Aktenzeichen S 3 R 751/15
SGB VI SGB VI § 56, § 249, § 306, § 307d
GG GG Art. 3 Abs. 1
Leitsatz
Auch wenn es bei der sog. Mütterrente aufgrund der Differenzierung zwischen Bestandsrenten und Rentenneuzugängen ab 01.07.2014 in Einzelfällen weder zu einem Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten nach § 307 d SGB VI noch zur Anrechnung weiterer Kindererziehungszeiten nach § 249 SGB VI n. F. für vor dem 01.01.1992 geborene Kinder kommt, begegnen die Regelungen des § 307 d SGB VI sowie des § 249 SGB VI in der Fassung ab 01.07.2014 insoweit keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. (amtlicher Leitsatz)
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Beklagte hat es zu Recht im Bescheid vom 17.07.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2015 abgelehnt, den Bescheid vom 15.08.2014 gemäß § 44 SGB X abzuändern. Denn die Klägerin hat weder Anspruch auf Anerkennung einer Erziehungszeit nach § 249 SGB VI i. d. F. ab 01.07.2014 noch Anspruch auf einen zusätzlichen persönlichen Entgeltpunkt nach § 307d SGB VI für die Erziehung des Sohnes Sohn 2 ab 01.02.1987.
Der Anerkennung einer Kindererziehungszeit für die Klägerin ab 01.02.1987 (§ 249 Abs. 1 SGB VI n. F. i. V. m. § 56 SGB VI) mit entsprechenden Entgeltpunkten gemäß § 70 Abs. 2 SGB VI steht die Regelung des § 306 Abs. 1 SGB VI entgegen. Danach werden aus Anlass einer Rechtsänderung die einer Rente zugrunde gelegten persönlichen Entgeltpunkte nicht neu bestimmt, wenn ein Rentenanspruch vor dem Zeitpunkt der Rechtsänderung bereits bestanden hat; dies gilt nur dann nicht, wenn die dem § 306 SGB VI folgenden Regelungen etwas anderes bestimmen.
Im Zeitpunkt der Änderung des § 249 SGB VI zum 01.07.2014 (max. 24 statt bisher max. zwölf Monate Kindererziehungszeiten für vor 1992 geborene Kinder) bezog die Klägerin bereits eine Altersrente für langjährig Versicherte. Sie kann deshalb wegen § 306 Abs. 1 SGB VI nicht in den Genuss der Neuregelung des § 249 SGB VI kommen. Allein die Besserstellung durch neues Recht ist kein Grund für eine Überprüfung und Neufeststellung (vgl. Kasseler Kommentar, SGB VI, § 306, Rn. 3).
Eine „andere Bestimmung“ i. S. v. § 306 Abs. 1 SGB VI ist § 307d SGB VI. Seine Voraussetzungen sind jedoch bei der Klägerin nicht erfüllt.
Nach § 307d Abs. 1 und 2 SGB VI wird für am 30. Juni 2014 gezahlte Renten ein Zuschlag von je einem persönlichen Entgeltpunkt für Kindererziehung für jedes vor dem 1. Januar 1992 geborene Kind berücksichtigt, wenn
1. in der Rente eine Kindererziehungszeit für den zwölften Kalendermonat nach Ablauf des Monats der Geburt angerechnet wurde und
2. kein Anspruch nach den §§ 294 und 294a SGB VI besteht.
Der Versicherungsverlauf der Klägerin enthält für den zwölften Monat nach dem Geburtsmonat von Sohn 2 Wegmann, d. h. für Januar 1987, keine Kindererziehungszeit. Denn die Eheleute Wegmann haben die Kindererziehungszeit vom 01.02.1986 bis 31.01.1987 für Sohn 2 durch übereinstimmende Erklärung auf den Vater übertragen, vgl. § 1227a Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO). Diese in der Vergangenheit in Übereinstimmung mit der damaligen Rechtslage abgegebene Erklärung über die Zuordnung ist auch weiterhin zu beachten. § 56 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB VI beschränkt sich weder ausdrücklich noch sinngemäß allein auf Zuordnungen, die nach Inkrafttreten der Norm am 01.01.1992 durch Erklärung bewirkt wurden, da anderenfalls bereits rechtsverbindliche Erklärungen im Nachhinein wieder entwertet würden (vgl. Landessozialgericht – LSG – Saarland, Urteil vom 29.01.2004, Az. L 1 RA 36/01).
