Aktenzeichen M 18 S 20.6711
SGB VIII § 42
Leitsatz
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung des am … … 2020 eingelegten Widerspruchs gegen den Bescheid vom … … 2020 mit dem der Antragsgegner die Inobhutnahme der Kinder der Antragstellerin, T. L., geb. … … …, und C. A., geb. … … …, verfügt hat, wird wiederhergestellt.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Gründe
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die Inobhutnahme ihrer beiden Kinder durch den Antragsgegner.
Die Antragstellerin ist leibliche Mutter des am … … … geborenen T. und der am … … … geborenen C. Sie hat für beide Kinder das alleinige Sorgerecht inne.
Seit Oktober 2016 besteht zwischen dem Jugendamt des Antragsgegners und der Antragstellerin wiederkehrende Kontakt. Hintergrund hierfür waren sowohl Meldungen wegen häuslicher Gewalt zwischen der Antragstellerin und dem Kindesvater der Tochter C. als auch Meldungen über Kindeswohlgefährdungen. Im April 2019 wurde eine sozialpädagogische Familienhilfe gemäß § 27 i.V.m. § 31 SGB VIII installiert. Nachdem im November 2020 zeitnah bei dem Antragsgegner aufeinanderfolgend mehrere anonyme Meldungen eingingen, die darauf hinwiesen, dass die Antragstellerin häufig alkoholisiert sei und zudem alkoholisiert mit ihren Kindern Auto fahre, erfolgte am … … 2020 ein unangekündigter Hausbesuch durch das Jugendamt des Antragsgegners bei der Antragstellerin. Aufgrund der mehrfach eingegangenen Gefährdung sowie der Erkenntnisse des Hausbesuches wurde mit der Antragstellerin unter Begleitung der Mutter der Antragstellerin ein Schutzkonzept mit Sicherstellungsaufträgen zum Kindswohl vereinbart. Hierbei wurde insbesondere vereinbart, dass die Antragstellerin ab sofort sicher stelle, dass sie nüchtern/drogenfrei ihre Kinder beaufsichtigen bzw. versorge und in der Lage sei, Gefahrensituation zu erkennen und abzuwenden. Andernfalls organisiere sie unverzüglich eine Betreuung bei der Großmutter mütterlicherseits. Die Antragstellerin verpflichtete sich des Weiteren, Kontakt zur Suchberatungsstelle aufzunehmen und regelmäßig einen wöchentlichen Beratungstermin zu vereinbaren. Sie erklärte sich bereit, sich einer Alkoholtestung zu unterziehen, sofern das Kreisjugendamt dies für notwendig hält. Schließlich verpflichtete sich die Antragstellerin, sicherzustellen, dass ihre Kinder vor häuslicher Gewalt geschützt würden. Beispielsweise löse sie Konfliktsituationen mit dem Kindesvater von C. gewaltfrei und nur mit Worten. Sollte es zu gewaltvollen Auseinandersetzungen kommen, habe sie sicherzustellen, dass dies außerhalb der Hör- und Sichtweite ihrer Kinder stattfindet und ihre Kinder vor Gewalt von Übergriffen geschützt werde. Die Wohnung solle ab sofort in einem adäquaten, sauberen und kindgerechten Zustand sein und die Kinder täglich die Kinderkrippe, die Grundschule und den Hort besuchen.
Es wurde vereinbart, dass die Umsetzung und Einhaltung der vereinbarten Maßnahmen am … … 2020 um 10:00 Uhr im Rahmen eines persönlichen Gesprächs beim Antragsgegner überprüft würden.
Die Antragstellerin sagte den Termin am … … 2020 berufsbedingt ab. Daraufhin wurde als Folgetermin der … … 2020 als Hausbesuch bei der Antragstellerin vereinbart. Auch die Mutter der Antragstellerin wurde zu diesem Termin geladen.
