Europarecht

Wirksame Zustellung an rechtsgeschäftlich mandatierten Verteidiger

Aktenzeichen  2 Ss Owi 23/17

Datum:
2.2.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StPO StPO § 45 Abs. 1 S. 1, § 145a Abs. 1, § 345 Abs. 1, § 346
OWiG OWiG § 46 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die Zustellung des schriftlichen Urteils an den Verteidiger ist auch dann wirksam, wenn sich bei den Akten zwar keine gesetzliche Verteidigervollmacht i. S.v. § 145a I StPO (i. V. m. § 46 I OWiG) befindet, dem Verteidiger als Vertreter aber schon zuvor eine auch noch im Zeitpunkt der Zustellung fortbestehende Zustellungsvollmacht erteilt wurde und dies – ggf. nachträglich – eindeutig, insbesondere durch ein vom Verteidiger unterzeichnetes Empfangsbekenntnis, nachgewiesen ist (u. a. Anschluss an BayObLG, Beschl. v. 14.01.2004 – 2St RR 188/03 = BayObLGSt 2004, 1 = NJW 2004, 1263 = wistra 2004, 198 = VRS 106 [2004], 292 = ZfS 2004, 282 = DAR 2004, 405 und OLG Karlsruhe, Beschl. v. 08.10.2015 – 2 [7] SsBs 467/15 = BeckRS 2015, 17136). (amtlicher Leitsatz)
2. Ist das angefochtene Urteil dem Verteidiger nach dieser Maßgabe bereits wirksam zustellt worden, wird die Rechtsbeschwerdebegründungsfrist durch eine deshalb überflüssige „Zweitzustellung“ des Urteils nicht nochmals in Lauf gesetzt. (amtlicher Leitsatz)

