Aktenzeichen M 9 S 18.52509
Dublin III-VO Art. 18
Leitsatz
1 Soweit ein Antragsteller nachweist, dass er Familienmitglieder in Deutschland hat, für deren Asylverfahren ebenfalls Frankreich zuständig ist, ist von einer gemeinsamen Überstellung nach Frankreich auszugehen. Das ergibt sich aus dem Rechtsgedanken von § 43 Abs. 3 S. 1 AsylG und wird von den zuständigen Behörden in ständiger Praxis so gehandhabt. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2 Systemische Schwachstellen des französischen Asylverfahrens sind nicht festzustellen. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die bevorstehende Überstellung nach Frankreich im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens.
Der Antragsteller ist (vgl. die Kopie des mazedonischen Personalausweises, Bl. 96f. der Bundesamtsakte) mazedonischer Staatsangehöriger und geboren am 27. August 1964. Aus der Bundesamtsakte bzw. aus dem streitgegenständlichen Bescheid geht hervor, dass der Antragsteller bereits im Jahr 2011 ein Asylverfahren im Zuständigkeitsbereich der Dublin-Verordnung durchlaufen hat, weswegen der streitgegenständliche Asylantrag als Folgeantrag aufgenommen (vgl. Bl. 95 der Bundesamtsakte) und der Antragsteller zum Folgeantrag angehört wurde (vgl. die Niederschrift vom 11. Juli 2018, Bl. 1 – 6 der Bundesamtsakte). Der Antragsteller ist spätestens am 9. Juli 2018 (erneut) im Bundesgebiet angekommen und hat am 11. Juli 2018 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) – Außenstelle München einen Asylantrag gestellt hat.
Am 13. Juli 2018 fand die Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1 – 4 AsylG i.V.m. § 25 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 AsylG statt. Dort gab der Antragsteller u.a. auf die Frage, ob es Gründe gebe, warum er nicht nach Frankreich überstellt werden wolle, an, dass er 13 Monate in Frankreich verbracht habe und diese 13 Monate auf der Straße habe verbringen müssen, zumindest im Sommer. Auf die Frage, ob er Beschwerden bzw. Erkrankungen habe, gab der Antragsteller an, er leide an Hepatitis B und an einem Nierenleiden. In ärztlicher Behandlung sei er deswegen aber nicht. In Frankreich habe er teilweise Tabletten bekommen. Auf die Niederschrift im Übrigen wird Bezug genommen (Bl. 31 – 34 bzw. Bl. 56 – 59 der Bundesamtsakte).
Für den Antragsteller folgt aus dem von der Antragsgegnerin vorgelegten Verwaltungsvorgang ein Eurodac-Treffer für Frankreich (FR19930039320, Bl. 30 der Bundesamtsakte).
Auf ein Übernahmeersuchen der Antragsgegnerin vom 16. Juli 2018 an Frankreich teilten die französischen Behörden mit Schreiben vom 26. Juli 2018 (Bl. 66 der Bundesamtsakte), gesendet am 27. Juli 2018, das Einverständnis mit der Überstellung des Antragstellers mit.
Mit Bescheid vom 30. Juli 2018 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2) und ordnete die Abschiebung nach Frankreich an (Nr. 3). Die Nr. 4 des Bescheids enthält die Befristungsentscheidung hinsichtlich des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG. Auf den Bescheid und seine Begründung wird Bezug genommen.
Einen Zustellungsnachweis enthält die Bundesamtsakte nicht.
Der Antragsteller erhob hiergegen am 6. August 2018 zur Niederschrift bei der Rechtsantragstelle des Verwaltungsgerichts München Klage (Az.: M 9 K 18.52507) mit dem Antrag, den Bescheid vom 30. Juli 2018, dem Antragsteller zugestellt am 2. August 2018, aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG bestehen.
Außerdem wurde beantragt,
hinsichtlich der Abschiebungsanordnung nach Frankreich die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Zur Begründung der Rechtsbehelfe wird Bezug genommen auf die Angaben gegenüber dem Bundesamt. Des Weiteren weist der Antragsteller darauf hin, dass seine Ehefrau und der gemeinsame Sohn beim Bundesamt ein eigenes Asylverfahren „laufen“ hätten. Die Aussage des Bundesamts, er habe die Heirat nicht nachgewiesen, sei nicht richtig. Seine Ehefrau und er hätten die Original-Heiratsurkunde als auch Original-Ausweise und die Geburtsurkunde des Sohnes im Heim in Trier abgegeben. Die gesundheitlichen Beschwerden hätten sie nur deshalb noch nicht durch ärztliche Atteste belegt, da es ihnen bisher noch nicht ermöglicht worden sei, einen Arzt aufzusuchen. Als Beweis für Krankheiten würden zwei Aufnahmescheine der Regierung von Oberbayern vorgelegt, woraus hervorgehe, dass TBC-Verdacht und Hepatitis bestehe. Zudem leide der Sohn unter psychischen Beschwerden, er könne sich kaum konzentrieren und habe starke Schlafprobleme, weshalb er sich bereits in Mazedonien in einer speziellen Schule befunden habe. Auf die Niederschrift und die vorgelegten Unterlagen wird Bezug genommen.
