Aktenzeichen 2 BvL 6/17, 2 BvL 7/17, 2 BvL 8/17
Leitsatz
1. Der Dienstherr ist aufgrund des Alimentationsprinzips (Art. 33 Abs. 5 GG) verpflichtet, seinen Richtern und
Beamten sowie ihren Familien einen amtsangemessenen Lebensunterhalt zu gewähren. Deshalb kann bei der Beurteilung
und Regelung dessen, was eine amtsangemessene Besoldung ausmacht, die Anzahl der Kinder nicht ohne Bedeutung sein.
Sind die Grundgehaltssätze so bemessen, dass sie zusammen mit den Familienzuschlägen bei zwei Kindern amtsangemessen
sind, darf Richtern und Beamten nicht zugemutet werden, für den Unterhalt weiterer Kinder auf die familien-neutralen
Bestandteile ihres Gehalts zurückzugreifen.
2. Der Besoldungsgesetzgeber darf bei der Bemessung des zusätzlichen Bedarfs, der für das dritte und jedes weitere
Kind entsteht, von den Leistungen der sozialen Grundsicherung ausgehen, muss dabei aber beachten, dass die
Alimentation etwas qualitativ Anderes ist als die Befriedigung eines äußersten Mindestbedarfs. Ein um 15 % über dem
realitätsgerecht ermittelten grundsicherungsrechtlichen Gesamtbedarf eines Kindes liegender Betrag lässt diesen
Unterschied hinreichend deutlich werden (Bestätigung von BVerfGE 44, 249; 81, 363; 99, 300).
3. Die sich fortlaufend wandelnden tatsächlichen Verhältnisse und die Entwicklung des Sozial- und Steuerrechts
bedingen, dass die verfassungsrechtlichen Maßstäbe in ihren Einzelheiten von Zeit zu Zeit neu konkretisiert werden
müssen.
Verfahrensgang
vorgehend VG Köln, 3. Mai 2017, Az: 3 K 6173/14, Vorlagebeschlussvorgehend VG Köln, 3. Mai 2017, Az: 3 K 7038/15, Vorlagebeschlussvorgehend VG Köln, 3. Mai 2017, Az: 3 K 4913/14, Vorlagebeschluss
Tenor
Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
Anlage IV (Tabelle West) zu § 37 des Bundesbesoldungsgesetzes in der am 31. August 2006 geltenden Fassung vom 15.
Dezember 2004 (Bundesgesetzblatt I Seite 3390) und Anlage V (Tabelle West) zu § 39 des Bundesbesoldungsgesetzes in
der am 31. August 2006 geltenden Fassung vom 10. September 2003 (Bundesgesetzblatt I Seiten 1798, 1834) sowie
Anlage IV (Tabelle West) zu § 37 des Übergeleiteten Besoldungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen und Anlage V
(Tabelle West) zu § 39 des Übergeleiteten Besoldungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen vom 16. Mai 2013
(Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen Seiten 234, 236),
jeweils in der Fassung, die sie durch das Gesetz zur Anpassung des Familienzuschlags für dritte und weitere Kinder
vom 20. Dezember 2007 (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen Seiten 750, 752), das Gesetz
über die Anpassung der Besoldungs- und Versorgungsbezüge 2008 im Land Nordrhein-Westfalen vom 20. Dezember 2007
(Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen Seite 750), das Gesetz über die Anpassung der Dienst-
und Versorgungsbezüge 2009/2010 im Land Nordrhein-Westfalen vom 10. November 2009 (Gesetz- und Verordnungsblatt für
das Land Nordrhein-Westfalen Seite 570), das Gesetz zur Anpassung der Dienst- und Versorgungsbezüge 2011/ 2012 im
Land Nordrhein-Westfalen vom 5. April 2011 (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen Seite
202), das Gesetz über die Anpassung der Dienst- und Versorgungsbezüge 2013/2014 im Land Nordrhein-Westfalen vom 16.
Juli 2013 (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen Seite 486) in der Fassung des Gesetzes zur
Änderung des Besoldungs- und Versorgungsanpassungsgesetzes 2013/2014 Nordrhein-Westfalen vom 11. November 2014
(Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen Seite 734) sowie durch das Gesetz zur Anpassung der
Dienst- und Versorgungsbezüge 2015/2016 im Land Nordrhein-Westfalen vom 8. Dezember 2015 (Gesetz- und
Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen Seite 836) gefunden haben,
sind, soweit sie im Jahr 2013 die Bezüge von Richtern und Staatsanwälten der Besoldungsgruppe R 2 des Landes
Nordrhein-Westfalen mit drei Kindern und in den Jahren 2014 und 2015 die Bezüge von Richtern und Staatsanwälten der
Besoldungsgruppe R 2 des Landes Nordrhein-Westfalen mit vier Kindern regeln, mit Artikel 33 Absatz 5 des
Grundgesetzes unvereinbar.
Der Gesetzgeber des Landes Nordrhein-Westfalen hat spätestens bis zum 31. Juli 2021 eine verfassungskonforme Regelung
zu treffen.
Gründe
A.
1
Gegenstand der Vorlagen ist die Vereinbarkeit der im Tenor näher bezeichneten Vorschriften mit dem
Grundgesetz, soweit sie im Jahr 2013 (2 BvL 8/17) die Alimentation von Richtern und Staatsanwälten der
Besoldungsgruppe R 2 mit drei Kindern und in den Jahren 2014 (2 BvL 6/17) und 2015 (2 BvL 7/17) die Alimentation von
Richtern und Staatsanwälten der Besoldungsgruppe R 2 mit vier Kindern regeln.
I.
2
In Nordrhein-Westfalen war die Beamtenbesoldung nach dem Übergang der Gesetzgebungszuständigkeit auf die
Länder in Folge der Föderalismusreform (Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006, BGBl I S. 2034)
zunächst dergestalt geregelt, dass die sich aus den noch vom Bundesgesetzgeber erlassenen Besoldungstabellen
ergebenden Grundgehaltssätze und Zuschläge prozentual oder um bestimmte Beträge erhöht wurden.
3
1. Bis zum 31. Mai 2013 galt das Bundesbesoldungsgesetz in seiner am 31. August 2006 geltenden Fassung
gemäß Art. 125a Abs. 1 Satz 1 GG als Bundesrecht fort, das gemäß Art. 125a Abs. 1 Satz 2 GG durch Landesrecht
ersetzt werden durfte. Der Gesetzgeber des Landes Nordrhein-Westfalen beschränkte sich, soweit hier von Belang,
zunächst darauf, die in den Anlagen IV (Tabelle West – Grundgehaltssätze) und V (Tabelle West – Familienzuschlag)
zum Bundesbesoldungsgesetz in der am 31. August 2006 geltenden Fassung festgesetzten Bezüge im Wege der
Landesgesetzgebung zu erhöhen.
4
In einem ersten Schritt wurde der Betrag, um den der kinderbezogene Familienzuschlag für das dritte und
jedes weitere Kind gegenüber dem für zwei Kinder gezahlten Familienzuschlag zu erhöhen war, rückwirkend zum 1.
Januar 2007 angepasst (§ 1 des Gesetzes zur Anpassung des Familienzuschlags für dritte und weitere Kinder vom 20.
Dezember 2007 ). In der Folge wurden die Grundgehaltssätze und der Familienzuschlag
mehrfach erhöht, wobei der Gesetzgeber lediglich den Steigerungsbetrag beziehungsweise den Steigerungsfaktor
festlegte und keine aktualisierten Besoldungstabellen erließ (§ 2 Satz 1 Nr. 1 Buchstaben a und b des Gesetzes über
die Anpassung der Besoldungs- und Versorgungsbezüge 2008 im Land Nordrhein-Westfalen vom 20. Dezember 2007 –
BesVersAnpG 2008 NRW , § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 3 Buchstaben a und b sowie Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a
des Gesetzes über die Anpassung der Dienst- und Versorgungsbezüge 2009/2010 im Land Nordrhein-Westfalen vom 10.
November 2009 – BesVersAnpG 2009/2010 NRW , § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchstaben a und b sowie § 6 Abs.
1 Nr. 1 Buchstaben a und b des Gesetzes zur Anpassung der Dienst- und Versorgungsbezüge 2011/2012 im Land
Nordrhein-Westfalen vom 5. April 2011 – BesVersAnpG 2011/2012 NRW ).
5
2. Mit Wirkung vom 1. Juni 2013 ordnete der Gesetzgeber des Landes Nordrhein-Westfalen die Fortgeltung
des Bundesbesoldungsgesetzes in der am 31. August 2006 geltenden Fassung als Landesrecht an, wobei die
zwischenzeitlich wirksam gewordenen landesrechtlichen Abweichungen (also insbesondere auch die vorgenannten
Besoldungserhöhungen) unberührt blieben. Das Gesetz wurde umbenannt in Übergeleitetes Besoldungsgesetz für das Land
Nordrhein-Westfalen – ÜBesG NRW (Art. 1 Nr. 1 Buchstabe a und Art. 2 Nr. 1 des Dienstrechtsanpassungsgesetzes für
das Land Nordrhein-Westfalen vom 16. Mai 2013 ). Der Erlass aktualisierter Besoldungstabellen
war hiermit nicht verbunden.
6
Hinsichtlich der Besoldungsentwicklung behielt der Gesetzgeber die beschriebene Regelungstechnik bei und
ordnete eine prozentuale Erhöhung der Bezüge (einschließlich des Familienzuschlags) an (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und
Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a des Gesetzes über die Anpassung der Dienst- und Versorgungsbezüge 2013/2014 im Land
Nordrhein-Westfalen vom 16. Juli 2013 – BesVersAnpG 2013/2014 NRW – in der Fassung des
Gesetzes zur Änderung des Besoldungs- und Versorgungsanpassungsgesetzes 2013/2014 Nordrhein-Westfalen vom 11.
November 2014 und § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 Buchstabe a des Gesetzes zur Anpassung der Dienst-
und Versorgungsbezüge 2015/2016 im Land Nordrhein-Westfalen vom 8. Dezember 2015 – BesVersAnpG 2015/2016 NRW
).
7
3. Das Finanzministerium machte die sich aus diesen Regelungen ergebenden Besoldungstabellen lediglich
nachrichtlich bekannt. In den verfahrensgegenständlichen Jahren 2013 bis 2015 ergab sich daher die Rechtsgrundlage
der Besoldung aus dem Zusammenspiel der fortgeltenden beziehungsweise in Landesrecht transformierten
Besoldungstabellen des Bundesbesoldungsgesetzes in der am 31. August 2006 geltenden Fassung in Verbindung mit allen
nachfolgenden landesrechtlichen Besoldungsvorschriften, die eine dauerhafte Erhöhung der Bezüge angeordnet
haben.
II.
8
1. Die Kläger der Ausgangsverfahren stehen als Richter mit Dienstbezügen der Besoldungsgruppe R 2 im
Dienst des Landes Nordrhein-Westfalen. Der Kläger im Verfahren 2 BvL 8/17 ist verheiratet und erhielt im Jahr 2013
für drei Kinder Kindergeld. Die beiden anderen Verfahren betreffen einen Kläger, der ebenfalls verheiratet ist und
in den Jahren 2014 (2 BvL 6/17) und 2015 (2 BvL 7/17) für vier Kinder Kindergeld erhielt. Die Kläger machen geltend,
dass ihre Besoldung im Hinblick auf ihre Kinderzahl verfassungswidrig zu niedrig bemessen sei. Nachdem sie bei ihrem
Dienstherrn vergeblich eine Erhöhung ihrer Bezüge beantragt hatten, erhoben sie Klage zum Verwaltungsgericht Köln.
Dort beantragten sie, das Land auf der Grundlage der vom Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 24.
November 1998 (BVerfGE 99, 300) erlassenen Vollstreckungsanordnung zu Nachzahlungen zu verurteilen, hilfsweise
festzustellen, dass die familienbezogenen Bezügebestandteile in den fraglichen Kalenderjahren hinsichtlich ihres
dritten beziehungsweise ihres dritten und vierten Kindes verfassungswidrig zu niedrig bemessen gewesen sind.