Gründe

I. Der Antrag des Betr. auf Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde […], über den das Rechtsbeschwerdegericht […] vorrangig zu entscheiden hat (Meyer-Goßner/Schmitt StPO 59. Aufl. § 346 Rn. 16 f.), ist unzulässig.
1. Die Begründung der Rechtsbeschwerde ist nicht innerhalb der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist des § 345 I StPO i. V. m. § 79 III 1 OWiG angebracht worden. Die Frist des § 345 I StPO begann mit Zustellung des mit Gründen versehenen Urteils an den Verteidiger am 05.09.2016. Zwar befand sich eine schriftliche Vollmacht des Verteidigers gemäß § 145a StPO nicht bei der Akte, weshalb nicht vom Vorliegen einer gesetzlichen Zustellungsvollmacht auszugehen ist. Allerdings wird durch die Regelung zur gesetzlichen Zustellungsvollmacht in § 145a I StPO eine rechtsgeschäftliche Zustellungsvollmacht für den Verteidiger als Vertreter für die Entgegennahme von Zustellungen nicht ausgeschlossen (OLG Stuttgart, Beschl. v. 12.12.2002 – 4 Ss 549/02 = Justiz 2003, 300 = OLGSt StPO § 145a Nr. 3). Da für die rechtsgeschäftliche Zustellungsvollmacht die besondere Vorschrift des § 145a I StPO i. V. m. § 46 I OWiG nicht gilt, können an ihren Nachweis geringere Anforderungen gestellt werden. So muss die Vollmacht nicht schriftlich niedergelegt und auch zum Zeitpunkt der Zustellung noch nicht in den Akten vorhanden sein. Entscheidend ist allein, dass sie im Augenblick der Entgegennahme der Zustellung besteht und dies – auch nachträglich – eindeutig nachgewiesen ist (OLG Rostock, Beschl. v. 20.04.2004 – 2 Ss [OWi] 102/04 = VRS 107 [2004], 442 = BA 43 [2006], 491; OLG Braunschweig, Beschl. v. 13.05.2013 – 1 Ss [OWi] 83/13 = NJW 2013, 3111 = DAR 2013, 524 = OLGSt OWiG § 51 Nr. 6; vgl. zuletzt auch KG, Beschl. v. 17.6.2016 – 162 Ss 55/16 = NStZ-RR 2016, 289 = VRS 130, [2016] 239 = DAR 2016, 711 = NJW 2016, 3320 [Ls]). Dieser Nachweis ist hier durch das vom Verteidiger unterzeichnete Empfangsbekenntnis vom 05.09.2016, wonach er zur Entgegennahme des Urteils legitimiert war, erbracht (BayObLG, Beschl. v. 14.01.2004 – 2St RR 188/03 = BayObLGSt 2004, 1 = NJW 2004, 1263 = wistra 2004, 198 = VRS 106 [2004], 292 = ZfS 2004, 282 = DAR 2004, 405; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 08.10.2015 – 2 [7] SsBs 467/15 = BeckRS 2015, 17136), zumal der Verteidiger bereits mit dem Einspruchsschriftsatz vom 12.02.2016 eine ordnungsgemäße Bevollmächtigung sogar anwaltlich versichert hatte. Der Senat geht daher vom Bestehen einer rechtsgeschäftlichen Zustellungsvollmacht aus (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt § 145a Rn. 2a m. w. N.). Die Monatsfrist des § 345 I StPO lief daher bis einschließlich 05.10.2016. Bis zum heutigen Tag liegt allerdings eine Rechtsbeschwerdebegründung nicht vor.
2. Hieran ändert die […] erneute Zustellung vom 15.11.2016, so sie denn wirksam erfolgt sein sollte, was der Verteidiger im Schriftsatz vom 18.01.2017 in Abrede stellt, nichts. Die – überflüssige – Zweitzustellung des Urteils am 15.11.2016 führte nicht dazu, dass die bereits mit dem 05.10.2016 abgelaufene Rechtsbeschwerdebegründungsfrist nochmals zu laufen begann.
3. Der Wiedereinsetzungsantrag ist jedoch unzulässig. Es fehlt nämlich bereits an einer form- und fristgerechten Nachholung der versäumten Rechtshandlung […]. Mit Zustellung des die Rechtsbeschwerde als unzulässig verwerfenden Beschlusses vom 14.10.2016 an den Verteidiger am 20.10.2016, dem Betr. formlos mitgeteilt, war ersichtlich, dass eine fristgerechte Rechtsbeschwerdebegründung nicht vorlag. Der gegen diesen Beschluss gerichtete Antrag des Betr. auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts […] datiert vom 21.10.2016. Bis zum Tag der vorliegenden Entscheidung des Senats fehlt es aber an einer formgerechten Begründung der Rechtsbeschwerde. Fehlt eine formgerechte Nachholung der versäumten Handlung innerhalb der Wochenfrist des § 45 I 1 StPO bzw. binnen der sie u.U. ersetzenden Monatsfrist des § 345 I StPO, ist der Wiedereinsetzungsantrag unzulässig (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt § 45 Rn. 11).
4. Da Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde nicht erfolgt, ist der zulässige Antrag des Betr. auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts als unbegründet zu verwerfen. Die Rechtsbeschwerde des Betr. ist zwar fristgerecht beim AG eingereicht worden. Eine formgerechte Rechtsbeschwerdebegründung ist aber innerhalb der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist nicht beim AG eingegangen. Die Verwerfungsentscheidung des AG entspricht daher der Sach- und Rechtslage. Der Antrag des Betr. auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist unbegründet. Die Unbegründetheit des Antrags hat zur Folge, dass dem Rechtsbeschwerdegericht eine inhaltliche Überprüfung des Urteils des AG vom 04.08.2016 aus Rechtsgründen verwehrt ist.
II. Die Verwerfung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erfolgt ohne Kostenentscheidung (§ 473 VII StPO; Meyer-Goßner/Schmitt § 473 Rn. 38). Auch die Verwerfung des Antrags auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts als unbegründet erfolgt ohne Kostenentscheidung (Meyer-Goßner/Schmitt § 346 Rn. 10, 12).

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