Die Antragsgegnerin legte die Behördenakten vor, äußerte sich in der Sache aber nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in diesem und im dazugehörigen Klageverfahren und der Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Für das Gericht ist hinsichtlich der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der Entscheidung maßgeblich (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG).
Der Antrag ist zwar zulässig, insbesondere ist wegen des fehlenden Zustellungsnachweises und der zeitlichen Plausibilität davon auszugehen, dass er fristgerecht gestellt ist, § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Der Antrag ist jedoch unbegründet, denn die Hauptsacheklage hat voraussichtlich keinen Erfolg.
Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 30. Juli 2018, auf den im Sinne von§ 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen wird, ist voraussichtlich rechtmäßig.
Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann.
1. Frankreich ist als Mitgliedstaat, über dessen Grenze der Antragsteller aus einem Drittstaat illegal eingereist ist, für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens richtet sich vorliegend nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO). Die Zuständigkeitskriterien der Dublin III-VO finden nach Art. 49 Abs. 2 dieser Verordnung auf Asylanträge, die – wie hier – nach dem 1. Januar 2014 gestellt worden sind, Anwendung.
Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Bei Anwendung dieser Kriterien ist ohne weiteres Frankreich für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO ist derjenige Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig, über dessen Grenze der Asylbewerber aus einem Drittstaat illegal eingereist ist. Das ist auch nach dem eigenen Vortrag des Antragstellers Frankreich; das wird auch bewiesen durch den Eurodac – Treffer mit der Kennzeichnung „FR1“. Die Ziffer „1“ steht für einen Antrag auf internationalen Schutz (Art. 24 Abs. 4 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 vom 26.6.2013 (Neufassung) (EURODAC-VO)). Die Zuständigkeit Frankreichs ist auch nicht gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO erloschen. Damit ist vorliegend Frankreich der für die Durchführung des Asylverfahrens zuständige Mitgliedstaat.
Die französischen Behörden haben ihre Zuständigkeit erklärt und dem (Wieder-) Aufnahmeersuchen der Antragsgegnerin stattgegeben, was die Verpflichtung nach sich zieht, die betreffende Person wieder aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen (Art. 18 Abs. 1 Dublin III-VO). Soweit der Asylantrag des Antragstellers in Frankreich bereits abgelehnt worden ist, ändert das nichts, da gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchstabe d) Dublin III-VO auch in diesem Fall nach den Dublin-Regeln zu überstellen ist; ausweislich der Einverständniserklärung der französischen Behörden mit Schreiben vom 26. Juli 2018 (Bl. 66 der Bundesamtsakte) gehen die französischen Behörden auch davon aus, dass im Falle des Antragstellers Art. 18 Abs. 1 Buchstabe d) Dublin III-VO einschlägig ist.
2. Die Abschiebung nach Frankreich kann gemäß § 34a Abs. 1 AsylG auch durchgeführt werden.
Die Zuständigkeit ist nicht gem. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO auf die Antragsgegnerin übergegangen, weil eine Überstellung an Frankreich als den zuständigen Mitgliedstaat an Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO scheitern würde. Es bestehen keinerlei Zweifel daran, dass das Asylsystem einschließlich der Aufnahmebedingungen in Frankreich den anzulegenden Maßstäben gerecht wird (vgl. statt vieler nur VG Augsburg, B.v. 25.6.2018 – Au 6 S 18.50604 – juris Rn. 30f. m.w.N.).
Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO notwendig machen, liegen nicht vor. Ebenso wenig liegen inlandsbezogene oder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse vor. Auch unter Berücksichtigung des Vortrags im Verwaltungssowie im Verwaltungsstreitverfahren ergibt sich kein anderes Ergebnis.
