Europarecht

Voraussetzungen für das Bestehen eines Widerrufsrechts bei einem auf einer Messe geschlossenen Kauvertrag

Aktenzeichen  7 O 2383/15

Datum:
25.7.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 116888
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Traunstein
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 13, § 312b Abs. 2 S. 1, § 312g Abs. 1, § 355

 

Leitsatz

1. Ein auf einer Messe geschlossener Kaufvertrag ist nicht außerhalb von Geschäftsräumen im Sinne von § 312b Abs. 2 BGB geschlossen, wenn es sich bei dem Messestand des Unternehmers um einen beweglichen Gewerberaum handelt, in dem der Unternehmer seine Tätigkeit für gewöhnlich ausübt. In diesem Zusammenhang liegt Gewöhnlichkeit vor, wenn der Verbraucher am Ort des Geschäfts mit dem Auftreten des Unternehmers rechnen musste. Damit sind Messestände gemeint, an denen die für die betreffende Veranstaltung jeweils “typischen” Waren angeboten werden (bestätigt durch OLG München BeckRS 2017, 103848). (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Voraussetzungen für das Bestehen des Widerufsrechts sind vom Verbraucher zu beweisen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar in Höhe von 110 Prozent des zu vollstreckenden Betrages.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 10.595,20 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
A. Zulässigkeit
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Feststellungsinteresse der Klägerseite zu bejahen.
B. Begründetheit
Die Klage ist indes unbegründet, da dem Kläger ein Widerrufsrechts gemäß § 312 g Abs. 1 BGB nicht zustand, mithin der von ihm erklärte Widerruf gemäß § 355 Abs. 1 BGB mangels bestehenden Widerrufsrechts nicht wirksam war.
Gemäß § 312 g Abs. 1 BGB steht dem Verbraucher bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und bei Fernabsatzverträgen ein Widerrufsrecht gemäß § 355 BGB zu. Gemäß § 312 b Abs. 1 Nummer 1 sind außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge, Verträge, die bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Verbrauchers und des Unternehmers an einem Ort geschlossen werden, der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist. Gemäß § 312 b Abs. 2 BGB sind Geschäftsräume im Sinne des Absatzes 1 unbewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit dauerhaft ausübt, und bewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit für gewöhnlich ausübt. Bei dem Kläger liegen unstreitig die Tatsachen vor, die ihn zum Verbraucher im Sinne des § 13 BGB machen, bei der Beklagten liegen wiederum unstreitig die Tatsachen vor, welche ihre Unternehmereigenschaft begründen.
Der am 20.04.2015 auf der Messe in Rosenheim geschlossene streitgegenständliche Kaufvertrag wurde nicht außerhalb von Geschäftsräumen in diesem Sinne geschlossen, da es sich bei dem Messestand der Beklagten um einen beweglichen Gewerberaum gemäß § 312 b Abs. 2 BGB handelte, in dem die Beklagten ihre Tätigkeit für gewöhnlich ausübt. Dabei ist hinsichtlich der Abgrenzung der „für gewöhnlich“ betriebenen von einer „ausnahmsweisen“ gewerblichen Tätigkeit entscheidend darauf abzustellen, ob der Verbraucher am Ort des Geschäfts mit dem Auftreten des Unternehmers rechnen musste oder ob eine Überrumpelungssituation vorlag (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 10.06.2016, Beck RS 2016, 11358 mit Verweis auf Wendehorst in MüKo BGB, 7. Auflage 2016, § 312 b Randnummer 11 bis 14, 22). Es kommt mithin darauf an, ob die Art des betriebenen Geschäftes dort für gewöhnlich zu erwarten ist. Mit Rücksicht auf den Zweck der VRRL, den Verbraucher vor „unliebsamen Überraschungen“ zu schützen, sind hier daher nur die regulären Stände gemeint, an denen die für die betreffende Veranstaltung jeweils „typischen Waren“ angeboten werden (z. B. Uhren auf der Uhrenmesse oder Fische auf dem Fischmarkt), nicht jedoch andere Dinge, die mit dem eigentlichen „Motto“ der Veranstaltung nichts zu tun haben (vgl. Förster, die Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie in den §§ 312 ff. BGB – eine systematische Darstellung für Studium und Examen, JA 2014, 721 ff.).
