Aktenzeichen W 2 K 18.50341
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2 UAbs. 3, Art. 16 Abs. 1
Leitsatz
1 Da für die Tochter der Klägerin als vulnerable Person in Italien systemische Mängel im Aufnahmesystem bestehen und deshalb die Beklagte für die Prüfung deren Asylantrag zuständig ist, ergibt sich auch für die Klägerin als deren sie dauerhaft pflegende und betreuende Mutter aus Art. 16 Abs. 1 Dublin III-VO ein abgeleiteter Zuständigkeitsübergang auf die Beklagte. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2 Da eine Trennung der Klägerin von ihrer Tochter gegen Art. 3 und 8 EMRK verstoßen würde, wäre eine anderweitige Zuständigkeitsentscheidung im Rahmen von Art. 16 Abs. 1 Dublin III-VO rechtsfehlerhaft, weshalb die Zuständigkeitsregelung gem. Art. 16 Abs. 1 Dublin III-VO sich zu einem zwingenden Zuständigkeitsübergang auf die Beklagte verdichtet, ohne dass der Beklagten im Rahmen eines Selbsteintritts ein Ermessen verbliebe. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 28. Juni 2018 (Gesch.Z. 740960-231) wird aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Gemäß § 101 Abs. 2 VwGO kann das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Entsprechende Einverständniserklärungen liegen mit dem Schreiben des Klägerbevollmächtigten vom 10. September 2018 und der allgemeinen Prozesserklärung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 27. Juni 2017 vor.
Die Klage ist zum gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz AsylG maßgeblich Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zulässig.
Der missverständlich als Verpflichtungsantrag formulierte Klageantrag ist gemäß § 88 VwGO anhand des tatsächlichen Begehrens als Anfechtungsklage bezüglich des Ablehnungsbescheids vom 28. Juni 2018 auszulegen. Als solche ist die Klage statthaft. Da das Dublin-Verfahren ein dem nationalen Asylverfahren vorgeschaltetes Verfahren darstellt, besteht kein Raum für eine gerichtliche Entscheidung über den Asylantrag in der Sache. Mithin ist alleine die Anfechtungsklage statthaft.
Die Klage ist auch begründet.
Der verfahrensgegenständliche Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO.
Der Asylantrag der Klägerin ist nicht gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG wegen der Zuständigkeit Italiens für den Asylantrag der Klägerin unzulässig. Es besteht gemäß Art. 16 Abs. 1 Dublin III-VO eine vorrangige Zuständigkeit der Beklagten für die Prüfung des Asylantrags der Klägerin. Wenn ein – auch volljähriges – Kind – wie die Tochter der Klägerin – wegen schwerer Krankheit oder ernsthafter Behinderung auf die Unterstützung eines Elternteils angewiesen ist, entscheiden die Mitgliedstaaten gem. Art. 16 Abs. 1 Dublin III-VO in der Regel, den Antragsteller und das Kind nicht zu trennen, sofern die familiäre Bindung bereits – wie im Fall der Klägerin und ihrer schwer schizoaffektiv erkrankten Tochter – die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat, der Elternteil – wie im Fall der Klägerin – tatsächlich in der Lage ist, die abhängige Person zu unterstützen und die betroffenen Personen ihren Wunsch – wie die Klägerin und ihre Tochter bereits zu Protokoll des Bundesamtes, jedenfalls jedoch im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens -schriftlich kundgetan haben. Da für die Tochter der Klägerin als aufgrund ihrer schweren psychischen Erkrankung vulnerablen Person – wie im Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts vom 11. Oktober 2018 im Verfahren W 2 K 18.50343 ausgeführt – in Italien systemische Mängel im Aufnahmesystem bestehen und deshalb die Beklagte für die Prüfung deren Asylantrag zuständig ist, ergibt sich auch für die Klägerin als deren sie dauerhaft pflegende und betreuende Mutter aus Art. 16 Abs. 1 Dublin III-VO ein abgeleiteter Zuständigkeitsübergang auf die Beklagte. Da eine Trennung der Klägerin von deren Tochter gegen Art. 3 und 8 EMRK verstoßen würde, wäre eine anderweitige Zuständigkeitsentscheidung im Rahmen von Art. 16 Abs. 1 Dublin III-VO rechtsfehlerhaft, weshalb die Zuständigkeitsregelung gem. Art. 16 Abs. 1 Dublin III-VO sich zu einem zwingenden Zuständigkeitsübergang auf die Beklagte verdichtet, ohne dass der Beklagte im Rahmen eines Selbsteintritts ein Ermessen verbliebe.
Eine Zuständigkeit Italiens nach den Regelungen der Dublin III-VO ist deshalb im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht (mehr) gegeben. Die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig ist mithin rechtswidrig.
Dies erstreckt sich auf die Folgeentscheidungen in Ziffern 2 bis 4 des verfahrensgegenständlichen Bescheides, der mithin insgesamt mit der Kostenfolge des § 154 VwGO aufzuheben war.