Aktenzeichen M 9 K 17.51817
VwGO § 113 Abs. 3 S. 1
Leitsatz
Die Voraussetzungen für eine Ablehnung des Asylantrags als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG liegen nicht vor. Der Umstand der Schutzgewährung – hier in Italien – ist nicht ausreichend belegt.Aus dem Schreiben geht nicht eindeutig hervor, ob der Kläger oder dessen Lebensgefährtin gemeint ist. (Rn. 15 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 13. Juli 2017 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Klage hat Erfolg.
Die Entscheidung kann ohne mündliche Verhandlung ergehen, weil sich die Beteiligten damit individuell einverstanden erklärt haben (die Klägerseite) bzw. ein entsprechendes generelles Einverständnis vorliegt (auf Beklagtenseite sowie von der Vertretung des öffentlichen Interesses), § 101 Abs. 2 VwGO.
Für das Gericht ist hinsichtlich der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der Entscheidung maßgeblich (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG). Insbesondere kommen das AsylG und das AufenthG in den aktuellen Fassungen (AsylG: zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 20.7.2017, BGBl I, 2780; AufenthG: zuletzt geändert durch Art. 10 Abs. 4 des Gesetzes zur Neuregelung des Schutzes von Geheimnissen bei der Mitwirkung Dritter an der Berufsausübung schweigepflichtiger Personen vom 30.10.2017, BGBl I, 3618) zur Anwendung.
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht erhoben, § 74 Abs. 1 Hs. 2 AsylG.
Die Klage ist auch begründet, da der Bescheid vom 13. Juli 2017 rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO (nachfolgend unter 1.). Außerdem macht das Gericht unabhängig davon von der Möglichkeit des § 113 Abs. 3 Satz 1 VwGO Gebrauch (nachfolgend unter 2.).
1. Die Voraussetzungen für eine Ablehnung des Asylantrags als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG liegen nicht vor.
Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat.
Der Umstand der Schutzgewährung – hier in Italien – ist jedoch nicht ausreichend belegt. Die Beklagte beruft sich insofern zu Unrecht auf die Mitteilung der italienischen Behörden vom 31. März 2017; dass diese Mitteilung gemeint ist, obwohl der streitgegenständliche Bescheid, der vom 13. Juli 2017 datiert, ausdrücklich vom „31.07.2017“ spricht, geht aus dem Gesamtzusammenhang von Bescheid und Bundesamtsakte ausreichend deutlich hervor, so dass diese Falschbezeichnung unschädlich ist.
Jedoch geht das, was die Beklagte dieser Mitteilung inhaltlich beilegen will, tatsächlich nicht aus ihr hervor. Denn es ist nicht ausreichend klar, ob die Mitteilung der italienischen Behörden vom 31. März 2017 überhaupt den Kläger meint; vielmehr ist es genauso denkbar, dass mit dieser Mitteilung, in der mitgeteilt wird, dass die Person den subsidiären Schutz zuerkannt bekommen hat („She [sic!] was issued a permit of stay for subsidiary protection expiring on 13.10.2020“), die vom Kläger geltend gemachte Lebensgefährtin bzw. Ehefrau O. … S. … (allerdings ist eine rechtlich in Deutschland beachtliche Verheiratung im hiesigen Verfahren nicht nachgewiesen) gemeint ist. Die entsprechenden Zweifel ergeben sich aus dem Inhalt der Mitteilung selbst, in der durchgehend von „She“ gesprochen wird – die Mitteilung ist in englischer Sprache -, obwohl der Kläger männlich ist als auch daraus, dass die italienischen Behörden mitteilen:„Regarding the husband, S. … O. … 22/07/1981, without the fingerprints, we cannot have any further information.“ Vor dem Hintergrund, dass die Beklagte bei den italienischen Behörden unter demselben Datum für beide in Frage kommenden Personen, den Kläger als auch seine Lebensgefährtin, eine Anfrage nach Art. 34 Dublin III-VO gestellt hat, kann es sowohl sein, dass nicht der Kläger, sondern seine Lebensgefährtin den subsidiären Schutz erhalten hat als auch, dass die italienischen Behörden die Personen schlicht verwechselt haben. Einen ausreichend sicheren Aufschluss darüber, dass definitiv der Kläger in Italien den subsidiären Schutz zuerkannt bekommen hat, liefert diese Mitteilung aber nicht.