Diese Auslegung basiert darauf, dass mit § 312 b Abs. 2 Satz 1 BGB das Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung vom 20.09.2013 (BGBL I 2013, 3642) in das Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen wurde (vgl. LG Freiburg, Beck RS 2015, 17953, bestätigt durch OLG Karlsruhe, Urteil vom 10.06.2016, Beck RS 2016, 11358). Nach der Gesetzesbegründung sind auch Marktstände sowie Stände auf Messen und Ausstellungen im Sinne der §§ 64, 65 der Gewerbeordnung als Geschäftsräume anzusehen, wenn der Unternehmer sein Gewerbe dort für gewöhnlich ausübt (a.a.O. mit Verweis auf BR Drucksache 817/12, Seite 80, BT Drucksache 17/12637, Seite 50). Diese Sichtweise folgt den Vorgaben der Verbraucherrichtlinie (Richtlinie 2011EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2011 über die Rechte der Verbraucher zur Abänderung der Richtlinie 93EWG des Rates und der Richtlinie 1999EEG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85EWG des Rates und der Richtlinie 97EG des Europäischen Parlaments und des Rates, AÖ 2011 L304/64, VRRL). (a.a.O.). Dort wird in Artikel 2 Ziffer 9 der Begriff der „Geschäftsräume“ bestimmt und unter b) ausgeführt: Bewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit für gewöhnlich ausübt. In Erwägungsgrund (22) VRRL wird dies erläutert: Als Geschäftsräume sollten alle Arten von Räumlichkeiten (die Geschäfte, Stände oder Lastwagen) gelten, an denen der Unternehmer sein Gewerbe ständig oder gewöhnlich ausübt (a.a.O.). Markt- und Messestände sollten als Geschäftsräume behandelt werden, wenn sie diese Bedingung erfüllen. Auch wenn die Richtlinie es zunächst zum Wortlaut her nahelegt, den Begriff des „gewöhnlich“ in Abgrenzung zum „ständig“ ausgeübten Gewerbe nur in zeitlicher Hinsicht und damit aus der Sicht des Unternehmers zu bestimmen, liegt es schon aufgrund der ratio legis fern, den genannten Begriff zur Durchsetzung des in Erwägungsgrund (21) VRRL verdeutlichten Schutzzweckes auch aus der Perspektive der Verbraucher zu interpretieren (a.a.O.). Dort heißt es: Außerhalb von Geschäftsräumen steht der Verbraucher möglicherweise psychisch unter Druck oder ist einem Überraschungsmoment ausgesetzt, wobei es keine Rolle spielt, ob der Verbraucher den Besuch des Unternehmers herbeigeführt hat oder nicht (a.a.O.). Erweiternd und in Konkretisierung der Verbraucherrichtlinie weist der Gesetzesentwurf der Bundesregierung in seiner Begründung (BR Drucksache 817/12, Seite 80) daher darauf hin, dass die Anwendung des Kriteriums der gewöhnlichen Ausübung der Tätigkeit des Unternehmers auch auf Markt und Messestände vor dem Hintergrund erfolgt sei, Verbraucher vor übereilten Vertragsschlüssen zu schützen, insbesondere in Fällen, in denen sie nicht mit einem Vertragsschluss über bestimmte Waren rechnen müssen (a.a.O.). Eine solche Situation würde regelmäßig nicht vorliegen, wenn der Verbraucher auf einem Wochenmarkt einkauft, an dem die selben Händler ihre Marktstände aufbauen und für einen Wochenmarkt typische Waren verkaufen (a.a.O.). Sie könne aber durchaus vorliegen, wenn dem Verbraucher überraschend fachfremde, nicht mit dem Thema der Messe oder Ausstellung im Zusammenhang stehenden Waren angeboten werden würden (a.a.O.). Gemäß den Begründungen des Deutschen Bundestags, Drucksache 17/12637, Seite 49 fällt unter einem außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag zunächst ein Vertrag, der bei gleichzeitiger Anwesenheit des Unternehmers und des Verbrauchers an einem Ort, der nicht zu den Geschäftsräumen des Unternehmers gehört geschlossen wird. Hierzu gehören insbesondere auch Verträge, die