Familienrecht

Ablehnung eines Sachverständigen

Aktenzeichen  3 C 16.1620

Datum:
4.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 2268
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 98, § 173
ZPO § 406, § 512

 

Leitsatz

1 Entstehen die Umstände, aus denen die Besorgnis der Befangenheit eines Sachverständigen hergeleitet wird, erst nach der Bekanntgabe des Beschlusses über die Ernennung des Sachverständigen oder im Zeitpunkt seiner mündlichen Einvernahme, so muss der betroffene Beteiligte den Ablehnungsgrund „unverzüglich“ – d.h. ohne schuldhaftes Zögern – geltend machen. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ergibt sich der Grund zur Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit aus dem Inhalt des schriftlichen Gutachtens bzw der Erläuterung des Gutachtens in der mündlichen Verhandlung, dann läuft die Frist zur Ablehnung des Sachverständigen gleichzeitig mit der vom Gericht gesetzten Frist zur Stellungnahme ab. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 12 K 13.2743 2016-07-07 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber unbegründet.
1. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist ein Rechtsschutzbedürfnis (vgl. Guckelberger in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl. 2018, § 146 Rn. 42) des Klägers gegeben.
Das Verwaltungsgericht hat unzweckmäßig (Huber in Musielak/Voit, ZPO, 15. Aufl. 2015, § 406 Rn. 22; Greger in Zöller, Zivilprozessordnung, 32. Aufl. 2018, § 406 Rn. 13) bzw. unzulässig (Zimmermann in MüKoZPO, 5. Aufl. 2016, § 406 Rn. 13: Widerspruch zu rechtsstaatlichen Grundsätzen) vor Eintritt der formellen Rechtskraft des die Ablehnung des Sachverständigen zurückweisenden Beschlusses mit Urteil vom 14. Juli 2016 (Az. M 12 K 13.2743 u.a. – juris) in der Hauptsache entschieden und dabei das Gutachten des abgelehnten Sachverständigen verwertet. Aus diesem Grund kann der Kläger sein Ziel, die Unverwertbarkeit des Gutachtens bei erfolgreicher Ablehnung des Sachverständigen (vgl. Förster in Kern/Diehm, ZPO, 1. Aufl. 2017, § 406 Rn. 8; Zimmermann a.a.O. Rn. 13, 16; Schübel-Pfister in Eyermann, 15. Aufl. 2019, § 98 Rn. 29) in der ersten Instanz prozessual nicht mehr erreichen. Die Rechtsstellung des Klägers würde sich durch eine (stattgebende) Beschwerdeentscheidung nicht verbessern, weil das Verwaltungsgericht seine Entscheidung in der Hauptsache bereits getroffen hat.
Ein Rechtsschutzbedürfnis lässt sich aber damit begründen, dass die Unverwertbarkeit des Gutachtens im Falle einer erfolgreichen Beschwerde im Berufungszulassungs- bzw. im anschließenden Berufungsverfahren Berücksichtigung finden muss. Der Kläger könnte die Unverwertbarkeit des Gutachtens nachträglich, d.h. unter Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (GS BFH, B.v. 30.11.1981 – GrS 1/80 – juris Rn. 36 ff.; BayObLG, B.v. 16.6.1994 – 1Z BR 73/94 – juris), in das Berufungszulassungsverfahren einführen, weil die verwaltungsgerichtliche Entscheidung auf einem Sachverständigengutachten beruhen würde, das nicht hätte verwertet werden dürfen. Dem steht § 173 VwGO i.V.m. § 512 2. Alt. ZPO nicht entgegen, weil diese Bestimmung nur die Überprüfung der Ablehnung des Sachverständigen der Beurteilung des Berufungsgerichts entzieht. Darum geht es hier aber nicht.
2. Die Beschwerde ist unbegründet.
Das Verwaltungsgericht hat die Anträge des Klägers auf Ablehnung des Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Der Ablehnungsantrag vom 23. Dezember 2015 ist zwar zulässig (a.), aber unbegründet (b.). Der Ablehnungsantrag vom 4. April 2016 ist bereits unzulässig (c.).