Damit werden die inhaltlichen Anforderungen an die Mitteilung auf eine sog. Info-Request-Anfrage auch nicht überspannt. Das zeigt schon der Umstand, dass auch das Bundesamt durchgreifende Zweifel hatte und zunächst diese Mitteilung vom 31. März 2017 selbst nicht für ausreichend hielt. Das geht aus ihrer Nachfrage vom 19. April 2017 (Bl. 167 – 169 der Bundesamtsakte) an die italienischen Behörden hervor. Darin nämlich schreibt die Behördenmitarbeiterin des Bundesamts wörtlich:„[…] könnten Sie mir bitte mitteilen, wie in Italien über den Asylantrag von Herrn S. …, O. …, geb. …07.1981 in Edo State, Nigeria, entschieden wurde? Am 31.03.2017 hat uns bereits eine Antwort seitens Italien erreicht, dass seine Frau dort subsidiären Schutz bis 13.10.2020 hat [! Hervorhebung durch das Gericht]. Anbei schicke ich Ihnen meine Email vom 31.03.2017, in welcher ich den EURODAC Treffer und die Fingerabdrücke des Antragstellers geschickt habe. Bis heute hat uns jedoch keine Antwort erreicht“. Hierauf wiederum antworteten die italienischen Behörden mit Schreiben vom 18. Mai 2017 lediglich mit dem Hinweis auf eine erteilte Arbeitserlaubnis (Bl. 172 der Bundesamtsakte), was aber die für das streitgegenständliche Verfahren interessierende Frage nach dem subsidiären Schutz nicht beantwortet. Warum die Beklagte dann, obwohl sie ausweislich ihrer eigenen Nachfrage zunächst durchgreifende Zweifel hatte und die Antwort der italienischen Behörden vom 18. Mai 2017 nicht geeignet war, diese Zweifel auszuräumen, gleichwohl im Bescheid nun doch davon ausging, dass mit der Mitteilung vom 31. März 2017 der Kläger gemeint gewesen sei, erschließt sich aus der vorgelegten Bundesamtsakte nicht. Vor diesem Hintergrund ist jedoch die Schlussfolgerung im Bescheid, dass ausreichend belegt sei, dass der Kläger in Italien subsidiären Schutz erhalten hat, nicht gerechtfertigt.
Damit ist sowohl die Entscheidung, den Asylantrag des Klägers auf der Grundlage von § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abzulehnen, als auch die gemäß § 35 AsylG verfügte Abschiebungsandrohung nach Italien rechtswidrig.
2. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. November 2017 (Az. 1 C 39.16, juris) steht dem nicht entgegen. Unabhängig davon, dass sich der hiesige Sachverhalt in mindestens zwei wesentlichen tatsächlichen Umständen von der dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zugrundeliegenden Konstellation unterscheidet (hier hat Italien geantwortet, außerdem hat die Beklagte im hiesigen Verfahren keinen Beweisantrag gestellt), weshalb unter 1. bereits eine Aufhebung auf der Grundlage von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO erfolgt, hebt das Gericht den streitgegenständlichen Bescheid unabhängig von den Ausführungen unter 1. auf der Grundlage von § 113 Abs. 3 Satz 1 VwGO auf. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor, geht man davon aus, dass eine weitere Sachaufklärung erforderlich ist. Die noch erforderlichen Ermittlungen – stellt man sich auf diesen Standpunkt – sind erheblich, denn erfahrungsgemäß ist es nicht damit getan, das Bundesamt einmal aufzufordern, in Italien, ggf. über die sog. Liaison-Beamtin, noch einmal nachzufragen. Selbst wenn dem nachgekommen wird, ist weiter auf Grund der Erfahrungen des Gerichts aus zahlreichen anderen Verwaltungsstreitverfahren nicht sicher zu prognostizieren, ob seitens Italiens überhaupt eine weitere Reaktion erfolgt. Schließlich soll nach der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, zumindest als letztes Mittel, sogar eine Anfrage des zuständigen Gerichts selbst bei den italienischen Behörden in Betracht kommen (U.v. 21.11.2017 – 1 C 39.16 – juris Rn. 29), obwohl die italienischen Behörden hierauf aus Rechtsgründen gar nicht antworten müssten und wohl auch nicht einmal antworten dürften (vgl. Art. 35 Dublin III-VO, insbesondere Abs. 1 Sätze 1 und 2 und Abs. 2 Satz 1 i.V.m. der Liste der für die Erfüllung der Verpflichtungen aus der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 zuständigen Behörden, ABl. C 55/5 v. 14.2.2015, in der für Deutschland lediglich das Bundesamt sowie das Bundespolizeipräsidium genannt sind; vgl. auch Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, Art. 35 Anm. K1); daher sind die noch erforderlichen Ermittlungen jedenfalls ihrer Art nach erheblich. Die Aufhebung ist auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich. Die Frist gemäß § 113 Abs. 3 Satz 4 VwGO ist im Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung eingehalten, die Behördenakten wurden mit Schreiben des Bundesamts vom 26. Juli 2017 vorgelegt.
3. Dass der streitgegenständliche Asylantrag unter der Prämisse des Bundesamts als unzulässiger Asylantrag i.S.v. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gesetzeswidrig wie ein „sonstiger Fall“ i.S.v. § 38 Abs. 1 AsylG behandelt wurde, was gegen
§ 36 Abs. 1 AsylG verstößt (vgl. im Einzelnen VG München, B.v. 21.11.2017 – M 9 S 17.45552), ist für den Rechtsschutz des Klägers nicht relevant.
Der streitgegenständliche Bescheid wird nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO aufgehoben. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).