Familienrecht

Amtsangemessene Alimentation von Beamten mit drei und mehr Kindern

Aktenzeichen  14 B 15.2254

Datum:
24.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 11357
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 33 Abs. 5
BBesG § 40 Abs. 2
BVerfGG § 35
VwGO § 43 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die Verfassungswidrigkeit einer Besoldung kann grundsätzlich nicht im Wege der Leistungsklage, sondern nur mit der Feststellungsklage geltend gemacht werden. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Abweichend davon sind Ansprüche aus dem Vollzug einer Vollstreckungsanordnung gemäß § 35 BVerfGG – hier: Beschluss des BVerfG vom 24.11.1998 zur amtsangemessenen Alimentation von Beamten mit drei und mehr Kindern – im Wege der Leistungsklage geltend zu machen. (Rn. 23 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die in § 40 Abs. 2 BBesG festgelegte Koppelung des Familienzuschlags an die Kindergeldberechtigung ist von der genannten Vollstreckungsanordnung nicht erfasst und kann deshalb nur im Wege der Feststellungsklage angegriffen werden. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
4. Durch die genannte Vollstreckungsanordnung ist ein Vergleich der Einkommensdifferenzen mit 115% des sozialhilferechtlichen Gesamtbedarfs geboten. Dabei ist es für die Jahre 2010 und 2011 sachgerecht, auf die Neuregelung des Sozialhilferechts im SGB 12 zurückzugreifen und an dem Zuschlag von 20% zur Abgeltung einmaliger Leistungen zum Lebensunterhalt festzuhalten; sachgerecht ist ferner ein pauschalierender Ansatz der Unterkunftskosten auf Basis der durchschnittlichen Bruttokaltmiete sowie eines Heizkostenzuschlags in Höhe von 20% der anteiligen Durchschnittsmiete (Übereinstimmung mit OVG NRW BeckRS 2017, 112187). (redaktioneller Leitsatz)
5. Der in Vollzug der Vollstreckungsanordnung ermittelte Ausgleichsanspruch unterliegt bei Altersteilzeit der für diese festgesetzten Quote. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 2 K 13.793 2014-06-26 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Unter Abänderung des angefochtenen Urteils wird die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Monate Februar 2010 bis September 2011 einen Nettobetrag in Höhe von 698,61 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit, für die erst nach Rechtshängigkeit fällig gewordenen Beträge jeweils seit dem Zeitpunkt der monatlichen Fälligkeit, zu zahlen. Der Bescheid vom 27. Mai 2010 und der Widerspruchsbescheid vom 30. August 2010 werden aufgehoben, soweit sie dem entgegenstehen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung insoweit zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen der Kläger und die Beklagte jeweils zur Hälfte.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Schuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Gläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Das Gericht kann gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten entsprechende Verzichtserklärungen abgegeben haben. Die nach der wirksamen Antragsumstellung allein anhängige Leistungsklage ist zwar zulässig, hat in der Sache aber nur teilweise Erfolg.
1. Die ursprünglich erhobene Feststellungklage wurde in der mündlichen Verhandlung vom 16. April 2018 auf eine allgemeine Leistungsklage umgestellt, was gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO auch in der Berufungsinstanz ohne weiteres möglich ist (vgl. BVerwG, U.v. 21.9.2017 – 2 C 30.16 – NVwZ 2018, 260 Rn. 8 m.w.N.).
Dabei ist die umgestellte Klage dahin zu interpretieren (§ 88 VwGO), dass unverändert wie bereits in der ursprünglichen Feststellungsklage die begehrte amtsangemessene Alimentation auch über die in § 40 Abs. 2 BBesG vorgesehene – von der Klagepartei für verfassungswidrig gehaltene – formale Koppelung des Familienzuschlags an die Kindergeldberechtigung hinausgehen soll.
2. Die zulässige allgemeine Leistungsklage (siehe 2.1.) ist nur teilweise begründet. Aufgrund der Vollstreckungsanordnung im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. November 1998 – 2 BvL 26/91 u.a. – (BVerfGE 99, 300), die trotz zwischenzeitlicher Gesetzesänderungen anwendbar bleibt (siehe unter 2.2.), aber keine Aussage zur spezifischen Problematik der Kindergeld-Altersgrenze bei volljährigen Kindern und ihrer strengen Abbildung in § 40 Abs. 2 BBesG trifft (siehe unter 2.3.), steht dem Kläger ein Zahlungsanspruch nur im Hinblick auf einen Vergleich der Bezüge einschließlich des Familienzuschlags innerhalb des – an das Kindergeld gekoppelten – Systems des § 40 BBesG zu, und zwar unter Berücksichtigung der dem Kläger seinerzeit bewilligten Altersteilzeit (siehe unter 2.4.).
