Europarecht

Unzulässige Klage auf Gewährung von Versorgungsbezügen nach Versorgungsausgleich

Aktenzeichen  M 21 K 14.3864

Datum:
5.1.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
FamRZ – 2018, 185
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 70
VwVfG VwVfG § 41 Abs. 2
BVersTG BVersTG § 2
VersAusglG VersAusglG § 10
VersAusglG VersAusglG § 30

 

Leitsatz

1 Die gesetzliche Bekanntgabevermutung des § 41 Abs. 2 BayVwVfG greift dann nicht ein, wenn berechtigte Zweifel daran bestehen, dass im konkreten Fall die auf der Erfahrung des täglichen Lebens beruhende Vermutung, dass eine gewöhnliche Postsendung den Empfänger binnen weniger Tage erreicht, zutrifft. Um solche Zweifel zu begründen, genügt ein schlichtes Bestreiten des nach dem Gesetz zunächst zu vermutenden Bekanntgabezeitpunktes nicht (Verweis auf BVerwG BeckRS 1987, 06468). (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs muss substantiiert dargetan sein. Erforderlich, aber auch ausreichend ist eine Ausschöpfung der im Einflussbereich des Adressaten des Bescheids stehenden Möglichkeiten zum Nachweis des verspäteten Zugangs, zB Vorlage vorhandener Briefumschläge oder selbstgefertigter Eingangsvermerke, Benennung von Zeugen, Angebot einer Beteiligtenvernehmung (Verweis auf OVG Münster BeckRS 9998, 29345). (redaktioneller Leitsatz)
3 Werden durch die vom Familiengericht durchgeführte interne Teilung bestehende Versorgungsansprüche eines Ehegatten als bisher Berechtigtem auf den anderen Ehegatten, der ebenfalls die Voraussetzungen für den Bezug der Versorgungsbezüge erfüllt, übertragen, liegt der § 30 VersAusglG kennzeichnende Gläubigerwechsel vor. In einer solchen Fallkonstellation ist die Vorschrift anwendbar, ohne dass es auf eine betragsmäßige Überzahlung bezüglich der an den früheren Berechtigten geleisteten Versorgungsbezüge ankommt (Verweis auf VG Stuttgart BeckRS 2012, 53339 und VG Regensburg BeckRS 2014, 55829). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über den Rechtsstreit wird mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Klage, die sich nach der gemäß § 88 VwGO möglichen und gebotenen Auslegung nicht nur auf Zahlung sondern als Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO auf die Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung von Versorgungsbezügen in Höhe von 1.301,13 € für März 2014 richtet, ist unzulässig.
Der angefochtene Ausgangsbescheid ist in Bestandskraft erwachsen, da der – nach § 126 Abs. 1 BBG statthafte Widerspruch der Klägerin (vgl. BVerwG, U.v. 24.6.1982 – 2 C 91/81 – juris Rn. 32) – nicht fristgerecht erhoben worden ist.
Die Widerspruchsfrist beginnt mit der Bekanntgabe des Bescheids zu laufen. Nach § 41 Abs. 2 Satz 1 VwVfG gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die gesetzliche Vermutung gilt nach § 41 Abs. 2 Satz 3 VwVfG dann nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen. Dies bedeutet, dass die gesetzliche Bekanntgabevermutung dann nicht eingreift mit der Folge, dass die Behörde das Risiko der Nichterweislichkeit des Bekanntgabezeitpunktes trägt, wenn berechtigte Zweifel daran bestehen, dass im konkreten Fall die auf der Erfahrung des täglichen Lebens beruhende Vermutung, dass eine gewöhnliche Postsendung den Empfänger binnen weniger Tage erreicht, zutrifft. Um solche Zweifel zu begründen genügt ein schlichtes Bestreiten des nach dem Gesetz zunächst zu vermutenden Bekanntgabezeitpunktes nicht (BVerwG, B.v. 24.4.1987 – 5 B 132/86 – juris Rn. 2; OVG NW, U.v. 