Europarecht

Unzulässiger Asylantrag wegen Schutzgewährung in Rumänien

Aktenzeichen  Au 4 K 17.34984

Datum:
4.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 9282
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
EMRK Art. 3
VwGO § 84 Abs. 4
GRCh Art. 4
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

Es liegen keine Anhaltspunkte daür vor, dass die Lebensbedingungen anerkannt Schutzberechtigter in Rumänien, insbesondere in Bezug auf Wohnraum, Sach- und Geldleistungen sowie die Versorgung im Krankheitsfall, unzumutbar sind bzw. den Grad unmenschlicher Behandlung übersteigen. Aus diesen Gründen besteht für die Kläger auch kein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots gem. § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Ablehnung des Asylantrags der Kläger als unzulässig ist rechtmäßig erfolgt; den Klägern steht auch der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten gem. § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG nicht zu. Der streitgegenständliche Bescheid vom 11. Oktober 2017 ist jedenfalls nicht zu Lasten der Kläger rechtswidrig und verletzt die Kläger daher nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO).
Das Gericht folgt der Begründung des in dieser Sache ergangenen Gerichtsbescheids vom 15. März 2018 und nimmt hierauf Bezug (§ 84 Abs. 4 VwGO).
Ergänzend ist, insbesondere im Hinblick auf das Vorbringen der Kläger nach Ergehen des Gerichtsbescheids und in der mündlichen Verhandlung, folgendes auszuführen:
Die Vorschrift des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, wonach ein Asylantrag unzulässig ist, wenn – wie im Fall der Kläger – ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU) bereits internationalen Schutz gewährt hat, beruht auf (höherrangigem) Unionsrecht, namentlich auf Art. 33 Abs. 2 Buchst. a) der Richtlinie 2013/32/EU (so genannte Asylverfahrensrichtlinie). Diese Richtlinie ist Teil des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, welches unter anderem einen (EUweit) einheitlichen Asylbzw. Schutzstatus umfasst (vgl. Art. 78 Abs. 2 Buchst. a) und b) AEUV), dem das gegenseitige Vertrauen der EU-Mitgliedstaaten zu Grunde liegt und dessen Ziel es unter anderem ist, die in erheblichem Umfang stattfindende Sekundärmigration von Schutzberechtigten und das sogenannte „asylum shopping“ zu verhindern (vgl. BVerwG, B.v. 27.6.2017 – 1 C 26/16 – juris Rn 33). Gerade Fälle wie der vorliegende, wenn ein Schutzsuchender in Wahrheit einen bestimmten EU-Mitgliedstaat erreichen möchte (vgl. Bundesamtsakte, Bl. 121) und deshalb einen anderen EU-Mitgliedstaat, der ihm Schutz gewährt hat, wieder verlässt, sollen nach dem Wortlaut sowie nach dem Sinn und Zweck der genannten Regelungen ausgeschlossen werden.
Davon, dass die genannten unionsrechtlichen und innerstaatlichen Umsetzungsnormen im Fall der Kläger nicht zur Anwendung kommen könnten, weil dies Unionsgrundrechte, namentlich Art. 4 EU-GR-Charta (Verbot der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung), verletzen würde, geht das Gericht auch weiterhin nicht aus.
Zunächst ist zu berücksichtigen, dass sich die Kläger ganz bewusst nach Rumänien begeben haben, weil dort ihre Tochter lebte. Insofern konnten die dortigen Lebensbedingungen für anerkannt Schutzberechtigte für sie nicht überraschend sein. Hierfür spricht auch, dass sich die Kläger nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung einen größeren, nämlich für ca. 2 ½ Monate ausreichenden Medikamentenvorrat aus Syrien mitgenommen hatten; die Kläger gingen also offenbar selbst davon aus, dass die Lebensbedingungen in Rumänien für sie nicht dergestalt sein würden, dass eine unmittelbar anschließende medizinische Versorgung gewährleistet sein würde. Angesichts dieser gezielten und bewussten Einreise nach Rumänien ist es widersprüchlich, wenn die Kläger nunmehr die Verweisung auf den ihnen in Rumänien zuerkannten Schutz damit in Frage zu stellen bzw. Abschiebungsverbote daraus herzuleiten suchen, dass für sie die Lebensbedingungen in Rumänien, insbesondere auf Grund unzureichender medizinischer Versorgung, unzumutbar bzw. den Grad unmenschlicher Behandlung übersteigend seien.