2.1. Die Leistungsklage, auf die klägerseits umgestellt worden ist, ist zulässig.
Zwar kann grundsätzlich angesichts der Gestaltungsfreiheit des Besoldungsgesetzgebers die Verfassungswidrigkeit einer Besoldung nicht im Wege der Leistungsklage, sondern nur mit der Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 VwGO geltend gemacht werden (BVerwG, U.v. 20.3.2008 – 2 C 49.07 – BVerwGE 131, 20; U.v. 28.4.2011 – 2 C 51.08 – ZBR 2011, 379; U.v. 21.9.2017 – 2 C 30.16 – NVwZ 2018, 260). Anders ist dies allerdings, soweit es, wie im Fall der Nr. 2 des Tenors des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 24. November 1998 – 2 BvL 26/91 u.a. – (BVerfGE 99, 300), um den Vollzug einer sog. Vollstreckungsanordnung gemäß § 35 BVerfGG geht. Danach gilt für den Fall, dass der Gesetzgeber den in Nr. 1 des bundesverfassungsgerichtlichen Tenors dargestellten verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht bis zum 31. Dezember 1999 Rechnung trägt, mit Wirkung vom 1. Januar 2000, dass Besoldungsempfänger für das dritte und jedes weitere unterhaltsberechtigte Kind Anspruch auf familienbezogene Gehaltsbestandteile in Höhe von 115% des durchschnittlichen sozialhilferechtlichen Gesamtbedarfs eines Kindes haben, der sich nach Maßgabe der Gründe zu C.III.3. des bundesverfassungsgerichtlichen Beschlusses errechnet.
Ansprüche aufgrund derartiger Vollstreckungsanordnungen sind im Wege der Leistungsklage geltend zu machen. Die Verwaltungsgerichte sind deshalb befugt, aufgrund dieser Vollstreckungsanordnung den Dienstherrn eines Beamten mit mehr als zwei Kindern zu höheren Gehaltszahlungen zu verurteilen, soweit die gesetzlich bestimmte Besoldung nicht den konkreten bundesverfassungsgerichtlichen Vorgaben entspricht, wobei die Vollstreckungsanordnung nicht schon dadurch obsolet geworden ist, dass im Anschluss an den bundesverfassungsrechtlichen Beschluss gesetzgeberische Maßnahmen getroffen worden sind (BVerwG, U.v. 17.6.2004 – 2 C 34.02 – BVerwGE 121, 91).
2.2. Die im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. November 1998 – 2 BvL 26/91 u.a. – (BVerfGE 99, 300) enthaltene Vollstreckungsanordnung ist trotz zwischenzeitlicher Gesetzesänderungen unverändert anwendbar, und zwar auch bei volljährigen Kindern (BayVGH, B.v. 8.11.2013 – 3 ZB 10.3061 – juris Rn. 17 m.w.N.; VGH BW, U.v. 6.6.2016 – 4 S 1094/15 – juris Rn. 43 ff.; OVG NW, U.v. 7.6.2017 – 3 A 1059/15 – juris Rn. 27 ff.; U.v. 7.6.2015 – 3 A 1060/15 – juris Rn. 26 ff.). Der Anspruch besteht dabei nicht vor demjenigen Haushaltsjahr, in dem der Beamte gegenüber dem Dienstherrn erstmals geltend gemacht hat, dass er den kinderbezogenen Alimentationsteil für unzureichend halte (BVerwG, U.v. 13.11.2008 – 2 C 16.07 – NVwZ-RR 2009, 249 Rn. 17; U.v. 27.5.2010 – 2 C 33.09 – NVwZ-RR 2010, 647 Rn. 7).
2.3. Die im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. November 1998 – 2 BvL 26/91 u.a. – (BVerfGE 99, 300) enthaltene Vollstreckungsanordnung trifft keine Aussage zur Frage der Verfassungskonformität der in § 40 Abs. 2 BBesG vorgesehenen strengen Koppelung des Familienzuschlags an das Kindergeld. Die Klage bleibt insoweit erfolglos.