28.3.1995 – 15 A 3217/94 – juris Rn. 4). Vielmehr hat der Abgabepflichtige die Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs substantiiert darzutun. Die Darlegungen müssen eine gegenüber dem gesetzlich vermuteten Zeitpunkt verspätete Bekanntgabe als ernsthaft möglich erscheinen lassen, so dass Zweifel am vermuteten Zugang des Bescheides berechtigt sind. Erforderlich aber auch ausreichend ist eine Ausschöpfung der im Einflussbereich des Adressaten des Bescheids stehenden Möglichkeiten zum Nachweis des verspäteten Zugangs, z.B. Vorlage vorhandener Briefumschläge oder selbstgefertigter Eingangsvermerke, Benennung von Zeugen, Angebot einer Beteiligtenvernehmung (OVG NW, U.v. 28.3.1995 a.a.O. – juris Rn. 6). Die Anforderungen an die Darlegung richten sich nach den Umständen des Einzelfalls.
Entsprechend diesem Maßstab gilt der Bescheid mit der – durch den Abgesandt-Vermerk nachgewiesenen – Aufgabe zur Post am 23. April 2014 am 26. April 2014 als bekanntgegeben.
Die gesetzliche Vermutung des § 41 Abs. 2 Satz 1 VwVfG wurde durch das Vorbringen der Klägerseite nicht ausreichend erschüttert. Zwar hat der Bevollmächtigte der Klägerin die ursprünglich nur pauschale Behauptung des Zugangs erst am Montag, 28. April 2014 auf entsprechende Aufforderung des Gerichts mit Schriftsatz vom 16. Dezember 2016 ergänzt. Im Hinblick auf die Aussage, der Bescheid sei am Montag durch Einwurf in den Briefkasten eingegangen, fehlen aber Darlegungen dazu, ob der Briefkasten täglich geleert wurde und insofern der Einwurf des Bescheids erst am Montag belegbar ist. Im Übrigen wurde zwar auf eine Notiz im Terminkalender des Ehemanns der Klägerin verwiesen, in der der Zugang des Bescheids vermerkt sei, von einer naheliegenden Vorlage dieser Notiz jedoch abgesehen. Eine weitergehende Aufklärung des Sachverhalts erscheint insbesondere im Hinblick auf die fehlenden Darlegungen zur täglichen Leerung des Briefkastens nicht erfolgversprechend und ist im Hinblick darauf, dass die Beteiligten in Kenntnis der entscheidungsrelevanten Gesichtspunkte auf mündliche Verhandlung verzichtet haben, nicht veranlasst.
Die einmonatige Widerspruchsfrist (§ 70 Abs. 1 VwGO) begann damit am 27. April 2014 und endete am 26. Mai 2014 (§ 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB. Der am 27. Mai 2014 bei der Bundesfinanzdirektion … eingegangene Widerspruch war daher nicht fristgerecht.
Abgesehen davon wäre die Klage aber auch unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig, die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung von Versorgungsbezügen in Höhe von 1.301,13 € für März 2014 (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Dem Anspruch der Klägerin nach § 2 Abs. 1 des Bundesversorgungsteilungsgesetztes (BVersTG), wonach die Person anspruchsberechtigt ist, zu deren Gunsten im Rahmen der internen Teilung nach § 10 Abs. 1 des Versorgungsausgleichsgesetzes (VersAusglG) ein Anrecht übertragen worden ist, steht für März 2014 § 30 VersAusglG entgegen.
Nach § 226 Abs. 4 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) wirkt eine Abänderung einer Entscheidung über den Versorgungsausgleich zwar bereits ab dem ersten Tag des Monats, der auf den Monat der Antragstellung folgt. Diese Vorschrift ist hier grundsätzlich anwendbar und gilt nach § 52 Abs. 1 VersAusglG auch für eine Abänderung einer Entscheidung über einen öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich, die noch nach dem Recht getroffen worden ist, das bis zum 31. August 2009 gegolten hat.