Im Übrigen haben sich die Kläger zur Überzeugung des Gerichts zu kurz in Rumänien aufgehalten, um substantiiert zu den Lebensbedingungen für sie als anerkannt schutzberechtigte vortragen zu können. Nach den Feststellungen des Bundesamts (Bundesamtsakte, Bl. 147 f.) ist den Kläger in Rumänien am 23. März 2017 internationaler Schutz gewährt worden; die Angaben der Kläger in der mündlichen Verhandlung entsprechen dem in etwa. Bereits am 18. Juni 2017 haben sie ihren Angaben zu folge Rumänien wieder verlassen, so dass die Kläger nicht einmal drei Monate als Schutzberechtigte in Rumänien aufgehalten haben. Nach der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 5. Dezember 2017 führt die rumänische Einwanderungsbehörde für anerkannt Schutzberechtigte mindestens sechsmonatige Integrationsprogramme durch; dieser Zeitraum erscheint angesichts des (selbstverständlich) nötigen „Ankommens“ und „Einlebens“ in dem fremden Land – einschließlich der zu entwickelnden Eigeninitiative – als Minimum dessen, was zu fordern ist, damit der anerkannt Schutzberechtigte eine belastbare Aussage zu den ihn betreffenden Lebensbedingungen machen kann. Diesen Zeitraum haben die Kläger während ihres Status als anerkannt Schutzberechtigte bei weitem nicht erreicht; dem Vorbringen der Kläger lässt sich auch nichts dazu entnehmen, dass sie an einem solchen Integrationsprogramm teilgenommen haben. Vielmehr ist klägerseits eingeräumt worden, Dokumente zur Zuerkennung des Schutzes in Rumänien vernichtet zu haben (Bundesamtsakte, Bl. 109). Eine nähere Überprüfung, wie mit dem Asylantrag und dem Schutzstatus der Kläger in Rumänien umgegangen wurde, haben die Kläger damit selbst verhindert.
Überdies haben die Kläger, wie erwähnt, selbst eingeräumt, dass von Anfang an Deutschland ihr Ziel gewesen sei. Insofern ist davon nicht auszugehen, dass die Kläger mit der nötigen Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit versucht haben, in Rumänien ein Leben als anerkannt Schutzberechtigte zu führen und sich um den Erhalt staatlicher Leistungen zu bemühen. Zur Überzeugung des Gerichts sind ihre Angaben daher auch deshalb nicht in der Lage, in belastbarer Weise die Lebensbedingungen anerkannt Schutzberechtigter in Rumänien darzutun. Dass staatliche Unterstützungsmaßnahmen als solche existieren und beantragt werden können, ergibt sich auch aus den Angaben der Kläger in der mündlichen Verhandlung.
Ebenso ergeben sich, wie bereits im Gerichtsbescheid ausgeführt, aus der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 5. Dezember 2017 keine Anhaltspunkte für eine menschenunwürdige Behandlung anerkannt Schutzberechtigter in Rumänien, insbesondere in Bezug auf Wohnraum, Sach- und Geldleistungen sowie Versorgung im Krankheitsfall. Die klägerseits vorgelegte Anfragebeantwortung des ACCORD Österreich rechtfertigt keine andere Beurteilung. Vielmehr werden darin die Ansprüche und Rechte anerkannt Schutzberechtigter in Rumänien in ähnlicher Weise dargestellt wie in der Auskunft des Auswärtigen Amtes. Zwar wird dort wiederholt auf praktische Schwierigkeiten bzw. Hindernisse sowie auf eine nachteilige Position bei der Inanspruchnahme solcher Ansprüche und Rechte hingewiesen. Dass sich jedoch Schutzberechtigte, die etwa (zunächst) die Sprache des Aufnahmelandes nicht sprechen sowie aus einen anderen Kulturkreis stammen, schwerer tun etwa bei der Inanspruchnahme staatlicher Leistungen, beim Umgang mit Behörden und bei der Lebensgestaltung, ist eine Selbstverständlichkeit. Dass in Rumänien mit Blick auf die Situation anerkannt Schutzberechtigter grundlegende Defizite bestehen oder die Schutzberechtigten von den nötigen Leistungen und Ressourcen praktisch ausgeschlossen wären, lässt sich dem Dokument nicht entnehmen. Vielmehr wird dort ausdrücklich ausgeführt, das vom UNHCR Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte in Rumänien nicht explizit als gefährdete Gruppen oder Gruppen mit speziellen Bedürfnissen anerkannt seien (S. 3 f; die deutsche Übersetzung übersieht die Erwähnung von Flüchtlingen – „refugees“ – im englischen Text).
Auch aus der klägerseits vorgelegten Entscheidung des VG Karlsruhe (U.v. 2.4.2012 – A 9 K 782/12) ergibt sich keine andere Beurteilung. Zum einen betrifft diese eine „Dublin“-Entscheidung, also nicht die hier in Rede stehende Situation anerkannt Schutzberechtigter. Zum anderen lässt sich der Entscheidung nicht entnehmen, welchen Datums die von ihm vorgelegten Erkenntnisquellen sind. Soweit auf eine UNHCR-Studie verwiesen wird, ist darauf zu verweisen, dass das genannte Dokument von ACCORD ebenfalls den UNHCR zitiert, sich dort allerdings – wie ausgeführt –Aussagen des UNHCR, wie im Urteil des VG Karlsruhe zitiert, nicht finden. Selbst wenn den vom VG Karlsruhe herangezogenen Erkenntnisquellen Relevanz für die vorliegende Konstellation beigemessen werden könnte, wären diese durch die aktuelle Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 5. Dezember 2017, aber auch durch die vom Kläger vorgelegte Unterlage von ACCORD vom 13. Mai 2014 als überholt einzustufen. Im Übrigen geht das VG Karlsruhe jedenfalls mittlerweile selbst – wie eine Vielzahl anderer Gerichte – davon aus, dass in Rumänien keine systemischen Mängel i.S.d. Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO bestehen (VG Karlsruhe, B.v. 12.9.2017 – A 1 K 10625/17 – juris Rn. 7 m.w.N.), so dass keine Verletzung des Art. 4 EU-GR-Charta zu befürchten ist.