in einer Privatwohnung, am Arbeitsplatz, in einem Restaurant, das nicht Geschäftsraum des Vertrags schließenden Unternehmers ist, in einem Kurhaus oder auf allgemein zugänglichen Verkehrsflächen geschlossen werden. Hintergrund ist, dass der Verbraucher außerhalb von Geschäftsräumen möglicherweise psychisch unter Druck steht oder einem Überraschungsmoment ausgesetzt ist (Erwägungsgrund 21). Dabei ist die Klägerseite grundsätzlich beweisbelastet für das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen (vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2016, § 312 b Randnr. 63). Die Vorschrift des § 312 b verzichtet auf eine besondere gesetzliche Beweislastverteilung. Es gelten die allgemeinen Beweisgrundsätze. Danach sind die Voraussetzungen des Widerrufsrechts vom Verbraucher zu beweisen, darunter namentlich zu Vertragsanbahnungen einer der in Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 4 genannten Situation (vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2016, § 312 b Randnr. 63). Vorliegend ist es der Klägerseite nicht gelungen, den Nachweis dafür zu führen, dass die Beklagte nicht für gewöhnlich auf der Messe Rosenheim Einbauküchen verkaufte, entsprechender Verkauf auf der Messe Rosenheim für die Klägerseite mithin überraschend und in einer psychischen Drucksituation geschah. Hierzu im Einzelnen:
1. Zum Vortrag, es habe sich um eine reine Informationsmesse gehandelt Soweit die Klägerseite vorträgt, die Messe Rosenheim sei eine reine Informationsmesse, so dass der Kläger mit dem Verkauf – insbesondere teurerer Waren – nicht habe rechnen müssen, geht der Charakter der reinen Informationsmesse aus der Kopie des Internetangebots K 7 nicht hervor, da hier offensichtlich lediglich das Angebot einer Halle, nämlich der Regionalhalle 14, beschrieben wird. Der Geschäftsführer der die Ausstellung durchführenden und Zeuge hat im Rahmen seiner Einvernahme dargelegt, es handle sich bei der Messe … um eine Verkaufsmesse, da der Verkauf im Vordergrund stehe. Es handele sich um eine Verbrauchermesse, auf der Produkte gekauft, Dienstleistungen in Anspruch genommen und Informationen erlangt werden könnten (vgl. S. 2 Protokoll Bl. 52 d.A.). Die Angaben des Zeugen harmonieren mit den Darstellungen des von ihm übergebenen Messekatalogs (vgl. Anlage zum Protokoll): Bereits im Grußwort der Bayerischen Wirtschaftsministerin Aigner heißt es: „Der Messe wünsche ich schon jetzt einen erfolgreichen Verlauf und allen Ausstellern gute Geschäfte“ (S. 4 des Messekatalogs als Anlage zum Protokoll). Der Kläger selbst hat im Rahmen seiner Einvernahme dargelegt, dass ihm der Verkauf von Produkten, wie Töpfen und Fensterwischern, nicht entgangen ist. Für das Gericht steht aufgrund der glaubhaften Aussage des Zeugen, der sich auch aufgrund seiner ruhigen, sachlichen Aussage als glaubwürdig zeigte – aber auch der Angaben im Messekatalog, wie den Angaben des Klägers selbst fest, dass es sich bei der Messe zumindest auch um eine Verkaufsmesse und nicht um eine reine Informationsmesse handelt. Weiter geht das Gericht davon aus, dass der Kläger hiervon auch spätestens bei dem Spaziergang über die Messe und durch die „Zelte“, spätestens mit Erwerb des Fensterwischers Kenntnis hiervon hatte bzw. bei sorgfältigem Augenmerk hiervon Kenntnis erlangen musste. Der Produktverkauf auf der Messe war mithin für ihn nicht überraschend.
2. Überraschungsmoment durch Verkauf eines fachfremden Produkts Dem Kläger ist auch der Nachweis, wonach die Beklagte ein fachfremdes Produkt, mit dessen Verkauf auf der Messe nicht zu rechnen gewesen wäre, nicht gelungen.
