Europarecht

Zum Begriff des Dachgeschosses im Entwässerungsbeitragsrecht

Aktenzeichen  20 BV 16.2389

Datum:
6.12.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 34338
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayKAG Abs. 5 Abs. 1, Abs. 2a,
BayBO Art. 2 Abs. 5, Art. 83 Abs. 7

 

Leitsatz

1 Ein Dachgeschoss im Sinne des Entwässerungsbeitragsrechts ist ein Geschoss in dem von Dachflächen umschlossenen Raum, das nach oben mit der Dachkonstruktion abschließt.  (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2 Für die Einbeziehung eines Dachgeschosses in die Herstellungsbeitragsberechnung kommt es darauf an, ob unter objektiven Gesichtspunkten der Ausbau des Dachgeschosses eine Nutzbarkeit schafft, die den Vorteil aus der Entwässerungseinrichtung oder Wasserversorgungseinrichtung erhöht.  (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 10 K 16.1718, M 10 K 16.1719 2016-09-29 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 29. September 2016 wird geändert. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt die Klägerin.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet. Der Senat konnte im schriftlichen Verfahren entscheiden, weil die Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben (§ 125 Abs. 1, § 101 Abs. 2 VwGO).
Die Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Bescheide der Beklagten vom 30. Oktober 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheide des Landratsamts … vom 8. März 2013 finden in der Beitrags- und Gebührensatzung vom 26. Januar 2005 in der Fassung vom 1. Januar 2012 (BGS/EWS 2005) eine rechtliche Grundlage und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Deshalb war das Urteil des Verwaltungsgerichts zu ändern und die Klage abzuweisen.
Rechtsgrundlage der angefochtenen Bescheide ist Art. 5 Abs. 2a Satz 1 KAG i.V.m § 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 3 BGS-EWS (2005). Durch den von der Klägerin und ihrem Mann durchgeführten Dachausbau ist ein weiterer Geschossflächenbeitrag entstanden. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Beitragspflicht für die abgerechneten Geschossflächen sei bereits mit dem Umbau des Gebäudes im Jahre 1994 entstanden und nunmehr verjährt, trifft nicht zu.
Nach Art. 5 Abs. 1 KAG können die Gemeinden zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwandes für die Herstellung, Anschaffung, Verbesserung oder Erneuerung ihrer öffentlichen Einrichtungen Beiträge von den Grundstückseigentümern und Erbbauberechtigten erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Einrichtungen besondere Vorteile bietet. Zu diesen Einrichtungen zählen auch öffentlich betriebene Entwässerungseinrichtungen, wie die des Beklagten. Von dieser Ermächtigung hat der Beklagte durch den Erlass seiner Beitrags- und Gebührensatzung vom 26. Januar 2005 in der Fassung vom 1. Januar 2012 (BGS/EWS 2005) Gebrauch gemacht. Bedenken gegen die Wirksamkeit dieser Abgabesatzung und der zugrunde liegenden Entwässerungssatzung sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Gemäß Art. 5 Abs. 2a Satz 1 KAG entsteht ein zusätzlicher Beitrag, wenn sich nachträglich die für die Beitragsbemessung maßgeblichen Umstände ändern. Die Erhebung eines zusätzlichen Beitrags hat sich nach Art. 5 Abs. 2a KAG am Vorteilsbegriff zu orientieren. Daran anknüpfend kann ein Beitragstatbestand, der einmal verwirklicht wurde und damit eine Beitragspflicht entstanden ist, nicht mehr zur Beitragserhebung führen, wenn die Festsetzungsverjährung eingetreten ist. Dies gebietet der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung (vgl. hierzu Driehaus, Kommunales Abgabenrecht, § 8 Anm. 746) im Zusammenhang mit den Vorschriften der Festsetzungsverjährung. Zutreffend geht das Verwaltungsgericht noch davon aus, dass im vorliegenden Fall es entscheidend ist, ob die jetzt abgerechneten Geschossflächen als Geschossflächen im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 BGS-EWS (1995) oder als nicht ausgebaute