Aktenzeichen 11 ZB 18.101
FZV § 3 Abs. 1, § 6 Abs. 2, § 7 Abs. 2, § 12 Abs. 1 S. 1, Abs. 7, § 47 Abs. 1
BGB § 985 Abs. 1, § 1006
Leitsatz
Eine staatsanwaltschaftliche Freigabeerklärung setzt voraus, dass das beschlagnahmte oder auf andere Weise sichergestellte Fahrzeug für Zwecke des Strafverfahrens nicht mehr benötigt wird, und ermöglicht die Herausgabe an den letzten Gewahrsamsinhaber, an den Verletzten, dem sie durch die Straftat entzogen worden ist, wenn dieser bekannt ist oder an einen berechtigten Dritten, wenn dieser bekannt ist, § 111n StPO. Sie trifft aber keinerlei Entscheidung über die Verfügungsberechtigung als Voraussetzung für die Fahrzeugzulassung und ist daher als Nachweis hierfür untauglich. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 23 K 17.2281 2017-10-25 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Kläger erwarb am 29. Juni 2016 in Köln von einer Privatperson ein am 24. Juni 2016 im Internet inseriertes gebrauchtes Fahrzeug der Marke Audi A6, FIN …, zum Preis von 30.000,- Euro. Die unter Angabe falscher Personalien auftretende Verkäuferin gab vor, das Fahrzeug wegen eines finanziellen Engpasses veräußern zu müssen. Das Fahrzeug war am 17. September 2015 in Frankreich zugelassen und dort am 19. Juni 2016 gestohlen worden. Hiervon hatte der Kläger keine Kenntnis. Bei der Veräußerung war das Fahrzeug mit deutschen Kennzeichen (…) versehen, die bereits für ein anderes typgleiches Fahrzeug vergeben waren. Die an den Kläger ausgehändigten deutschen Zulassungspapiere waren gefälscht und stammen aus einem Einbruch im Straßenverkehrsamt Rotenburg (Wümme).
Die Zulassungsstelle der Beklagten unterrichtete die Polizei in München am 8. Juli 2016 darüber, dass der Kläger versucht habe, das entwendete und zur Fahndung ausgeschriebene Fahrzeug umzumelden. Die Kriminalpolizei München stellte daraufhin das noch nicht zugelassene Fahrzeug beim Kläger sicher. Mit Schreiben vom 5. April 2017 erklärte die Staatsanwaltschaft Köln gegenüber den Münchener Polizeibehörden die „Freigabe“ des Fahrzeugs „an den gutgläubigen Fahrzeugerwerber“. Ansprüche des französischen Eigentümers bzw. einer Kfz-Versicherung seien nicht geltend gemacht worden. Das Fahrzeug befindet sich seither im Besitz des Klägers.
Die vom Kläger am 21. April 2017 beantragte Zulassung des Fahrzeugs lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 25. April 2017 ab. Der Kläger habe die französischen Fahrzeugdokumente nicht vorlegen können und sein Verfügungsrecht am Fahrzeug nicht nachgewiesen.
Die dagegen erhobene Klage mit dem Antrag, die Beklagte zur Zulassung des Fahrzeugs und Ausfertigung einer Zulassungsbescheinigung Teil II zu verpflichten, hat das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 25. Oktober 2017 abgewiesen. Der Kläger habe seine Verfügungsberechtigung nicht hinreichend nachgewiesen. Die Zulassungsstelle habe zwar keine privatrechtlichen Sachverhalte zu prüfen, sondern lediglich eine äußere Sichtung der vorzulegenden Papiere vorzunehmen. Sie würde jedoch ihre Amtspflichten verletzen, wenn sie eine Zulassungsbescheinigung ausstellt, obwohl sich Bedenken gegen die tatsächliche Berechtigung des Antragstellers aufdrängen. Bei einem zuvor in einem anderen EU-Mitgliedstaat zugelassenen Fahrzeug müsse der Antragsteller die ausländischen Zulassungspapiere oder einen adäquaten Ersatz vorlegen. Der Kläger habe jedoch weder die Zustimmung der zuletzt zuständigen französischen Zulassungsbehörde noch die Einverständnis- oder Verzichtserklärung der im französischen Fahrzeugregister als Eigentümerin eingetragenen Versicherung vorgelegt. Der bloße Besitz des Fahrzeugs begründe keine Verfügungsberechtigung. Dies gelte auch im Hinblick auf die Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 1 BGB. Der Kläger habe nicht gutgläubig Eigentum an dem abhanden gekommenen Fahrzeug erwerben können. Angesichts des Fahrzeugwerts sei auch nicht davon auszugehen, dass das Fahrzeug durch Verzicht des Eigentümers auf das Eigentum herrenlos geworden sei und der Kläger das Eigentum durch Inbesitznahme habe erwerben können. Schließlich begründe auch die Rückgabe des Fahrzeugs durch die Polizei nach Ende der Sicherstellung kein Verfügungsrecht.