Vielmehr geht bereits aus dem unstreitigen Vortrag hervor, dass die Messe in mit einer großen Spannbreite hinsichtlich ihres Branchen- und Warenangebots, insbesondere auch hinsichtlich Inneneinrichtung und Kücheneinrichtung auftrat, vgl. S. 9 ff des Messekatalogs als Anlage zum Protokoll. Nach unwidersprochenem Vortrag der Beklagtenseite stellten in Halle 9 wie sich auch aus dem entsprechenden Messemagazin ergibt diverse andere Aussteller mit einem breiten Branchenspektrum, insbesondere aber auch Bau und Inneneinrichtung aus. So ergeben sich beispielsweise als Aussteller in Halle 9 neben der Beklagten die Firma …, die Firma …, die Firma …, die Firma …, die Firma …, sowie die Firma … Diese Firmen werden dabei unter dem Themenbereich 1/Bauen (vgl. Seite 9 ff. des Katalogs) dargestellt. Damit musste aber auch der Verbraucher, der sich nicht vorab oder im Rahmen des Messekataloges mit den jeweiligen Branchen vertraut machte, sondern auch der zufällig „vorbeischauende“, durch die Hallen spazierende Messebesucher bei normaler Aufmerksamkeit das breit gefächerte Sortiment der Messe wahrnehmen. Diese Spannweite konnte auch einem Besucher, der das betreffende Warenverzeichnis so nicht kannte, bei situationsadäquater Aufmerksamkeit nicht entgehen (vgl. auch OLG Karlsruhe, Urteil vom 10.06.2016, Beck RS 2016, 11358). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Messe nicht auf einer frei zugänglichen Verkehrsfläche, wie etwa dem Wochenmarkt, stattfand, sondern der interessierte Erwachsene zunächst einmal über die Kassenpunkte mit ausgelegtem Informationsmaterial nach Begleichung eines entsprechenden Eintrittsgeldes in Höhe von 6,50 Euro die Messe bewusst betrat und dabei hinsichtlich dessen, was ihm für sein Eintrittsgeld angeboten wurde, ein gewisses Interesse (auch vorab) haben durfte. Dabei war es dem Messebesucher auch unproblematisch möglich bereits vor bzw. bei Eintritt in die Messe durch einen Blick in den frei ausliegenden Messekatalog bzw. auf des Hallenplans einen Überblick hinsichtlich der vertretenen Aussteller und ihrer konkreten Ausstellerorte zu erhalten. So hat der in diesem Zusammenhang vernommene Zeuge…, Geschäftsführer der …, glaubhaft dargelegt, man habe sich einen Geländeplan bzw. eine Gesamtübersicht hinsichtlich der Ausstellerstruktur der Messe und des Lageplans über das Internet, aber auch an den Kassen bzw. über die Tageszeitung verschaffen können. Wenngleich die jeweiligen Hallen im Eingangsbereich nicht nochmal näher beschrieben worden seien, seien die Messehallen selbst nummeriert gewesen und man habe die entsprechende Nummerierung als Besucher auch von außen erkennen können. Die einzelnen Messestände seien ebenfalls erkennbar nummeriert gewesen. Im Ausstellungs- bzw. Messekatalog könne man zum Einen die Aussteller gem. einem alphabetischen Register nachschauen, zum Anderen mittels eines Warengruppenverzeichnisses. Dabei werde für den Verbraucher jeweils ersichtlich, in welcher Halle der jeweilige Aussteller ausstelle sowie auch dessen Standnummer des konkreten Messestandes (es wird Bezug genommen auf Seite 3 des Protokolls vom 27.06.2016, Bl. 53 der Akte). Die Angaben des Zeugen stimmen auch diesbezüglich mit dem zu Protokoll gereichten Messemagazin/den Messekatalog überein.
Auch durch die Präsentation diverser Branchen innerhalb einer Ausstellungshalle ergibt sich kein solcher Überraschungseffekt. Der Zeuge hat in diesem Zusammenhang dargelegt, die Hallen seien nicht einheitlich nach bestimmten Themen belegt gewesen, beispielsweise habe es keine ausschließliche Bauhalle gegeben. Vielmehr habe man versucht, innerhalb einer Halle jeweils unterschiedliche Interessen der Besucher anzusprechen. Damit versuche man eine gewisse Neugierde der Messebesucher zu erwecken und das Ganze etwas aufzulockern (vgl. Seite 3 des Protokolls vom 27.06.2016). Tatsächlich stellt eine solche „aufgelockerte“ Präsentation auch verschiedener Branchen indes keinen Überraschungsmoment für den Verbraucher dar, da sich dieser in keiner anderen Lage sieht, als jeder Verbraucher, der beim Bummel durch eine beliebige Ladenzeile oder ein Kaufhaus sich unterschiedlichen Abteilungen oder Geschäftslokalen ausgesetzt sieht, mit denen er ursprünglich vielleicht nicht gerechnet hat (vgl. OLG Karlsruhe, Beck RS 2016, 11358). Der Kläger hatte sich nach eigenen Angaben seit 9 Uhr morgens auf der Messe befunden und bis ca. 14 Uhr – als es zum Erwerb der Einbauküche kam – diverse Hallen durchlaufen (vgl. S. 2 des Protokolls vom 25.01.2016). Bei situationsadäquater Aufmerksamkeit musste er spätestens zu diesem Zeitpunkt den Charakter der Messe sowie der Spannweite der vertretenen Branchen erkennen. Für Spontankäufe ist der Verbraucher in dieser Situation, in der er ja gerade auch mit der Präsentation verschiedenster Gewerbetreibender, eben ähnlich wie beim Bummel durch eine Geschäftszeile rechnet, selbst verantwortlich(a.a.O.).