Dachgeschossflächen im Sinne des § 5 Abs. 2 Satz 3 BGS-EWS (1995) zu beurteilen waren. Je nachdem ist die Beitragsschuld für diese Geschossflächen verjährt oder auch nicht. Die Beantwortung dieser Frage hängt maßgeblich davon ab, ob es sich bei dem Obergeschoss im Anwesen der Klägerin um ein Dachgeschoss im Sinne der §§ 5 Abs. 2 Satz 3 BGS-EWS (1995 und 2005) handelt. Danach werden Dachgeschosse zur Erhebung eines Beitrags nur herangezogen, wenn sie ausgebaut sind. Diese Regelung ist in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes anerkannt. Es ist mit dem Vorteilsgedanken vereinbar, auf den konkreten Ausbauzustand abzustellen und eine Beitragspflicht nur für Dachgeschossflächen zu verlangen, soweit sie ausgebaut sind (vgl. nur BayVGH, U.v. 28.10.1999 – 23 N 99.1354 – BeckRS 1999, 19475). Was unter einem ein Dachgeschoss im Sinne der §§ 5 Abs. 2 Satz 3 BGS-EWS (1995 und 2005) zu verstehen ist, ist in den Beitragssatzungen der Beklagten nicht weiter definiert. Es handelt sich hierbei um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Bedeutung durch die anerkannten Auslegungsregeln zu ermitteln ist. Nach dem Wortsinn versteht man unter einem Dachgeschoss ein Geschoss in dem von Dachflächen umschlossenen Raum (vgl. BayVGH, U.v. 8.4.1998 – 26 N 96.1104 – BeckRS 1998, 25755; ähnlich BayVGH, U.v. 21.12.1977 – 263 II 75 – BayVBl. 1979, 339). Demnach handelte es sich bei dem Obergeschoss der Klägerin um ein solches Dachgeschoss, denn dieses Geschoss schließt nach oben mit der Dachkonstruktion ab. Folglich würde die Veranlagung des ersten Obergeschosses je nach Ausbauzustand, wie von der Beklagten vorgenommen, keinen rechtlichen Bedenken begegnen.
Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn es das beitragsrechtliche Vorteilsprinzip gebieten würde, Dachgeschosse, welche zugleich Vollgeschosse sind bzw. jedenfalls aufgrund ihrer Dimensionierung genauso nutzbar sind wie „normale“ Geschosse, unabhängig von ihrem Ausbauzustand zu veranlagen. Ausgangspunkt aller diesbezüglichen Überlegungen ist die Grundstücksbezogenheit des Vorteils, nach dessen Ausmaß sich wiederum die jeweilige Beitragshöhe zu bemessen hat. Sowohl das Äquivalenzprinzip und der Gleichheitssatz als auch der im Beitragsrecht besonders bedeutsame Grundsatz des Vorteilsausgleichs finden im Beitragsmaßstab ihren Niederschlag (vgl. Driehaus, Kommunalabgabenrecht, RdNr. 739 zu § 8). Weil sich dieser Vorteil aber nicht der Wahrscheinlichkeit entsprechend messen lässt, darf ein Wahrscheinlichkeitsmaßstab angewendet werden, der nur gewährleisten muss, dass die geschuldeten Beiträge den aus der öffentlichen Einrichtung gezogenen Vorteilen annähernd entsprechen. Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe sind deshalb nur darauf überprüfbar, ob sie offenbar ungeeignet sind, den Vorteil zu bestimmen. Dagegen ist es dem Satzungsgeber nach seinem Ermessen überlassen, welchen Wahrscheinlichkeitsmaßstab er unter den zulässigen auswählt. Grundsätzlich bestehen auch keine Bedenken, mehrere zulässige Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe zu kombinieren, wobei jedoch zu beachten ist, dass stets nur solche Maßstäbe gewählt werden dürfen, die einen einigermaßen sicheren Schluss auf das Ausmaß des Vorteils zulassen. Der Einrichtungsträger muss sich nicht für den zweckmäßigsten, gerechtesten, vernünftigsten oder wahrscheinlichsten Maßstab entscheiden. Vielmehr ist es ihm nach dem abgabenrechtlichen Grundsatz der Typengerechtigkeit gestattet, zu verallgemeinern und zu pauschalieren. Damit ist es zulässig, an die Regelfälle eines Sachbereichs anzuknüpfen und die sich diesem „Typus“ entziehenden Umstände von Einzelfällen außer Betracht zu lassen. Bei der Ausgestaltung des Beitragsmaßstabs dürfen insbesondere auch Praktikabilitätserwägungen angestellt werden, wobei gewisse Ungenauigkeiten hinzunehmen sind. Nur im Falle der Überschreitung der äußersten Grenzen des gemeindlichen Gestaltungsspielraums, was dann vorliegt, wenn für die getroffene