Aktenzeichen 20 BV 17.1560
VO (EG) Nr. 178/2002 Art. 3 Nr. 7, Art. 19
VO (EG) Nr. 852/2004 Art. 4
Leitsatz
1. „Handel“ iSv Art. 2 lit. c) und d) der VO (EG) Nr. 2073/2005 meint nicht nur den klassischen Einzelhandel, sondern auch die Gastronomie bzw. Gemeinschaftsverpflegung, zumal Art. 3 Nr. 7 der VO (EG) Nr. 178/2002 ausdrücklich Restaurants dem Einzelhandel zuordnet. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei einem festgestellten Salmonellenbefall an Fleischspießen eines Lebensmittelunternehmens, welches tiefgefrorene Fleischdrehspieße für den Einzelhandel produziert, handelt es sich um ein Lebensmittelsicherheitskriterium nach Art. 2 lit. c) der VO (EG) Nr. 2073/2005 und nicht lediglich um ein Prozesshygienekriterium nach Art. 2 lit. d) der VO (EG) Nr. 2073/2005. (Rn. 21 – 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Art. 7 Abs. 2 der VO (EG) 2073/2005 enthält eine Rechtsfolgenverweisung und keine Rechtsgrundverweisung. Ein Rückgriff auf die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 19 VO (EG) Nr. 178/2002 ist deshalb nicht mehr erforderlich. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
Au 1 K 16.1531 2017-07-04 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg
Tenor
I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 4. Juli 2017 wird geändert. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt die Klägerin.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
Die zulässige Berufung ist begründet.
Die von der Klägerin erhobene allgemeine Feststellungsklage (§ 43 Abs. 1 VwGO) ist zulässig, aber unbegründet, so dass das stattgebende Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen wird.
Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, festzustellen, dass sie nicht verpflichtet ist, in jedem Fall zwingend bei einem Salmonellenbefall im Produktionsprozess die betroffene Charge zurückzunehmen bzw. dies im Hygienekonzept vorzuschreiben. Vielmehr ist die Klägerin nach Art. 7 Abs. 2 Satz 1 der VO (EG) 2073/2005 verpflichtet, bereits ausgelieferte Dönerspieße aus ihrer Herstellung vom Markt zu nehmen, wenn bei einer Untersuchung das nach Anhang I Kapitel 1 Nr. 1.5 oder 1.6 festgelegte Lebensmittelsicherheitskriterium bezüglich des Nachweises von Salmonellen nicht erfüllt ist und damit unbefriedigende Ergebnisse liefert. Diese Verpflichtung ist von der Klägerin bei der Durchführung allgemeiner und spezifischer Hygienemaßnahmen gemäß Art. 4 der VO (EG) 852/2004 zu beachten.
Mit der VO (EG) Nr. 2073/2005 werden mikrobiologische Kriterien sowie die Durchführungsbestimmungen festgelegt, die von Lebensmittelunternehmern bei der Durchführung von Hygienemaßnahmen gemäß Art. 4 VO (EG) Nr. 852/2004 einzuhalten sind (Art. 1 VO (EG) Nr. 2073/2005). Nach Art. 7 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 2073/2005 sind für den Fall, dass eine Untersuchung der in Anhang I Kapitel 1 der Verordnung festgelegten Kriterien zu unbefriedigenden Ergebnissen führt, bestimmte Maßnahmen nach dieser Vorschrift sowie dem HACCP-Konzept des Unternehmers zu ergreifen. Art. 7 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2073/2005 bestimmt deshalb, dass das Lebensmittel gemäß Art. 19 VO (EG) Nr. 178/2002 vom Markt zu nehmen oder zurückzurufen ist, sofern die Untersuchung anhand der Lebensmittelsicherheitskriterien nach Anhang I Kapitel 1 unbefriedigende Ergebnisse liefert.