Der Antragsgegner nahm im Vorfeld Kontakt zu den involvierten Beratungsstellen auf. Die Fachstelle für häusliche Gewalt berichtete, dass die Kindesmutter wieder in alte Verhaltensmuster verfalle und insgesamt sehr beratungsresistent wirke. Sie sei nach Einschätzung der Fachstelle nicht in der Lage, konsequent das Kindeswohl im Blick zu haben, sondern bagatellisieren die Gewalt seitens des Vaters von C. und die daraus resultierenden Auswirkungen auf die Kinder. Mit Bericht vom … … 2020 berichtete die Suchberatungsstelle, dass die Beratungstermine nicht gut verliefen. Die Kindesmutter sei zum zweiten Termin alkoholisiert erschienen. Der Hort von L. teilte mit Bericht vom … … 2020 mit, dass bei L. wiederkehrende Anzeichen von Verwahrlosung auftreten würden. Das Jugendamt des Antragsgegners kam daraufhin zu dem Ergebnis, dass das Schutzkonzept mit den Sicherstellungsaufträgen gescheitert sei. Gemäß der telefonischen Aussage der Mitarbeiterin des Antragsgegners gegenüber dem Gericht am … … 2020 entschied der Antragsgegner darauf hin, dass die beiden Kinder der Antragstellerin in Obhut genommen werden müssten. Ein entsprechender Inobhutnahme Bescheid wurde vorbereitet.
Am … … 2020 erfolgte um 10:00 Uhr der Hausbesuch von zwei Mitarbeiterinnen des Antragsgegners bei der Antragstellerin. Als Unterstützung für diese waren zwei Polizeibeamte anwesend. Die beiden Kinder der Antragstellerin waren nicht vor Ort. Gemäß der Stellungnahme des Antragsgegners vom … … 2020 habe die Antragstellerin auf die Information, dass die Herausnahme der Kinder am selben Tag aufgrund der Gefahr für das Wohl der Kinder erforderlich sei, sehr emotional reagiert.
Der Antragstellerin wurde im Folgenden der streitgegenständliche Bescheid vom … … 2020 übergeben. Unter Punkt I. wird darin die Inobhutnahme von T. L. und C. A. verfügt. Unter III. wird die sofortige Vollziehung angeordnet. Einer besonderen Begründung bedürfe es gemäß § 80 Abs. 3 Satz zwei VwGO nicht, da es sich um eine Notstandsmaßnahme handle. Die Begründung im Folgenden enthält ausschließlich Ausführungen zur möglichen Kostenbeitragspflicht der Antragstellerin.
Die Antragstellerin widersprach der Inobhutnahme und wiederholte dies nochmals per E-Mail am … … 2020 sowie per Fax an den Antragsgegner vom … … 2020.
Der Antragsgegner holte im Folgenden die Kinder von Schule bzw. Kinderkrippe ab und brachte sie unter.
Ebenfalls mit Schreiben vom … … 2020 beantragte der Antragsgegner bei dem Amtsgericht München – Familiengericht – den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 157 FamFG.
Die Antragstellerin beantragte am … … 2020 beim Verwaltungsgericht München,
die Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Nummer 4 VwGO der Antragsgegnerin durch Bescheid vom 18. Dezember 2020 aufzuheben.
Zur Begründung führte sie insbesondere aus, dass die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für die Inobhutnahme zu keinem Zeitpunkt gegeben gewesen seien. Eine angebliche Vernachlässigung von L. stehe in keinem untrennbaren Zusammenhang mit der Entwicklung des Kindes C. Beide Kinder seien nach Auffassung der Antragstellerin rechtswidrig in Obhut genommen worden. Die Anordnung der Inobhutnahme, insbesondere die sofortige Vollziehung verstoße massiv gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Übermaßverbot, da die Unterbringung der Kinder in einem Kinderheim gerade nicht geeignet und verhältnismäßig sei, da diese bei der Mutter der Antragstellerin, welche als Betreuungsperson zur Verfügung stehe, untergebracht und versorgt werden könnten.