Regelung jeder sachlich einleuchtende Grund fehlt, ist der Gleichheitssatz verletzt (BayVGH, U.v. 28.10.1999 – 23 N 99.1354 – BeckRS 1999, 19475 Rn. 30). Für die Einbeziehung eines Dachgeschosses in die Herstellungsbeitragsberechnung kommt es nach der Rechtsprechung des Senats nicht allein darauf an, ob Dachraum baurechtlich als Vollgeschoss gilt oder ob dort Aufenthaltsräume untergebracht werden können. Entscheidend ist vielmehr, ob unter objektiven Gesichtspunkten der Ausbau des Dachgeschosses eine Nutzbarkeit schafft, die den Vorteil aus der Entwässerungseinrichtung oder Wasserversorgungseinrichtung erhöht. Das Dachgeschoss muss sich in seinem gegenwärtigen Zustand über das normale Maß einer Speichernutzung hinaus objektiv für eine Nutzung eignen, die den Vorteil aus der gemeindlichen Einrichtung erhöht (vgl. BayVGH, U.v. 23 B 05.2340 – BayVBl. 2007, 88; U.v. 18.10.1996 – 23 B 95.3447 – juris). Damit steht jedoch nicht fest, ob es beitragsrechtlich geboten ist, Dachgeschosse wie das der Klägerin ohne Einschränkung zu veranlagen.
Diese Frage ist zu verneinen. Wie der Fall der Klägerin anschaulich zeigt, wird auch ein Dachgeschoss, welches ein Vollgeschoss ist, nicht ohne weiteres typischerweise stets voll ausgebaut genutzt. Zudem bedarf es einer Korrektur des Begriffes des Dachgeschosses aus Gründen des Vorteilsprinzipes nicht. Würden solche Dachgeschosse wie das der Klägerin ohne Einschränkung genutzt, also typischerweise von Anfang an voll ausgebaut, so würde keine nach dem Vorteilsprinzip nicht hinnehmbare Beitragslücke entstehen, da solche Geschosse auch unter Anwendung der §§ 5 Abs. 2 Satz 3 BGS-EWS (1995 und 2005) voll zu veranlagen wären. Letztendlich spricht gegen die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Auslegung der Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung, der als Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips im gesamten Bereich des Abgabewesens Geltung beansprucht (BVerwG, B.v. 20.08.1997 – 8 B 169.97 – juris). Er ist Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes – GG -) und besagt, dass abgabebegründende Tatbestände so bestimmt sein müssen, dass der Abgabenpflichtige die auf ihn entfallende Abgabelast vorausberechnen kann (vgl. z.B. BVerfG, B.v. 23.10.1986 – 2 BvL 7/84, 2 BvL 8/84 – BVerfGE 73, 388, m.w.N.). Im Bereich des Abgabenrechts werden damit die Anforderungen an eine über den Wortlaut hinausgehende Auslegung durch den aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung verstärkt. Danach muss die eine Abgabenpflicht begründende Norm nach Inhalt, Gegenstand, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt und begrenzt sein, so dass eine Abgabenlast in gewissem Umfang für den Bürger voraussehbar sowie überschaubar wird. Adressat dieses Grundsatzes ist zunächst der Gesetzgeber (vgl. BFH, B.v. 1.4.2008 – XI B 223/07 -, juris Rn. 3), der um möglichst klare, bestimmte, exakt formulierte und in ihren Folgen vorhersehbare Normen bemüht sein muss (vgl. zum Ganzen BVerfG, B.v. 31.10.2016 – BvR 871/13, 1 BvR 1833/13 – juris Rn 21). Diese Voraussetzungen wären nicht mehr erfüllt, wenn man den Begriff des Dachgeschosses in § 5 Abs. 2 Satz 3 BGS-EWS (1995 und 2005) dahingehend auslegen würde, dass Geschosse, die nicht nur ein Vollgeschoss sind, sondern schon aufgrund ihrer geringsten Höhe von mehr als 2,30 m ohne jegliche Einschränkung voll nutzbar sind, nicht als Dachgeschosse zählen. Insoweit wäre es die Sache des Satzungsgebers eine entsprechende Regelung vorzusehen, welche solche Dachgeschosse wie das Dachgeschoss der Klägerin aus dem Anwendungsbereich des § 5 Abs. 2 Satz 3 BGS-EWS (1995 und 2005) herausnimmt. Dies ist jedoch nicht erfolgt, so dass das Dachgeschoss der Klägerin zu Recht nach §§ 5 Abs. 2 Satz 3 BGS-EWS (1995 und 2005) veranlagt wurde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 VwGO, § 709 Sätze 1 und 2 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

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