 651, wie der Kläger selbst vorträgt. Die vom Kläger zitierte Rechtsprechung bezieht sich auf Fahrzeuge des Volkswagen-Konzerns. Dem Senat sind Entscheidungen nicht bekannt, die sich mit einer Prüfstands-Erkennung und einer davon abhängigen Beeinflussung des Emissions-Kontrollsystems bei Fahrzeugen der Beklagten auch nur befassen, geschweige denn eine solche feststellen. Ebensowenig bekannt ist eine dahingehende Berichterstattung in der Presse oder sonstigen Medien. Jedenfalls zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung durfte die Behauptung des Klägers, sein Fahrzeug sei mit einer unzulässigen, nämlich mit einer Prüfstandserkennung verbundenen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ausgestattet, als „willkürlich“ angesehen werden, so dass eine diesbezügliche Beweisaufnahme zu Recht unterblieben ist.
2) Daran hat sich bis zur Verhandlung vor dem Senat nichts geändert.
Zwar ist, worauf der Kläger zutreffend hinweist, inzwischen eine – allerdings nicht bestandskräftigen – Anordnung des Kraftfahrt-Bundesamtes gegenüber der Beklagten ergangen, wonach bestimmte Fahrzeuge, darunter auch solche, die mit dem Motor des Typs OM 651 ausgestattet sind, zurückgerufen werden müssen, um Veränderungen am Emissions-Kontrollsystem vorzunehmen. Die Tatsache dieses Rückrufs ist durch die öffentliche Berichterstattung bekannt geworden. Die Anordnung des Kraftfahrt-Bundesamtes selbst ist allerdings- soweit ersichtlich – nicht veröffentlicht worden; dem Senat ist auch keine Veröffentlichung bekannt, aus der sich ergäbe, welche konkreten Beanstandungen das Kraftfahrt-Bundesamt bei den betreffenden Fahrzeugen vorgenommen hatte. Die verfügbaren – nicht amtlichen – Auflistungen der betroffenen Fahrzeuge (etwa Veröffentlichung des ADAC vom 08.04.2019 unter www…..de) enthalten jedoch das Fahrzeugmodell, das der Kläger erworben hat, nicht; im Rechtsstreit ist auch nicht streitig, dass das klägerische Fahrzeug von dem verpflichtenden Rückruf nicht erfasst wird. Daher kann dahinstehen, ob die Tatsache, dass das Kraftfahrt-Bundesamt – nicht bestandskräftig – einen verpflichtenden Rückruf für das betreffende Fahrzeugmodell angeordnet hat, bereits einen hinreichenden Anhaltspunkt für die Behauptung eines Fahrzeugbesitzers darstellen kann, sein Fahrzeug entspreche hinsichtlich des Emissions-Kontrollsystems nicht den geltenden Vorschriften, etwa wegen Vorhandenseins einer sog. unerlaubten Abschalteinrichtung, so dass diesem Vortrag durch Beweisaufnahme nachgegangen werden müsste. Dass die Beklagte den Besitzern von Fahrzeugen des streitgegenständlichen Modells aus dem entsprechenden Produktionszeitraum als „freiwillige Maßnahme“ eine Änderung der Motorsteuerung zum Zweck der Verbesserung des Emissions-Verhaltens anbietet, wie der Senat selbst feststellen konnte, hat für das Vorliegen eines – nicht nur verbesserungsfähigen, sondern auch – vorschriftswidrigen Zustandes, der zumindest einen Mangel im Sinne des Kaufrechts darstellen könnte, keine Aussagekraft.
3) Die Berufung kann auch unter dem Gesichtspunkt eines sog. thermischen Fensters keinen Erfolg haben.
a) Entgegen der Darstellung in der Berufungsbegründung enthält die Klageschrift nicht die Behauptung, das Fahrzeug des Klägers sei wegen einer als „thermisches Fenster“ bezeichneten Funktionsweise des Emissions-Kontrollsystems nicht vorschriftsgemäß beschaffen, also zumindest mangelhaft. Vielmehr hatte der Kläger erstinstanzlich allein darauf abgestellt, dass die Beklagte in seinem Fahrzeug eine Motorsteuerung verwende, die das Durchlaufen eines Prüfzyklus erkenne und nur dann eine verstärkte Abgasreinigung bewirke, die im Normalbetrieb nicht stattfinde.
