Aktenzeichen M 25 K 18.5262
Leitsatz
1 Wurde der Kläger zu insgesamt 320 Tagessätzen verurteilt, ist die Unbeachtlichkeitsgrenze des § 12a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StAG deutlich überschritten; die Überschreitung der Grenze um mehr als ein Drittel ist nicht mehr als geringfügig anzusehen. (Rn. 22 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine besondere Härte kann nur dann in Betracht gezogen werden, wenn allein die letzte Straftat dazu geführt hat, dass frühere Straftaten nicht getilgt werden konnten, die letzte Straftat Bagatellcharakter hat und dem Einbürgerungsbewerber ein vorläufiges Verbleiben im Status des Ausländers nicht zuzumuten ist. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3 Für den Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Einbürgerungsantrag ist maßgeblich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abzustellen. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte in gleicher Höhe vorher Sicherheit leistet.
Gründe
Die Klage ist sowohl im Haupt- als auch im Hilfsantrag zulässig, jedoch unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Einbürgerungszusicherung. Ein Anspruch des Klägers gegenüber dem Beklagten, über den Einbürgerungsantrag gemäß dem StAG in der Fassung vor dem 19. August 2007 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden, besteht ebenfalls nicht.
1. Maßgeblich für den vom Kläger mit dem Hauptantrag verfolgten Anspruch auf Einbürgerungszusicherung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (BVerwG, U.v. 20.10.2005 – 5 C 17.05 – juris Rn. 12; BVerwG, U.v. 5.6.2014 – 10 C 2/14 – juris – Rn. 10). Abzustellen ist mithin auf das StAG vom 22. Juli 1913 in der Fassung vom 11. Oktober 2016.
Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Einbürgerungszusicherung liegen nicht vor. Ein möglicher Anspruch auf Erteilung einer Einbürgerungszusicherung, die grundsätzlich im Ermessen der Behörde liegt, setzt jedenfalls voraus, dass, mit Ausnahme der Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit, die sonstigen Voraussetzungen eines Einbürgerungsanspruchs gegeben sind. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Denn bei § 8 StAG handelt es sich um eine Ermessensvorschrift, aus welcher sich kein unmittelbarer Anspruch auf Einbürgerung ergibt. Für eine Ermessenreduzierung auf Null bestehen darüber hinaus keine Anhaltspunkte. Im vorliegenden Fall liegen bereits die Mindestvoraussetzungen des § 8 Abs. 1 Nr. 2 StAG nicht vor. Anhaltspunkte für das Vorliegen der Ausnahmetatbestände des § 8 Abs. 2 StAG bestehen ebenfalls nicht. Dem Beklagten war die Möglichkeit der Ermessenentscheidung schon nicht eröffnet.
Gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 2 StAG kann ein Ausländer, der rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat, auf seinen Antrag hin eingebürgert werden, wenn er weder wegen einer rechtswidrigen Tat zu einer Strafe verurteilt noch gegen ihn auf Grund seiner Schuldunfähigkeit eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet worden ist. Gemäß § 12a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StAG bleiben bei der Einbürgerung Verurteilungen zu Geldstrafe bis zu 90 Tagessätzen außer Betracht. Gemäß Satz 2 Halbsatz 1 sind bei mehreren Verurteilungen zu Geldstrafen im Sinne des Satzes 1 Nummer 2 diese zusammen zu zählen, es sei denn, es wird eine niedrigere Gesamtstrafe gebildet. Übersteigt die Strafe oder die Summe der Strafen geringfügig den Rahmen nach den Sätzen 1 und 2 des § 12a Abs. 1 StAG, so wird im Einzelfall entschieden, ob diese außer Betracht bleiben kann (§ 12a Abs. 1 Satz 3 StAG).
