Europarecht

VW-Abgasskandal: Keine deliktischen Ansprüche gegen den Hersteller bei Kenntnis des Käufers vom Abgasskandal

Aktenzeichen  20 U 4561/19

Datum:
2.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 46450
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 311, § 241 Abs. 2, § 823 Abs. 2, § 826, § 831
StGB § 263

 

Leitsatz

1. Ein Käufer, der ein vom VW-Abgasskandal betroffenes Fahrzeug erwirbt, hat mangels Kausalität zwischen Täuschung und Schaden keine deliktischen Ansprüche gegen den Hersteller, wenn er zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses wusste, dass das streitgegenständliche Fahrzeug vom Abgasskandal betroffen ist. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Von einer Kenntnis des Käufers zum Zeitpunkt des Fahrzeugkaufs ist auszugehen, wenn der Käufer bei Bestellung des streitgegenständlichen Fahrzeugs eine Anlage unterschreibt, der zu entnehmen ist, dass an dem streitgegenständlichen Fahrzeug ein „Sachmangel“ dahingehend bestand, dass der im „Fahrzeug eingebaute Dieselmotor vom Typ EA 189 EU5 von einer Software betroffen ist, die Stickoxidwerte (NOx) im Prüfstandlauf (NEFZ) optimiert“. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

83 O 3812/18 2019-07-10 Urt LGLANDSHUT LG Landshut

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 10.07.2019, Az. 83 O 3812/18, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 18.12.2019.