Der bundesverfassungsgerichtliche Beschluss vom 24. November 1998 hat sich mit § 40 BBesG nicht befasst. Vielmehr geht es dort um einen pauschalierenden Vergleich der Nettoeinkommen von Beamten mit zwei Kindern einerseits und Beamten mit mehr als zwei Kindern andererseits, und zwar auf der Basis von Durchschnittswerten und im Hinblick auf einen Abstand von 15% zum sozialhilferechtlichen Gesamtbedarf (BVerfG, B.v. 24.11.1998 – 2 BvL 26/91 – BVerfGE 99, 300/322 f. unter C.III.). Nur im Rahmen der in der Vollstreckungsanordnung explizit in Bezug genommenen Nr. C.III.3. der Gründe können die Verwaltungsgerichte befugt sein, direkt Ansprüche im Wege der Leistungsklage zuzusprechen.
Die klägerische Kritik an der in § 40 Abs. 2 BBesG festgelegten Koppelung des Familienzuschlags an die Kindergeld-Berechtigung ist demgegenüber von der Vollstreckungsanordnung nicht erfasst und könnte deshalb nur im Wege der Feststellungsklage, nicht aber im Wege der umgestellten Leistungsklage verfolgt werden (s.o.). Hierauf hatte der Senat in der mündlichen Verhandlung ausweislich des Protokolls explizit hingewiesen. Weil die Leistungsklage somit schon aus diesem Grund hinsichtlich der Kritik an § 40 Abs. 2 BBesG und der dort vorgesehenen strikten Koppelung an die Altersgrenzen des Kindergeldrechts keinen Erfolg haben kann, erübrigen sich insoweit weitere Erwägungen zur Frage der Verfassungskonformität dieser Koppelung.
Der nach der Vollstreckungsanordnung im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. November 1998 – 2 BvL 26/91 u.a. – (BVerfGE 99, 300) vorgesehene Vergleich kinderreicher Beamter mit Beamten mit nur zwei Kindern ist vorliegend schon aus diesem Grund unter Berücksichtigung des von § 40 Abs. 2 BBesG vorgesehenen Systems des Familienzuschlags vorzunehmen.
2.4. Aufgrund der Vollstreckungsanordnung im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. November 1998 – 2 BvL 26/91 u.a. – (BVerfGE 99, 300) hat der Kläger gegen die Beklagte für die Monate Februar 2010 bis Dezember 2010 einen Zahlungsanspruch von netto 404,62 € und für die Monate Januar 2011 bis September 2011 einen Zahlungsanspruch von netto 293,99 €, zusammen also von 698,61 €.
2.4.1. Dabei sind für die nach der Vollstreckungsanordnung vorzunehmende Rechnung in einem ersten Schritt abstrakte Einkommensdifferenzen zu berechnen (siehe 2.4.2.). An sich sind vom Prinzip her in typisierender Betrachtung im jeweiligen Zeitraum den Bezügen von Beamten mit zwei Kindern die Bezüge von Beamten mit drei, vier, fünf und sechs Kindern gegenüber zu stellen. Weil aber im Fall des Klägers unstreitig bereits zu Beginn des streitgegenständlichen Zeitraums (Februar 2010) seine beiden ältesten Kinder jeweils ihr 25. Lebensjahr vollendet hatten und sich kinderbezogene Besoldungsunterschiede nur aus dem Familienzuschlag ergeben können, kann der rechnerische Vergleich der Nettoeinkommen vorliegend auf kinderreiche Beamte mit drei und vier Kindern eingegrenzt werden, da wie gezeigt die Regelung des – klägerseits mit einem untauglichen prozessualen Mittel angegriffenen – § 40 Abs. 2 BBesG zu berücksichtigen ist. Weiter ist zu beachten, dass im Verlauf des Jahres 2010 auch das drittälteste Kind des Klägers die kindergeldrechtliche Altersgrenze erreichte, weshalb vorliegend für das Jahr 2011 eine Vergleichsberechnung nur zwischen einem B2-Beamten mit zwei Kindern und einem B2-Beamten mit drei Kindern vorgenommen werden muss. Weil weder das Jahr 2010 noch das Jahr 2011 komplett streitgegenständlich sind, ist die im Ausgangspunkt gebotene Jahresbetrachtung rechnerisch auf eine monatsweise Berechnung herunter zu brechen.