a. Die Frage, innerhalb welcher Zeitspanne die Besorgnis der Befangenheit eines gerichtlich bestellten Sachverständigen geltend gemacht werden muss, beantwortet sich gemäß § 98 VwGO nach § 406 Abs. 2 ZPO. Nicht unmittelbar einschlägig ist vorliegend allerdings die in § 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO normierte Zweiwochenfrist. Denn diese Vorschrift kann sachnotwendig nur dann Beachtlichkeit beanspruchen, wenn die Tatsachen, derentwegen ein Verfahrensbeteiligter Bedenken gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen hegt, bereits bei der Bekanntgabe des Beschlusses über die Ernennung des Sachverständigen oder im Zeitpunkt seiner mündlichen Einvernahme vorliegen und bekannt sind. Entstehen die Umstände, aus denen die Besorgnis der Befangenheit hergeleitet wird, erst in einem späteren Verfahrensstadium, so muss der betroffene Beteiligte den Ablehnungsgrund entsprechend § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO „unverzüglich“ im Sinn von § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB – d.h. ohne schuldhaftes Zögern – geltend machen (Scheuch in BeckOK ZPO, Stand: Dez. 2018, § 406 Rn. 29). Ergibt sich der Grund zur Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit aus dem Inhalt des schriftlichen Gutachtens bzw. der Erläuterung des Gutachtens in der mündlichen Verhandlung, dann läuft die Frist zur Ablehnung des Sachverständigen gleichzeitig mit der vom Gericht gesetzten Frist zur Stellungnahme ab (Scheuch a.a.O., Siebert in Saenger, ZPO, 7. Aufl. 2017, § 406 Rn. 11; Zimmermann a.a.O. Rn. 7).
Da dem Kläger ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung (Sitzungsprotokoll, S. 13) eine Schriftsatzfrist zum Ergebnis der Beweisaufnahme bis zum 24. Dezember 2015 eingeräumt worden war, ist sein Befangenheitsantrag vom 23. Dezember 2015, am gleichen Tag bei Gericht eingegangen, nicht verfristet. Insoweit liegt ein anderer Sachverhalt als derjenige, der dem Beschluss des Senats vom 6. Mai 2016 (3 ZB 15.924 – juris) zugrunde lag, vor.
b. Der Ablehnungsantrag vom 23. Dezember 2015 ist jedoch unbegründet.
Der Kläger bezieht sich insoweit auf die Erklärung des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vom 3. Dezember 2015: „Einen Fall, wie den des Klägers, bei dem sich die Beschwerden über einen so langen Zeitraum hingezogen haben, hatte er noch nie zu Begutachtung.“ (vgl. Sitzungsprotokoll, S. 5) und legt als Anlage ein neurologisch/psychiatrisches Gutachten des selben Sachverständigen vom 25. Juli 2013 vor, das dieser im Auftrag des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Verfahren 4 S 2440/09) erstattet hatte. Der Kläger behauptet, auch der dortige Kläger habe geltend gemacht, 27 Jahre unter unfallbedingten Beschwerden zu leiden. Die zu Protokoll gegebene Erklärung sei daher nachweislich falsch. Der Sachverständige habe die Glaubwürdigkeit des Klägers zu erschüttern versucht. Er habe zum Ausdruck bringen wollen, dass die Beschwerdeschilderung des Klägers allein deshalb in Zweifel zu ziehen sei, weil ein derartiger Fall bisher nicht vorgekommen bzw. nicht bekannt geworden sei.
Nach § 98 VwGO i.V.m § 406 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen abgelehnt werden, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen. Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO). Dies ist dann gegeben, wenn vom Standpunkt des Beteiligten aus gesehen hinreichende objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Betrachtung aller Umstände Anlass geben, an der Unparteilichkeit, Unvoreingenommenheit und Unbefangenheit des Sachverständigen zu zweifeln. Die nur subjektive Besorgnis, für die bei Würdigung der Tatsachen vernünftigerweise kein Grund ersichtlich ist, reicht dagegen zur Ablehnung des Sachverständigen nicht aus (BVerwG, B.v. 11.9.2018 – 9 A 2/18 – juris Rn. 5).