Die Verpflichtung zur Rücknahme nach Art. 7 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 2073/2005 setzt zunächst voraus, dass es sich bei einem entsprechenden Salmonellenbefund um ein Lebensmittelsicherheitskriterium handelt. Zutreffend geht hierbei das Verwaltungsgericht noch davon aus, dass ein solcher Salmonellenbefund bei der durch die Klägerin im Rahmen ihres HACCP-Konzeptes veranlassten Untersuchung ein Lebensmittelsicherheitskriterium im Sinne des Art. 2 lit. c) VO (EG) Nr. 2073/2005 darstellt, wenn der entsprechende Drehspieß bereits ausgeliefert und noch nicht verzehrt wurde. Nach Art. 2 lit. c) VO (EG) Nr. 2073/2005 ist ein Lebensmittelsicherheitskriterium ein Kriterium, mit dem die Akzeptabilität eines Erzeugnisses oder einer Partie Lebensmittel festgelegt wird und das für im Handel befindliche Erzeugnisse gilt. Dadurch, dass im Anhang I der VO (EG) Nr. 2073/2005 unter Nr. 1.5 bzw. Nr. 1.6 die Lebensmittelsicherheitskriterien für Hackfleisch/Faschiertes und Fleischzubereitungen aus Geflügelfleisch bzw. aus anderen Fleischarten als Geflügel, die zum Verzehr im durcherhitztem Zustand bestimmt sind, dahingehend festgelegt wurden, dass bei in Verkehr gebrachten Erzeugnissen während der Haltbarkeitsdauer in einer Probe von 25 g bzw. 10 g Hackfleisch, Faschiertem bzw. Fleischzubereitungen Salmonellen nicht nachweisbar sein dürfen, gilt kraft Gesetzes, dass es sich um ein Kriterium handelt, welches die Akzeptabilität der Fleischspiesse der Klägerin betrifft. Die weitere Voraussetzung des Art. 2 lit. c) VO (EG) Nr. 2073/2005, dass sich das Erzeugnis im Handel befindet, ist ebenso erfüllt. Zwar wird der Fleischdrehspieß während bzw. kurz nach dem eigentlichen Herstellungsprozess und noch vor Auslieferung beprobt und damit noch während des Herstellungsprozesses. Das positive Salmonellenergebnis, und darauf stellt Art. 7 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 2073/2005 maßgeblich ab, liegt jedoch erst dann vor, wenn die Fleischspieße durch die Klägerin bereits an ihre Kunden ausgeliefert und damit in den Verkehr gebracht wurden. Folglich befindet sich der Fleischspieß im Handel und damit ist der positive Salmonellenbefund nach Art. 2 lit d) VO (EG) Nr. 2073/2005 kein Prozesshygienekriterium. Warum, wie die Klägerin meint, mit dem Begriff „Handel“ nur der klassische Einzelhandel und nicht die Gastronomie gemeint sein soll, ist nicht ersichtlich, zumal Art. 3 Nr. 7 der VO (EG) Nr. 178/2002 ausdrücklich Restaurants dem Einzelhandel zuordnet. Die Verantwortung der Klägerin als Lebensmittelunternehmerin endet nicht, sobald fertig gestellte Dönerspieße den Herstellungsbereich verlassen haben und an die Gastronomie ausgeliefert worden sind. Würde es sich nämlich bei einer positiven Salmonellenbeprobung während des Herstellungsprozesses, deren Ergebnis erst nach Inverkehrbringen des Lebensmittels feststeht, um ein Prozesshygienekriterium handeln, so käme eine Rücknahme bzw. ein Rückruf dieses Lebensmittels nach Art. 7 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 2073/2005 grundsätzlich nicht in Betracht. Dies lässt sich mit dem Wortlaut der Regelung nicht vereinbaren. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus Art. 17 Abs. 1 VO (EG) Nr. 178/2002, denn dieser begründet auf allen Vertriebsstufen die Verantwortlichkeit des Lebensmittelunternehmers und lässt sie nicht am Ende der Produktions- und Verarbeitungsstufe enden. Andernfalls müsste bei einer Auslieferung der beprobten Ware dem Umstand Rechnung getragen werden, dass erst nach ca. fünf Tagen das Ergebnis der Untersuchungen vorliegt.
Handelt es sich demnach bei dem festgestellten Salmonellenbefall an den Fleischspießen der Klägerin um ein Lebensmittelsicherheitskriterium nach Art. 2 lit. c) VO (EG) Nr. 2073/2005, so stellt sich die für den Rechtsstreit entscheidungserhebliche Frage, ob damit die nach Art. 7 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 2073/2005 angeordnete Rücknahmepflicht ausgelöst wird, oder ob, wie vom Verwaltungsgericht bejaht, durch den Verweis auf Art. 19 VO (EG) Nr. 178/2002 dessen Tatbestandsvoraussetzungen, insbesondere das des unsicheren Lebensmittels, im konkreten Einzelfall vorliegen müssen.