9
2. Das Verwaltungsgericht Köln hat die Verfahren durch im Wesentlichen gleichlautende und unter
Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter gefasste Beschlüsse vom 3. Mai 2017 ausgesetzt und gemäß Art. 100 Abs. 1 GG
dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Prüfung vorgelegt, ob die sich aus den näher bezeichneten
Besoldungsvorschriften ergebende Alimentation der Kläger insoweit mit Art. 33 Abs. 5 GG unvereinbar sei, als es der
Gesetzgeber unterlassen habe, die kinderbezogenen Gehaltsbestandteile bei Richtern der Besoldungsgruppe R 2 mit drei
beziehungsweise vier Kindern in einer dem Grundsatz der amtsangemessenen Alimentation entsprechenden Höhe
festzusetzen. Sollte sich die Besoldung der Kläger als mit Art. 33 Abs. 5 GG unvereinbar erweisen, sei den Klagen
hinsichtlich des Hilfsantrags stattzugeben. Andernfalls seien sie insgesamt abzuweisen.
10
a) Die Klagen seien hinsichtlich ihrer Hauptanträge, die jeweils auf Verurteilung des beklagten Landes
auf Zahlung eines vom Verwaltungsgericht nach Maßgabe der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu
ermittelnden Mehrbetrages gerichtet seien, unzulässig. Aufgrund des besoldungsrechtlichen Grundsatzes des Vorbehalts
des Gesetzes und des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers seien die Verwaltungsgerichte gehindert, Beamten eine
gesetzlich nicht vorgesehene Leistung zuzusprechen, selbst wenn sie von der Verfassungswidrigkeit der Alimentation
überzeugt seien. Grundsätzlich müsse der Ausgang eines Vorlageverfahrens nach Art. 100 Abs. 1 GG sowie ein sich
anschließendes Gesetzgebungsverfahren abgewartet werden.
11
Ein Zahlungsanspruch ergebe sich auch nicht aus der Vollstreckungsanordnung des
Bundesverfassungsgerichts. Diese habe zwar die von den vorgenannten Grundsätzen abweichende Befugnis der
Fachgerichte begründet, eine unzureichende Besoldung festzustellen, die Differenz zur mindestens zu gewährenden
Alimentation selbst zu berechnen und diesen Betrag den Beamten unmittelbar zuzusprechen. Sie habe sich jedoch für
die streitgegenständlichen Jahre 2013 bis 2015 allgemein erledigt. Eine Erledigung könne eintreten, wenn der
Gesetzgeber aus eigener Kompetenz in der Folge neue Maßstäbe gebildet und Parameter festgelegt habe, nach denen er
den Bedarf der Kinder ermittelt und die Besoldung bemisst. In einem solchen Fall gewinne das Verwerfungsmonopol des
Bundesverfassungsgerichts wieder den Vorrang. Ob es hierzu mit der deutlichen Anhebung des Familienzuschlags für
dritte und weitere Kinder im Jahr 2007 gekommen sei, könne offenbleiben. Denn eine Vollstreckungsanordnung erledige
sich auch, wenn sie infolge einer zwischenzeitlich erfolgten Änderung der Berechnungsgrundlagen nicht mehr sinnvoll
angewandt werden könne. Dies sei seit dem 1. Januar 2011 der Fall. Rückwirkend zu diesem Zeitpunkt habe der
Gesetzgeber das sozialrechtliche Leistungsspektrum um Leistungen für Bildung und Teilhabe erweitert. Diese würden
zusätzlich zu den herkömmlichen Regelsätzen gewährt. Diese Bedarfe zählten nach der ausdrücklichen gesetzgeberischen
Konzeption und der Rechtsprechung des Bundeverfassungsgerichts zum sozialhilferechtlichen Gesamtbedarf. Auch wenn
dieser typisierend und anhand einer Durchschnittsberechnung zu ermitteln sei, seien diese Bedarfe zwingend zu
berücksichtigen. Es handele sich gerade nicht um Mehrbedarfe, die sich aus besonderen Lebensumständen ergäben,
sondern um solche, die bei allen Kindern und Jugendlichen in einer gewissen Altersspanne anfielen. Dies gelte
jedenfalls für Schulausflüge und mehrtägige Klassenfahrten, die Ausstattung mit persönlichem Schulbedarf und die
Mitgliedsbeiträge beziehungsweise die Kosten für den Unterricht in künstlerischen Fächern sowie die Teilnahme an
Freizeiten. Dass die Leistungen nur auf gesonderten Antrag gewährt und rein tatsächlich nicht von allen Berechtigten
in Anspruch genommen würden, sei unerheblich, weil der Gesetzgeber sie dem existenzsichernden Bedarf zugeordnet
habe. Die Höhe der Bedarfe sei auch nicht zu vernachlässigen, allein die Leistungen für die Schulausstattung
beliefen sich auf 100 Euro jährlich. Insgesamt seien mindestens 19 Euro pro Monat anzusetzen. Die Bedarfe für
Schülerbeförderung, Lernförderung sowie die Teilnahme an einer gemeinschaftlichen Mittagsverpflegung seien
demgegenüber unberücksichtigt zu lassen, weil sie an besondere Anspruchsvoraussetzungen geknüpft seien und davon
auszugehen sei, dass lediglich eine Minderheit anspruchsberechtigt sei. So würden in Nordrhein-Westfalen die Kosten
der Schülerbeförderung im Wesentlichen vom Schulträger übernommen, und der Eigenanteil entfalle ab dem dritten Kind.
In den Genuss von Lernförderung könne nur kommen, wer besonders leistungsschwach sei. Und ein Bedarf für die
Teilnahme an der Mittagsverpflegung werde nur anerkannt, wenn diese in schulischer Verantwortung angeboten werde.
Ein solches Angebot dürfte bei einer Vielzahl von Schulen fehlen, was dafür spreche, dass der Gesetzgeber von einer
grundsätzlichen Deckung dieses Bedarfs auch ohne die entsprechende Zusatzleistung ausgegangen sei.
12
Weil damit einerseits über die Regelsätze hinaus Bedarfe zu berücksichtigen seien, es andererseits aber
an hinreichenden Vorgaben hierfür in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fehle, lasse sich die
Vollstreckungsanordnung nicht mehr sinnvoll anwenden. Der Ermittlung und Berechnung der Bedarfe lägen allein von der
Kammer getroffene Wertungen zugrunde. Alle anderen Verwaltungsgerichte müssten solche Wertungsentscheidungen
ebenfalls eigenständig treffen. Es bestehe die Gefahr, dass sie mit unterschiedlichen Berechnungsmaßstäben zu
unterschiedlichen Ergebnissen kämen. Das sei mit Sinn und Zweck der Vollstreckungsanordnung nicht zu
vereinbaren.
13
b) Hinsichtlich des Hilfsantrags seien die Klagen zulässig. Komme eine Zahlungsklage aufgrund der
Vollstreckungsanordnung nicht infrage, sei allein ein auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Alimentation
gerichteter Antrag statthaft. Die Kläger hätten das erforderliche Vorverfahren ordnungsgemäß durchgeführt und ihr
Begehren auch zeitnah geltend gemacht.
14
Die Begründetheit der Klagen hänge allein von der Vorlagefrage ab. Insbesondere könnten sie nicht aus
anderen Gründen Erfolg haben, weil den Klägern die sich aus der genau bezifferten – und damit auch keiner Auslegung
zugänglichen – Besoldungsregelung ergebenden Bezüge ausgezahlt worden seien. Zur Überzeugung der Kammer seien die
familienbezogenen Besoldungsbestandteile bei Richterinnen und Richtern der Besoldungsgruppe R 2 mit drei
beziehungsweise vier Kindern in den Jahren 2013 bis 2015 verfassungswidrig zu niedrig bemessen.
15
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folge aus dem Alimentationsprinzip, dass
verheiratete Beamte für ihr drittes und jedes weitere Kind über mindestens 115 % des durchschnittlichen
sozialhilferechtlichen Gesamtbedarfs eines Kindes mehr verfügen müssten als Beamte mit zwei Kindern. Hiervon sei
auch weiterhin auszugehen. Insbesondere habe das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 17. November 2015
(BVerfGE 140, 240) das Maß des gebotenen Abstandes zum Grundsicherungsniveau beibehalten. Weil die Besoldung in den
vergangenen Jahren allenfalls in adäquatem Verhältnis zur gesamtwirtschaftlichen Lage erhöht worden sei, könne auch
an der Prämisse festgehalten werden, dass der Unterhalt für drei und mehr Kinder nicht aus den regulären
Besoldungsbestandteilen bestritten werden könne.
16
Die Besoldung von Richterinnen und Richtern der Besoldungsgruppe R 2 mit drei und mehr Kindern sei in
den Jahren 2013 bis 2015 hinter dem verfassungsrechtlich gebotenen Mindestmaß zurückgeblieben. Eine auf Grundlage
des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 24. November 1998 durchgeführte Vergleichsberechnung zeige, dass
das Nettomehreinkommen der Kläger (im Vergleich zu einem Richter mit zwei Kindern) den alimentationsrechtlichen
Mindestbedarf nicht erreiche, weshalb sich die Alimentation der Kläger als verfassungswidrig unzureichend erweise.
Dabei könne die Frage, ob die Kosten einer Krankheitskostenversicherung vom Nettoeinkommen in Abzug zu bringen
seien, offenbleiben. Sie stiegen mit der Kinderzahl, so dass sich das Nettomehreinkommen bei Abzug dieser Kosten nur
noch weiter verringern würde.
III.
17
Zu den Vorlagen haben die Landesregierung Nordrhein-Westfalen, der Kläger in den Verfahren 2 BvL 6/17
und 2 BvL 7/17, der Deutsche Richterbund, der dbb beamtenbund und tarifunion sowie der Deutsche Gewerkschaftsbund
schriftlich Stellung genommen. Die Bundesregierung hat auf ihre im Verfahren 2 BvL 4/18 abgegebene Stellungnahme
verwiesen. Die im dortigen Verfahren eingeholten Auskünfte der Bundesagentur für Arbeit, die unter anderem die Höhe
der Leistungen für Bildung und Teilhabe betrafen, und des Verbandes der Privaten Krankenversicherung zur
durchschnittlichen Höhe der Beiträge einer das Beihilferecht ergänzenden privaten Krankenversicherung sind den
Beteiligten der hiesigen Ausgangsverfahren übermittelt worden. Sie hatten Gelegenheit, auch hierzu Stellung zu
nehmen.
B.
18
Die Vorlagen sind zulässig.
19
Das Verwaltungsgericht hat die Entscheidungserheblichkeit der zur Prüfung gestellten Vorschriften
dargelegt. Insbesondere hat es mit schlüssigen und an zutreffenden verfassungsrechtlichen Prämissen ausgerichteten
Erwägungen die Möglichkeit verneint, dem Begehren der Kläger auf Grundlage der im Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts vom 24. November 1998 enthaltenen Vollstreckungsanordnung Rechnung zu tragen.
20
Das Verwaltungsgericht hat auch seine Überzeugung davon, dass die Besoldung der Kläger der
Ausgangsverfahren in den streitgegenständlichen Jahren mit Blick auf die Zahl der von ihnen zu unterhaltenden Kinder
den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügt, hinreichend dargelegt. Es hat mit ausführlichen und
nachvollziehbaren Erwägungen begründet, warum es die von Art. 33 Abs. 5 GG geschützte amtsangemessene Alimentation
nicht mehr gewahrt sieht. Die angestellten Berechnungen beruhen auf nachprüfbaren, seriösen Quellen und sind
schlüssig. Auch die Frage, in welchem Umfang die bisher in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht
thematisierten Bedarfe für Bildung und Teilhabe (mindestens) zu berücksichtigen sind, beantwortet es in enger
Anlehnung an die bisher entwickelten verfassungsrechtlichen Maßstäbe und in einer nachvollziehbaren Art und Weise.