Im zweiten Schritt sind die so errechneten Einkommensdifferenzen zu vergleichen mit 115% des sozialhilferechtlichen Mindestbedarfs (siehe 2.4.3.).
Ergibt der letztgenannte Vergleich eine Unterdeckung, steht dieser beim Kläger insoweit zur Ausgleichung an, als er im streitgegenständlichen Zeitraum im Hinblick auf seine Kindersituation betroffen ist, wobei auch insoweit zu sehen ist, dass im Verlauf des streitgegenständlichen Zeitraums auch das drittälteste Kind des Klägers die kindergeldrechtliche Altersgrenze erreichte (siehe 2.4.4.).
Schließlich ist bei dem sich hinsichtlich des Klägers ergebenden rechnerischen Fehlbetrag noch die Altersteilzeittätigkeit des Klägers zu berücksichtigen (siehe 2.4.5.).
2.4.2. Die Einkommensdifferenzen zwischen B2-Beamten mit zwei Kindern gegenüber B2-Beamten mit drei Kindern betragen im Jahr 2010 im Ergebnis 4.909,75 € (monatlich 409,15 €) und im Jahr 2011 im Ergebnis 4.920,07 € (monatlich 410,00 €). Die Einkommensdifferenzen zwischen B2-Beamten mit zwei Kindern gegenüber B2-Beamten mit vier Kindern betragen im (vorliegend allein interessierenden) Jahr 2010 10.087,20 € (monatlich 840,60 €).
Die in die Rechnung einzustellenden Jahres-Brutto-Bezüge ergeben sich dabei zum einen aus dem in Anlage IV zum Bundesbesoldungsgesetz festgelegten monatlichen B2-Grundgehalt sowie dem in Anlage V geregelten monatlichen Familienzuschlag. Nach § 8 Abs. 2 BSZG waren die §§ 2 bis 4 BSZG vom 1. Juli 2009 bis zum 31. Dezember 2014 im streitgegenständlichen Zeitraum nicht anzuwenden. Im vorliegend streitgegenständlichen Zeitraum maßgeblich sind dabei die Änderungen durch Art. 1 des Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetzes 2010/2011 (BBVAnpG 2010/2011) vom 19. November 2010 (BGBl I S. 1560), die gemäß Art. 19 Abs. 1 BBVAnpG 2010/2011 rückwirkend zum 1. Januar 2010 in Kraft traten. Für die Monate Januar bis August 2011 sind die in Art. 3 Nr. 4 BBVAnpG 2010/2011 und für die Zeit ab August 2011 die in Art. 4 Nr. 2 BBVAnpG 2010/2011 genannten Regelungen maßgeblich sowie die in Art. 3 Nr. 3 BBVAnpG 2010/2011 vorgesehene Einmalzahlung in § 85 BBesG a.F. Für einen B2-Beamten mit zwei Kindern ergeben sich so im Jahr 2010 Jahres-Brutto-Bezüge von 79.859,40 € und im Jahr 2011 Jahres-Brutto-Bezüge von 80.679,06 €. Dem stehen für B2-Beamte mit drei Kindern im Jahr 2010 Jahres-Brutto-Bezüge von 83.561,04 € und im Jahr 2011 von 84.407,55 € gegenüber. Für B2-Beamte mit vier Kindern ergeben sich im – wie gezeigt – insoweit allein interessierenden Jahr 2010 Jahres-Brutto-Bezüge von 87.262,68 €.
