Familienrecht

Anfall der Einigungsgebühr bei Streit um elterliche Sorge

Aktenzeichen  2 WF 271/19

Datum:
11.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
RPfleger – 2020, 359
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VV-RVG Nr. 1000, Nr. 1003

 

Leitsatz

1. Die Einigungsgebühr in Ziffer 1000, 1003 VVRVG entsteht auch für die Mitwirkung an einer Vereinbarung, über deren Gegenstand nicht vertraglich verfügt werden kann, wenn hierdurch eine gerichtliche Entscheidung entbehrlich wird oder wenn die Entscheidung der getroffenen Vereinbarung folgt. (Rn. 6)
2. Die Einigungsgebühr soll jegliche vertragliche Beilegung eines Streits der Beteiligten honorieren und dadurch einen Anreiz schaffen, diesen Weg der Erledigung eines Rechtsstreits bzw. Verfahrens zu beschreiten. (Rn. 6)
3. Ein gerichtlicher Vergleich gem. § 36 FamFG mit Einigung der Eltern zur Übertragung der elterlichen Sorge auf einen Elternteil ist hierfür nicht erforderlich. Es reicht aus, wenn der eine Elternteil dem bisher streitigen Begehren des anderen Elternteils auf Übertragung des Sorgerechts zustimmt und dies mangels entgegenstehendem Kindeswohl der gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt wird. (Rn. 7 – 8)