Dass es die Frage, ob anders als bisher auch die Beiträge zur privaten Krankenversicherung zu berücksichtigen sind,
mangels Entscheidungserheblichkeit offenlässt, ist unschädlich. Denn es hat plausibel dargelegt, dass eine
Berücksichtigung die ohnehin bestehende Unteralimentation nur weiter vergrößern würde.
21
Die vom Land Nordrhein-Westfalen vermisste Auseinandersetzung mit den vom Besoldungsgesetzgeber
angestellten Erwägungen setzt voraus, dass diese auch dokumentiert sind. Dies ist für die hier maßgeblichen
Zeiträume 2013 bis 2015 nicht der Fall. Die vom Land Nordrhein-Westfalen in seiner Stellungnahme wiedergegebene
Begründung zur Anhebung des Familienzuschlags durch Gesetz vom 20. Dezember 2007 (LTDrucks 14/5198, S. 28) verhält
sich nicht zu den im Vorlagebeschluss aufgeworfenen Fragen. Der Vorlage des Finanzministers an den Unterausschuss
Personal des Haushalts- und Finanzausschusses des Landtags Nordrhein-Westfalen vom 10. Februar 2017 (16/4766) kann
schon wegen der zeitlichen Abfolge keine Bedeutung zukommen.
C.
22
Die im Tenor bezeichneten Vorschriften sind mit dem von Art. 33 Abs. 5 GG gewährleisteten
Alimentationsprinzip insofern unvereinbar, als die durch sie geregelte Besoldung der Richter und Staatsanwälte der
Besoldungsgruppe R 2 mit drei Kindern im Jahr 2013 und mit vier Kindern in den Jahren 2014 und 2015 hinter den
Anforderungen an die Alimentation kinderreicher Richter und Beamter zurückblieb.
I.
23
Die verfassungsrechtlichen Maßstäbe für die Besoldung der Richter und Beamten ergeben sich aus dem
Alimentationsprinzip. Während diese sich dazu verpflichten, ihre gesamte Arbeitskraft ausschließlich in den Dienst
des Gemeinwesens zu stellen, ist der Dienstherr verpflichtet, sie und ihre Familien amtsangemessen zu alimentieren.
Deshalb darf das den Richtern und Beamten zur Verfügung stehende Einkommen nicht durch die wachsende Zahl
unterhaltsberechtigter Kinder übermäßig vermindert werden (vgl. Rn. 24 ff.). Die sich fortlaufend wandelnden
tatsächlichen Verhältnisse und die Entwicklung des Sozial- und Steuerrechts bedingen, dass die
verfassungsrechtlichen Maßstäbe in ihren Einzelheiten von Zeit zu Zeit neu konkretisiert werden müssen (vgl. Rn. 38
ff.).
24
1. a) Nach Art. 33 Abs. 5 GG ist das Recht des öffentlichen Dienstes unter Berücksichtigung der
hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln. Art. 33 Abs. 5 GG ist unmittelbar
geltendes Recht und enthält einen Regelungsauftrag an den Gesetzgeber sowie eine institutionelle Garantie des
Berufsbeamtentums; zugleich begründet Art. 33 Abs. 5 GG ein grundrechtsgleiches Recht der Richter und Staatsanwälte,
soweit deren subjektive Rechtsstellung betroffen ist (vgl. BVerfGE 99, 300 ; 107, 218 ;
117, 330 ; 119, 247 ; 130, 263 ; 139, 64 ; 140, 240 <277 Rn.
71>; 148, 296 ; 149, 1 ).
25
Sein Bezugspunkt ist nicht das gewachsene Beamtenrecht, sondern das Berufsbeamtentum (vgl. BVerfGE 117,
330 ). In ihrem Bestand geschützt sind daher nur diejenigen Regelungen, die das Bild des
Berufsbeamtentums in seiner überkommenen Gestalt maßgeblich prägen, sodass ihre Beseitigung das Berufsbeamtentum als
solches antasten würde (vgl. BVerfGE 43, 154 ; 114, 258 ). Deshalb steht Art. 33 Abs. 5 GG
einer Weiterentwicklung des Beamtenrechts nicht entgegen, solange eine strukturelle Veränderung an den für
Erscheinungsbild und Funktion des Berufsbeamtentums wesentlichen Regelungen nicht vorgenommen wird (vgl. BVerfGE
117, 330 ; 117, 372 ). In der Pflicht zur Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze ist
eine Entwicklungsoffenheit angelegt, die den Gesetzgeber in die Lage versetzt, die Ausgestaltung des Dienstrechts
den jeweiligen Entwicklungen der Staatlichkeit anzupassen und das Beamtenrecht damit in die Zeit zu stellen. Die
Strukturentscheidung des Art. 33 Abs. 5 GG belässt ausreichend Raum, die geschichtlich gewachsene Institution in den
Rahmen unseres heutigen Staatslebens einzufügen (vgl. BVerfGE 3, 58 ; 7, 155 ; 70, 69
) und den Funktionen anzupassen, die das Grundgesetz dem öffentlichen Dienst in der freiheitlichen,
rechts- und sozialstaatlichen Demokratie zuschreibt (vgl. BVerfGE 8, 1 ; 9, 268 ; 15, 167
; 148, 296 ; 149, 1 ).
26
Zu den vom Gesetzgeber wegen ihres grundlegenden und strukturprägenden Charakters nicht nur zu
berücksichtigenden, sondern zu beachtenden (vgl. BVerfGE 8, 1 ; 117, 330 ; 119, 247 <263,
269>; 130, 263 ; 139, 64 ; 140, 240 ; 141, 56 ;
145, 304 ; 149, 382 ; 150, 169 ) hergebrachten Grundsätzen des
Berufsbeamtentums zählt das auch für die Besoldung der Richter und Staatsanwälte maßgebliche (vgl. BVerfGE 12, 81
; 55, 372 ; 107, 218 ; 139, 64 ) Alimentationsprinzip. Es
verpflichtet den Dienstherrn, Richter und Beamte sowie ihre Familien lebenslang angemessen zu alimentieren und ihnen
nach ihrem Dienstrang, nach der mit ihrem Amt verbundenen Verantwortung und nach der Bedeutung der rechtsprechenden
Gewalt und des Berufsbeamtentums für die Allgemeinheit entsprechend der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen
und finanziellen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards einen angemessenen Lebensunterhalt zu gewähren.
Damit wird der Bezug der Besoldung sowohl zu der Einkommens- und Ausgabensituation der Gesamtbevölkerung als auch
zur Lage der Staatsfinanzen, das heißt zu der sich in der Situation der öffentlichen Haushalte ausdrückenden
Leistungsfähigkeit des Dienstherrn, hergestellt (vgl. BVerfGE 8, 1 ; 107, 218 ; 117, 330
; 119, 247 ; 130, 263 ; 139, 64 ; 140, 240 ;
149, 382 ; 150, 169 ). Richter und Beamte müssen über ein Nettoeinkommen
verfügen, das ihre rechtliche und wirtschaftliche Sicherheit und Unabhängigkeit gewährleistet und ihnen und ihrer
Familie über die Befriedigung der Grundbedürfnisse hinaus eine ihrem Amt angemessene Lebensführung ermöglicht (vgl.
BVerfGE 114, 258 ; 117, 330 ).
27
Die prägenden Strukturmerkmale des Berufsbeamtentums stehen nicht unverbunden nebeneinander, sondern
sind eng aufeinander bezogen (zu Lebenszeit- und Alimentationsprinzip vgl. BVerfGE 119, 247 ; 121, 205
; zu Treuepflicht und Alimentationsprinzip vgl. BVerfGE 21, 329 ; 44, 249 ; 130,
263 ; zu Treue- und Fürsorgepflicht vgl. BVerfGE 9, 268 ; ferner auch BVerfGE 71, 39
). Die Besoldung stellt in diesem Zusammenhang kein Entgelt für bestimmte Dienstleistungen dar. Sie ist
vielmehr ein “Korrelat” des Dienstherrn für die mit der Berufung in das Richter- und Beamtenverhältnis verbundene
Pflicht, unter Einsatz der ganzen Persönlichkeit – grundsätzlich auf Lebenszeit – die volle Arbeitskraft zur
Verfügung zu stellen und gemäß den jeweiligen Anforderungen die Dienstpflichten nach Kräften zu erfüllen (vgl.
BVerfGE 39, 196 ; 121, 241 ; 139, 64 ; 140, 240 ;
145, 1 ; 150, 169 ). Die Gewährleistung einer rechtlich und wirtschaftlich
gesicherten Position, zu der die individuelle Garantie einer amtsangemessenen Besoldung und Versorgung durch das
Alimentationsprinzip und die Möglichkeit ihrer gerichtlichen Durchsetzung wesentlich beitragen, bildet die
Voraussetzung und innere Rechtfertigung für die lebenslange Treuepflicht sowie das Streikverbot; diese
Strukturprinzipien sind untrennbar miteinander verbunden (vgl. BVerfGE 8, 1 ; 44, 249 ; 119,
247 ; 148, 296 ).
28
Dieses Zusammenspiel von Hauptberuflichkeitsgrundsatz und Alimentationsprinzip ist vor dem Hintergrund
der engen historischen Verknüpfung der Entwicklung des Berufsbeamtentums mit derjenigen des Rechtsstaats zu sehen:
War der Beamte ursprünglich allein dem Regenten verpflichtet, wandelte er sich mit dem veränderten Staatsverständnis
vom Fürsten- zum Staatsdiener. Seine Aufgabe war und ist es, Verfassung und Gesetz im Interesse der Bürger auch und
gerade gegen die Staatsspitze zu behaupten. Die Übernahme der funktionswesentlichen tradierten Grundstrukturen des
Berufsbeamtentums in das Grundgesetz beruht auf einer Funktionsbestimmung des Berufsbeamtentums als Institution,
die, gegründet auf Sachwissen, fachliche Leistung und loyale Pflichterfüllung, eine stabile Verwaltung sichern und
damit einen ausgleichenden Faktor gegenüber den das Staatswesen gestaltenden politischen Kräften bilden soll. Die
institutionelle Einrichtungsgarantie des Art. 33 Abs. 5 GG trägt gleichzeitig der Tatsache Rechnung, dass im
demokratischen Staatswesen Herrschaft stets nur auf Zeit vergeben wird und die Verwaltung schon im Hinblick auf die
wechselnde politische Ausrichtung der jeweiligen Staatsführung neutral sein muss. Insoweit kann die strikte Bindung
an Recht und Gemeinwohl, auf die die historische Ausformung des deutschen Berufsbeamtentums ausgerichtet ist, auch
als Funktionsbedingung der Demokratie begriffen werden. Seine Aufgabe kann das Berufsbeamtentum nur erfüllen, wenn
es rechtlich und wirtschaftlich gesichert ist. Nur wenn die innere und äußere Unabhängigkeit gewährleistet ist und
die Bereitschaft zu Kritik und nötigenfalls Widerspruch nicht das Risiko einer Bedrohung der Lebensgrundlagen des
Amtsträgers und seiner Familie in sich birgt, kann realistischerweise erwartet werden, dass ein Beamter auch dann
auf rechtsstaatlicher Amtsführung beharrt, wenn sie (partei-) politisch unerwünscht sein sollte (vgl. BVerfGE 7, 155
; 119, 247 ; 121, 205 ; 140, 240 ; 149, 1 <15 f. Rn.
33>). Die Verpflichtung des Dienstherrn zu einer amtsangemessenen Alimentation des sich mit seiner ganzen
Arbeitskraft seinem Amt widmenden Richters und Beamten besteht also nicht allein in dessen persönlichem Interesse,
sondern dient zugleich dem Allgemeininteresse an einer fachlich leistungsfähigen, rechtsstaatlichen und
unparteiischen Rechtspflege und öffentlichen Verwaltung, hat also auch eine qualitätssichernde Funktion (vgl.