Die Auslegung des Artikels 7 Abs. 2 VO (EG) 2073/2005 durch den Senat ergibt, dass die zwingende Rechtsfolge der Rücknahme oder des Rückrufs bereits dann ausgelöst wird, wenn eine Untersuchung anhand der Lebensmittelsicherheitskriterien nach Anhang I Kapitel 1 Nrn. 1.5 und 1.6 ein unbefriedigendes Ergebnis liefert. Der Wortlaut der Vorschrift lässt entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts keinen überzeugenden Schluss darüber zu, dass durch den Verweis auf Art. 19 VO (EG) Nr. 178/2002 zusätzlich dessen Tatbestand für eine Rücknahme der Drehspieße eröffnet sein soll. Zwar lässt der Wortlaut der Vorschrift dem Grunde nach sowohl eine Deutung als Rechtsgrundverweisung als auch als Rechtsfolgeverweisung zu. Schlüssige Argumente sprechen jedoch dafür, dass die Rechtsfolge unmittelbar durch das Vorliegen eines unbefriedigenden Ergebnisses hinsichtlich eines Lebensmittelsicherheitskriteriums ausgelöst werden soll. Mit dem ausdrücklichen Verweis auf Art. 19 VO (EG) Nr. 178/2002 hat der europäische Gesetzgeber gerade dem Gebot der Einheit des Unionsrechtes Rechnung getragen. Denn mit der sog. Lebensmittelbasisverordnung VO (EG) Nr. 178/2002 wurden allgemeine Grundsätze des europäischen Lebensmittelrechts geschaffen (vgl. Art. 1 Abs. 1 und 2 VO (EG) Nr. 178/2002). Hierzu gehören auch die lebensmittelrechtliche Verantwortung des Lebensmittelunternehmers nach Art. 19 VO (EG) Nr. 178/2002 und die dort genannten Rechtsfolgen der Rücknahme und des Rückrufs. Mit der VO (EG) 2072/2005 wurden darauf aufbauend mikrobiologische Kriterien für Lebensmittel festgelegt. Dies zeigt anschaulich dessen Erwägungsgrund Nr. 3. Dort heißt es: „Die Verordnung (EG) Nr. 178/2002 legt allgemeine Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit fest, nach denen Lebensmittel, die nicht sicher sind, nicht in Verkehr gebracht werden dürfen. Lebensmittelunternehmer müssen Lebensmittel, die nicht sicher sind, vom Markt nehmen. Als Beitrag zum Schutz der öffentlichen Gesundheit und zur Verhinderung unterschiedlicher Auslegungen sollten harmonisierte Sicherheitskriterien für die Akzeptabilität von Lebensmitteln festgelegt werden, insbesondere, was das Vorhandensein bestimmter pathogener Mikroorganismen anbelangt.“ Damit zeigt sich, dass der europäische Verordnungsgeber die Frage, ob ein Lebensmittel sicher ist, was das Vorhandensein von pathogenen Mikroorganismen angeht, mit der Einführung von Lebensmittelsicherheitskriterien verknüpft hat, um einheitliche Standards in der Europäischen Union zu gewährleisten. Folglich liegt eben kein Widerspruch zur Lebensmittelbasisverordnung vor. Ein Lebensmittel, welches bei einer Untersuchung ein Lebensmittelsicherheitskriterium auslöst, gilt damit kraft der Bestimmung als Lebensmittelsicherheitskriterium als nicht sicher. Ein Rückgriff auf die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 19 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 ist damit nicht mehr erforderlich.
Soweit sich die Klägerin diesbezüglich auf die 21. Begründungserwägung der Verordnung (EG) Nr. 2073/2005 beruft, wonach der Hersteller eines Lebensmittels entscheiden müsse, ob das Erzeugnis verzehrfertig sei, ohne gekocht oder anderweitig verarbeitet zu werden, damit sichergestellt sei, dass es unbedenklich – d.h. sicher – sei und die mikrobiologischen Kriterien einhalte, führt das zu keinem anderen Ergebnis. Denn dies bedeutet nicht, dass nach dem HACCP-Konzept positiv auf Salmonellen untersuchte Dönerspieße durch einen entsprechenden Verzehrhinweis grundsätzlich als sicheres Lebensmittel zu bewerten sind. Es handelt sich vielmehr dabei um einen Hinweis, wie das Lebensmittel im Allgemeinen zu verwenden ist, um auch das Risiko einer mikrobiellen Erkrankung des Endverbrauchers durch den Verzehr des Lebensmittels zu minimieren.
Für das so gefundene Ergebnis spricht auch die Regelung des Art. 7 Abs. 2 Sätze 2 und 3 VO (EG) Nr. 2073/2005. Danach können bereits in Verkehr gebrachte Erzeugnisse, die noch nicht im Einzelhandel angelangt sind und die Lebensmittelsicherheitskriterien nicht einhalten, einer weiteren Verarbeitung unterzogen werden, die die entsprechende Gefahr beseitigt. Diese Behandlung kann nur von anderen Lebensmittelunternehmern als denjenigen auf Einzelhandelsebene durchgeführt werden. Die Regelung macht deutlich, dass es nicht darauf ankommen kann, wie das Erzeugnis im Einzelfall nach Art. 19 und 14 VO (EG) Nr. 178/2002 bewertet wird. Andernfalls würde ein Wertungswiderspruch entstehen. Befindet sich nämlich der positiv beprobte Dönerspieß bereits im Einzelhandel, so würde er mit entsprechendem Verzehrhinweis als sicher erachtet. Befindet er sich dagegen noch nicht im Einzelhandel, so wäre nur eine weitere Verarbeitung durch einen anderen Lebensmittelunternehmer zulässig. Damit wird deutlich, dass Erzeugnisse, welche die Kriterien des Anhangs I Kapitel 1 der VO (EG) Nr. 2073/2005 nicht einhalten, grundsätzlich nicht in den Handel gelangen dürfen, andernfalls wieder vom Markt zu nehmen sind. Diese Regelung gilt für alle Lebensmittelunternehmer im Sinne des Art. 3 Nr. 3 VO (EG) Nr. 178/2002 und ist damit im Hinblick auf die Berufsfreiheit und den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zu beanstanden.
Sind demnach die Dönerspieße der Klägerin, welche positiv auf Salmonellen getestet werden, gemäß Art. 7 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 2073/2005 zwingend zurückzunehmen, kommt es auf die weiter zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob der Hinweis „Vor Verzehr vollständig durchgaren!“ im Einzelfall die Lebensmittelsicherheit gewährleisten kann, nicht mehr an.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO, 708 ff. ZPO.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zugelassen.