Nach § 30 Abs. 1 VersAusglG ist der Versorgungsträger aber für die in Absatz 2 bestimmte Übergangszeit gegenüber der nunmehr auch berechtigten Person von der Leistungspflicht befreit, wenn er nach einer rechtskräftigen Entscheidung des Familiengerichts innerhalb einer bisher bestehenden Leistungspflicht an die bisher berechtigte Person leistet. Nach Absatz 2 dauert die Übergangszeit bis zum letzten Tag des Monats, der dem Monat folgt, in dem der Versorgungsträger von der Rechtskraft der Entscheidung Kenntnis erlangt hat. Bereicherungsansprüche zwischen der nunmehr auch berechtigten Person und der bisher berechtigten Person bleiben unberührt (§ 30 Abs. 3 VersAusglG).
§ 30 Abs. 1 VersAusglG ist in der vorliegenden Fallkonstellation anwendbar. Maßgeblich ist dabei nicht die Leistungsbeziehung der Beklagten zur Deutschen Rentenversicherung … sondern – wie auch in den Gründen des angefochtenen Bescheids dargestellt – die Leistungsbeziehung zum früheren Ehemann der Klägerin. Es liegt keine Fallkonstellation vor, in der nicht ein bestehender Anspruch übertragen wird, sondern die Leistungspflicht des Versorgungsträgers gegenüber einer leistungsberechtigten Person erstmals entsteht und an die Stelle einer weggefallenen Leistungspflicht des Versorgungsträgers gegenüber dem Rentenversicherungsträger im Rahmen einer Erstattung für Aufwendungen aufgrund von Rentenanwartschaften gemäß § 225 Abs. 1 SGB VI getreten ist. Durch die vom Familiengericht durchgeführte interne Teilung sind bestehende Versorgungsansprüche des früheren Ehemanns der Klägerin als bisher Berechtigter gegen die Beklagte auf die Klägerin, die ebenfalls die Voraussetzungen für den Bezug der Versorgungsbezüge erfüllt, als nunmehr auch Berechtigte übertragen worden. In dieser Fallkonstellation liegt der – § 30 VersAusglG kennzeichnende – Gläubigerwechsel vor (vgl. dazu VG Stuttgart, U.v. 27.6.2012 – 8 K 4605/11 – juris Rn. 25). § 30 VersAusglG ist insoweit nach Wortlaut und Sinn und Zweck, eine Doppelbelastung zu vermeiden, anwendbar, ohne dass es auf eine betragsmäßige Überzahlung bzgl. der an den früheren Ehemann geleisteten Versorgungsbezüge im Zusammenhang mit der Kürzung für die Erstattung von Aufwendungen der Deutschen Rentenversicherung … für Rentenanwartschaften nach § 225 Abs. 1 SGB VI ankommt (ausführlich VG Regensburg, U.v. 7.8.2014 – RN 5 K 13.643 – juris Rn. 31 ff.).
Fristbeginn für den Übergangszeitraum nach § 30 Abs. 2 VersAusglG ist der Zeitpunkt der Kenntnis des Versorgungsträgers von der Rechtskraft. Eine solche Kenntnis ist in der Regel erst mit der Mitteilung des Gerichts von Rechtskraft der Entscheidung gegeben. Erlangt der Versorgungsträger im Einzelfall verlässlich Kenntnis auf anderem Weg – etwa durch die Übersendung eines Rechtskraftzeugnisses durch den nunmehr Berechtigten – so beginnt die Frist bereits mit diesem Zeitpunkt. Kenntnis von der Rechtskraft hat der Versorgungsträger demgegenüber nicht schon mit der Zustellung der Entscheidung (Ackermann-Sprenger in Münchener Kommentar, BGB 7. Auflage 2017, VersAusglG, § 30 Rn. 12). Die Beklagte als Versorgungsträger und dort der zuständige Amtswalter (vgl. zur vergleichbaren Situation bei der Kenntnis nach § 48 VwVfG BVerwG, U.v. 24.1.2001 – 8 C 8/00 – juris LS 3, Rn. 17) erhielt nach Aktenlage erst am 4. Februar 2014 Kenntnis von der Rechtskraftmitteilung vom 29. Januar 2014.
Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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