BVerfGE 114, 258 ; 130, 263 ; 139, 64 ; 140, 240 ).
29
b) Die verfassungsrechtlichen Maßstäbe zur amtsangemessenen Alimentation von Richtern und Beamten mit
mehr als zwei unterhaltsberechtigten Kindern hat das Bundesverfassungsgericht in seinen Beschlüssen vom 30. März
1977 (BVerfGE 44, 249), vom 22. März 1990 (BVerfGE 81, 363) und vom 24. November 1998 (BVerfGE 99, 300)
konkretisiert. Der Besoldungsgesetzgeber hat die Besoldung so zu regeln, dass Richter und Beamte nicht vor die Wahl
gestellt werden, entweder eine ihrem Amt angemessene Lebensführung aufrechtzuerhalten oder, unter Verzicht darauf,
eine Familie zu haben und diese entsprechend den damit übernommenen Verpflichtungen angemessen zu unterhalten (vgl.
BVerfGE 44, 249 ; 99, 300 ). Deshalb kann bei der Beurteilung und Regelung dessen, was
eine amtsangemessene Besoldung ausmacht, die Zahl der Kinder nicht ohne Bedeutung sein (vgl. BVerfGE 81, 363
; 99, 300 ).
30
Art. 33 Abs. 5 GG belässt dem Gesetzgeber insoweit allerdings einen Gestaltungsspielraum. Das
Bundesverfassungsgericht geht auf Grund der bisherigen Praxis des Besoldungsgesetzgebers davon aus, dass er die
Grundbesoldung so bemisst, dass sie (zusammen mit den Familienzuschlägen für den Ehepartner und die ersten beiden
Kinder) in allen Stufen der Besoldungsordnung im Wesentlichen amtsangemessen ist (vgl. BVerfGE 99, 300 ;
BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 4. Mai 2020 – 2 BvL 4/18 -, Rn. 47). Der Gesetzgeber überschreitet seinen
Gestaltungsspielraum, wenn er den Richtern und Beamten zumutet, für den Unterhalt ihres dritten Kindes und weiterer
Kinder auf die familien-neutralen Bestandteile ihres Gehalts zurückzugreifen, um den Bedarf ihrer Kinder zu decken.
Die damit verbundene, mit wachsender Kinderzahl fortschreitende Auszehrung der familienneutralen Gehaltsbestandteile
ist nicht hinnehmbar, weil so die Richter und Beamten mit mehreren Kindern den ihnen zukommenden Lebenszuschnitt
nicht oder nur zulasten ihrer Familie erreichen können (vgl. BVerfGE 81, 363 ; 99, 300 ).
31
Bei der Bemessung des zusätzlichen Bedarfs, der für das dritte und die weiteren Kinder entsteht und vom
Dienstherrn über die Alimentation der Zwei-Kinder-Familie hinaus zu decken ist, kann der Gesetzgeber von denjenigen
Regelsätzen für den Kindesunterhalt ausgehen, die die Rechtsordnung in anderen Regelungszusammenhängen zur Verfügung
stellt. Allerdings sind diese Sätze auf die Befriedigung unterschiedlicher Bedürfnisse ausgerichtet. Ihre
eingeschränkte Aussagekraft für die Höhe des den Richtern und Beamten von ihrem Dienstherrn geschuldeten
amtsangemessenen Unterhalts hat der Gesetzgeber in Rechnung zu stellen. So sind etwa Bedarfssätze, die an dem
äußersten Mindestbedarf eines Kindes ausgerichtet sind, also insbesondere die Leistungen der sozialen
Grundsicherung, ihrem Zweck nach staatliche Hilfen zur Erhaltung eines Mindestmaßes sozialer Sicherung. Die
Alimentation der Richter und Beamten und ihrer Familien ist demgegenüber etwas qualitativ Anderes. Diesen
Unterschied muss die Bemessung des Gehalts deutlich werden lassen (vgl. BVerfGE 44, 249 ; 81, 363
; 99, 300 ; 140, 240 ; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 4. Mai
2020 – 2 BvL 4/18 -, Rn. 47).
32
Dabei lässt ein um 15 % über dem grundsicherungsrechtlichen Gesamtbedarf liegender Betrag den
verfassungsgebotenen Unterschied zwischen der von der Grundsicherung zu leistenden Befriedigung eines äußersten
Mindestbedarfs und dem den Richtern und Beamten sowie ihren Familien geschuldeten Unterhalt hinreichend deutlich
werden. Diese Berechnungsmethode dient nicht dazu, die angemessene Höhe der Alimentation zu ermitteln, sondern die
Grenze zur Unteralimentation. Führen die den Richtern und Beamten für ihr drittes und jedes weitere Kind gewährten
Zuschläge jedoch nicht einmal zu einer Erhöhung des Nettoeinkommens um 115 % des grundsicherungsrechtlichen
Gesamtbedarfs für das hinzutretende Kind, überschreitet der Gesetzgeber den ihm zustehenden Gestaltungsspielraum
(vgl. BVerfGE 81, 363 ; 99, 300 ; ferner mit Blick auf die Mindestalimentation am
Maßstab einer vierköpfigen Familie BVerfGE 140, 240 ; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats
vom 4. Mai 2020 – 2 BvL 4/18 -, Rn. 47).
33
Ob die Dienstbezüge noch amtsangemessen sind, beurteilt sich nach dem Nettoeinkommen (vgl. BVerfGE 81,
363 ; 99, 300 ; BVerfGE 140, 240 ; BVerfG, Beschluss des Zweiten
Senats vom 4. Mai 2020 – 2 BvL 4/18 -, Rn. 47). Daher steht es dem Gesetzgeber frei, das von der Verfassung
vorgegebene Ziel durch eine entsprechende Bemessung der Bruttobezüge – etwa in Gestalt eines kinderbezogenen
Familienzuschlags – zu erreichen, die Richter und Beamten an einem allgemein gewährten Kindergeld teilhaben zu
lassen, steuerrechtlich die durch den Kindesunterhalt verminderte Leistungsfähigkeit auszugleichen oder diese und
weitere Möglichkeiten miteinander zu verbinden (vgl. BVerfGE 81, 363 ; 99, 300 ).
34
c) Die gegen diese Maßstäbe erhobenen Einwände greifen nicht durch.
35
aa) Es wird den durch Art. 33 Abs. 5 GG gewährleisteten Besonderheiten des Beamtenverhältnisses nicht
gerecht, in der Zuwendung kinderbezogener Gehaltsbestandteile ein “Beamtenprivileg” oder ein “doppeltes Kindergeld”
zu sehen. Das Beamtenverhältnis ist kein Dienstvertrag im herkömmlichen Sinne, insbesondere ist es kein
entgeltliches Arbeitsverhältnis, aufgrund dessen eine nach Inhalt, Zeit und Umfang begrenzte Arbeitsleistung
geschuldet wird und als Entgelt dafür ein Anspruch auf Entlohnung erwächst. Das Beamtenverhältnis begründet vielmehr
für den Beamten und den Dienstherrn je selbstständige Pflichten. Diese folgen unmittelbar aus dem Gesetz, sie werden
nicht vertraglich vereinbart. Der Beamte hat die Pflicht, dem Dienstherrn seine Arbeitskraft zur Verfügung zu
stellen. Der Dienstherr ist verpflichtet, dem Beamten den amtsangemessenen Unterhalt für sich und seine Familie zu
gewähren. Die Berücksichtigung der Kinderzahl bei der Besoldung ist daher kein “Beamtenprivileg”, sondern Inhalt der
geschuldeten Alimentation (vgl. BVerfGE 99, 300 m.w.N.).
36
Das Bundesverfassungsgericht verlangt gerade keine Besserstellung der Kinder von Richtern und Beamten.
Seine Rechtsprechung zum steuerfreien Existenzminimum (vgl. BVerfGE 99, 246) bezieht sich auf alle Kinder. Der
Gesetzgeber wäre nicht gehindert, den Bedürfnissen von kinderreichen Familien generell in einer Weise Rechnung zu
tragen, die jegliche Besserstellung von Beamten gegenüber anderen Erwerbstätigen vermeidet.
37
bb) Dass bei der Berechnung des für alle Besoldungsgruppen gleich hohen Mindestmehrbetrags davon
ausgegangen wird, dass der Richter oder Beamte die Familie allein unterhält, ist ein aus der bisherigen
Besoldungspraxis und der zu ihr ergangenen Rechtsprechung abgeleiteter Kontrollmaßstab (vgl. BVerfG, Beschluss des
Zweiten Senats vom 4. Mai 2020 – 2 BvL 4/18 -, Rn. 47). Es handelt sich nicht um ein Abbild der Wirklichkeit oder
das vom Bundesverfassungsgericht befürwortete Leitbild der Beamtenbesoldung, sondern um eine Bezugsgröße, die eine
spezifische Funktion bei der Bemessung der Untergrenze der Familienalimentation erfüllt (vgl. Leisner-Egensperger,
NVwZ 2019, S. 777 ). Sie stellt sicher, dass der Familie für das dritte und jedes weitere Kind der am
Grundsicherungsniveau orientierte Mindestmehrbetrag auch dann zur Verfügung steht, wenn der andere Elternteil gar
nichts zum Familieneinkommen beisteuern kann, etwa weil behinderte Kinder oder betagte Großeltern dauernder Pflege
bedürfen oder er selbst dauerhaft arbeitsunfähig erkrankt oder gar verstorben ist. Für andere Familienformen
nachteilige Auswirkungen sind damit nicht verbunden.
38
2. Diese in den früheren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts entwickelten
verfassungsrechtlichen Maßstäbe bedürfen insofern einer Aktualisierung, als die Regelungen zu der als
Vergleichsmaßstab herangezogenen sozialen Grundsicherung seither grundlegend umgestaltet worden sind (a) und auch
bei der Berechnung des Nettoeinkommens neue Aspekte berücksichtigt werden müssen (b).
39
a) Das zur Bestimmung der Mindestalimentation herangezogene Grundsicherungsniveau umfasst alle Elemente
des Lebensstandards, der den Empfängern von Grundsicherungsleistungen staatlicherseits gewährt wird, unabhängig
davon, ob diese zum verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimum (vgl. BVerfGE 125, 175 ; 132,
34 ) zählen oder über dieses hinausgehen, und unabhängig davon, ob zur Befriedigung der anerkannten
Bedürfnisse Geldleistungen gewährt oder bedarfsdeckende Sach- beziehungsweise Dienstleistungen erbracht werden (vgl.
BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 4. Mai 2020 – 2 BvL 4/18 -, Rn. 50).
40
aa) Die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II, die derzeit zusammen mit den
Leistungen der Sozialhilfe nach dem SGB XII den Kern des Grundsicherungsniveaus bilden, beruhen nur teilweise auf
gesetzgeberischen Pauschalierungen (so etwa hinsichtlich der Regelbedarfe, §§ 20, 23 SGB II und §§ 27a ff. SGB XII
i.V.m. dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz vom 24. März 2011 ); im Übrigen knüpft der
Sozialgesetzgeber an die tatsächlichen Bedürfnisse an (insbesondere bei den Kosten der Unterkunft, § 22 SGB II).
Deshalb divergiert die Höhe der Gesamtleistungen bei gleicher Haushaltsgröße erheblich.