Auch Frequenz und Dauer der Messe in … machen die Verkaufsaktivität der Beklagten nicht zu einem außergewöhnlichen Ereignis im Sinne des § 312 b Abs. 2 BGB. Zwar besuchen Verbraucher die Messe häufig nur an einem Tag und haben nur während einer kurzen Zeitspanne Gelegenheit zum Erwerb von Messeartikeln vor Ort (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 10.06.2016, Beck RS 2016, 11358). Dies ist aber weder eine Besonderheit des Angebots der Beklagten, noch gerät der durchschnittlich informierte Messebesucher, der die Möglichkeit zum Erwerb im Wege des Fernabsatzes kennt, hierdurch unter unangemessenen Druck (a.a.O.). Während ein Verbraucher, der sich freiwillig in Geschäftsräume eines Unternehmers begibt, 1. mental auf eine Verhandlungs- und Vertragsschlusssituation vorbereitet ist und sich 2. dieser Situation durch Verlassen der Geschäftsräume relativ einfach entziehen kann, trifft dies nicht unbedingt auf einen Verbraucher zu, der etwa in seiner Privatwohnung oder am Arbeitsplatz aufgesucht oder auf der Straße von einem aufdringlichen Händler verfolgt wird (vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2016, § 312 b, 7. Auflage 2016, Randnr. 2). Tatsächlich ist aufgrund der Darlegungen der Parteien kein Grund dafür ersichtlich, dass der Kläger sich der entsprechenden Verkaufssituation der Beklagten nicht hätte entziehen können. Auch unter der Voraussetzung, dass der Verkäufer der Beklagten als geschickter Verkäufer agierte begründet dies für sich alleine keinen Überraschungsmoment oder psychischen Druck der Klägerseite. Vielmehr ist davon auszugehen, dass aufgrund des spätestens bei dem Spazieren durch die Hallen erkennbaren Charakters der Messe … auch als Verkaufsmesse die Vorbereitung mental auf eine Verhandlungs- und Vertragsschlusssituation möglich war und sich der Kläger durch Verlassen des Messestandes relativ einfach der Situation hätte entziehen können, sodass die Konstellation im vorliegenden Falle – zumindest nach dem bisherigen Vortrag der Klägerseite – nicht vergleichbar ist mit einem Verbraucher, der in seiner Privatwohnung oder am Arbeitsplatz von einem Unternehmer aufgesucht wird bzw. auf der Straße von einem aufdringlichen Händler verfolgt wird. Im Ergebnis war die Klage daher abzuweisen. Keinesfalls muss aufgrund europarechtlicher Vorgaben jeder Käufer seine Kaufentscheidung vorab 14 Tage lang erwägen können (a.a.O.). Die geforderte zweiwöchige Bedenkzeit gilt vielmehr nur unter der Voraussetzung eines Widerrufsrechts, vergleiche Artikel 9 der Richtlinie 2011/83/EU über die Rechte der Verbraucher (VRRL). Im Übrigen zählt auch der europäische Gesetzgeber unter den Beispielen für einen beweglichen Geschäftsraum ausdrücklich Messestände auf (vgl. Erwägungsgrund 22 der VRRL), obwohl Messen in der Regel nur jährlich stattfinden und selten länger als wenige Tage andauern (a.a.O.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.
Der Streitwert wurde gem. § 3 ZPO festgesetzt.

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