Im vorliegenden Fall wurde der Kläger zu insgesamt 320 Tagessätzen verurteilt. Die mit Urteil des Amtsgerichts vom 1. Oktober 2007 verhängte Geldstrafe in Höhe von 180 Tagessätzen ist mit der mit Urteil des Amtsgerichts vom 6. Juli 2012 verhängten Geldstrafe von 140 Tagessätzen insoweit zusammen zu zählen (§ 12a Abs. 1 Satz 2 StAG). Die Urteile sind rechtskräftig. Laut Mitteilung des Bundesamtes für Justiz vom 30. Januar 2013 werden die für den Kläger im Bundeszentralregister eingetragenen Verurteilungen bei weiterer Straffreiheit erst am 6. Juli 2022 tilgungsreif.
Damit ist die Unbeachtlichkeitsgrenze des § 12a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StAG deutlich überschritten. Die Überschreitung ist auch nicht geringfügig, denn bereits ein Überschreiten der Unbeachtlichkeitsgrenze um ein Drittel ist nicht mehr als geringfügig anzusehen (BVerwG, U.v. 20.3.2012 – 5 C 5/11 – juris; BVerwG, U.v. 5.6.2014 – 10 C 4/14 – juris – Rn. 13).
Im vorliegenden Fall liegen darüber hinaus auch die Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 StAG nicht vor.
Gemäß § 8 Abs. 2 StAG kann von den Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 4 StAG aus Gründen des öffentlichen Interesses oder zur Vermeidung einer besonderen Härte abgesehen werden. Zwar ist § 8 Abs. 2 StAG auch dann noch anwendbar, wenn, wie hier, die Grenze der Bagatellstraftaten mehr als geringfügig im Sinne von § 12a Abs. 1 Satz 3 StAG überschritten worden ist (BVerwG, U. v. 20.3.2012 – 5 C 5/11 – jurisRn. 38). Im Falle des Klägers sind jedoch weder Gründe des öffentlichen Interesses noch eine besondere Härte gegeben.
Ein öffentliches Interesse im Sinn des § 8 Abs. 2 StAG ist nur gegeben, wenn nach dem konkreten Sachverhalt ein sich vom Durchschnittsfall eines Einbürgerungsbegehrens abhebendes spezifisch staatliches Interesse an der Einbürgerung besteht, das es ausnahmsweise rechtfertigen kann, den Ausländer trotz mangelnder Unbescholtenheit einzubürgern. Nur bei Bestehen eines solchen durch staatliche Belange vorgegebenen öffentlichen Interesses verlangt die Vorschrift der Einbürgerungsbehörde die Betätigung ihres Einbürgerungsermessens ab (OVG Saarl, U.v. 28.6. 2012 – 1 A 35/12 – juris – Rn. 61). Ein staatliches Interesse an der Einbürgerung trotz Fehlens der Voraussetzungen von § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StAG besteht zum einen beim Wunsch Deutschlands, sich mit dem Einbürgerungswilligen zu schmücken (Thomas Oberhäuser in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 8 Rn. 73); erforderlich ist ein Erwünschtsein der Einbürgerung des Einbürgerungsbewerbers aufgrund allgemeiner politischer, wirtschaftlicher oder kultureller Gesichtspunkte (VG Stuttgart, U. v. 21.2.2017 – 11 K 5571/16 – juris – Rn. 29). Anhaltspunkte hierfür sind im Falle des Klägers nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen. Zum andern kann ein solches Interesse zu bejahen sein, wenn Gründe vorliegen, die entsprechend den StAR-VwV eine erleichterte Einbürgerung ermöglichen (Thomas Oberhäuser in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 8 Rn. 73). Auch dies ist vorliegend nicht der Fall. Allein der Umstand, dass sich der Kläger bereits seit 1994 in der Bundesrepublik befindet, reicht für die Annahme eines öffentlichen Interesses an seiner Einbürgerung nicht aus, zumal nicht ersichtlich ist, weshalb dieser Umstand eine besondere Fallkonstellation darstellen soll. Denn § 8 Abs. 2 StAG enthält nach der gesetzlichen Konzeption einen Ausnahmetatbestand und setzt daher voraus, dass der konkrete Fall sich in einer spezifischen Weise von der in der Regel zu beobachtenden Integration von Zuwanderern in die hiesigen Verhältnisse zusätzlich positiv abhebt (vgl. hierzu OVG Saarl., U.v. 28.6. 2012 – 1 A 35/12 – juris – Rn. 64). Anhaltspunkte hierfür sind nicht vorgetragen oder ersichtlich.
Eine besondere Härte im Sinne des § 8 Abs. 2 StAG ist im Falle des Klägers ebenfalls nicht gegeben. Denn das Vorliegen einer besonderen Härte ist als Ausnahmefall anzusehen, der das Bestehen von für den Einbürgerungsbewerber besonders beschwerenden Umständen voraussetzt, die im Einzelfall ein Absehen von darüber hinausgehenden strafrechtlichen Verurteilungen rechtfertigen. Eine solche Härte muss durch atypische Umstände des Einzelfalls bedingt sein, gerade durch die Verweigerung der Einbürgerung hervorgerufen werden und durch eine Einbürgerung vermieden oder zumindest entscheidend abgemildert werden können (BVerwG, U. v. 20.3. 2012 – 5 C 5.11 – juris – Rn. 39 m.w.N.; NdsOVG, U. v. 13.2.2013 – 13 LC 33/11 – juris – Rn. 47). Derartige Umstände bestehen im vorliegenden Fall nicht. Entgegen der Auffassung des Klägervertreters ist nicht ersichtlich, warum sich durch die Ablehnung des Einbürgerungsantrags eine unbillige Härte für den Kläger allein daraus ergeben sollte, dass er sich bereits seit 1994 in der Bundesrepublik befindet, arbeitet, gutes Deutsch spricht und integriert ist. Atypische Umstände des Einzelfalls sind im Falle des Klägers insofern nicht gegeben.
Im Hinblick auf das Erfordernis der Straffreiheit kann eine besondere Härte im Übrigen in Betracht gezogen werden, wenn allein die letzte Straftat dazu geführt hat, dass frühere Straftaten nicht getilgt werden können, die letzte Straftat Bagatellcharakter hat und dem Einbürgerungsbewerber ein weiteres vorläufiges Verbleiben im Status des Ausländers nicht mehr zuzumuten ist (VG Stuttgart, U. v. 21.2.2017 – 11 K 5571/16 – juris – Rn. 34). Diese Voraussetzungen sind vorliegend ebenfalls nicht erfüllt. Denn die letzte Straftat des Klägers (Urteil des Amtsgerichts München vom 6. Juli 2012) hat die Bagatellgrenze des § 12a Abs. 1 StAG erheblich überschritten (s.o.).
Nach alledem war dem Beklagten mithin schon kein Einbürgerungsermessen nach § 8 Abs. 2 StAG eröffnet.
Auf den Umstand, dass der Kläger ausweislich der Akten sowie in der mündlichen Verhandlung weder einen adäquaten Sprachnachweis noch einen Nachweis über den Einbürgerungstest vorlegen konnte, kommt es somit nicht mehr an, da die Voraussetzungen für eine Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG im Übrigen schon nicht vorliegen.
2. Der Hilfsantrag ist ebenfalls unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Einbürgerungsantrag unter Anwendung des StAG in der Fassung vor dem 19. August 2007. Entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten ist für die Beurteilung des Klägerbegehrens maßgeblich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abzustellen (BVerwG, U.v. 20.10.2005 – 5 C 17.05 – juris Rn. 12; BVerwG, U.v. 5.6.2014 – 10 C 2/14 – juris – Rn. 10). Anzuwenden ist mithin das StAG vom 22. Juli 1913 in der Fassung vom 11. Oktober 2016. Etwas anderes ergibt sich vorliegend auch nicht aus der Übergangsvorschrift des § 40c StAG, da der Kläger den Einbürgerungsantrag am 9. Februar 2018 und damit nach dem maßgeblichen Stichtag (30. März 2007) gestellt hat.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
4. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.