Die Antragsgegnerin legt dem Gericht am … … 2020 per Fax verschiedene Unterlagen und Stellungnahmen vor und führte insbesondere aus, dass die psychische Verfassung der Antragstellerin seitens des Jugendamtes am … … 2020 nicht ausreichend stabil eingeschätzt werden habe können und eine weitere Eskalation (Alkoholkonsum) über das Wochenende zu befürchten gewesen sei. Eine Entscheidung des Familiengerichts habe nicht abgewartet werden können. Die Antragstellerin habe gegenüber dem Jugendamt mehrfach angegeben, dass der Grund für ihren übermäßigen (und teils unkontrollierten) Alkoholkonsum jegliche Stresssituation seien. Hätte die Antragstellerin im Vorfeld durch den Antrag an das Familiengericht sowie der angeregten Fremdunterbringung ihrer Kinder erfahren, wäre zu befürchten gewesen, dass die Antragstellerin über keine ausreichenden Stressbewältigungsstrategien verfüge und sie erneut Alkohol konsumieren und daher nicht in der Lage wäre, ihre Kinder zu versorgen und das Kindeswohl sicherzustellen. Eine Eskalation im häuslichen Umfeld im Beisein der Kinder wäre somit nicht ausgeschlossen, sondern als sehr wahrscheinlich anzunehmen gewesen. Darüber hinaus wäre bei einer solchen Eskalation nicht nur die mangelnde Versorgung der Kinder, sondern gegebenenfalls eine Kontaktaufnahme zu dem Kindesvater von C. zu befürchten gewesen. Dieser habe wieder regelmäßige, unbegleitete Kontakte zu seiner Tochter entgegen der fachlichen Empfehlung. Er stelle durch die wiederholten Vorfälle häuslicher Gewalt sowie Bedrohung/Sachbeschädigung eine Gefährdung für die Kinder dar. Eine vorübergehende Unterbringung der Kinder im Haushalt der Großeltern mütterlicherseits bis zu einer Entscheidung des Familiengerichts habe in der konkreten Situation am … … 2020 nicht umgesetzt werden können. Die Mutter der Antragstellerin habe gegenüber dem Jugendamt angegeben, dass sie in Stresssituationen mit den Kindern überfordert sei und es zuletzt in einer solchen Überforderungssituation zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen ihr und der Antragstellerin gekommen sei. Es sei nicht auszuschließen gewesen, dass dies in Überforderungssituationen erneut und in Anwesenheit der Kinder vorkommen könne. Daher sei eine sofortige Herausnahme beider Kinder erforderlich und notwendig gewesen.
Eine Antragstellung durch den Antragsgegner unterblieb.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte verwiesen.
II.
Die Entscheidung ergeht als Vorsitzendenentscheidung (§ 80 Abs. 8 VwGO). Die Dringlichkeit liegt vor.
Der zulässige Antrag hat Erfolg. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Inobhutnahme war aus formalen Gründen anzuordnen.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein erforderliche summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich der Bescheid bei dieser Prüfung dagegen als rechtswidrig, besteht kein Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessensabwägung. Sofern der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen ist, kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen, § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO.
Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet, § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO; über die Rechtmäßigkeit einer Inobhutnahme entscheidet ausschließlich das Verwaltungsgericht und nicht das Familiengericht (st. Rspr., vgl. OVG NW, B.v. 11.9.2019 – 12 B 1020/12; OLG Frankfurt, B.v. 22.1.2019 – 4 WF 145/18; OVG Lüneburg, B.v. 18.9.2009 – 4 LA 706/07 – jeweils juris).
Die Inobhutnahme stellt für die Antragstellerin einen belastenden Verwaltungsakt gemäß § 31 S. 1 SGB X dar (vgl. Wiesner in Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 42 Rn. 67, 68a). Der Verwaltungsakt der Inobhutnahme wird gemäß §§ 37 Abs. 1, 39 Abs. 1 SGB X mit seiner Bekanntgabe an die Sorgeberechtigten, die gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 SGB X auch mündlich erfolgen kann, wirksam.
Im Rahmen der Inobhutnahme ist zwischen dem form- und fristfreien Widerruf der Zustimmung zur Inobhutnahme, der dazu führt, dass nach § 42 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 SGB VIII unverzüglich eine Entscheidung des Familiengerichts über die für die Zukunft erforderlichen Maßnahmen zum Wohl des Kindes oder des Jugendlichen herbeizuführen ist, und dem Widerspruch nach § 70 VwGO der zur Überprüfung der Inobhutnahme führt, zu unterscheiden. Die Antragstellerin hat der Inobhutnahme spätestens mit dem Telefax vom … … 2020 an den Antragsgegner schriftlich im Sinne des § 70 VwGO widersprochen.
Gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Verwaltungsakte grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Eine Inobhutnahme gemäß § 42 Abs. 1 SGB VIII wird vom Tatbestand des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 2 und 3 VwGO nicht umfasst, die aufschiebende Wirkung entfällt daher auch nicht ausnahmsweise kraft Gesetzes. Im Fall der Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO hat dem gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO die Begründung schriftlich zu erfolgen (VG Würzburg, B.v. 5 6.2018 – W 3 S 18.745 – juris Rn. 23 m.w.N.; OLG Frankfurt, B.v. 22.1.2019 – 4 WF 145/18 – juris – Leitsatz 2, Rn. 15). Erforderlich ist eine auf den konkreten Einzelfall abstellende Darlegung des besonderen öffentlichen Interesses dafür, dass ausnahmsweise die sofortige Vollziehbarkeit notwendig ist und dass hinter dieses erhebliche öffentliche Interesse das Interesse des Betroffenen zurücktreten muss, zunächst von dem von ihm bekämpften Verwaltungsakt nicht betroffen zu werden (Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl. 2014, § 80 Rn. 85). Zwar mögen bei Maßnahmen die zur Abwehr von Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter dienen und die grundsätzlich nur in akuten Gefährdungssituationen in Betracht kommen – wie der Inobhutnahme (vgl. OVG MV, B.v. 26.4.2018 – 1 LZ 238/17 – juris, Leitsatz, Rn. 6) – die Anforderungen zur Begründung des besonderen öffentlichen Vollzugsinteresses deutlich geringer sein, dennoch können sie nicht völlig entfallen.
Der Antragsgegner hat vorliegend zwar im streitgegenständlichen Bescheid die sofortige Vollziehung unter Ziffer III angeordnet, jedoch unter Verweis auf § 80 Abs. 3 Satz 2 VwGO von jeder Begründung hierzu abgesehen, da es sich um eine Notstandsmaßnahme handle.
Die Inobhutnahme stellt sich jedoch nicht als Notstandsmaßnahme im Sinne des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO dar, die die Begründungspflicht insgesamt entfallen lässt. Ein Notstand liegt vor, wenn für ein bedeutsames Rechtsgut Gefahr in Verzug besteht. Der bundesrechtliche und prozessuale Begriff des „Gefahrenverzugs“ muss aus dem Zusammenhang der Einzelregelungen des § 80 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 und Abs. 3 Satz 1 VwGO ausgelegt werden. Gefahr ist nur dann „im Verzug“, wenn deren Abwendung keinen Aufschub duldet, wenn also gerade durch das Fertigen der an sich regelmäßig erforderlichen formellen Rechtfertigung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Zweck des Verwaltungsakts vereitelt zu werden droht (OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 23.11.1992 – 2 M 148/92 – juris Rn. 13 m.w.N.). Die Befreiung von der Begründungspflicht für Notstandsmaßnahmen soll folglich dazu dienen, eine Behörde im Fall eines Notstands umgehend handeln zu lassen. Selbst wenn im Zeitpunkt der Inobhutnahme ein solcher Notstand vorgelegen haben sollte, ist diese spätestens nach der erfolgten Inobhutnahme entfallen und die Behörde in der Lage, umgehend die Anordnung des Sofortvollzuges zu begründen. Nachdem der Antragsgegner erkennbar jedoch den Bescheid bereits im Vorfeld fertigte, war er nicht aufgrund eines Notstandes daran gehindert, den Sofortvollzug der Inobhutnahme zu begründen. Eine Begründung hätte es insbesondere daher bedurft, da auch der Bescheid im Übrigen keinerlei Begründung zur Inobhutnahme enthält und lediglich ausführt, dass die Kindwohlgefährdung zum aktuellen Zeitpunkt aus fachlicher Sicht nur durch die Herausnahme der beiden Kinder abgewandt werden könne. Für die Antragstellerin ist daher in keiner Weise nachvollziehbar, welchen Sachverhalt und welche fachliche Würdigung der Antragsgegner der Inobhutnahme zugrunde legt. Zwar dürften die Mitarbeiterinnen des Antragsgegners bei dem Termin am … … 2020 der Antragstellerin mündlich die Gründe für ihr Vorgehen dargelegt haben – was sich aus der Antragsschrift der Antragstellerin vom … … 2020 ergibt – auch diese mündliche Darlegung genügt jedoch dem Begründungsgebot nicht.