Im Berufungsrechtszug ist allerdings dieses Vorbringen des Klägers, auf das er in der Berufungsbegründung zusätzlich abgestellt hat, zu berücksichtigen, nachdem die Beklagte zwar zutreffend darauf hingewiesen hat, dass es sich um einen neuen Vortrag handele, andererseits jedoch ausdrücklich eingeräumt hat, dass auch der streitgegenständliche PKW die Abgasrückführung, die zur Verminderung der Stickoxid-Emissionen diene, temperatur- und betriebszustandsabhängig steuere. Eben dieses ist, soweit für den Senat feststellbar, gemeint, wenn von einem „thermischen Fenster“ bei der Steuerung der Abgasrückführung die Rede ist. Neuer Vortrag ist jedoch im Berufungsverfahren zu berücksichtigen, wenn er unstreitig ist.
b) Aus dem Vorhandensein einer temperatur- und betriebszustandsabhängigen Steuerung des Ausmaßes der Abgasrückführung vermag der Senat jedoch nicht die vom Kläger für richtig gehaltenen rechtlichen Schlussfolgerungen zu ziehen.
aa) In Anlehnung an mehrere Urteile des Landgerichts Stuttgart (etwa Urteil vom 17.01.2019, 23 O 172/18) ist der Kläger der Auffassung, die Reduzierung der Abgasrückführung bei niedrigen Außentemperaturen stelle eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne der Art. 5 Abs. 2, Art. 3 Nr. 10 Verordnung (EG) 715/2007 dar. Davon, dass eine solche Einrichtung ausnahmsweise nach Art. 5 Abs. 2 Buchstabe a der genannten Verordnung zum Zwecke des Motorschutzes zulässig sei, könne mangels entsprechender Darlegung der Beklagten nicht ausgegangen werden.
Das Landgericht Stuttgart, das, soweit ersichtlich, mit dieser Auffassung (noch) alleine steht, stützt sich zur Begründung vor allem auf die Ausführungen von Führ in NVwZ 2017, 265, die es teilweise wörtlich übernommen hat. Rechtlicher Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist die Bestimmung des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 vom 20.06.2007, wonach „die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissions-Kontrollsystemen verringern“ grundsätzlich unzulässig ist. Art. 5 Abs. 2 Satz 2 sieht Ausnahmen von diesem generellen Verbot von Abschalteinrichtungen vor; danach gilt das Verbot insbesondere nicht (Buchstabe a), wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung (oder Unfall) zu schützen. Was unter einer Abschalteinrichtung i.S.d. genannten Bestimmung zu verstehen ist, definiert Art. 3 Nr. 10 der genannten Verordnung. Danach handelt es sich um ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrgeschwindigkeit, die Motordrehzahl, den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlass-Krümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissions-Kontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissions-Kontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird. Eine Definition des Begriffes „Emissions-Kontrollsystem“ fehlt in der Verordnung allerdings. Die Funktion einer Abgasrückführung besteht bekanntlich darin, dass das nach dem Verbrennungsvorgang aus den Zylindern des Motors abströmende Gas in einem bestimmten Umfang erneut dem Verbrennungsvorgang zugeführt wird, wobei dies auf unterschiedliche technische Weise geschehen kann (hochdruckseitig, niederdruckseitig oder kombiniert). Den Zylindern wird also nicht nur frisch angesaugte Luft zugeführt – in die dann der Treibstoff eingespritzt wird – sondern auch Abgas, womit erreicht werden soll, dass die Verbrennungstemperatur herabgesetzt wird, wodurch sich die Bedingungen für die Entstehung von Stickoxiden verschlechtern und der Stickoxid-Anteil im Abgas letztlich verringert wird. Dabei leuchtet unmittelbar ein, dass die Abgasrückführungsrate, also der Anteil des Abgases an dem zur Verbrennung vorgesehenen Luft-Treibstoff-Gemisch, nicht beliebig gesteigert werden kann; auch dem technischen Laien erscheint zudem wenigstens plausibel, dass die Abgasrückführungsrate nicht unter allen denkbaren Betriebsbedingungen gleich hoch sein kann, sollen unerwünschte Auswirkungen und Beschädigungen des Motors, insbesondere des Abgasrückführungsventils selbst, vermieden werden. Unwidersprochen führt die Beklagte aus, jedenfalls zum Zeitpunkt des In-Verkehr-Bringens des streitgegenständlichen Fahrzeuges habe es dem Stand der Technik entsprochen, die Abgasrückführungsrate entsprechend den jeweiligen