Für die weitere verfassungsrechtliche Vergleichsrechnung sind zunächst die Netto-Bezüge unter Berücksichtigung der Lohnsteuer (Steuerklasse III), der Kirchensteuer und des Solidaritätszuschlags zu ermitteln (vgl. hierzu BVerfG, B.v. 24.11.1998 – 2 BvL 26/91 u.a. – BVerfGE 99, 300/321), wobei das Gericht den auf der Homepage des Bundesministeriums der Finanzen eingestellten Lohn- und Einkommensteuerrechner verwendet hat. Nach der Eingabemaske dieses Rechners sind auch die durchschnittlichen Beiträge zur privaten Krankenversicherung zu berücksichtigen, wobei vorliegend insoweit eine Durchschnittsbetrachtung zu erfolgen hat. Bei der deshalb alternativlosen Pauschalierung wurde in den Gesetzgebungsmaterialien zum Bundesbesoldungs- und -versorgungsanpassungsgesetz 2016/2017 (BBVAnpG 2016/2017) für eine vierköpfige Familie (also 2 Erwachsene und 2 Kinder) ein rechnerischer Pauschalwert von 340,00 € zugrunde gelegt (BT-Drs. 18/9533 S. 37), den das Gericht als Ausgangspunkt übernimmt. Entgegen der Kritik der Klagepartei im Schriftsatz vom 15. Mai 2018 kann aber jedenfalls bei volljährigen Kindern nicht unberücksichtigt bleiben, dass für einen privaten Krankenversicherungsschutz weiterer Kinder entsprechende Zuschläge zu zahlen sind. Dass die zwischenzeitlich gesetzlich vorgegebene private Krankenversicherungspflicht gleichzeitig – wie von der Klagepartei zu Recht festgehalten – einer der Gründe dafür ist, im Rahmen des nachfolgenden Vergleichs mit 115% des Sozialhilfesatzes (siehe unten) beim sozialhilferechtlichen Bedarf an dem im Zeitpunkt der bundesverfassungsgerichtlichen Vollstreckungsanordnung gebotenen 20%-Zuschlag festzuhalten (vgl. OVG NW, U.v. 7.6.2017 – 3 A 1059/15 – juris Rn. 69, 89; U.v. 7.6.2017 – 3 A 1060/15 – juris Rn. 66, 87), spricht nicht dagegen, die zunehmende Zahl der Kinder spiegelbildlich auch bei der Lohnsteuer im Kontext der Berechnung der Einkommensdifferenzen zu berücksichtigen. Allerdings ergibt sich dabei die Schwierigkeit, dass im Bereich der privaten Krankenversicherung keine festen gesetzlichen Beitragswerte, sondern nur abstrakte mathematische Anforderungen an die Kalkulation vorgegeben sind (vgl. §§ 146 ff. des Versicherungsaufsichtsgesetzes – VAG; §§ 1 ff. der Krankenversicherungsaufsichtsverordnung – KVAV). Soweit ersichtlich ist bislang die Frage der in der Praxis bei pauschalierender Betrachtung anzusetzenden Beitragszuschläge für weitere Kinder nicht Gegenstand amtlicher Veröffentlichungen gewesen. Allerdings finden sich in Internet-Fundstellen, die aus der gewerblichen Wirtschaft stammen, hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass bei beihilfeberechtigten Beamten eine private Krankenversicherung für Kinder bereits ab Zuschlägen von monatlich 20,00 € zu haben ist (vgl. https:// www.private-krankenversicherung-im-test.de/private-krankenversicherung-be-amte-ehepartner-angehoerige-kinder-familie-test/ sowie https:// beamten-infopor tal.de/ratgeber/versicherung-von-kindern/ jeweils abgerufen am 20.4.2018). Angesichts des großen kalkulatorischen Spielraums der privaten Krankenversicherungen erscheint es deshalb bei der gebotenen pauschalierenden Betrachtung sachgerecht, für das dritte und jedes weitere zu berücksichtigende Kind Krankenversicherungszuschläge von jeweils 20,00 € pro Monat als zusätzliche Krankenversicherungskosten bei der Lohnsteuer im Kontext der Berechnung der Einkommensdifferenzen anzusetzen. Insoweit sieht die Eingabemaske des BMF-Lohnsteuerrechners allein die Eingabe monatlicher Beträge vor, und zwar auch anlässlich der Errechnung von Jahresbeträgen.
Als jährliche Netto-Bezüge ergeben sich demnach unter Berücksichtigung von Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer für B2-Beamte mit zwei Kindern im Jahr 2010 62.130,09 € und im Jahr 2011 62.628,65 €, für B2-Beamte mit drei Kindern im Jahr 2010 64.759,85 € und im Jahr 2011 65.268,72 € und für B2-Beamte für vier Kindern im (vorliegend – wie gezeigt – insoweit allein interessierenden) Jahr 2010 67.357,29 €.
Das hinzuzurechnende Kindergeld (vgl. hierzu BVerfG, B.v. 24.11.1998 – 2 BvL 26/91 u.a. – BVerfGE 99, 300/321) beträgt sowohl für das Jahr 2010 als auch für das Jahr 2011 für zwei Kinder 4.416,00 €, für drei Kinder 6.696,00 € und für vier Kinder 9.276,00 €.