41
Ist der Gesetzgeber gehalten, den Umfang der Sozialleistungen realitätsgerecht zu bemessen (vgl. BVerfGE
66, 214 ; 68, 143 ; 82, 60 ; 87, 153 ; 99, 246 ; 99, 300
; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 4. Mai 2020 – 2 BvL 4/18 -, Rn. 52), kann dies nicht
ohne vereinfachende Annahmen gelingen. Die zu berücksichtigenden Positionen müssen notwendigerweise typisiert werden
(vgl. BVerfGE 99, 246 ). Weder der in erster Linie zur Durchführung einer entsprechenden Berechnung
berufene Besoldungsgesetzgeber noch die gerichtliche Kontrolle muss sich an atypischen Sonderfällen orientieren. Die
Herangehensweise muss jedoch von dem Ziel bestimmt sein, sicherzustellen, dass die Nettoalimentation durchgängig den
gebotenen Mindestabstand zu dem den Empfängern der sozialen Grundsicherung gewährleisteten Lebensstandard wahrt
(vgl. BVerfGE 82, 60 ; 99, 246 ; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 4. Mai 2020 – 2 BvL
4/18 -, Rn. 52). Damit kommt eine Orientierung an einem Durchschnittswert jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn
die Varianz so groß ist, dass er in einer größeren Anzahl von Fällen erkennbar nicht ausreichen würde (vgl. BVerfGE
120, 125 ; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 4. Mai 2020 – 2 BvL 4/18 -, Rn. 52). Zwar hat das
Bundesverfassungsgericht dem Steuergesetzgeber in der Vergangenheit zugebilligt, sich bei einem erheblichen
Preisgefälle auf dem Wohnungsmarkt hinsichtlich der Wohnkosten bei der Bemessung des Grundfreibetrags an einem
“unteren Wert” zu orientieren. Es hat dies aber unter der Bedingung getan, dass der Gesetzgeber zugleich zur
ergänzenden Deckung des Bedarfs nach dem Einzelfall bemessene Sozialleistungen, wie etwa ein Wohngeld, zur Verfügung
stellt (vgl. BVerfGE 87, 153 ). Weil die Besoldung der Richter und Beamten nicht dem
Gewährleistungsbereich des Art. 33 Abs. 5 GG entzogen werden kann, darf der Besoldungsgesetzgeber sie, wenn es um
die Einhaltung der aus dem Alimentationsprinzip folgenden Mindestanforderungen geht, indes nicht auf den Bezug von
Sozialleistungen verweisen. Allenfalls dürfen tatsächlich bezogene Sozialleistungen auf die Bezüge angerechnet
werden (vgl. BVerfGE 44, 249 ; 70, 69 ). Anderes gilt nur für das Kindergeld (vgl. BVerfGE
81, 363 ; 99, 300 ; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 4. Mai 2020 – 2 BvL 4/18
-, Rn. 52), weil mit ihm im Ausgangspunkt die – bei der Ermittlung des Nettogehalts ohnehin zu berücksichtigende –
verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Freistellung des Existenzminimums des Kindes bewirkt wird (vgl. BVerfGE
99, 246 ) und es daher nur in bestimmten Fällen und in unterschiedlichem Umfang den Charakter einer
Sozialleistung hat (vgl. BVerfGE 82, 60 ).
42
Die nachfolgenden Ausführungen stellen keine für den Besoldungsgesetzgeber in jeder Einzelheit
verbindliche Berechnungsgrundlage dar. Ihm stünde es insbesondere frei, die Höhe des Grundsicherungsniveaus als
Ausgangspunkt für die Bemessung der Untergrenze der Besoldung mit Hilfe einer anderen plausiblen und
realitätsgerechten Methodik zu bestimmen (vgl. BVerfGE 137, 34 ; BVerfG, Beschluss des
Zweiten Senats vom 4. Mai 2020 – 2 BvL 4/18 -, Rn. 53). Ihn trifft jedoch die Pflicht, die ihm insoweit zu Gebote
stehenden Erkenntnismöglichkeiten auszuschöpfen, um die Entwicklung der Lebensverhältnisse zu beobachten und die
Höhe der Besoldung an diese Entwicklung kontinuierlich im gebotenen Umfang anzupassen (vgl. BVerfGE 117, 330
; 130, 263 ; 137, 34 ; 146, 164 ). Stellt er dabei eine
erhebliche (regionale) Spreizung innerhalb seines Verantwortungsbereichs fest, kann er darauf mit einer regionalen
Differenzierung der Beamtenbesoldung reagieren (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 4. Mai 2020 – 2 BvL
4/18 -, Rn. 53).
43
bb) Gemäß § 20, § 23 Nr. 1 SGB II wird zur Befriedigung des Regelbedarfs zur Sicherung des
Lebensunterhalts ein monatlicher Pauschalbetrag anerkannt, dessen Höhe regelmäßig neu festgesetzt wird. Dabei wird
typisierend für unterschiedliche Lebensumstände ein unterschiedlicher Regelbedarf angenommen. Für Kinder richtet
sich die Zuordnung zu einer Regelbedarfsstufe nach dem Lebensalter. Insofern kann zur Bestimmung der gebotenen
Mindestalimentation auf die im Existenzminimumbericht der Bundesregierung etablierte Berechnungsmethode
zurückgegriffen werden, bei der die Regelbedarfssätze mit der Anzahl der für die einzelnen Regelbedarfsstufen
relevanten Lebensjahre gewichtet werden (vgl. BTDrucks 19/5400, S. 6).
44
Dabei darf der Gesetzgeber den für volljährige Kinder einer Bedarfsgemeinschaft maßgeblichen Regelsatz
der Regelbedarfsstufe 3 bei der Durchschnittsbildung außer Betracht lassen. Denn diese Regelbedarfsstufe kommt in
der hier maßgeblichen Konstellation nur zum Tragen, wenn das dritte (oder vierte) Kind volljährig ist und zwei
ältere Geschwister hat, die ebenfalls noch kindergeldberechtigt sind. Dies dürfte allenfalls in seltenen
Ausnahmefällen für einen nennenswerten Zeitraum der Fall sein, selbst wenn insgesamt eine erhebliche Zahl von
Kindern auch nach Vollendung des 18. Lebensjahres noch kindergeldberechtigt sein sollte.
45
cc) Für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum müssen die anzusetzenden Kosten der Unterkunft aus dem
Wohngeldrecht abgeleitet werden.
46
(1) Eine Übernahme der in den Existenzminimumberichten angewandten Methode kommt nicht in Betracht. Im
streitgegenständlichen Zeitraum wurden darin neben dem gesamtdeutschen Mietenniveau der Wohngeldempfänger der für
die Mietenstufen I bis IV nach Fallzahlen gewichtete Durchschnittswert zugrunde gelegt (vgl. BTDrucks 16/11065, S.
3; BTDrucks 18/3893, S. 4; nunmehr aber BTDrucks 19/5400, S. 5) und damit gerade die Mieten der (damals) höchsten
Mietenstufen V und VI nach § 12 WoGG außer Ansatz gelassen (vgl. Modrzejewski, Existenzsicherung in Ehe und Familie
im Einkommensteuerrecht, 2018, S. 138). Dass die Auffassung der Bundesregierung, diese Methodik sei auch für die
Bestimmung der Mindestalimentation heranzuziehen, nicht zutreffen kann, folgt schon daraus, dass sie in ihrer
Stellungnahme die Beamten ausdrücklich auf den Wohngeldbezug verweist. Der Besoldungsgesetzgeber kann sich seiner
aus dem Alimentationsprinzip ergebenden Verpflichtung aber nicht mit Blick auf Sozialleistungsansprüche entledigen;
die angemessene Alimentation muss durch das Beamtengehalt selbst gewahrt werden (vgl. BVerfGE 44, 249 <269
f.>; 70, 69 ).
47
(2) Um der verfassungsrechtlichen Zielsetzung, das Grundsicherungsniveau als Ausgangspunkt für die
Festlegung der Untergrenze der Beamtenbesoldung zu bestimmen, gerecht zu werden, muss der Bedarf für die Kosten der
Unterkunft so erfasst werden, wie ihn das Sozialrecht definiert und die zuständigen Behörden tatsächlich anerkennen.
Auch muss der Ansatz so bemessen sein, dass er auch in Kommunen mit durchschnittlich höheren Kosten der Unterkunft
das Grundsicherungsniveau nicht unterschreitet.
48
§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II sieht vor, dass Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen
Aufwendungen anerkannt werden, soweit diese angemessen sind. Solange nicht aufgrund von § 22a Abs. 1 in Verbindung
mit § 22b Abs. 1 SGB II durch Satzung (oder Verordnung) bestimmt wird, welche Kosten der Unterkunft beziehungsweise
welche Wohnfläche entsprechend der Struktur des örtlichen Wohnungsmarktes als angemessen anerkannt werden, muss die
Angemessenheit der Kosten nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in einer mehrstufigen Einzelfallprüfung
ermittelt werden: Zunächst ist die sogenannte abstrakte Angemessenheit der Miete zu bestimmen, für die es auf
Wohnfläche, Wohnstandard (insbesondere Lage und Ausstattung) und örtliches Preisniveau ankommt. Nach der sogenannten
Produkttheorie ist eine Unterkunft angemessen, deren Kosten dem Produkt aus angemessener Wohnfläche einerseits und
dem im Vergleichsraum für Wohnungen einfachen Standards ermittelten Mietzins pro Quadratmeter andererseits
entspricht (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006 – B 7b AS 18/06 R -, juris, Rn. 20). Der Vergleichsraum ist
ausgehend vom Wohnort zu bestimmen, wobei es darauf ankommt, welche Orte aufgrund ihrer räumlichen Nähe, der
Infrastruktur und insbesondere ihrer verkehrstechnischen Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens-
und Wohnbereich bilden (vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 2/10 R -, juris, Rn. 18 m.w.N.). Dabei kann
der Grundsicherungsempfänger seinen Wohnort frei wählen: Nach einem Umzug über die Grenzen des kommunalen
Vergleichsraums hinaus sind die anzusetzenden Kosten der Unterkunft nicht auf die Aufwendungen am bisherigen Wohnort
begrenzt (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juni 2010 – B 4 AS 60/09 R -, juris, Rn. 18 ff. unter Verweis auch auf Art. 3 Abs.
1 GG i.V.m. Art. 11 Abs. 1 GG). Die anzusetzende Wohnfläche wird aus den im jeweils fraglichen Zeitraum geltenden
landesrechtlichen Vorgaben für den sozialen Mietwohnungsbau abgeleitet (vgl. BSG, Urteil vom 16. Mai 2012 – B 4 AS
109/11 R -, juris, Rn. 18; für Nordrhein-Westfalen liegt dieser Wert bei 15 qm für jedes Kind, vgl. Ziffer 8.2 der
Wohnraumnutzungsbestimmungen , RdErl des Ministeriums für Bauen und Verkehr – IV.5-619-1665/09 vom 12.
Dezember 2009). Der Quadratmeterpreis für Wohnungen einfachen Standards ist auf der Grundlage eines überprüfbaren,
schlüssigen Konzepts zur Datenerhebung und -auswertung zu ermitteln, das die Gewähr dafür bietet, die Verhältnisse
des örtlichen Wohnungsmarkts in einem bestimmten Zeitraum wiederzugeben (vgl. BSG, Urteil vom 22. September 2009 – B
4 AS 18/09 R -, juris, Rn. 17 ff.). Überschreiten die tatsächlichen Aufwendungen den nach diesen Maßgaben bestimmten
abstrakt angemessenen Betrag, wird im Verfahren nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II geprüft, ob im konkreten Einzelfall
eine bedarfsgerechte und kostengünstige Wohnung tatsächlich verfügbar und zugänglich ist. Ist dies nicht der Fall,
sind die höheren Kosten anzuerkennen (vgl. BSG, Urteil vom 11. Dezember 2012 – B 4 AS 44/12 R -, juris, Rn. 21
ff.).