Betriebsbedingungen, wozu auch die Außentemperatur gehöre, variabel zu gestalten. Führ (a.a.O.) und ihm folgend das Landgericht Stuttgart sind nun der Auffassung, dass eine derartige von bestimmten Parametern abhängige Veränderung der Abgasrückführungsrate von der Definition der „Abschalteinrichtung“ in Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 erfasst werde, weil es sich bei der Abgasrückführung um ein „Emissions-Kontrollsystem“ handele (und nicht etwa um einen innermotorischen Vorgang), ferner, dass die Fahrzeughersteller sich zur Rechtfertigung dieser Variabilität nicht auf die Ausnahmebestimmung in Art. 5 Abs. 2 Satz 2 der genannten Verordnung berufen könnten, so lange sie nicht den Nachweis führen könnten, dass sich solche Einrichtungen weder durch Konzeption noch durch Konstruktion oder Werkstoffwahl nach aktuellem Stand der Technik vermeiden ließen. Andernfalls hätten die Automobilhersteller die Möglichkeit, sich von dem Verbot der Abschalteinrichtung dadurch zu befreien, dass sie Motoren bewusst so suboptimal konstruierten, dass diese bei vollem Greifen des Emissions-Kontrollsystems Schaden zu nehmen drohten.
Weil die Beklagte in den vom Landgericht Stuttgart entschiedenen Fällen nicht dargelegt habe, dass es ihr nicht möglich gewesen sei, die jeweils in Rede stehenden Dieselmotoren so zu konstruieren, dass sie nicht des Schutzes durch temperaturabhängige Verringerungen der Abgasrückführungsrate bedürften, seien die betreffenden Fahrzeugmodelle, so das Landgericht Stuttgart, wegen Vorhandenseins einer unzulässigen Abschalteinrichtung mangelhaft. Dies gelte auch dann, wenn das Kraftfahrt-Bundesamt die betreffenden Fahrzeuge nicht beanstandet habe, also keinen Rückruf gefordert habe.
bb) Da im vorliegenden Fall der Klageanspruch nicht auf kaufrechtliche Gewährleistungsansprüche gestützt werden kann – und auch nicht gestützt wird -, ist das Vorliegen eines Mangels im kaufrechtlichen Sinne nicht unmittelbar entscheidungserheblich. Ein Anspruch gegen die Beklagte als Herstellerin und nicht als Verkäuferin des PKW könnte sich aus §§ 826, 31 BGB ergeben, wenn die Beklagte mit dem In-Verkehr-Bringen des streitgegenständlichen Fahrzeuges konkludent darüber getäuscht hat, dass der Einsatz des Fahrzeuges entsprechend seinem Verwendungszweck im Straßenverkehr uneingeschränkt zulässig ist, weil tatsächlich eine verbotene Abschalteinrichtung eingebaut war mit der Folge, dass der Widerruf der Typgenehmigung droht (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05.03.2019, 13 U 142/18; DAR 2019, 266). Das Verhalten der Beklagten müsste sich zudem als sittenwidrig darstellen. Dazu müsste die Beklagte zumindest mit Vorsatz hinsichtlich des Vorhandenseins einer unerlaubten Abschalteinrichtung gehandelt haben. Der Annahme des Vorsatzes steht hier entgegen, dass die zitierten Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 entgegen der Auffassung des Landgerichts Stuttgart keineswegs so klar formuliert sind, dass sich die Verwendung einer temperaturabhängigen oder sonst variablen Abgasrückführung eindeutig als unzulässig darstellen müsste. Zu diesem Ergebnis ist immerhin der 5. Untersuchungsausschuss gemäß Art. 44 des Grundgesetzes des Deutschen Bundestages (Drucksache 18/12900) gelangt; in den Schlussfolgerungen und Empfehlungen dieses Ausschusses (S. 536 ff. der zitierten Drucksache) wird die Auffassung des Ausschusses festgehalten, die in Art. 5 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufgeführten Ausnahmen vom Verbot von Abschalteinrichtungen seien nicht eindeutig definiert; das europäische Recht ermögliche der Typgenehmigungsbehörde nicht in jedem Fall, zweifelsfrei festzustellen, ob eine genutzte Abschalteinrichtung zulässig sei oder nicht; die Formulierung der Ausnahmen sei teilweise so weit, dass den Automobilherstellern ein weiter Einsatzspielraum verbleibe. Dies gelte insbesondere für die Ausnahme des Motorenschutzes, die den Herstellern die Definition weitreichender sog. Thermo-Fenster ermögliche; letztlich bestimme der Hersteller durch seine Motorkonstruktion, wie häufig eine Abschalteinrichtung greifen müsse, damit die vorgegebene Lebensdauer des Motors erfüllt werden könne. Die europäischen Typgenehmigungsvorschriften müssten deshalb überarbeitet werden.