Soweit der Antragsteller – für sich genommen bereits zu unspezifisch – gesundheitliche Beeinträchtigungen geltend macht, ändert das am Ergebnis nichts. Denn diese sind zum einen nicht belegt; dass der Antragsteller vorbringt, er habe bislang nicht zum Arzt gehen können, ist nicht glaubhaft. Sowohl mit einem gestatteten als auch mit einem geduldeten Aufenthalt (wegen der Behandlung als Folgeantragsteller) hat der Antragsteller in Deutschland ohne irgendeinen Zweifel sowohl rechtlich als auch tatsächlich Zugang zu medizinischer Versorgung. Zum anderen und unabhängig davon hat das Gericht keinen Zweifel daran, dass gesundheitliche Beeinträchtigungen, der Antragsteller macht insbesondere TBC-Verdacht und Hepatitis geltend, in Frankreich nicht schlechter als hier behandelt werden können und behandelt werden.
Auch der Verweis auf die geltend gemachte Ehefrau und den Sohn, die sich im Bundesgebiet aufhielten, ändert am Ergebnis nichts. Denn zunächst hat der Antragsteller für die geltend gemachten familiären Beziehungen keine Nachweise vorgelegt. Der Verweis darauf, dass der Antragsteller und seine Angehörigen die entsprechenden Unterlagen „im Heim in Trier“ abgegeben hätten, ist aus mehreren, unabhängig voneinander geltenden Gründen nicht glaubhaft. Erstens findet sich in der gesamten von der Antragsgegnerin vorgelegten Akte nichts, was auch nur entfernt mit einem Aufenthalt des Antragstellers in „einem Heim in Trier“ zu tun hätte. Zweitens kann die Angabe des Antragstellers, er habe u.a. auch seinen Original-Ausweis „im Heim in Trier“ abgegeben, nicht stimmen, weil sich aus der Bundesamtsakte (Bl. 98) ergibt, dass der Antragsteller seinen Ausweis im Landratsamt Oberallgäu abgegeben hat; aus seinen Angaben zum Folgeantrag (Niederschrift, Bl. 1- 6 der Bundesamtsakte, insbesondere Bl. 5 untere Hälfte) ergibt sich zum Verbleib der Unterlagen wiederum etwas anderes. Auch ansonsten ändert der Umstand, dass sich aus dem Verwaltungsverfahren ergibt, dass der Antragsteller mit der geltend gemachten Ehefrau und dem geltend gemachten Sohn eingereist ist, nichts an der Unzulässigkeit des Asylantrags und an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung. Denn unabhängig davon, dass weder die Ehe noch sonst die familiären Verhältnisse nachgewiesen sind, obwohl das Sache des Antragstellers wäre, ist – unterstellt, die Angaben stimmen bzw. der Antragsteller kann die familiären Beziehungen doch noch nachweisen – von einer gemeinsamen Überstellung nach Frankreich auszugehen, da auch insofern Frankreich zuständig wäre. Das ergibt sich auch aus dem Rechtsgedanken von § 43 Abs. 3 Satz 1 AsylG und wird von den zuständigen Behörden nach Kenntnis des Gerichts aus einer Vielzahl von Verfahren in ständiger Praxis so gehandhabt.
Schließlich ändert die nicht in deutscher Übersetzung vorgelegte Unterlage aus Mazodonien ebenfalls nichts am Ergebnis. Nach der Antrags- bzw. Klagebegründung handelt es sich dabei um eine ärztliche Bescheinigung zu den gesundheitlichen Einschränkungen des geltend gemachten Sohnes bezogen auf Mazedonien, was im vorliegenden Verfahren nicht relevant ist.
Der Vortrag in den Dublin-Anhörungen bezogen auf die Verhältnisse in Frankreich begründet keine – nach dem oben Gesagten nicht vorliegenden – systemischen Schwachstellen des französischen Asylverfahrens; im Übrigen unterliegt es gerade nicht der Disposition des Antragstellers, wo er sein Asylverfahren zu durchlaufen hat.
Die Angaben des Antragstellers im Rahmen der Anhörung zum Folgeantrag führen ebenfalls nicht zu einem anderen Ergebnis. Hierbei handelt es sich um die Geltendmachung von Umständen, die für die Überstellung des Antragstellers im Rahmen der Anwendung der Dublin III-Verordnung nicht relevant sind, vielmehr handelt es sich um sog. zielstaatsbezogenes Vorbringen, das zum Asylantrag des Antragstellers gehört, für den die Antragsgegnerin aber gerade nicht zuständig ist.
Auch gegen die Rechtmäßigkeit der Entscheidungen in den Nummern 2 und 4 des streitgegenständlichen Bescheids bestehen daher keine Bedenken.
3. Der Antrag wird daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abgelehnt. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).