49
(3) Die von der Bundesagentur für Arbeit im Verfahren 2 BvL 4/18 vorgelegte statistische Auswertung
ermöglicht eine realitätsgerechte Erfassung der absoluten Höhe der grundsicherungsrechtlichen Kosten der Unterkunft
für eine Familie (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 4. Mai 2020 – 2 BvL 4/18 -, Rn. 59). Im vorliegenden
Verfahren geht es jedoch darum, den Mehrbetrag zu ermitteln, der einer Familie mit drei Kindern im Vergleich zu
einer Familie mit zwei Kindern zugestanden wird. Es kommt also auf den relativen Unterschied der Kosten der
Unterkunft an. Dieser kann mit Hilfe der von der Bundesagentur vorgelegten Daten, denen eine Auflösung in
50-Euro-Schritten zugrunde liegt, nicht hinreichend genau bestimmt werden.
50
(4) Für den Fall, dass belastbare Erhebungen zu den tatsächlich angemessenen Kosten der Unterkunft für
einen Vergleichsraum in einem bestimmten Zeitraum nicht vorliegen, hat das Bundessozialgericht eine alternative
Methode entwickelt, um die grundsicherungsrechtlichen Kosten der Unterkunft bemessen zu können. In einer solchen
Situation ist der für den jeweiligen Wohnort maßgebliche wohngeldrechtliche Miethöchstbetrag mit einem
Sicherheitszuschlag von 10 % den Berechnungen zugrunde zu legen, weil die Festsetzung aufgrund der abweichenden
Zweckrichtung des Wohngeldes nicht mit dem Anspruch erfolgt, die realen Verhältnisse auf dem Markt stets zutreffend
abzubilden (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 – B 4 AS 87/12 R -, juris, Rn. 26 f.).
51
Das Wohngeld ist als Zuschuss ausgestaltet, dessen Höhe sich nach der Anzahl der Haushaltsmitglieder,
der Bruttokaltmiete und dem Gesamteinkommen der Haushaltsmitglieder richtet (§ 4 WoGG). Angesetzt wird die
tatsächlich gezahlte Miete, allerdings nur bis zu einem im Gesetz festgelegten Höchstbetrag, der nach der Zahl der
Haushaltsmitglieder und der Mietenstufe gestaffelt ist. Die Zugehörigkeit einer Gemeinde zu einer Mietenstufe
richtet sich nach dem Mietenniveau. Das Mietenniveau ist die durchschnittliche prozentuale Abweichung der
Quadratmetermieten von Wohnraum in der fraglichen Gemeinde vom Durchschnitt der Quadratmetermieten des Wohnraums im
Bundesgebiet (§ 12 WoGG). Die Höchstbeträge nach § 12 Abs. 1 WoGG sind seit dem Jahr 2016 gemäß § 39 Abs. 1 WoGG in
zweijährlichem Turnus zu überprüfen. Für Zeiträume wie den hier zu beurteilenden, in denen die Wohngeldsätze nicht,
wie es nunmehr vorgesehen ist, in einem engen Turnus von zwei Jahren aktualisiert werden, sondern über einen langen
Zeitraum (hier: 2009 bis 2016, vgl. BTDrucks 18/4897, S. 1) gleichbleiben, verlieren die Wohngeldsätze ihren
Realitätsbezug. Abhilfe schafft insofern eine Indexierung der Werte mit dem Mietpreisindex des Statistischen
Landesamtes des jeweiligen Landes (hilfsweise: des Statistischen Bundesamtes).
52
Weil die Anforderungen des Alimentationsprinzips für alle Richter und Beamte ohne Rücksicht auf ihren
Dienstort eingehalten werden müssen (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 4. Mai 2020 – 2 BvL 4/18 -, Rn.
60 f.), ist dabei auf die höchste im jeweiligen Land vorkommende Mietenstufe des Wohngeldrechts abzustellen (vgl.
BVerwGE 160, 1 ). Der Dienstherr kann nicht erwarten, dass Richter und Beamte ihren Wohnsitz
an einem Ort nehmen, der durchschnittliche Wohnkosten aufweist. Diese Überlegung entfernte sich unzulässig vom
Grundsicherungsrecht, das die freie Wohnortwahl gewährleistet, insbesondere auch den Umzug in den Vergleichsraum mit
den höchsten Wohnkosten. Unabhängig davon dürfen Beamte weder ihre Dienststelle noch ihren Wohnort beliebig wählen.
Der Bestimmung der Dienststelle durch den Dienstherrn können nur schwerwiegende persönliche Gründe oder
außergewöhnliche Härten entgegengehalten werden (vgl. Lemhöfer, in: Plog/Wiedow, BBG, § 28 Rn. 76
2009> m.w.N.). Die Beamten sind zudem auch ohne ausdrückliche Anordnung einer Residenzpflicht verpflichtet, ihre
Wohnung so zu nehmen, dass die ordnungsmäßige Wahrnehmung ihrer Dienstgeschäfte – insbesondere der pünktliche
Dienstantritt – nicht beeinträchtigt wird (vgl. Schachel, in: Schütz/Maiwald, Beamtenrecht, § 44 LBG NRW Rn. 11 ff.
).
53
Der Besoldungsgesetzgeber ist allerdings nicht verpflichtet, die Besoldung eines Beamten oder Richters
auch dann an den regionalen Höchstwerten auszurichten, wenn dieser hiervon gar nicht betroffen ist. Der Gesetzgeber
muss nicht pauschalieren, sondern kann den maßgeblichen Bedarf individuell oder gruppenbezogen erfassen (vgl.
BVerfGE 87, 153 ). Insbesondere ist er frei, Besoldungsbestandteile an die regionalen
Lebenshaltungskosten anzuknüpfen, etwa durch (Wieder-)Einführung eines an den örtlichen Wohnkosten orientierten
(Orts-) Zuschlags (vgl. hierzu BVerfGE 117, 330 ), wie es derzeit regelmäßig bei einer
Auslandsverwendung (vgl. § 73 LBesG NRW i.V.m. §§ 52 ff. BBesG) und teilweise auch innerhalb eines Landes (vgl. Art.
94 BayBesG) praktiziert wird. Eine an Wohnsitz oder Dienstort anknüpfende Abstufung ist mit dem Alimentationsprinzip
vereinbar, sofern sie sich vor Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigen lässt (vgl. BVerfGE 107, 218 ;
117, 330 ). Mit den Mietenstufen des Wohngeldgesetzes, denen alle Kommunen entsprechend den örtlichen
Verhältnissen des Mietwohnungsmarktes zugeordnet sind, stünde ein leicht zu handhabendes Kriterium bereit (vgl.
BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 4. Mai 2020 – 2 BvL 4/18 -, Rn. 61).
54
dd) Zum grundsicherungsrechtlichen Bedarf zählen nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II auch Heizkosten, sofern
sie angemessen sind. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts können dem bundesweiten Heizspiegel, der
jährlich nach Energieträger und Größe der Wohnanlage gestaffelte Vergleichswerte ausweist, Richtwerte entnommen
werden. Nur wenn die Heizkosten das Produkt aus der angemessenen Wohnfläche und dem Höchstwert des Heizspiegels
übersteigen, besteht Anlass dazu, die Aufwendungen konkret auf ihre Angemessenheit hin zu überprüfen (vgl. BSG,
Urteil vom 20. August 2009 – B 14 AS 41/08 R -, juris, Rn. 30; Urteil vom 12. Juni 2013 – B 14 AS 60/12 R -, juris,
Rn. 22). Dass dabei auf bundeseinheitliche Werte abgestellt wird, steht nicht im Widerspruch zur Föderalisierung des
Besoldungsrechts, weil das Grundsicherungsrecht insofern keine Regionalisierung vorsieht (vgl. BVerfG, Beschluss des
Zweiten Senats vom 4. Mai 2020 – 2 BvL 4/18 -, Rn. 63).
55
ee) Für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene hat der Gesetzgeber über den Regelbedarf hinaus Bedarfe
für Bildung und Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft (im Folgenden: Bildung und Teilhabe)
gesondert erfasst. Auch sie zählen zum sozialhilferechtlichen Grundbedarf (vgl. BVerfGE 137, 34 <95 ff. Rn. 130
ff.>).
56
Nach den im verfahrensgegenständlichen Zeitraum geltenden Fassungen des § 28 SGB II vom 13. Mai 2011
(BGBl I S. 850) und vom 7. Mai 2013 (BGBl I S. 1167) wurden anerkannt: Leistungen für Schulausflüge und mehrtägige
Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen (§ 28 Abs. 2 SGB II), persönlicher Schulbedarf (§ 28 Abs.
3 SGB II), Kosten der Schülerbeförderung, soweit sie nicht von Dritten übernommen werden und es nicht zumutbar ist,
sie aus dem Eigenbedarf zu bestreiten (§ 28 Abs. 4 SGB II), angemessene Kosten der Lernförderung, soweit diese
geeignet und zusätzlich erforderlich ist, um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen
Lernziele zu erreichen (§ 28 Abs. 5 SGB II), Mehraufwendungen für die Teilnahme an einer gemeinschaftlichen
Mittagsverpflegung von Schülern und von Kindern, die in Tageseinrichtungen oder in der Kindertagespflege betreut
werden (§ 28 Abs. 6 SGB II), sowie Aufwendungen im Zusammenhang mit der Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben
in der Gemeinschaft (§ 28 Abs. 7 SGB II). Pauschaliert wurden lediglich der persönliche Schulbedarf (100 Euro pro
Schuljahr) und die Aufwendungen für die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft (10 Euro pro
Monat bis zum 18. Lebensjahr), wobei in Ausnahmefällen auch die (höheren) tatsächlichen Aufwendungen berücksichtigt
werden konnten (§ 28 Abs. 7 Satz 2 SGB II). Im Übrigen wurden im Grundsatz die tatsächlichen Aufwendungen
anerkannt.
57
Für die Bestimmung des Grundsicherungsniveaus sind im Ausgangspunkt alle Bedarfe des § 28 SGB II
relevant. Nur wenn feststeht, dass bestimmte Bedarfe auf außergewöhnliche Lebenssituationen zugeschnitten sind und
deshalb tatsächlich nur in Ausnahmefällen bewilligt werden, können sie außer Ansatz bleiben. Danach dürften der
persönliche Schulbedarf, Aufwendungen für Schulausflüge, Klassenfahrten und das Mittagessen in
Gemeinschaftsverpflegung sowie die Kosten der Teilhabe bei sozialen, sportlichen und kulturellen Aktivitäten dem
Grunde nach zu berücksichtigen sein. Um einen realitätsgerechten Wert zu ermitteln, sind die Ausgaben mit der Zahl
derjenigen ins Verhältnis zu setzen, die den jeweiligen Bedarf auch tatsächlich geltend machen. Fallen bestimmte
Bedarfe nur in bestimmten Altersstufen an, wie etwa der Schulbedarf oder Klassenfahrten, ist wie bei den Regelsätzen
ein gewichteter Durchschnitt zu bilden (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 4. Mai 2020 – 2 BvL 4/18 -,
Rn. 67).
58
ff) Nach § 21 SGB II sind bestimmte Mehrbedarfe anzuerkennen, die auf besondere Lebensumstände
zurückzuführen sind. Aus der im Verfahren 2 BvL 4/18 von der Bundesagentur für Arbeit vorgelegten Statistik geht
hervor, dass zwar der Mehrbedarf für dezentrale Warmwasserversorgung in nennenswerter Häufigkeit anfällt, im
Durchschnitt aber nur mit weniger als einem Euro monatlich. Mehrbedarfe im Bagatellbereich können bei der
Typisierung außer Ansatz bleiben.
