Aktenzeichen 20 CE 20.286
Leitsatz
1. Es ist derzeit nicht mit hinreichender Sicherheit geklärt, dass es sich bei Pepsinpulver um ein Lebensmittel im Sinne des § 40 Abs. 1a LFGB handelt. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Unaufklärbarkeit geht zulasten des Antragsgegners, der auf Grundlage des § 40 Abs. 1a LFGB eine die Antragstellerin belastende Maßnahme treffen will. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
W 8 E 19.1669 2020-01-28 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg
Tenor
I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 28. Januar 2020 wird geändert. Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, gemäß § 40 Abs. 1a Satz 1 LFGB folgende Informationen zu veröffentlichen:
Verantwortliche Behörde
Landratsamt W.
Datum
Einstelldatum:
(Datum der Veröffentlichung)
Probe genommen am:
…
Lebensmittelunternehmen
Name
… …
Straße, Hausnummer
… …
PLZ, Ort
… … Kategorie
Lebensmitteleinzelhandel
Betroffenes Lebensmittel
Verstoß:
Nicht zugelassener oder verbotener Stoff
Produkt:
Pepsin … Los-/Chargennummer:
…
MHD:
…
Grenzwert:
/
Analyseergebnis:
/ Anmerkungen/unternehmerische Maßnahmen Ware wurde zurückgenommen
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf jeweils 5000,– EUR festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
Der Antragstellerin steht ein (durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu sichernder) Anspruch auf Unterlassung der Veröffentlichung gegenüber dem Antragsgegner zu, da die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 LFGB zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht mit der erforderlichen Gewissheit vorliegen. Der Antragsgegner hat bislang weder im behördlichen noch im gerichtlichen Verfahren dargelegt, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Stoff Pepsinpulver um ein Lebensmittel im Sinne des § 40 Abs. 1a LFGB handelt. Für das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm trifft den Antragsgegner, der die geplante Veröffentlichung darauf stützen will, die materielle Beweislast.
1. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO steht diesem Ergebnis nicht entgegen, auch wenn der Antragsteller mit seiner Beschwerde die Lebensmitteleigenschaft des streitgegenständlichen Produkts nicht in Zweifel zieht. Grundsätzlich ist der Senat auf die Prüfung der vorgebrachten und hinreichend dargelegten Gründe beschränkt (Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 146 Rn. 26). Allerdings ist Sinn und Zweck der Regelung des § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nicht, unzutreffende Entscheidungen im Eilverfahren sehenden Auges aufrechtzuerhalten, um sie erst in einem ggf. nachfolgenden Hauptsacheverfahren zu korrigieren (Guckelberger in Sodan/Ziekow, 5. Auflage 2018, § 146 VwGO Rn. 111 m.w.N.; BayVGH, B.v. 27.8.2002 – 8 CS 02.1514 – NVwZ-RR 2003, 154; Happ a.a.O., Rn. 27). Vielmehr soll die Norm die Arbeit des Rechtsmittelgerichts erleichtern und beschleunigen. Zu Verzögerungen kommt es nicht, wenn das Rechtsmittelgericht auf rechtliche Gesichtspunkte aufmerksam wird, die von den Beteiligten bislang nicht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurden.
Auch gebietet vorliegend die Bedeutung des betroffenen Grundrechts der Antragstellerin aus Art. 12 Abs. 1 GG und das Erfordernis effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG eine einschränkende Auslegung des § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO. Da die Veröffentlichung nach § 40 Abs. 1a LFGB unverzüglich zu erfolgen hat und nach § 40 Abs. 4a LFGB (bereits) nach 6 Monaten wieder zu löschen ist, wird ein Hauptsacheverfahren, in dem die Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung umfassend geprüft wird, regelmäßig nicht stattfinden (vgl. hierzu auch BVerfG, B.v. 8.2.1983 – 1 BvL 20/81 – BVerfGE 63, 131), so dass eine Veröffentlichung für den betroffenen Unternehmer zu möglicherweise irreversiblen Schäden und zu empfindlichen Grundrechtseingriffen führen kann (BVerfG, B.v. 21.3.2018 – 1 BvF 1/13 – NJW 2018, 2109).
2. Die auf der Grundlage des § 40 Abs. 1a Satz 1 Nr. 2 LFGB geplante Veröffentlichung erweist sich nach dem im Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu erlangenden Erkenntnisstand des Senats derzeit als rechtswidrig.
