Aktenzeichen 13 T 15081/16
Leitsatz
1 Ob es erforderlich ist, Betroffenen nach den Umständen des Einzelfalles einen Rechtsanwalt beizuordnen, richtet sich im Betreuungsverfahren weitgehend nach denselben Kriterien wie die Beurteilung der Frage, ob ein Verfahrenspfleger zu bestellen ist. (redaktioneller Leitsatz)
2 Außerhalb der Regelbeispiele des § 276 Abs. 1 S. 2 FamFG bestimmt sich die nach den Umständen des Einzelfalls zur beurteilende Erforderlichkeit, einen Verfahrenspfleger zu bestellen, nach der Bedeutung des Verfahrensgegenstandes sowie dem Grad der Krankheit und der Behinderung der Betroffenen. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
Der Beschluss des Amtsgerichts München vom 22.07.2016 wird abgeändert:
Der Betroffenen wird Rechtsanwalt Wolfgang N. beigeordnet.
Gründe
Die zulässige Beschwerde erweist sich in der Sache als begründet.
1. Gemäß § 78 Abs. 3 FamFG ist ein Anwalt beizuordnen, wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint. Dies ist nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen. Dabei kommt es nicht allein auf die objektiven Umstände des Falles, sondern auch auf die subjektiven Fähigkeiten des Betroffenen an. Ob die Beiordnung im Sinne von § 78 Abs. 2 FamFG erforderlich ist, hängt davon ab, ob ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte, weil Zweck der Verfahrenskostenhilfe die weitgehende rechtsschutzmäßige Gleichstellung von unbemittelten mit bemittelten Personen ist und auch ein bemittelter der Verfahrensbeteiligte die Notwendigkeit zur Beauftragung eines Rechtsanwaltes unter Berücksichtigung seiner eigenen subjektiven Fähigkeit beurteilt.
Ob es erforderlich ist, der Betroffenen nach den Umständen des Einzelfalles einen Rechtsanwalt beizuordnen, richtet sich im Betreuungsverfahren weitgehend nach denselben Kriterien wie die Beurteilung der Frage, ob ein Verfahrenspfleger zu bestellen ist. Außerhalb der Regelbeispiele des § 276 Abs. 1 Satz 2 FamFG bestimmt sich die ebenfalls nach den Umständen des Einzelfalls zur beurteilende Erforderlichkeit, einen Verfahrenspfleger zu bestellen, nach der Bedeutung des Verfahrensgegenstandes sowie dem Grad der Krankheit und der Behinderung der Betroffenen. Je weniger die Betroffene in der Lage ist, ihre Interessen selbst wahrzunehmen, je eindeutiger erkennbar ist, dass die geplanten Betreuungsmaßnahmen gegen ihren natürlichen Willen erfolgen und je schwerer und nachhaltiger der beabsichtigte Eingriff in die Rechte der Betroffenen ist, umso dringender erforderlich ist die Bestellung des Verfahrenspflegers.
Die Aufhebung der Betreuung ist ein bedeutsamer Verfahrensgegenstand. Aufhebung wie Anordnung einer Betreuung sind Verfahren, in denen der Staat auch seiner Schutzpflicht gegenüber Menschen nachzukommen hat, die ihre Angelegenheiten krankheitsbedingt nicht mehr selbst regeln können. Die Einordnung als bedeutsamer Verfahrensgegenstandes entspricht auch der Wertung des Gesetzgebers. Er hat diese Entscheidung in § 15 RPflG dem Richter vorbehalten und nicht auf den Rechtspfleger übertragen.
Die für die Betroffene eingerichtete Betreuung umfasst unteranderem auch den Aufgabenkreis Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern, weil sie insoweit nicht in der Lage war ihre Angelegenheiten selbst sachgerecht zu besorgen (s. Landgericht Kleve, Beschluss vom 02.09.2014, 4 T 528/14 m. w. N., BtPrax 2015, 31).
2. Die vorliegende Fallgestaltung entspricht zunächst denjenigen, in dem das Landgericht Kleve zutreffenderweise die Notwendigkeit der Bestellung eines Verfahrenspflegers und korrespondierend hierzu die Beiordnung eines Rechtsanwalts als notwendig angesehen hat.
Hinzukommt hier folgendes:
Auch wenn sich das psychiatrische Gutachten der Assistenzärztin A… des Bezirkskrankenhauses Haar vom 01.08.2001 hierzu nicht verhält, erwähnte die Betreuerin in ihren Berichten (erstmals 03.03.2004, letztmals 14.05.2016), die Betreute leide an einer paranoiden Schizophrenie bei leichter Intelligenzminderung. Nachdem die Betreuerin die Gesundheitssorge wahrnahm und in regelmäßigen Kontakten mit der behandelten Ärztin der Betroffenen stand, ist davon auszugehen, dass beide Diagnosen durch die behandelnde Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie gestellt wurden.
Definitionsgemäß gilt bei der leichten Intelligenzminderung (ICD10 F70):
(bei Erwachsenen mentales Alter von 9 – unter 12 Jahren). Schwierigkeiten bei der Schulausbildung. Viele Erwachsene können arbeiten und gute Sozialbeziehungen aufrechterhalten und positiv zur Gesellschaft beitragen.
Auf Grundlage dieser Beeinträchtigung kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die Betroffene über die hinreichenden subjektiven Fähigkeiten zur Führung des Verfahrens verfügte.
Erlass des Beschlusses (§ 38 Abs. 3 Satz 3 FamFG):
Übergabe an die Geschäftsstelle am 20.09.2016.