59
gg) Der vom Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 24. November 1998 angesetzte 20 %-Zuschlag
auf die Regelsätze der Sozialhilfe (vgl. BVerfGE 99, 300 ) ist mit der Umgestaltung des
Grundsicherungsrechts im Jahr 2005 obsolet geworden. Mit ihm wurden die vormals in größerem Umfang gewährten
“einmaligen Leistungen zum Lebensunterhalt” nach § 21 Abs. 1a BSHG – insbesondere für Kleidung, Brennstoffe,
Hausrat, Wohnungsinstandsetzung und langlebige Gebrauchsgüter – abgebildet (vgl. Empfehlungen des Deutschen Vereins
für öffentliche und private Fürsorge für die Heranziehung Unterhaltspflichtiger in der Sozialhilfe, NDV 1995, S. 1
). Hierfür besteht kein Bedürfnis mehr, nachdem das System der Grundsicherung auf höhere
Regelsätze umgestellt worden ist, aus denen auch unregelmäßig anfallende Ausgaben bestritten werden sollen (vgl. §
20 Abs. 1 Satz 4 SGB II).
60
hh) Der Lebensstandard der Grundsicherungsempfänger wird nicht allein durch als solche bezeichnete
Grundsicherungsleistungen bestimmt. Ihnen werden – in letzter Zeit vermehrt – vornehmlich Dienstleistungen zu einem
vergünstigten “Sozialtarif” angeboten, etwa im Bereich der weitverstandenen Daseinsvorsorge (öffentlicher
Nahverkehr, Museen, Theater, Opernhäuser, Schwimmbäder usw.). Von erheblicher praktischer Bedeutung sind auch die
Kosten für die Kinderbetreuung. Seit dem 1. August 2019 dürfen von Grundsicherungsempfängern für die Förderung von
Kindern in Tageseinrichtungen und Kindertagespflege keine Beiträge mehr erhoben werden (vgl. § 90 Abs. 4 SGB VIII
i.d.F. des Art. 2 Nr. 2 Buchstabe c des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Qualität und zur Teilhabe in der
Kindertagesbetreuung vom 19. Dezember 2018 ; die Gegenfinanzierung erfolgt im Rahmen des
Finanzausgleichs ). Dabei handelt es sich – anders als beim
Kindergeld – nicht um eine Vergünstigung, die allen Kindern zuteil wird. Eltern, die keine Sozialleistungen
beziehen, müssen diese Leistungen (zumindest teilweise) bezahlen.
61
Diese geldwerten Vorteile werden nicht in der Statistik der Grundsicherungsbehörden erfasst. Gleichwohl
können sie bei einer realitätsgerechten Ermittlung des den Grundsicherungsempfängern gewährleisteten Lebensstandards
nicht unberücksichtigt bleiben. Es handelt sich um Bedürfnisse, deren Erfüllung die öffentliche Hand für
jedermann als so bedeutsam erachtet, dass sie Grundsicherungsempfängern entsprechende Leistungen mit
Rücksicht auf ihre wirtschaftliche Lage kostenfrei oder vergünstigt zur Verfügung stellt und hierfür öffentliche
Mittel einsetzt.
62
Solange aber auch ohne Berücksichtigung etwaiger geldwerter Vorteile feststeht, dass der Mindestabstand
zum Grundsicherungsniveau nicht gewahrt ist, sind Feststellungen zu Art und Umfang der genannten geldwerten Vorteile
mangels Entscheidungserheblichkeit entbehrlich. Auch insoweit ist in erster Linie der Besoldungsgesetzgeber
gefordert, die Entwicklung der Lebensverhältnisse zu beobachten, um Art und Ausmaß der geldwerten Vorteile zu
ermitteln und die Höhe der Besoldung diesen kontinuierlich im gebotenen Umfang anzupassen (vgl. BVerfGE 117, 330
; 130, 263 ; 137, 34 ; 146, 164 ; BVerfG, Beschluss des
Zweiten Senats vom 4. Mai 2020 – 2 BvL 4/18 -, Rn. 71).
63
b) Ob die Dienstbezüge der Richter und Beamten den Anforderungen des Alimentationsprinzips entsprechend
ausreichen, um den sich für das dritte und jedes weitere Kind ergebenden alimentationsrechtlichen Mindestbedarf zu
decken, beurteilt sich nach dem Nettomehrbetrag, also dem Unterschied in der Besoldung, die Richtern und Beamten der
gleichen Besoldungsgruppe mit zwei Kindern einerseits und mit der fraglichen Kinderzahl andererseits tatsächlich zur
Verfügung steht (vgl. BVerfGE 99, 300 ). Weil es dem Gesetzgeber freisteht, wie er das von der Verfassung
vorgegebene Ziel erreicht, und hier unterschiedliche Wege denkbar sind (entsprechende Bemessung der Bruttobezüge,
allgemein gewährtes Kindergeld, steuerrechtliche Berücksichtigung der durch den Kindesunterhalt verminderten
Leistungsfähigkeit, Kombinationslösungen; vgl. BVerfGE 81, 363 ; 99, 300 ), ist das
Nettoeinkommen unter Berücksichtigung des Kindergelds zu ermitteln.
64
aa) Bezugspunkt ist das Gehalt als Ganzes (vgl. BVerfGE 44, 249 ). Neben dem Grundgehalt sind
daher solche Bezügebestandteile zu berücksichtigen, die allen Beamten einer Besoldungsgruppe gewährt werden (vgl.
BVerfGE 99, 300 ; 139, 64 ; 140, 240 ).
65
Dabei ist – wenn diese Besoldungsgruppe Erfahrungsstufen kennt – das Grundgehalt der Endstufe maßgeblich
(vgl. BVerfGE 99, 300 ). Damit ist sichergestellt, dass der Mehrbetrag der Nettoalimentation auch bei dem
höchsten für die Besoldungsgruppe relevanten Steuersatz den Abstand zum Grundsicherungsniveau wahrt.
66
bb) Bei der Ermittlung des Nettoeinkommens sind die Kosten einer die Beihilfeleistungen des Dienstherrn
ergänzenden Krankheitskosten- und Pflegeversicherung in Abzug zu bringen (vgl. BVerfGE 140, 240 <286 f. Rn. 94
f.>; vgl. auch BTDrucks 18/9533, S. 36 f.). Anzusetzen ist dabei aus den mit Blick auf die Regelsätze der
Grundsicherung ausgeführten Gründen (vgl. oben C. I. 2. a) bb), Rn. 44) der durchschnittliche Beitrag für
minderjährige Kinder. Gewährt der Dienstherr freie Heilfürsorge oder erhöht er den Beihilfesatz (vgl. BVerfGE 140,
240 ), wirkt sich dies auf die Höhe des Nettoeinkommens aus.
67
Gemäß § 193 Abs. 3 Satz 1 des Gesetzes über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz – VVG)
vom 23. November 2007 (BGBl I S. 2631) ist jede Person mit Wohnsitz im Inland, die nicht gesetzlich versichert oder
anderweitig abgesichert ist, verpflichtet, eine Krankheitskostenversicherung abzuschließen. Aus § 23 Abs. 1 SGB XI
folgt die Verpflichtung, sich auch für das Eintreten des Pflegefalls zu versichern. Gemäß § 26 SGB II sind
angemessene Beiträge für eine Kranken- und Pflegeversicherung als Bedarf der Grundsicherungsempfänger anzuerkennen.
Die Aufwendungen für eine private Kranken- und Pflegeversicherung sind daher auch Teil des einkommensteuerrechtlich
zu verschonenden Existenzminimums, soweit sie zur Erlangung eines von der Grundsicherung gewährleisteten
Versorgungsniveaus erforderlich sind (vgl. BVerfGE 120, 125 ).
68
Eine Beschränkung der zu berücksichtigenden Aufwendungen entsprechend § 26 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz
1 SGB II, wonach die Beiträge zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung nur bis zur Höhe des nach § 152 Abs. 4
VAG beziehungsweise § 110 Abs. 2 Satz 3 SGB XI ermäßigten Beitrags anerkannt werden, scheidet aus. Diese Regelung
vermindert nicht den Gesamtaufwand, der erforderlich ist, um den zum sozialhilferechtlichen Bedarf zählenden
Kranken- und Pflegeversicherungsschutz sicherzustellen, sie verteilt nur die Lasten anders. Es handelt sich um eine
sozialstaatliche Indienstnahme der privaten Krankenversicherungsunternehmen (vgl. BVerfGE 123, 186 ).
Hinzu kommt, dass nur Versicherte in den Genuss der Prämienreduktion kommen, die tatsächlich
grundsicherungsberechtigt sind. Auch eine Beschränkung auf den steuerlich absetzbaren Beitragsanteil kommt nicht in
Betracht. Hierbei handelt es sich um einen allein für die Zwecke der Besteuerung ermittelten Wert, zu dem ein
Versicherungsschutz nicht zu erlangen ist.
69
cc) Vom Bruttoeinkommen abzuziehen sind die Steuern (Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag). Dabei
ist auch die Abzugsfähigkeit der Kosten der Kranken- und Pflegeversicherung als Sonderausgaben zu
berücksichtigen.
70
In den bisher ergangenen Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht bei der Ermittlung des
Nettoeinkommens die Kirchensteuer in Abzug gebracht (vgl. BVerfGE 81, 363 ; 99, 300 ). Anders
als im Jahr 1998 kann jedoch nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die Kirchensteuer “gewöhnlich” anfällt. Das
wäre aber Voraussetzung für eine derartige Pauschalierung (vgl. BVerfGE 90, 226 ). Der Gesetzgeber
geht seit dem Jahr 2005 nicht mehr davon aus, dass eine deutliche Mehrheit von Arbeitnehmern einer Kirchensteuer
erhebenden Kirche angehört (vgl. BTDrucks 15/1515, S. 86).
71
Nach wie vor kann bei den Berechnungen für alle Besoldungsgruppen vereinfachend davon ausgegangen
werden, dass die steuerliche Freistellung des Einkommensbetrags in Höhe der Existenzminima der Kinder einschließlich
der Bedarfe für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung durch die Auszahlung von Kindergeld bewirkt wird; dieses ist
dem Einkommen hinzuzurechnen (vgl. BVerfGE 81, 363 ; 99, 300 ). Zwar kann sich der Ansatz des
Kinderfreibetrags auch bei der Bemessung der Einkommensteuer bei Beamten und Richtern höherer Besoldungsgruppen als
(geringfügig) günstiger erweisen (vgl. § 31 Satz 4 EStG). Allerdings lässt sich die Besoldungsgruppe, ab der sich
der Ansatz des Kinderfreibetrags als günstiger erweist, wegen der Abhängigkeit von den sich jährlich verändernden
besoldungs- und steuerrechtlichen Verhältnissen nur von Jahr zu Jahr und mit erheblichem Aufwand ermitteln, auch
weil sich mitunter eine Kombination aus Freibetrag und Kindergeld als günstiger erweist. Dem Besoldungsgesetzgeber
ist eine genauere Betrachtung nicht verwehrt, wenn er den Umfang des grundsicherungsrechtlichen Mehrbedarfs ebenso
exakt bestimmt.
II.
72
Diesen Maßstäben werden die im Tenor genannten Vorschriften nicht gerecht. Die Besoldung der Richter und
Staatsanwälte der Besoldungsgruppe R 2 mit drei unterhaltsberechtigten Kindern hielt im Jahr 2013 in Bezug auf das
dritte Kind den verfassungsgebotenen Mindestabstand von 15 % zum Grundsicherungsniveau nicht ein. Das gleiche gilt
für die Jahre 2014 und 2015 in Bezug auf Richter und Staatsanwälte dieser Besoldungsgruppe mit vier Kindern für das
dritte und vierte Kind.
73
1. Im Jahr 2013 belief sich der aus dem Grundsicherungsrecht für das dritte Kind abgeleitete Mehrbedarf
auf mindestens 419,59 Euro. In den Jahren 2014 und 2015 betrug der Mehrbedarf für das dritte und vierte Kind
zusammen 858,38 Euro beziehungsweise 868,68 Euro.
74
a) Die monatlichen Regelsätze für Kinder sind in den Vorlagebeschlüssen zutreffend ermittelt und nach
der Dauer des jeweiligen Bezuges von der Geburt bis zur Volljährigkeit gewichtet worden. Anzusetzen sind danach je
Kind 252,22 Euro im Jahr 2013, 258,11 Euro im Jahr 2014 und 263,78 Euro im Jahr 2015.