Daraus ergibt sich eine jährliche Einkommensdifferenz zwischen einem B2-Beamten mit drei Kindern gegenüber einem B2-Beamten mit zwei Kindern im Jahr 2010 von 4.909,76 € (monatlich also 409,15 €) und im Jahr 2011 von 4.920,07 € (monatlich also 410,00 €) sowie eine jährliche Einkommensdifferenz zwischen einem B2-Beamten mit vier Kindern gegenüber einem B2-Beamten mit zwei Kindern im Jahr 2010 von 10.087,20 € (monatlich also 840,60 €).
2.4.3. Bei dem sodann durch die Vollstreckungsanordnung gebotenen Vergleich der Einkommensdifferenzen mit 115% des sozialhilferechtlichen Gesamtbedarfs im jeweiligen Zeitraum (vgl. hierzu BVerfG, B.v. 24.11.1998 – 2 BvL 26/91 u.a. – BVerfGE 99, 300/321 f.) ist für das Jahr 2010 ein sozialhilferechtlicher Gesamtbedarf von 387,61 € (115% davon also 445,75 €; vgl. OVG NW, U.v. 7.6.2017 – 3 A 1059/15 –juris Rn. 55-117) und für das Jahr 2011 ein sozialhilferechtlicher Gesamtbedarf von 388,80 € (115% davon also 447,12 €; vgl. OVG NW, U.v. 7.6.2017 – 3 A 1060/15 – juris Rn. 54-115) anzusetzen. Das Gericht schließt sich insoweit den Erwägungen und Berechnungen in den beiden – bereits im Anhörungsschreiben vom 23. April 2018 – genannten Urteilen des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen an, was gerade angesichts der vorliegend gebotenen pauschalierenden Betrachtungsweise, bei der es nicht auf regionale Besonderheiten ankommt, nahe liegt. Hinsichtlich des Durchschnittsregelsatzes hat das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen jeweils sachgerecht auf die zum 1. Januar 2005 erfolgte Neuregelung des Sozialhilferechts (früher BSHG) im zwölften Teil des Sozialgesetzbuchs (SGB XII) zurückgegriffen (vgl. OVG NW, U.v. 7.6.2017 – 3 A 1059/15 – juris Rn. 61-68; OVG NW, U.v. 7.6.2017 – 3 A 1060/15 – juris Rn. 60-65). Dass dabei von einem Rückgriff auf den zweiten Teil des Sozialgesetzbuchs (SGB II) abgesehen wurde, ist im Hinblick auf die vorliegend allein mögliche Fortschreibung der Vollstreckungsanordnung und den praktischen Gleichlauf des zweiten und des zwölften Teils des Sozialgesetzbuchs (vgl. OVG NW, U.v. 7.6.2017 – 3 A 1059/15 – juris Rn. 63; OVG NW, U.v. 7.6.2017 – 3 A 1060/15 – juris Rn. 63 f.) ebenfalls sachgerecht. Zutreffend hat das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen für die Jahre 2010 und 2011 auch an dem in der Vollstreckungsanordnung vorgesehenen Zuschlag von 20% zum Regelsatz zur Abgeltung einmaliger Leistungen zum Lebensunterhalt (vgl. BVerfG, B.v. 24.11.1998 – 2 BvL 26/91 u.a. – BVerfGE 99, 300/322) festgehalten im Hinblick auf die auch nach neuem Recht vorgesehenen zusätzlichen Leistungen sowie die zwischenzeitliche Einführung einer privaten Krankenversicherungspflicht für Beamte (vgl. OVG NW, U.v. 7.6.2017 – 3 A 1059/15 – juris Rn. 74, 77, 84, 89; OVG NW, U.v. 7.6.2017 – 3 A 1060/15 – juris Rn. 71, 74, 82, 84, 87). Angesichts der vorliegend gebotenen pauschalierenden Betrachtung sachgerecht sind schließlich auch die Erwägungen des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen zu den Unterkunftskosten auf Basis der durchschnittlichen Bruttokaltmiete (vgl. OVG NW, U.v. 7.6.2017 – 3 A 1059/15 – juris Rn. 95-107; OVG NW, U.v. 7.6.2017 – 3 A 1060/15 – juris Rn. 93-105) sowie zum pauschalierten Heizkostenzuschlag in Höhe von 20% der anteiligen Durchschnittsmiete (vgl. OVG NW, U.v. 7.6.2017 – 3 A 1059/15 – juris Rn. 108-117; OVG NW, U.v. 7.6.2017 – 3 A 1060/15 – juris Rn. 106-115).