Des Weiteren ist davon auszugehen, dass die Beklagte, wie in der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 vom 18.07.2008 in Art. 3 Nr. 9 vorgeschrieben, zur Erlangung der EG-Typgenehmigung Angaben zur Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems einschließlich seines Funktionierens bei niedrigen Temperaturen nebst Beschreibung etwaiger Auswirkungen auf die Emissionen gemacht hat, so dass dem Kraftfahrt-Bundesamt bei Erteilung der Typgenehmigung die Temperaturabhängigkeit der Abgasrückführungsrate bekannt gewesen sein muss, von ihm jedoch – offensichtlich – nicht beanstandet worden ist. Auch das zeigt, dass die von Führ und dem Landgericht Stuttgart favorisierte Auslegung nicht als zwingend angesehen werden kann, zugleich und vor allem stellt dies ein wesentliches Argument gegen die Annahme eines sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten bei dem In-Verkehr-Bringen des streitgegenständlichen Fahrzeuges dar. Wie eine andere Kammer des Landgerichts Stuttgart in einem Urteil vom 03.05.2019 (22 O 238/18) – nach Auffassung des Senats zutreffend – ausgeführt hat, konnte die Beklagte durchaus annehmen, dass die von ihr gewählte Steuerung der Abgasrückführung jedenfalls dem Grunde nach nicht zu beanstanden sei, weil sie ansonsten vom Kraftfahrt-Bundesamt eben beanstandet worden wäre.
cc) Selbst wenn man mangels gegenteiliger Darlegung der Beklagten unterstellen wollte, sie habe bei der Konstruktion des streitgegenständlichen Fahrzeuges nicht die damals bereits verfügbaren bestmöglichen Technologien eingesetzt, um eine höhere – und vor allem durchgehend hohe – Abgasrückführungsrate und damit durchgängig geringere Stickoxid-Emissionen zu ermöglichen, gilt doch, dass die Einstufung einer temperaturabhängigen Abgasrückführungssteuerung als „unzulässige Abschalteinrichtung“ aufgrund der damals geltenden Bestimmungen nicht derart eindeutig war, dass eine andere Auffassung kaum vertretbar erschiene und daraus der Schluss gezogen werden müsste, die Beklagte habe die Unerlaubtheit ihres Vorgehens erkannt und folglich die Typgenehmigungsbehörde – und letztlich auch die Käufer – täuschen wollen (vgl. auch dazu die Ausführungen im Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 03.05.2019, Az. 22 O 238/18).
4) Unter dem rechtlichen Gesichtspunkt einer unerlaubten Handlung in Gestalt eines Verstoßes gegen ein Schutzgesetz (§ 823 Abs. 2 BGB, § 263 StGB) ergibt sich nichts anderes, denn hiernach wäre eine vorsätzliche Täuschung im Sinne eines Betruges erforderlich, die der Senat nach den vorstehenden Ausführungen nicht festzustellen vermag.
5). Darauf, dass dem Kläger auch kein Schaden entstanden sein dürfte, weil nicht zu erkennen ist, dass seinem Fahrzeug die Entziehung der Betriebserlaubnis droht, und weil ein etwaiger genereller Wertverfall gebrauchter Kraftfahrzeuge mit Dieselmotor jedenfalls nicht auf ein Verhalten der Beklagten zurückgeführt werden könnte, kommt es mangels eines haftungsbegründenden Verhaltens der Beklagten nicht mehr an.
Die Berufung des Klägers wird deshalb mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückgewiesen.
Die weiteren Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 709, 711 ZPO.
Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst. Der Senat weicht, soweit ersichtlich, weder von der Rechtsprechung anderer Obergerichte noch solcher des Bundesgerichtshofs ab.
Verkündet am 19.07.2019

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen