Europarecht

Visumerfordernis bei beabsichtigtem Daueraufenthalt eines serbischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  B 6 K 17.969

Datum:
5.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 24058
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Schengener Durchführungsübereinkommen
EG-VisaVO
AufenthG § 5, § 11, § 14 Abs. 1, § 28, § 36, § 50 Abs. 2, § 58, § 59
AufenthV § 39
SDÜ Art. 18
EMRK Art. 8

 

Leitsatz

1 Ein serbischer Staatsangehöriger ist auf Grund der unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig, wenn er nicht lediglich einen visumfreien Kurzaufenthalt, sondern von vornherein einen längerfristigen Aufenthalt „zur Familienzusammenführung“ beabsichtigt. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2 Wegen der Einreise ohne Visum kommt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht in Betracht. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1. Die zulässige Klage ist unbegründet.
1.1 Ziffer 1 des Bescheides vom 07.11.2017 ist gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht aufzuheben, weil die Feststellung, dass der Kläger vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen hat, rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzte.
Ist ein Ausländer gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG zur Ausreise verpflichtet, weil er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt, hat er gemäß § 50 Abs. 2 AufenthG das Bundesgebiet unverzüglich zu verlassen. Die Ausreisepflicht ist gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG vollziehbar, wenn der Ausländer unerlaubt eingereist ist. Gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist die Einreise eines Ausländers in das Bundesgebiet unerlaubt, wenn er den nach § 4 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt. Darüber hinaus ist die Ausreisepflicht gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 vollziehbar, wenn der Ausländer die Erteilung des erforderlichen Aufenthaltstitels zwar beantragt hat, aber trotz erfolgter Antragstellung der Aufenthalt nicht nach § 81 Abs. 3 AufenthG als erlaubt gilt, weil sich der Ausländer ohne einen Aufenthaltstitel nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.
Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bedürfen Ausländer für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels, sofern nicht durch Recht der Europäischen Union oder durch Rechtsverordnung etwas anderes bestimmt ist. Gemäß § 15 AufenthV richtet sich die Befreiung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern für Kurzaufenthalte nach dem Recht der Europäischen Union, insbesondere dem Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) und der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 (EG-VisaVO). Für serbische Staatsangehörige bestimmt Art. 1 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Anhang II EG-VisaVO, dass sie für einen Aufenthalt, der 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen nicht überschreitet, von der Pflicht, beim Überschreiten der Außengrenzen der Mitgliedstaaten im Besitz eines Visums zu sein, befreit sind. Gemäß Art. 20 Abs. 1 SDÜ können sichtvermerksfreie Drittausländer sich in dem Hoheitsgebiet der Vertragsparteien frei bewegen, höchstens jedoch 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen und soweit sie die in Art. 6 Abs. 1 Buchst. a, c, d und e der Verordnung (EU) 2016/399 (Schengener Grenzkodex – SKG) aufgeführten Einreisevoraussetzungen erfüllen. Gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. c SGK muss der Drittstaatsangehörige den Zweck und die Umstände des beabsichtigten Aufenthalts belegen. Beabsichtigt er von vornherein einen Aufenthalt von mehr als 90 Tagen Dauer, benötigt er ein nationales Visum für den längerfristigen Aufenthalt gemäß Art. 18 SDÜ, § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, § 6 Abs. 3 AufenthG und hält sich gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ungeachtet der Möglichkeit des visumfreien Kurzaufenthalts von Anfang an rechtswidrig im Bundesgebiet auf, wenn er kein entsprechendes nationales Visum besitzt (OVG Lüneburg, Beschluss vom 12.07.2012 – 8 ME 94/12, Rn. 5, juris).
Gemessen daran war der nicht im Besitz eines nationalen Visums befindliche Kläger sowohl gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 als auch gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig. Er ist unerlaubt eingereist und hat sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten, da angesichts seiner Angaben im Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vom 23.04.2017 sowie in der Vernehmung am 16.05.2017 kein Zweifel daran besteht, dass er nicht lediglich einen visumfreien Kurzaufenthalt, sondern von vornherein einen längerfristigen Aufenthalt „zur Familienzusammenführung“ beabsichtigt hatte.
1.2 Die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger einen Aufenthaltstitel zu erteilen, ist nicht gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 VwGO unter Aufhebung der Ziffer 2 des Bescheides vom 07.11.2017 auszusprechen, weil die Versagung eines Aufenthaltstitels rechtmäßig und der Kläger dadurch nicht in seinen Rechten verletzt ist.
Wie sich aus den Ausführungen unter 1.1 ergibt, lagen die Voraussetzungen des § 39 Satz 1 Nr. 3 AufenthV, wonach ein Ausländer einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet einholen kann, wenn er Staatsangehöriger eines in Anhang II EG-VisaVO aufgeführten Staates ist und sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, sofern die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der Einreise entstanden sind, schon deshalb nicht vor, weil der Kläger sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat. Demgemäß scheitert ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bereits an der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, wonach die Erteilung eines Aufenthaltstitels voraussetzt, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat. Zwar kann gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG hiervon abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Derartige Umstände sind aber ebenso wenig ersichtlich wie die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen des in Betracht zu ziehenden § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG. Danach ist die Aufenthaltserlaubnis dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Nach dem Vorbringen des Klägers im Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vom 23.04.2017, seine geschiedene Frau wolle ihm zur Hälfte das Sorgerecht sowie das Aufenthaltsbestimmungsrecht zurückgeben, hat er derzeit kein Sorgerecht für seinen Sohn. Außerdem müsste die Personensorge auch tatsächlich ausgeübt werden. Als Rechtsgrundlage für einen Nachzug des volljährigen Klägers zu seiner im Bundesgebiet lebenden Mutter kommt nur § 36 Abs. 2 AufenthG in Betracht, der als Ermessensvorschrift keinen Rechtsanspruch im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vermittelt.
1.3 Für die Anfechtungsklage gegen die Abschiebungsandrohung (Ziffer 3 des Bescheides vom 07.11.2017) ist mit der Abschiebung des Klägers am 01.06.2018 das Rechtsschutzbedürfnis entfallen, da eine Aufhebung der Abschiebungsandrohung keinen Sinn mehr ergeben würde.
Davon abgesehen war sie gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht aufzuheben, weil sie rechtmäßig und der Kläger dadurch nicht in seinen Rechten verletzt war. Gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist die in § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorgesehene Abschiebung eines Ausländers unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen, wobei gemäß § 59 Abs. 2 AufenthG in der Androhung der Staat bezeichnet werden soll, in den der Ausländer abgeschoben werden soll. In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG, d.h. wenn die Überwachung der Ausreise erforderlich ist, weil der Ausländer sich auf richterliche Anordnung in Haft befindet, bedarf es gemäß § 59 Abs. 5 AufenthG keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft abgeschoben, wobei die Abschiebung mindestens eine Woche vorher angekündigt werden soll. Gemäß § 59 Abs. 3 Sätze 1 und 2 AufenthG steht dem Erlass der Androhung das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen; in der Androhung ist gegebenenfalls lediglich der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Die Rechtmäßigkeit einer Abschiebungsandrohung setzt (nur) voraus, dass der Ausländer gemäß § 50 Abs. 1 AufenthG zur Ausreise verpflichtet ist. Gemessen daran begegnete die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung vom 07.11.2017 keinen Bedenken, weil der Kläger, wie sich aus den Ausführungen unter 1.1 ergibt, ausreisepflichtig war.
1.4 Schließlich begegnet auch die auf ein halbes Jahr befristete Untersagung der Wiedereinreise (Ziffer 4 des Bescheides vom 07.11.2017) keinen Bedenken. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot als solches ergibt sich dem Grunde nach unmittelbar aus § 11 Abs. 1 AufenthG, wonach ein Ausländer, der abgeschoben worden ist, weder erneut in das Bundesgebiet einreisen, noch sich darin aufhalten darf. Die Untersagung der Einreise hat demnach nur deklaratorische Wirkung. Gegen die gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG vorgeschriebene Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes ist die Verpflichtungsklage statthaft, da dem Kläger allein mit der Aufhebung der Befristung nicht gedient ist. Ein entsprechender Verpflichtungs- bzw. Bescheidungsantrag hätte gemäß § 113 Abs. 5 VwGO aber keinen Erfolg, weil die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes auf nur ein halbes Jahr ohne Zweifel rechtmäßig und der Kläger dadurch nicht in seinen Rechten verletzt ist.
2. Nach alledem ist die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der Kläger als unterliegender Teil die Kosten des Verfahrens trägt, abzuweisen.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 ZPO.

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