Verfahrensgang

206 F 285/19 2019-09-23 Bes AGBAMBERG AG Bamberg

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Rechtsanwalts D. wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Bamberg vom 23.09.2019 (206 F 285/19) dahingehend abgeändert, dass die dem Rechtsanwalt D. aus der Staatskasse zu zahlende Verfahrenskostenhilfevergütung auf noch 472,43 Euro festgesetzt wird.
2. Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.
Im Verfahren 206 F 285/19 (AG Bamberg) hat die Antragstellerin zunächst die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts hinsichtlich des gemeinsamen Sohnes der Antragstellerin und des Antragsgegners beantragt. Nach Anhörung des Kindes, der Verfahrensbeiständin sowie der Antragstellerin und des Antragsgegners hat letzterer am 19.08.2019 nach kurzer Sitzungsunterbrechung vor dem Familienrichter erklärt, dass er – wenn gewünscht – auch der Übertragung der gesamten elterlichen Sorge zustimmen würde. Der Antragstellervertreter hat entsprechenden Antrag nachfolgend gestellt. Der Antragsgegner hat dem zugestimmt. Mit Beschluss vom gleichen Tag hat das Amtsgericht nachfolgend die gesamte elterliche Sorge für das Kind E. der Antragstellerin zur alleinigen Ausübung übertragen.
Der für das Verfahren dem Antragsgegner beigeordnete und den Antragsgegner in der Sitzung vom 19.08.2019 vertretende Rechtsanwalt D. hat mit Schreiben vom 26.08.2019 die Festsetzung der ihm zu erstattenden Gebühren und Auslagen beantragt und dabei u. a. eine Einigungsgebühr für das gerichtliche Verfahren aus einem Gegenstandswert von 5.000,00 Euro neben einer Verfahrensgebühr und einer Terminsgebühr sowie der Post- und Telekommunikationspauschale zur Festsetzung beantragt. Das Amtsgericht ist dem gefolgt mit Ausnahme der beantragten Einigungsgebühr samt Mehrwertsteuer.
Gegen den entsprechenden Beschluss vom 23.09.2019, Rechtsanwalt D. zugestellt am 24.09.2019, mit dem die noch auszuzahlende Verfahrenskostenhilfevergütung auf 166,60 Euro nach Abzug des Vorschusses von 466,30 Euro festgesetzt wurde, hat Rechtsanwalt D. mit Schreiben vom 04.10.2019, eingegangen beim Amtsgericht am 07.10.2019, Beschwerde eingelegt. Er macht geltend, dass die Einigungsgebühr entstanden sei. Weiterhin hat er eine Begründung der Beschwerde „mit umfangreichster Rechtsprechung“ angekündigt, die nachgereicht werde. Eine solche ist weder beim Amtsgericht noch beim Oberlandesgericht bisher eingegangen. Mit Beschluss vom 06.11.2019 hat das Amtsgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen, da in der Sitzung lediglich einseitige Erklärungen abgegeben worden seien, eine Vereinbarung jedoch nicht getroffen worden sei. Auf die zitierten Anwaltsschreiben und gerichtlichen Entscheidungen wird ergänzend Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere sind die Beschwerdesumme und die Zweiwochenfrist des § 33 Abs. 3 Satz 1, 3 RVG gewahrt. Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
Dem beigeordneten Rechtsanwalt D. steht auch die von ihm geltend gemachte Einigungsgebühr zu, so dass sich unter Berücksichtigung der erhaltenen Vorschussleistung von 466,39 Euro ein noch ausstehender Anspruch von 472,43 Euro errechnet. Insoweit wird zunächst auf den Festsetzungsantrag vom 26.08.2019 verwiesen.
Die Einigungsgebühr hat ihre Grundlage in Ziffer 1000, 1003 VVRVG. Danach entsteht die Einigungsgebühr für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrages, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird oder Abschluss einer Zahlungsvereinbarung sowie in Kindschaftssachen auch für die Mitwirkung am Abschluss eines gerichtlich gebilligten Vergleichs (§ 156 Abs. 2 FamFG) und an einer Vereinbarung, über deren Gegenstand nicht vertraglich verfügt werden kann, wenn hierdurch eine gerichtliche Entscheidung entbehrlich wird oder wenn die Entscheidung der getroffenen Vereinbarung folgt. Letzteres ist vorliegend gegeben, obwohl ausweislich des Vermerks des Amtsgerichts vom 19.08.2019 keine förmliche Vereinbarung, also kein Vertrag ausdrücklich geschlossen wurde. Dies ist jedoch für das Entstehen der Einigungsgebühr nicht zwingend. Ein entsprechender Vertrag kann auch stillschweigend geschlossen werden und ist nicht formbedürftig, sofern dies materiell-rechtlich nicht besonders vorgeschrieben ist. Die Einigungsgebühr soll jegliche vertragliche Beilegung eines Streits der Beteiligten honorieren und dadurch einen Anreiz schaffen, diesen Weg der Erledigung eines Rechtsstreits bzw. Verfahrens zu beschreiten. Daher kommt es auch nicht auf das Zustandekommen eines Vergleichs i. S. v. § 779 BGB, sondern nur noch auf eine Einigung an. Durch die zusätzliche Gebühr soll die mit der Einigung verbundene Mehrbelastung und erhöhte Verantwortung des beteiligten Rechtsanwalts vergütet werden. Zudem soll die Belastung der Gerichte gemindert werden. Die Einigungsgebühr entsteht demnach nur dann nicht, wenn ein von den Beteiligten geschlossener Vertrag das Anerkenntnis der gesamten Forderung durch den Schuldner oder den Verzicht des Gläubigers auf den gesamten Anspruch ausschließlich zum Inhalt hat (vgl. BGH FamRZ 2007, 1096).
Vorliegend sind zwar dem Vermerk vom 19.08.2019 nur entsprechende Erklärungen der Antragstellerseite und der Antragsgegnerseite zur Übertragung der elterlichen Sorge zu entnehmen. Diesen Erklärungen ist gemeinsam, dass in Ergänzung des ursprünglichen Antragstellerbegehrens der Antragsgegner seine Zustimmung in Aussicht gestellt hat, einem Antrag auf Übertragung der gesamten elterlichen Sorge zuzustimmen. Dem ist die Antragstellerseite gefolgt, so dass der Beschluss des Amtsgerichts vom 19.08.2019 mit Übertragung der elterlichen Sorge für das gemeinsame Kind der Antragstellerin und des Antragsgegners auf erstere nur noch auf die übereinstimmenden Erklärungen der Kindseltern insoweit abzustellen hatte. Dass dies dem Kindeswohl zuwiderlaufen könnte, war schon ansatzweise nicht ersichtlich, so dass die gerichtliche Entscheidung der Einigung der beteiligten Eltern entsprach.
Damit ist der gerichtlichen Sorgerechtsentscheidung eine konkludent zustande gekommene Vereinbarung der Kindseltern, also der Antragstellerin und des Antragsgegners zugrunde gelegt worden, dass die elterliche Sorge auf die Antragstellerin in vollem Umfang übertragen werden soll. Dass keine ausdrücklich protokollierte Vereinbarung gem. § 36 FamFG vorliegt, steht dem nicht entgegen.
Infolgedessen ist der Festsetzungsbeschluss entsprechend abzuändern.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 33 Abs. 9 RVG.
Die Rechtsbeschwerde findet nicht statt, § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG.

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