Europarecht

Überschreitung der Abgaswerte im tatsächlichen Verkehr sittenwidrig?

Aktenzeichen  4 O 1168/18

Datum:
17.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 54926
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Passau
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 826, § 263 Abs. 2
StGB § 263

 

Leitsatz

1. Sittenwidrig ist ein Verhalten, dass nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzu treten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, NJW 2017, S. 250 ff., Rdnr. 16). (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Abgaswerte der typenzugelassenen Fahrzeuge der Beklagten werden in einem Testszenario erhoben, das die Klägerin nicht dargestellt hat. Aber allein daraus, dass die strengen Abgaswerte nur in der Testsituation einzuhalten sind, ergibt sich, dass sie im tatsächlichen Verkehr in Einzelfällen überschritten werden können – die Zulässigkeitsvoraussetzungen für Abweichungen stellt die Klägerin im übrigen ebenfalls weder qualitativ noch quantitativ dar. Wenn in dieser Situation vom Fahrzeughersteller die Grenzen des Zulässigen ausgereizt und dabei – davon geht das Gericht auf Grund der Maßnahmen des KBA aus – auch überschritten werden, so führt dies nicht zu einer Bewertung des Gesamtcharakters als sittenwidriges Vorgehen. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
IV. Der Streitwert wird auf 28.395,90 Euro festgesetzt. 

Gründe

I.
Die Klage ist unbegründet und war daher abzuweisen.
1. § 826 BGB:
a) Sittenwidrig ist ein Verhalten, dass nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzu treten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, NJW 2017, S. 250 ff., Rdnr. 16).
Der für eine Haftung nach § 826 BGB erforderliche Vorsatz enthält ein Wissens- und ein Wollenselement, so dass der Handelnde die Schädigung gekannt, vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen, jedenfalls aber für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben muss – Erkennbarkeit alleine genügt nicht (BGH aaO, Rdnr. 25). Diese billigende Inkaufnahme einer Schädigung setzt korrespondierende Kenntnisse der handelnden natürlichen Person voraus und kann nicht losgelöst von dieser beurteilt werden. Im Fall der Organhaftung muss daher das handelnde Organ die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht haben (BGH aaO Rdnr. 26 und 27).
Zudem müssen Sittenwidrigkeit und Schädigungsvorsatz des handelnden Organs getrennt festgestellt werden (BGH, aaO, Rdnr. 12).
Sämtliche oben aufgeführten Umstände liegen in der Darstellungslast der Klägerin (vergl. OLG München, Beschluss vom 25.07.2017, 13 U 566/17).
b) Die Klage enthält dazu keinen Vortrag. Der Klagevortrag erschöpft sich in der Darstellung der Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs und der Behauptung der Verantwortlichkeit von Mitarbeiters der Beklagten, ohne diese zu benennen und deren Verursachungsbeitrag zu beschreiben. Die Beklagte hat den streitgegenständlichen Motor nur zugekauft.
Mehr als den Rückschluss auf fehlerhafte Aufsicht der Organe rechtfertigt der Sachvortrag der Klägerin nicht. Damit lässt sich aus den von der Klägerin benannten Indizien lediglich ein Fahrlässigkeitsvorwurf ableiten, der für eine Haftung nach § 826 BGB nicht genügt.
c) Im Übrigen lässt sich das Verhalten der Verantwortlichen der Beklagten nach seinem Gesamtcharakter nicht als sittenwidrig einstufen. Die Abgaswerte der typenzugelassenen Fahrzeuge der Beklagten werden in einem Testszenario erhoben, das die Klägerin nicht dargestellt hat. Aber allein daraus, dass die strengen Abgaswerte nur in der Testsituation einzuhalten sind, ergibt sich, dass sie im tatsächlichen Verkehr in Einzelfällen überschritten werden können – die Zulässigkeitsvoraussetzungen für Abweichungen stellt die Klägerin im übrigen ebenfalls weder qualitativ noch quantitativ dar. Wenn in dieser Situation vom Fahrzeughersteller die Grenzen des Zulässigen ausgereizt und dabei – davon geht das Gericht auf Grund der Maßnahmen des KBA aus – auch überschritten werden, so führt dies nicht zu einer Bewertung des Gesamtcharakters als sittenwidriges Vorgehen.
2. Haftung nach § 263 Abs. 2 BGB iVm § 263 StGB
a) Die Haftung setzt voraus, dass aufgrund einer Täuschung eine Vermögensverfügung des Getäuschten erfolgt, die bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des Gesamtwertes seines Vermögens führt. Dieses Prinzip der Gesamtsaldierung ist ständige Rechtsprechung des BGH (BGH, NJW 2016, S. 3543, Rdnr. 33).
Die Bewertung des Vermögens und des Vermögensschadens erfolgt nach objektiven wirtschaftlichen Gesichtspunkten. § 263 StGB schützt weder das Affektionsinteresse, noch die wirtschaftliche Dispositionsfreiheit, noch die Wahrheit im Geschäftsverkehr, sondern allein das Vermögen, so dass Leistung und Gegenleistung zunächst nach ihrem Verkehrs- und Marktwert zu vergleichen sind und auf dieser Basis zu beurteilen ist, ob es zu einem Wertgefälle gekommen ist (BGH aaO, Rdnr. 35).
b) Bei Herstellung und Vertrieb zunächst minderwertiger weil mangelhafter Produkte kann es zu diesem Wertgefälle grundsätzlich nicht kommen. Klammert man die Problematik Täuschung und darauf folgender Vermögensverfügung aus, sondern bewertet allein unter dem Gesichtspunkt des Entstehens eines möglichen Vermögensschadens das zwischen der Klägerin und dem Autohaus abgeschlossene Kaufgeschäft, so hat zwar die Klägerin durch das mit der Prüfstandserkennung ausgerüstete Fahrzeug ein mangelhaftes Fahrzeug erworben, gleichwohl zeitgleich mit dem Erwerb den Nacherfüllungsanspruch nach § 439 Abs. 1 BGB. Dieser Nacherfüllungsanspruch gleicht im gleichen Rechtsakt, nämlich dem Vertragsschluss, das durch die Lieferung des mangelhaften Fahrzeugs gegenüber dem bezahlten Kaufpreis entstandene Wertgefälle sofort und vollständig wieder aus, so dass ein Vermögensschaden im Sinne des § 263 StGB nicht entstehen kann. Anhaltspunkte dafür, dass die Gewährleistungsansprüche gegenüber dem Autohaus Ostermaier nicht werthaltig waren, sind nicht ansatzweise vorgetragen.
II.
Kosten: § 91 ZPO.
III.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 ZPO.
Streitwert: § 3 ZPO.

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