Die Erklärung über die Zuordnung wäre mangels gemeinsamer Erziehung i. S.v. § 1227a Abs. 2 Satz 1 RVO nur dann rechtlich unbeachtlich, wenn tatsächlich der oder die Nichtbegünstigte aus der Erklärung, hier die Klägerin, das Kind allein erzogen hätte. Eine gemeinsame Erziehung liegt jedoch – unabhängig davon, wer die Erziehungshauptlast trägt – regelmäßig bereits dann vor, wenn die Eltern mit dem Kind in einem gemeinsamen Haushalt leben (Kreikebohm, SGB VI, Kommentar, 4. Aufl. 2013, § 56, Rn. 9, 11). Nach den eigenen Angaben der Klägerseite zum Aufwachsen von Sohn 2 im gemeinsamen Haushalt ist demnach auch von einer gemeinsamen Erziehung auszugehen, so dass die Erklärung über die Zuordnung von Erziehungszeiten betreffend Sohn 2 rechtsverbindlich abgegeben wurde.
Die Erklärung ist unwiderruflich (vgl. Hauck/Noftz, SGB VI, Kommentar, § 56, Rn. 42 bzw. früher explizit § 1227 Abs. 2 Satz 4 RVO). Eine etwaige Anfechtung der gemeinsamen Erklärung wegen Irrtums über die künftige Rechtsentwicklung wäre als bloßer Motivirrtum unbeachtlich (Bundessozialgericht – BSG, Urteil vom 26.09.1972, Az. 11 RA 232/71). Im Übrigen wäre auch die Anfechtungsfrist verstrichen, weil seit Abgabe der Willenserklärung mehr als zehn Jahre vergangen sind, vgl. § 121 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).
Demnach hat es dabei zu verbleiben, dass für den zwölften Monat nach Ablauf des Geburtsmonats die Erziehungszeit für Sohn 2 nicht der Klägerin, sondern ihrem Ehemann angerechnet wird, so dass die Klägerin keinen Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten nach § 307d SGB VI für die Erziehung von Sohn 2 beanspruchen kann.
Obwohl damit die Klägerin – und wohl auch ihr Ehemann – nicht von der Einführung der sog. Mütterrente zum 01.07.2014 profitieren kann, begegnet dieses Ergebnis zur Überzeugung der Kammer auch keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.
Ausweislich der Gesetzesbegründung sollte mit § 307d SGB VI aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität jedem Bestandsrentner bzw. jeder Bestandsrentnerin zum Stichtag 30.06.2014 pauschal ein zusätzlicher persönlicher Entgeltpunkt für seine/ihre Erziehungsleistung für vor 1992 geborene Kinder zugute kommen, damit die Rentenversicherungsträger nicht circa 9,5 Millionen Renten neu berechnen mussten (BR-Drucks. 25/14, S. 10 f.). Der Gesetzgeber war sich aber bei diesem pauschalen Vorgehen durchaus bewusst, dass durch die Anknüpfung an die Erziehungszeit im zwölften Lebensmonat eine Zuordnung der Kindererziehung ab dem 13. Lebensmonat vorgenommen wird, die den tatsächlichen Erziehungsverhältnissen im zweiten Lebensjahr – nur – in den „ganz überwiegenden Fällen entsprechen dürfte“ (BT-Drucks. 18/909 S. 24).