Die Anordnung des Sofortvollzuges ist damit mangels hinreichende Begründung formal rechtswidrig und kann deshalb keinen Bestand haben, ohne dass es darauf ankommt, ob in der Sache das öffentliche Interesse oder überwiegenden Interesse eines Beteiligten überwiegt. Dem Antrag der Antragstellerin war daher stattzugeben und die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs wiederherzustellen.
Darüber hinaus hat das Gericht erhebliche Zweifel daran, ob im vorliegenden Verfahren die Voraussetzung des § 42 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b SGB VIII tatsächlich erfüllt sind und eine familiengerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig vor der Inobhutnahme eingeholt hätte werden können.
Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII ist das Jugendamt berechtigt und verpflichtet, ein Kind oder einen Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen, wenn eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen die Inobhutnahme erfordert und eine familiengerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig eingeholt werden kann. Die Inobhutnahme stellt sich als wesentlicher Eingriff in das grundrechtlich gemäß Art. 6 Abs. 2 GG geschützte Elternrecht dar (vgl. BayVGH, B.v. 9.1.2017 – 12 CS 16.2181 – juris Rn. 4 ff.). Sie kommt bei Widerspruch der Personensorgeberechtigten nur in akuten Gefährdungssituationen in Betracht, die eine abwartende Entscheidung des Familiengerichts nicht erlauben; sie ist ultima ratio (vgl. OVG M-V, B.v. 26.4.2018- 1 LZ 238/17 – juris).
Tatsächlich dürften dem Antragsgegner bereits am … … 2020 sämtliche Anhaltspunkte vorgelegen haben, die bei ihm zu der Entscheidung geführt haben, dass die Kinder der Antragstellerin am … … 2020 anderweitig untergebracht werden müssen. Dementsprechend hätte der Antragsgegner jedoch die Möglichkeit gehabt, zu diesem Zeitpunkt einen Antrag bei dem Familiengericht zu stellen, um einen umgehenden Beschluss durch dieses zu erreichen. Sofern durch das vorausgehende familiengerichtliche Verfahren durch den Antragsgegner eine Gefahr gesehen wird, wäre es dem Antragsgegner unbenommen geblieben, dies gegenüber dem Familiengericht darzulegen, sodass keine Information vorab an die Antragstellerin erfolgt und der Beschluss der Antragstellerin erst nach der Herausnahme der Kinder zugestellt wird (vgl. §§ 38 Abs. 3 Satz 3, 53 Abs. 2 Sätze 1 und 2 FamFG). Auch der Versuch, zunächst die Zustimmung der Antragstellerin zur Heimunterbringung ihrer Kinder zu erreichen, vermag die fehlende Anrufung des Familiengerichts im Vorfeld nicht zu rechtfertigen. Wie sich bereits aus der Begleitung der Mitarbeiterinnen des Antragsgegners durch die Polizei ergibt, ging der Antragsgegner nicht davon aus, dass am … … 2020 ein ergebnisoffenes Gespräch geführt wird, in dem weiteren Verfahrensschritte einvernehmlich ausgehandelt werden.
Keine Bedenken hat das Gericht hingegen daran, dass die Antragstellerin aktuell nicht in der Lage ist, hinreichend für ihre Kinder zu sorgen, so dass der ebenfalls durch den Antragsgegner gestellte Antrag bei dem Familiengericht als sachgerecht erscheint. Inwieweit in diesem Verfahren eine Versorgung der Kinder, insbesondere auch durch die Mutter der Antragstellerin geregelt werden kann, bleibt diesem Verfahren vorbehalten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 188 Satz 2 VwGO.