Zur Begründung des hiergegen eingereichten Antrags auf Zulassung der Berufung macht der Kläger ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils und besondere rechtliche Schwierigkeiten geltend. Er sei rechtmäßiger Besitzer des Fahrzeugs. Damit gelte die Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB. Obwohl das Fahrzeug bereits am 19. Juni 2016 gestohlen worden sei und die deutschen Strafverfolgungsbehörden die französischen Behörden über das Auffinden des Fahrzeugs in Deutschland informiert hätten, habe sich bisher kein anderer Verfügungsberechtigter gemeldet und etwaige Ansprüche geltend gemacht. Auch die im französischen Fahrzeugregister als letzter Halter eingetragene Versicherung „Mutuelles du Mans Assurances“ habe auf mehrere Anschreiben des Klägers mit der Bitte um Abgabe einer Verzichtserklärung nicht reagiert. Durch die über einen langen Zeitraum nicht erfolgte Geltendmachung etwaiger Ansprüche eines anderen Verfügungsberechtigten sei das Fahrzeug herrenlos und ein Eigentumserwerb des Klägers gemäß § 958 BGB möglich. Aus den Gesamtumständen sei daher auf dessen Verfügungsberechtigung zu schließen. Die Zulassungsbehörde sei nicht berechtigt, vom Kläger eine eigentumsrechtliche Klärung zu verlangen, die einer gerichtlichen Feststellung der Eigentumsverhältnisse gleichkomme.
Die Beklagte, die dem Zulassungsantrag entgegentritt, hat in der mündlichen Verhandlung beim Verwaltungsgericht, in der Antragserwiderung sowie in dem im Zulassungsverfahren durchgeführten Erörterungstermin erklärt, sie sei bereit, bei einer ausdrücklichen Erklärung des eingetragenen französischen Versicherers im Sinne eines Verzichts das Fahrzeug auch ohne die französische Zulassungsbescheinigung zuzulassen. Bisher habe der Kläger diese Erklärung jedoch nicht vorgelegt. Es sei nicht Aufgabe der Beklagten, privatrechtliche Sachverhalte wie etwa einen gutgläubigen Erwerb des Fahrzeugs durch den Kläger oder einen Eigentumserwerb durch Inbesitznahme einer herrenlosen Sache zu prüfen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
1. Aus der Antragsbegründung ergeben sich weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch besondere rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
a) Kraftfahrzeuge, die auf öffentlichen Straßen in Betrieb gesetzt werden sollen, müssen von der zuständigen Behörde (Zulassungsbehörde) zum Verkehr zugelassen sein (§ 1 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes [StVG] vom 5.3.2003 [BGBl I S. 310], zuletzt geändert durch Gesetz vom 17.8.2017 [BGBl I S. 3202]; § 3 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Fahrzeugen zum Straßenverkehr [Fahrzeug-Zulassungsverordnung – FZV] vom 3.2.2011 [BGBl I S. 139], zuletzt geändert durch Verordnung vom 31.7.2017 [BGBl I S. 3090]). Die Zulassung erfolgt auf Antrag des Verfügungsberechtigten des Fahrzeugs bei Vorliegen einer Betriebserlaubnis, Einzelgenehmigung oder EG-Typgenehmigung und Nachweis einer Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (§ 1 Abs. 1 Satz 2 StVG, § 3 Abs. 1 Sätze 2 und 3 FZV). Mit dem Antrag ist der Zulassungsbehörde die Zulassungsbescheinigung Teil II (bis 30.9.2005: Fahrzeugbrief) vorzulegen (§ 6 Abs. 2 Satz 1 FZV). Wenn diese – wie etwa bei zuvor im Ausland zugelassenen Fahrzeugen – noch nicht vorhanden ist, ist nach § 12 FZV zu beantragen, dass diese ausgefertigt wird (§ 6 Abs. 2 Satz 2 FZV). Mit dem Antrag auf Ausfertigung einer Zulassungsbescheinigung Teil II ist der Zulassungsbehörde die Verfügungsberechtigung über das Fahrzeug nachzuweisen (§ 12 Abs. 1 Satz 1 FZV).
Die Zulassung eines Kraftfahrzeugs setzt damit voraus, dass der Antragsteller der Zulassungsbehörde seine Verfügungsberechtigung nachweist. Aus dem Nachweis muss die Verfügungsberechtigung unzweifelhaft hervorgehen. Über deren äußere Sichtung hinaus, die etwa eine Prüfung der Echtheit beinhaltet, ist es nicht Aufgabe der Zulassungsbehörde, über privatrechtliche Sachverhalte zu befinden (§ 12 Abs. 7 Satz 1 FZV).
b) Gemessen daran hat die Beklagte die Zulassung des Fahrzeugs zu Recht abgelehnt.
Es ist dem Kläger bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht gelungen, seine Verfügungsberechtigung über das in Frankreich entwendete Fahrzeug nachzuweisen. Grundsätzlich ist für diesen Nachweis die Vorlage der ausländischen Fahrzeugpapiere erforderlich, die die Zulassungsbehörde einzuziehen, mindestens sechs Monate aufzubewahren und auf Verlangen der zuständigen ausländischen Behörde über das Kraftfahrt-Bundesamt zurückzusenden hat (§ 7 Abs. 2 Sätze 1 und 4 FZV). Diese hat der Kläger unstreitig nicht vorgelegt.
Die Beklagte hat jedoch mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass ihr insoweit auch eine Verzichts- oder Zustimmungserklärung des bisherigen Fahrzeugeigentümers oder der französischen Versicherung, auf die die Rechte an dem Fahrzeug möglicherweise nach Leistung an den früheren Eigentümer übergegangen sind, ausreichen würde (vgl. insoweit auch Nr. 5.2.2.1 Buchst. b der Richtlinie zur Zulassungsbescheinigung Teil I und Teil II vom 29.11.2016, VKBl 2016 S. 803). Aber auch eine solche Erklärung hat der Kläger bisher nicht beibringen können. Die Bemühungen seiner Prozessbevollmächtigten haben zwar nach längerer Zeit zu einer Kontaktaufnahme mit der französischen Versicherung geführt. Allerdings liegt bisher noch keinerlei Zusage vor, auf Rechte an dem Fahrzeug zu verzichten.
Die Freigabeerklärung der Staatsanwaltschaft Köln vom 5. April 2017 und die daraufhin erteilte Freigabebescheinigung des Münchener Kriminalfachdezernats 5 gegenüber der Verwahrstelle, bei der sich das Fahrzeug befand, sind zum Nachweis der Verfügungsberechtigung nicht ausreichend. Die Freigabeerklärung setzt voraus, dass das beschlagnahmte oder auf andere Weise sichergestellte Fahrzeug für Zwecke des Strafverfahrens nicht mehr benötigt wird, und ermöglicht die Herausgabe an den letzten Gewahrsamsinhaber, an den Verletzten, dem sie durch die Straftat entzogen worden ist, wenn dieser bekannt ist oder an einen berechtigten Dritten, wenn dieser bekannt ist (vgl. § 111n StPO). Sie trifft damit aber keinerlei Entscheidung über die Verfügungsberechtigung als Voraussetzung für die Fahrzeugzulassung, sondern beschränkt sich auf die Beendigung der Beschlagnahme oder Sicherstellung des Fahrzeugs im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren.
Als Nachweis der Verfügungsberechtigung für die Fahrzeugzulassung reicht auch die Eigentumsvermutung für den Besitzer einer beweglichen Sache nach § 1006 BGB oder die Möglichkeit, nach § 958 Abs. 1 BGB durch Inbesitznahme einer herrenlosen beweglichen Sache Eigentum an der Sache zu erwerben, keinesfalls aus. Gleiches gilt für den bloßen Zeitablauf seit der Entwendung des Fahrzeugs in Frankreich und den Umstand, dass der bisherige Eigentümer oder die Versicherung, auf die dessen Rechte möglicherweise übergegangen sind, noch keine Rechte an dem Fahrzeug geltend gemacht haben. Es ist nicht Aufgabe der Beklagten, die Hintergründe hierfür zu eruieren. Das Fahrzeug wurde unstreitig im Ausland entwendet und die Eigentumsfrage ist nach wie vor ungeklärt. Die Zulassungsbehörde entscheidet keine privatrechtlichen Sachverhalte (§ 12 Abs. 7 Satz 1 FZV). Die Beklagte ist dem Kläger bereits weit entgegen gekommen, indem sie die Vorlage einer Verzichts- oder Zustimmungserklärung der französischen Versicherung für die Zulassung ausreichen lassen würde. Ohne eine solche Erklärung ist die Zulassung jedoch nicht möglich. § 47 Abs. 1 FZV schließt eine Ausnahme von der Pflicht, der Zulassungsbehörde mit dem Antrag auf Ausfertigung einer Zulassungsbescheinigung Teil II gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 FZV die Verfügungsberechtigung über das Fahrzeug nachzuweisen, ausdrücklich aus. Die Ablehnung der Zulassung bei fehlendem Nachweis ist daher zwingend.
2. Als unterlegener Rechtsmittelführer hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO).
3. Die Streitwertfestsetzung in Höhe des halben Auffangwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes und lehnt sich an die Empfehlung in Nr. 46.16 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, Anhang zu § 164 Rn. 14) an.
4. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).