Veränderungen während des zweiten Lebensjahres im Vergleich zum für die weitere Zuordnung maßgeblichen zwölften Lebensmonat bleiben außer Betracht – und zwar nicht nur zulasten, sondern auch zugunsten der Versicherten, z. B.:
– zugunsten der Versicherten, wenn ein Kind im zweiten Lebensjahr verstorben ist und dennoch der Zuschlag nach § 307d SGB VI ungekürzt gewährt wird (anders als für ab 1992 geborene Kinder);
– zulasten der Versicherten, wenn Versicherte ein Kind erst nach Vollendung von dessen zwölften Lebensmonat adoptierten oder wenn im maßgeblichen zwölften Lebensmonat die Erziehung im Ausland erfolgte;
– oder zum Nachteil der Versicherten in speziellen Konstellationen wie der vorliegenden, wenn für die Mutter/Klägerin keine Erziehungszeit für den zwölften Lebensmonat anerkannt ist – bei Rentenbeginn vor dem 01.07.2014 -, während beim Vater ab dem 13. Lebensmonat des Kindes keine Kindererziehungszeiten mehr anerkannt sind – bei Rentenbeginn nach dem 30.06.2014.
Trotz dieser Ungleichbehandlungen in Einzelfällen dürften die gesetzlichen Regelungen zur sog. Mütterrente mit Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) vereinbar sein. Denn Art. 3 Abs. 1 GG verwehrt dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Diese bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (vgl. Bundesverfassungsgericht – BVerfG, Beschluss vom 07.07.2009, Az. 1 BvR 1164/07). Bei der Ausgestaltung von Vergünstigungen ohne direkte Gegenleistung in Form von Beiträgen (wie vorliegend bei der „Mütterrente“) steht dem Gesetzgeber dabei ein weiter Gestaltungsspielraum zu (z. B. BVerfG, Beschluss vom 11.01.2016, Az. 1 BvR 1687/14 m. w. N.).
Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG darf der Gesetzgeber den Bedürfnissen der Massenverwaltung durch generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen Rechnung tragen, ohne allein schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten in Einzelfällen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen (BVerfG, Beschluss vom 03.07.2007, Az. 1 BvR 1696/03). Dementsprechend ist die Pauschalierung bei der „Mütterrente“ in § 307d SGB VI angesichts der damit erzielten Verfahrensvereinfachung im Rahmen einer Massenverwaltung auch verfassungsrechtlich wohl nicht zu beanstanden.
Schließlich kann der Klägerin auch nicht im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ein Zuschlag in Höhe eines persönlichen Entgeltpunktes für die Erziehung ihres Sohnes Sohn 2 ab 01.02.1987 zugesprochen werden. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch setzt voraus, dass durch eine objektiv rechtswidrige Handlung (insb. durch einen Auskunfts- oder Beratungsfehler) des Leistungsträgers dem Berechtigten ein Rechtsnachteil entstanden ist, der mit den Mitteln des Sozialrechts ausgeglichen werden kann.
Ein Beratungsfehler der Beklagten, der zu der nun eingetretenen, für die Klägerin tatsächlich unglücklichen Situation geführt hat, ist jedoch nicht ersichtlich. Weder bei der seinerzeitigen gemeinsamen Erklärung der Eheleute A. bzgl. der Erziehung des Sohnes Sohn 2 noch bei Rentenantragstellung der Klägerin im März 2013 war die (konkrete Ausgestaltung der) „Mütterrente“ absehbar. Der Gesetzentwurf zur „Mütterrente“ in Gestalt des § 307d SGB VI wurde erst am 29.01.2014 vom Bundeskabinett im Rahmen des Gesetzes über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung beschlossen. Jedenfalls davor war eine etwaige Beratungspflicht hinsichtlich der evtl. kommenden „Mütterrente“ ausgeschlossen. Schließlich ist auch im Rahmen des Rentenbewilligungsverfahrens für Herrn A. im März 2015 keine Beratungsmöglichkeit ersichtlich, die noch zur Bewilligung der „Mütterrente“ für die Klägerin hätte führen können.
Nach alledem war der Klage der Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.