Aus diesen Gründen liegt für die Kläger auch kein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots gem. § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG vor (vgl. nunmehr auch VG Ansbach, U.v. 26.3.2018 – AN 17 K 18.50055 – juris Rn. 28 ff. unter Heranziehung insbesondere der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 5.12.2017). Bei Würdigung der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisquellen, einschließlich der vom Kläger vorgelegten Dokumente, geht das Gericht nicht davon aus, dass für die Kläger eine Gefahr für die Verletzung des Art. 3 EMRK bestünde; ebenso ist nicht anzunehmen, das sich die den Klägern attestierten Krankheiten wesentlich verschlechtern würden. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die Kläger in Rumänien in benötigtem Umfang Zugang zur medizinischen Versorgung hätten und die nötigen Medikamente erhalten würden. Dass die nötigen Medikamente als solche in Rumänien zu Verfügung stehen, haben die Kläger in der mündlichen Verhandlung selbst bestätigt. Nicht erforderlich ist, dass die Kläger die benötigten Medikamente kostenfrei erhalten würden; insofern konnte die in dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag unter Beweis gestellte Tatsache als wahr unterstellt werden. Entscheidend ist, dass den herangezogenen Erkenntnisquellen – auch der von der Klägerseite vorgelegten Unterlage – zu entnehmen ist, dass Anspruch auf medizinische Versorgung wie für rumänische Staatsbürger besteht. Zwar ist in dem Dokument von ACCORD davon die Rede, dass Beiträge an die Krankenkassen gezahlt werden müssten; dem lässt sich aber nichts dazu entnehmen, dass dies in der Praxis dazu führen würde, dass für anerkannt Schutzberechtigte in Wahrheit doch keine medizinische Versorgung bestünde oder diese ernsthaft gefährdet wäre. Nachdem, wie ausgeführt, die klägerseits vorgelegte Unterlage ansonsten wiederholt auf praktische Schwierigkeiten und Hindernisse für anerkannt Schutzberechtigte hinweist, ist davon auszugehen, dass ein entsprechender Hinweis auch an dieser Stelle erfolgt wäre, sollte die medizinische Versorgung in der Praxis nicht gewährleistet sein. Dies ist nicht geschehen. Vielmehr führt die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 5. Dezember 2017 überzeugend aus (S. 6 unten), dass der Zugang zu medizinischer Versorgung „tatsächlich jederzeit gewährleistet“ sei. Im Übrigen ist auch für nichtversicherte Personen eine medizinische Notfallversorgung gewährleistet (Auswärtiges Amt vom 5.12.2017, S. 4), so dass eine unmenschliche Behandlung gem. Art. 3 EMRK oder eine wesentliche Verschlechterung einer schwerwiegenden Erkrankung gem. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG ausgeschlossen ist. Erneut (vgl. bereits Gerichtsbescheid, Rn. 19) ist zudem auf § 60 Abs. 7 Satz 3 und 4 AufenthG zu verweisen, wonach die medizinische Versorgung im Zielstaat (Rumänien) nicht mit der Versorgung in der Bundesrepublik gleichwertig sein braucht und dass eine ausreichende medizinische Versorgung in der Regel auch dann vorliegt, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist.
Das Gericht geht ferner weiterhin davon aus, dass die Kläger auch mit Blick auf ihr Alter in Rumänien – unter Inanspruchnahme der staatlich zur Verfügung stehenden Programme und Leistungen – ihren Lebensunterhalt bestreiten und auch sonst zu Recht kommen würden. Eine Rückkehr nach Rumänien vorausgesetzt, würde dies zwar durchaus erhebliche Anstrengungen und ein gehöriges Maß an Eigeninitiative erfordern, was den Klägern jedoch zuzumuten, aber auch, gerade auch angesichts ihres Bildungsniveaus, zuzutrauen ist. Der Kläger zu 1 verfügt über einen Universitätsabschluss und hat als Geographielehrer gearbeitet (Bundesamtsakte, Bl. 59). Auch die Klägerin zu 2 verfügt über einen überdurchschnittlichen Bildungsabschluss, hat sie doch beim Bundesamt angegeben, über Abitur zu verfügen (Bundesamtsakte, Bl. 69).
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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