Ein Vergleich der unter 2.4.2. berechneten Einkommensdifferenzen für die Besoldungsgruppe B2 mit den genannten 115% des monatlichen sozialhilferechtlichen Gesamtbedarfs ergibt für B2-Beamte mit drei Kindern gegenüber B2-Beamten mit zwei Kindern im Jahr 2010 eine Unterdeckung von monatlich 36,60 € (445,75 € – 409,15 €) und im Jahr 2011 eine Unterdeckung von monatlich 37,12 € (447,12 € – 410,00 €).
Für B2-Beamte mit vier Kindern ergibt sich gegenüber B2-Beamten mit zwei Kindern im (vorliegend insoweit allein interessierenden) Jahr 2010 eine Unterdeckung von monatlich 50,90 € (891,50 € [also 2×445,75 €] – 840,60 €).
2.4.4. Angewendet auf die konkrete historische Situation des Klägers ergibt sich, dass dieser im Jahr 2010 vier Monate lang (von Februar bis Mai 2010) für vier kindergeldberechtigte und damit dem kinderbezogenen Familienzuschlag unterfallende Kinder aufzukommen hatte, woraus sich für diese Zeitspanne eine konkrete Unterdeckung von 203,60 € (4×50,90 €) ergibt.
Für die verbleibenden sieben Monate des Jahres 2010 (Juni bis Dezember 2010) ergibt sich eine konkrete Unterdeckung von 256,20 € (7×36,60 €). Im Jahr 2010 betrug die Unterdeckung deshalb zusammen 459,80 € (256,20 € + 203,60 €).
Für die weiter im Jahr 2011 streitgegenständlichen neun Monate (Januar bis September 2011), in denen noch drei Kinder des Klägers dem kinderbezogenen Familienzuschlag unterfielen, ergibt sich eine konkrete Unterdeckung von 334,08 € (9×37,12 €).
2.4.5. Für den dem Kläger konkret zustehenden Ausgleichsanspruch ist zu berücksichtigen, dass dem Kläger in den streitgegenständlichen Zeiträumen Altersteilzeit bewilligt war und dass nach dem seinerzeit verbindlichen Bescheid der Beklagten vom 23. September 2008 der Anspruch auf 88% der Vollzeitnettodienstbezüge festgesetzt worden war. Auch der Ausgleichsanspruch unterliegt dieser Quote. Daraus ergibt sich für das Jahr 2010 ein Ausgleichsanspruch von 404,62 € (0,88×459,80 €) und für das Jahr 2011 ein Ausgleichsanspruch von 293,99 € (0,88×334,08 €), zusammen also ein Betrag von 698,61 €.
3. Der Anspruch auf Prozesszinsen ergibt sich aus § 90 VwGO i.V.m. §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VwGO. Die Zielrichtung der Leistungsklage, auf die klägerseits erst in der mündlichen Verhandlung vom 16. April 2018 umgestellt wurde, ist vor dem Hintergrund der ursprünglichen Feststellungsklage zu sehen.
Ungeachtet der Klageumstellung ist ein wesentlicher Aspekt der klägerischen Kritik unverändert gegen die in § 40 Abs. 2 BBesG strikte Koppelung des Familienzuschlags an den Kindergeldanspruch im Hinblick auf die Herabsetzung der Kindergeld-Altersgrenze bei volljährigen Kindern auf das 25. Lebensjahr gerichtet. Weil diese Koppelung aber klägerseits mit einem untauglichen prozessualen Mittel angegriffen wurde und von der Vollstreckungsanordnung im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. November 1998 – 2 BvL 26/91 u.a. – (BVerfGE 99, 300) nicht erfasst ist (s.o.), unterliegt der Kläger insoweit.
Allerdings obsiegt der Kläger innerhalb des Rahmens, den die genannte bundesverfassungsgerichtliche Vollstreckungsanordnung setzt (s.o.).
Beide – klägerseits jeweils nicht bezifferten – Teilaspekte sind gleich zu gewichten, weshalb die Kosten hälftig zu teilen sind.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§ 132 VwGO, § 127 BRRG).

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