Sie würde auf nicht gerechtfertigte Weise in die Grundrechte der Antragstellerin eingreifen, vor allem in deren Grundrecht auf Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG, B.v. 21.3.2018, a.a.O., zitiert nach juris Rn. 25 ff; VGH Baden-Württemberg, B.v. 28.1.2013 – 9 S 2423/12 – juris Rn. 10; Hessischer VGH, B.v. 8.2.2019 – 8 B 2575/18 – juris Rn. 22). Der Antragstellerin steht somit ein öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch gegen den Antragsgegner zur Seite.
Die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm liegen nicht vor, denn es ist derzeit nicht mit hinreichender Sicherheit geklärt, dass es sich bei dem von der Antragstellerin vertriebenen Pepsinpulver um ein Lebensmittel im Sinne des § 40 Abs. 1a LFGB handelt.
Die Lebensmittelbehörde hat die vom Antragsteller vorgenommene Kennzeichnung des streitgegenständlichen Produkts als Nahrungsergänzungsmittel (und damit als Lebensmittel) nicht angezweifelt. Der Senat hat im Rahmen der Ausübung seiner Amtsermittlungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) gewichtige Anhaltspunkte dafür erhalten, dass es sich bei Pepsin, das die Antragstellerin in reiner Form vertrieben hat, um ein Arzneimittel nach § 2 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG) handeln kann und die Beteiligten auf diese Erkenntnis hingewiesen. Mit Schreiben vom 12. März 2020 hat der Senat die Beteiligten um Stellungnahme gebeten, weshalb das streitgegenständliche Produkt als Lebensmittel und nicht als Arzneimittel eingestuft werde. Insbesondere wurde auf das Arzneimittel Pepsinwein hingewiesen, dessen wesentlicher Inhaltsstoff ebenfalls Pepsin sei (vgl. Anlage 1a zu § 1 Abs. 1 Nr. 1 der „Verordnung über apothekenpflichtige und freiverkäufliche Arzneimittel“ in der Fassung vom 24. September 1988 (BGBl. I S. 2150; 1989 I S. 254), zuletzt geändert durch Artikel 2 der Verordnung vom 26. September 2018 (BGBl. I S. 1386). Weiterhin lasse sich dem Anhang der „Verordnung (EU) Nr. 37/2010 der Kommission über pharmakologisch wirksame Stoffe und ihre Einstufung hinsichtlich der Rückstandshöchstmengen in Lebensmitteln tierischen Ursprungs“ entnehmen, dass Pepsin ein pharmakologisch wirksamer Stoff sei (vgl. zur Thematik auch Kügel/Hahn/Delewski, Nahrungsmittelergänzungsverordnung (NemV), 1. Auflage 2007, § 1 Rn. 119 f.). Während die Antragstellerin bei ihrer Auffassung blieb, es handele sich bei Pepsinpulver um ein Lebensmittel, teilte der Antragsgegner mit, er sei um eine Abklärung bemüht, eine Rückäußerung stehe noch aus. Eine Klärung der für die Anwendung des § 40 Abs. 1a Nr. 2 LFGB wesentlichen Tatsachenfragen war im Beschwerdeverfahren nicht herbeizuführen.
Diese Unaufklärbarkeit geht zulasten des Antragsgegners, der auf Grundlage des § 40 Abs. 1a LFGB eine die Antragstellerin belastende Maßnahme treffen will (st. Rspr.; BVerwGE 80, 290 (296); Breunig in BeckOK, Posser/Wolf, Stand 1.1.2020, § 108 Rn. 17; Schübel-Pfister in Eyermann, a.a.O., § 86 Rn. 5) und sich inhaltlich zur Frage der Lebensmitteleigenschaft des streitgegenständlichen Produkts bislang nicht geäußert hat. In einer derartigen Fallkonstellation trifft den Antragsgegner die materielle Beweislast dafür, dass es sich bei Pepsinpulver um ein Lebensmittel handelt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Streitwert war mangels Anhaltspunkten für die Bedeutung der Sache für die Antragstellerin im Sinne von § 52 Abs. 1 GKG in Höhe des Auffangstreitwerts nach § 52 Abs. 2 GKG festzusetzen. Da der Antrag auf eine Vorwegnahme der Hauptsache abzielte, war dieser nach der Empfehlung der Ziff. 1.5, Satz 2 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht zu halbieren, obwohl es sich vorliegend um ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes handelte.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.