Aktenzeichen III R 24/13
Leitsatz
1. NV: Ist ein teilstationär in einer Behindertenwerkstatt untergebrachtes behindertes Kind in den Haushalt des Kindergeldberechtigten aufgenommen, scheidet eine im Rahmen der Entscheidung über die Abzweigung (§ 74 Abs. 1 Sätze 1, 3 und 4 EStG) angestellte tatsächliche Vermutung, wonach die Unterhaltsleistungen des Kindergeldberechtigten den in § 66 Abs. 1 EStG vorgesehenen Kindergeldsatz bereits dann erreichen bzw. überschreiten, wenn der Kindergeldberechtigte selbst nicht von Sozialleistungen lebt, aus.
2. NV: Im Rahmen der Ermessensentscheidung über die Abzweigung sind die von dem Kindergeldberechtigten tatsächlich erbrachten Unterhaltsaufwendungen (z.B. Gewährung einer Unterkunft, Kosten für die behinderungsbedingte Begleitung eines Kindes, in dessen Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen “H” eingetragen ist) zu berücksichtigen.
Verfahrensgang
vorgehend Thüringer Finanzgericht, 19. März 2013, Az: 1 K 1012/11, Urteil
Tatbestand
1
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist die Mutter eines im Mai 1981 geborenen Sohnes (S). S ist schwerbehindert. Der Grad der Behinderung beträgt 100, im Schwerbehindertenausweis sind die Merkzeichen “B”, “G” und “H” eingetragen. Er lebt im Haushalt seiner Eltern und besucht tagsüber eine Werkstatt für behinderte Menschen.
2
S erhält von dem Beigeladenen und Revisionskläger (Beigeladener) monatliche Grundsicherungsleistungen in Höhe von 301,71 €. Das daneben von S erzielte Einkommen aus der Tätigkeit in der Behindertenwerkstatt wird unter Berücksichtigung von Abzugsbeträgen auf den vom Grundsicherungsträger ermittelten Bedarf angerechnet.
3
Mit Schreiben vom 19. März 2010 beantragte der Beigeladene bei der Beklagten und Revisionsbeklagten (Familienkasse), das gegenüber der Klägerin für S festgesetzte Kindergeld an ihn abzuzweigen. Die Familienkasse stellte daraufhin die Auszahlung des Kindergeldes an die Klägerin ab April 2010 ein. Nachdem sie von der Klägerin erbrachte monatliche Unterhaltsaufwendungen in Höhe von 95,79 € ermittelt hatte, zweigte sie mit Bescheid vom 29. Juni 2010 einen Betrag von 184 € (95,79 € ./. 301,71 € = 205,92 € und damit mehr als 184 €) an den Beigeladenen ab. Den hiergegen von der Klägerin eingelegten Einspruch wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 26. Oktober 2011 (abgesandt am 27. Oktober 2011) zurück.
4
Das Finanzgericht (FG) gab der dagegen gerichteten Klage in vollem Umfang statt und hob den Abzweigungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung auf.
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Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt der Beigeladene die Verletzung materiellen und formellen Rechts.
6
Der Beigeladene beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Bundesfinanzhofs (BFH) an das FG zurückzuverweisen.
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Die Familienkasse hat keinen Antrag gestellt.
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Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
9
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO– i.V.m. § 121 FGO).