Bei Anwendung dieses Maßstabs ist die Besorgnis der Befangenheit des abgelehnten Sachverständigen nicht begründet. Bei vernünftiger Würdigung aller Umstände besteht kein Anlass, an der Unparteilichkeit, Unvoreingenommenheit und Unbefangenheit des Sachverständigen zu zweifeln. Der Sachverständige führte in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 14. März 2016 aus, er habe die Frage im Sinne einer globalen Bewertung verstanden. Nach seiner Erinnerung sei die Frage nicht ausschließlich auf die Dauer der Symptome bezogen gewesen. Danach besteht bereits nicht der vom Kläger aufgezeigte Widerspruch. Unabhängig davon ist der vom Kläger sowohl im Antrag vom 23. Dezember 2015 als auch in der Beschwerde aufgezeigte Standpunkt (Erschütterung der Glaubwürdigkeit des Klägers) bei vernünftiger Betrachtung „aus der Luft gegriffen“ und ist als nur subjektive Besorgnis zu werten, die zur Ablehnung des Sachverständigen nicht ausreicht. Die Auffassung des Klägers, aus der Formulierung des Sachverständigen schließen zu können, dieser halte die vom Kläger beklagten gesundheitlichen Beschwerden für nicht glaubhaft, ist bei vernünftiger Betrachtung nicht nachvollziehbar. Die Erklärung besagt nur, dass der Sachverständige einen Sachverhalt, wie den hier streitigen, noch nicht zu beurteilen hatte. Diese Erklärung verhält sich nicht zur Glaubwürdigkeit des Klägers.
c. Der Kläger begründete seinen Ablehnungsantrag vom 4. April 2016 damit, dass der Sachverständige in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 14. März 2016 darauf hingewiesen habe, dass der Kläger die Wirkspiegelanalyse verweigert habe. Dies könne nur bedeuten, dass der Sachverständige mit allen – untauglichen – Mitteln versuche, den „Nachweis“ zu erbringen, der Kläger nehme keine Schmerzmittel, er könne daher auch nicht unter starken Schmerzen leiden.
Der Ablehnungsantrag ist verspätet gestellt worden. Der Sachverständige hatte bereits in seinem neurologischen/psychiatrischen Gutachten vom 22. Juli 2014 darauf hingewiesen, dass der Kläger eine Blutabnahme zur Bestimmung der Medikamentenwirkspiegel im Blutplasma abgelehnt hat (S. 27 des Gutachtens). Der Sachverständige zweifelte aufgrund der „vehementen Ablehnung“ an der Regelhaftigkeit oder überhaupt der Einnahme vom Ibuprofen (S. 37 des Gutachtens). Ein Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis gegen einen Sachverständigen ist unverzüglich nach der Erlangung der Kenntnis vom Ablehnungsgrund zu stellen. Die Berichterstatterin hatte unter dem 25. Juli 2014 verfügt, das Sachverständigengutachten an die Beteiligten zu versenden. Eine Frist zur Stellungnahme wurde nicht gesetzt. In diesem Fall ist die Ablehnung innerhalb eines angemessen Zeitraums geltend zu machen (Scheuch a.a.O. Rn. 29). Der Kläger hat indes keinen Ablehnungsantrag gestellt, obwohl der aus seiner Sicht gegebene Ablehnungsgrund bereits offen zu Tage lag. Der Ablehnungsantrag vom 4. April 2016 ist verfristet.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es im Hinblick auf die Festgebühr von 60,00 € für das Beschwerdeverfahren nicht (Nr. 5502 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG).

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