Gründe

I.
Der Senat ist einstimmig der Auffassung, dass die Berufung der Klagepartei offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten.
Gemäß § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf einer Rechtsverletzung im Sinne von § 546 ZPO beruht oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Dies zeigt die Berufungsbegründung nicht auf. Das Landgericht hat die Klage wegen des Erwerbs eines vom sogenannten Dieselskandal betroffenen Pkw gerichtete Klage vielmehr im Ergebnis zu Recht als unbegründet abgewiesen.
1. Die Klagepartei kann den mit vorliegender Klage geltend gemachten Schadensersatzanspruch nicht auf §§ 311, 241 Abs. 2 BGB stützen.
Sie hat nicht nachvollziehbar dargelegt, dass die Beklagte, die unstreitig nicht Vertragspartnerin der Klagepartei geworden ist, in besonderem Maße persönliches Vertrauen für sich in Anspruch genommen und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusst hätte. Diese Voraussetzungen sind nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nur erfüllt, wenn der Dritte unmittelbar oder mittelbar – durch eine für ihn handelnde Person – an den Vertragsverhandlungen teilgenommen und dabei durch sein Auftreten eine über das normale Verhandlungsvertrauen hinausgehende persönliche Gewähr für die Seriosität des Geschäfts oder die Erfüllung des Vertrages übernommen hat (vgl. Palandt-Grüneberg, BGB, 78. Aufl., § 311 Rn. 63 m.w.N.). Die Klagepartei hat den streitgegenständlichen gebrauchten Skoda jedoch ohne Mitwirkung der Beklagten von einem KFZ-Händler gekauft.
2. Der Klagepartei stehen gegenüber der Beklagten ferner keine Ansprüche aus §§ 826, 31 BGB zu.
Selbst wenn man eine konkludente Täuschung des Endkunden darin sieht, dass die Beklagte den Dieselmotor des Typs EA 189 entwickelt, hergestellt und in den Verkehr gebracht hat, der mit einer nicht offengelegten unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet war, und man weiterhin annimmt, dass der Schaden der Klagepartei in der ungewollten Eingehung einer Verbindlichkeit, nämlich dem Abschluss des Kaufvertrags über das streitgegenständliche Fahrzeug besteht, scheitert ein Anspruch nach §§ 826, 31 BGB im vorliegenden Fall jedenfalls daran, dass es an der erforderlichen Kausalität zwischen Täuschung und Schaden fehlt.
Die Darlegungs- und Beweislast für den Kausalzusammenhang zwischen Täuschung und eingegangener Verpflichtung trifft den Geschädigten; auf den Nachweis der konkreten Kausalität der Täuschung für den Willensentschluss des Getäuschten kann nicht verzichtet werden (vgl. Palandt-Sprau, BGB, 78. Aufl. 2019, § 826 Rn. 18; BGH, Urteil vom 04.06.2013, VI ZR 288/12, juris Rn. 25).
Die Klagepartei kann im vorliegenden Fall den Nachweis, dass die konkludente Täuschung der Beklagten für ihre Willensentschließung, den streitgegenständlichen Kaufvertrag abzuschließen, kausal war, nicht führen.
Der „Verbindlichen Bestellung“ des streitgegenständlichen Fahrzeugs vom 30.11.2015 war eine Anlage beigefügt, der zu entnehmen ist, dass an dem streitgegenständlichen Fahrzeug ein „Sachmangel“ dahingehend bestand, dass der im „Fahrzeug eingebaute Dieselmotor vom Typ EA 189 EU5 von einer Software betroffen ist, die Stickoxidwerte (NOx) im Prüfstandlauf (NEFZ) optimiert“ (vgl. Anlage R 22). Diese Anlage wurde von der Klagepartei gesondert unterschrieben (vgl. Anlage R 22).
Aufgrund dieses ausdrücklichen Hinweises sowie der Tatsache, dass zum Zeitpunkt des Kaufs des streitgegenständlichen Fahrzeugs der „Dieselskandal“ Gegenstand umfangreicher Berichterstattung in allen Medien war, so dass einem durchschnittlichen Verbraucher die umfassende Berichterstattung nicht entgehen konnte, geht der Senat davon aus, dass die Klagepartei zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses Kenntnis davon hatte, dass das streitgegenständliche Fahrzeug vom „Dieselskandal“ betroffen war.
Soweit die Klagepartei erklärt, dass sie auf den Einsatz von „Schummelsoftware“ nicht explizit hingewiesen worden sei und ihr bis zum Kauf der Einsatz einer solchen Software nicht bekannt geworden sei (vgl. Schriftsatz vom 26.04.2019 S. 20, Bd. II Bl. 339 d.A.), steht dem entgegen, dass die Anlage zur „Verbindlichen Bestellung“ des streitgegenständlichen Fahrzeugs, wie oben dargelegt, den ausdrücklichen Hinweis enthielt, dass der im „Fahrzeug eingebaute Dieselmotor vom Typ EA 189 EU5 von einer Software betroffen ist, die Stickoxidwerte (NOx) im Prüfstandlauf (NEFZ) optimiert“. In diesem Zusammenhang kann sich die Klagepartei auch nicht darauf berufen, dass sie die genannte Anlage zur „Verbindlichen Bestellung“ des streitgegenständlichen Fahrzeugs unterschrieben habe, ohne sich den Inhalt erklärt haben zu lassen (vgl. Schriftsatz vom 26.04.2019 S. 20, Bd. II Bl. 339 d.A.). Denn der Kausalität einer von der Beklagten durch das Inverkehrbringen des Dieselmotors des Typs EA 189 verübten Täuschung für den Vertragsschluss steht mangels besonderer Umstände bereits entgegen, dass der Käufer es jedenfalls für möglich gehalten hat, dass das von ihm erworbene Fahrzeug von dem „Dieselskandal“ betroffen sein könnte, er aber keine Veranlassung gesehen hat, diese Frage vor Vertragsschluss zu klären. Dieses Verhalten rechtfertigt jedenfalls den Schluss, dass eine etwaige Manipulation der Abgaswerte des Fahrzeugs für seine Kaufentscheidung ohne Bedeutung war, er die mögliche Betroffenheit des Fahrzeugs also billigend in Kauf genommen hat.
Damit hat sich die der Beklagten vorgeworfene konkludente Täuschung durch Entwicklung und Inverkehrbringen des Dieselmotors des Typs EA 189 mit nicht offengelegter unzulässiger Abschalteinrichtung nicht auf die Entscheidung der Klagepartei für den Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeuges ausgewirkt. Zweifel gehen zum Nachteil der beweisbelasteten Klagepartei.
3. Der Klagepartei stehen darüber hinaus keine Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB zu, da es hier an einer irrtumsbedingten Vermögensverfügung fehlt. Die obigen Ausführungen gelten insoweit entsprechend.
4. Da die Klagepartei bereits die Voraussetzungen des objektiven Tatbestands einer unerlaubten Handlung mangels Nachweises der Kausalität nicht beweisen konnte, kann sie ihren Schadensersatzanspruch auch nicht auf § 831 BGB stützen.
5. Des Weiteren kann die Klagepartei ihren Schadensersatzanspruch nicht auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV stützen, weil diese Vorschriften keine Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB sind. Insoweit macht sich der Senat die Begründung des OLG Braunschweig, Urteil vom 19.2.2019, 7 U 134/17, juris, Rn. 137 ff., zu eigen.
6. Hinsichtlich der darüber hinaus geltend gemachten Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. mit Vorschriften des UWG wird auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts verwiesen.
II.
Zur Vermeidung weiterer Kosten regt der Senat die Zurücknahme der offensichtlich unbegründeten Berufung an. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz).

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