75
b) Die Kosten der Unterkunft (Kaltmiete) werden für die verfahrensgegenständlichen Jahre aus den
Wohngeldsätzen abgeleitet. Für eine vierköpfige Familie sah § 12 Abs. 1 WoGG in der bis zum 31. Dezember 2015
geltenden Fassung vom 24. September 2008 (BGBl I S. 1856) in der höchsten für Nordrhein-Westfalen vorgesehenen
Mietenstufe V (vgl. Anlage 1 zu § 1 Abs. 3 der Wohngeldverordnung in der Fassung vom 15. Dezember 2008
2486>) einen Höchstbetrag von 649 Euro vor, für eine fünfköpfige Familie betrug dieser 737 Euro. Auch für eine
sechsköpfige Familie wurde für das hinzutretende Kind ein Mehrbetrag von 88 Euro angesetzt. Der vom Landesbetrieb
Information und Technik Nordrhein-Westfalen ermittelte Index der Kaltmieten stieg vom Jahr 2009 (98,7) bis zum Jahr
2013 (104,7) um 6,08 %, bis zum Jahr 2014 (106,5) um 7,90 % und bis zum Jahr 2015 (107,5) um 8,92 % (vgl.
Landesbetrieb Information und Technik Nordrhein-Westfalen, Statistisches Jahrbuch Nordrhein-Westfalen 2016, S. 580).
Unter Berücksichtigung des von den Sozialgerichten bei der Ableitung der angemessenen Kosten der Unterkunft aus den
Wohngeldsätzen angewandten Sicherheitszuschlags von 10 % (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 – B 4 AS 87/12 R -,
juris, Rn. 26) ergibt sich für das dritte und jedes weitere Kind im Jahr 2013 ein Mehrbedarf von 102,69 Euro, im
Jahr 2014 von 104,45 Euro und im Jahr 2015 von 105,43 Euro.
76
c) Nach den vom Grundsicherungsrecht in Bezug genommenen Regelungen des sozialen Wohnungsbaus betrug im
verfahrensgegenständlichen Zeitraum die angemessene Wohngröße bei zwei Haushaltsangehörigen 65 Quadratmeter und
erhöhte sich für jede weitere haushaltsangehörige Person um 15 Quadratmeter (vgl. Ziffer 8.2 der
Wohnraumnutzungsbestimmungen, Runderlass des Ministeriums für Bauen und Verkehr vom 12. Dezember 2009
2010, S. 6>).
77
Der Heizspiegel weist in den verfahrensgegenständlichen Jahren den nach der sozialgerichtlichen
Rechtsprechung (vgl. BSG, Urteil vom 20. August 2009 – B 14 AS 41/08 R -, juris, Rn. 30; Urteil vom 12. Juni 2013 –
B 14 AS 60/12 R -, juris, Rn. 22) für das Grundsicherungsrecht maßgeblichen Höchstwert je Quadratmeter Wohnfläche
von monatlich 1,83 Euro (Heizspiegel 2013: 21,90 Euro/qm im Jahr), 1,96 Euro (Heizspiegel 2014: 23,50 Euro/qm im
Jahr) und 1,86 Euro (Heizspiegel 2015: 22,30 Euro/qm im Jahr) aus. Daraus ergeben sich für das dritte und jedes
weitere Kind monatlich hinzukommende Heizkosten von 27,45 Euro im Jahr 2013, von 29,40 Euro im Jahr 2014 und von
27,90 Euro im Jahr 2015.
78
d) Die Bundesagentur für Arbeit hat sich im Verfahren 2 BvL 4/18 wegen unzureichender statistischer
Erfassung in der Vergangenheit nur in Teilbereichen im Stande gesehen, belastbare Auskünfte zur Inanspruchnahme der
Leistungen für Bildung und Teilhabe und zur Höhe der anerkannten Bedarfe zu erteilen. Aus den übermittelten
Datensätzen geht jedoch hervor, dass insbesondere die Aufwendungen für die Mittagsverpflegung bei so vielen
Leistungsberechtigten angefallen sind, dass diese nicht als atypische Fälle außer Betracht gelassen werden dürfen.
Eine Aufklärung weiterer Positionen ist vorliegend nicht erforderlich, weil auch ohne Berücksichtigung aller
Bedarfsposten feststeht, dass die verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht eingehalten sind. Dessen ungeachtet obliegt
es dem Besoldungsgesetzgeber, zukünftig die Erhebung der erforderlichen Daten zu veranlassen und hieraus
realitätsgerechte Ansätze abzuleiten. Soweit er für die streitgegenständlichen Jahre eine Neuregelung zu treffen
hat, muss er sich – etwa durch stichprobenartige Auskunftsersuchen gegenüber den Sozial- und Schulbehörden – einen
möglichst genauen Eindruck verschaffen und daraus entsprechende Ansätze ableiten (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten
Senats vom 4. Mai 2020 – 2 BvL 4/18 -, Rn. 142).
79
Vor diesem Hintergrund werden auch im vorliegenden Verfahren nur die Bedarfe für Bildung und Teilhabe in
die Berechnung einbezogen, für deren Höhe sich aus dem Gesetz ein Anhaltspunkt ergibt. Das betrifft zunächst den
persönlichen Schulbedarf von 100 Euro je Schuljahr. Auf den Zeitraum von der Geburt bis zur Volljährigkeit umgelegt
ergibt sich ein Monatsbetrag von rund 5,56 Euro je Kind. Zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der
Gemeinschaft wurden Kindern aller Altersstufen in den verfahrensgegenständlichen Jahren 10 Euro monatlich gewährt.
Die Mehraufwendungen für die gemeinschaftliche Mittagsverpflegung wurden zwar in tatsächlicher Höhe übernommen, in §
77 Abs. 11 SGB II hat der Gesetzgeber aber selbst zu erkennen gegeben, dass er bereits im Jahr 2011 mit zusätzlichen
Leistungen in Höhe von 26 Euro monatlich rechnete. Geht man davon aus, dass Kinder im Durchschnitt erst mit drei
Jahren an der gemeinschaftlichen Mittagsverpflegung in Kindergarten und Schule teilnehmen, ergibt sich ein
altersgewichteter Betrag von rund 21,67 Euro je Kind. Für die Jahre 2013 bis 2015 summieren sich die aus dem Gesetz
abgeleiteten Monatsbeträge (5,56 Euro + 10 Euro + 21,67 Euro) auf rund 37,23 Euro je Kind (vgl. BVerfG, Beschluss
des Zweiten Senats vom 4. Mai 2020 – 2 BvL 4/18 -, Rn. 143).
80
Der grundsicherungsrechtliche Gesamtbedarf und der davon abgeleitete alimentationsrechtliche Mehrbedarf
für das dritte und jedes weitere Kind beliefen sich danach mindestens auf die folgenden Beträge:
81
2013
2014
2015
Grundsicherungsbedarf
Regelsätze
252,22 €
258,11 €
263,78 €
Kaltmiete
102,69 €
104,45 €
105,43 €
Heizung
27,45 €
29,40 €
27,90 €
Bildung und Teilhabe
37,23 €
37,23 €
37,23 €
Monatsbetrag für ein Kind für zwei Kinder
419,59 €
429,19 €858,38 €
434,34 €868,68 €
Alimentationsrechtlicher Mehrbedarf (115 % des Grundsicherungsbedarfs)
Monatsbetrag für ein Kind für zwei Kinder
482,53 €
493,57 € 987,14 €
499,49 € 998,98 €
82
2. Der monatliche Mehrbetrag der Nettoalimentation der Richter und Staatsanwälte mit drei Kindern in der
Besoldungsgruppe R 2 betrug gegenüber ihren Kollegen mit zwei Kindern im Jahr 2013 386,62 Euro; bei vier Kindern
belief er sich im Jahr 2014 auf 805,37 Euro und im Jahr 2015 auf 814,37 Euro.
83
a) Die anzusetzenden Besoldungsbestandteile können den Vorlagebeschlüssen entnommen werden. Danach
betrugen die Bruttobezüge in der Besoldungsgruppe R 2 (Endstufe, verheiratet) mit zwei Kindern 80.095,99 Euro im
Jahr 2013, 81.614,46 Euro im Jahr 2014 und 83.515,68 Euro im Jahr 2015. Bei drei Kindern erhöhten sie sich im Jahr
2013 auf 84.051,53 Euro. Bei vier Kindern beliefen sie sich im Jahr 2014 auf 89.757,50 Euro und im Jahr 2015 auf
91.749,98 Euro.
84
b) Die abzuziehenden Steuern wurden mit dem Lohnsteuerrechner, den das Bundesministerium der Finanzen
auf seiner Internetseite zur Verfügung stellt, ermittelt. Das Verwaltungsgericht Köln ist im Ausgangsverfahren so
verfahren, ebenso das Bundesverwaltungsgericht im Verfahren 2 BvL 4/18. Einwände grundsätzlicher Art sind hiergegen
nicht vorgebracht worden. Die durchschnittlichen Kosten einer das Beihilferegime ergänzenden privaten
Krankenversicherung und der Pflegepflichtversicherung sowie der steuerlich absetzbare Anteil können der Auskunft des
Verbandes der Privaten Krankenversicherung entnommen werden. Ihr liegen die auch in Nordrhein-Westfalen im
verfahrensgegenständlichen Zeitraum maßgeblichen Beihilfebemessungssätze zugrunde. Ob in diesem Zusammenhang der
Abzug einer Kostendämpfungspauschale von den Beihilfeleistungen zu berücksichtigen ist, bedarf keiner Entscheidung.
Selbst unter der für den Besoldungsgesetzgeber günstigsten Annahme, dass die Verminderung der
Kostendämpfungspauschale um 60 Euro je berücksichtigungsfähiges Kind (vgl. § 12a Abs. 5 Beihilfenverordnung NRW vom
5. November 2009 ) voll zum Tragen kommt, würde sich der monatliche Nettomehrbetrag lediglich
um 5 Euro für das dritte und jedes weitere Kind erhöhen. Die Höhe des in den jeweiligen Jahren gewährten
Kindergeldes kann den Vorlagebeschlüssen entnommen werden.
85
c) Die Jahresnettoalimentation mit zwei Kindern einerseits und mit drei beziehungsweise vier Kindern
andererseits sowie der jeweilige Mehrbetrag der Nettoalimentation berechnet sich danach wie folgt:
86
Jahresnettoalimentation bei zwei Kindern
2013
2014
2015
Jahresbruttobezüge
80.095,99 €
81.614,46 €
83.515,68 €
Steuerabzug – Einkommensteuer – Solidaritätszuschlag
– 16.156,00 € – 631,62 €
– 16.588,00 € – 652,74 €
– 17.188,00 € – 677,38 €
– Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung
– 5.208,00 €
– 5.268,00 €
– 5.364,00 €
Kindergeld
+ 4.416,00 €
+ 4.416,00 €
+ 4.512,00 €
Jahresnettoalimentation bei zwei Kindern
62.516,37 €
63.521,72 €
64.798,30 €
87
Jahresnettoalimentation bei drei Kindern (2013) bzw. vier Kindern (2014, 2015)
2013
2014
2015
Jahresbruttobezüge
84.051,53 €
89.757,50 €
91.749,98 €
Steuerabzug – Einkommensteuer – Solidaritätszuschlag
– 17.450,00 € – 573,76 €
– 19.318,00 € – 541,31 €
– 19.978,00 € – 561,22 €
– Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung
– 5.568,00 €
– 5.988,00 €
– 6.108,00 €
Kindergeld
+ 6.696,00 €
+ 9.276,00 €
+ 9.468,00 €
Jahresnettoalimentation bei drei Kindern
67.155,77 €
Jahresnettoalimentation bei vier Kindern
73.186,19 €
74.570,76 €
88
Mehrbetrag der Nettoalimentation mit drei Kindern (2013) bzw. vier Kindern (2014, 2015)
gegenüber zwei Kindern
2013
2014
2015
Jahresnettoalimentation bei zwei Kindern
62.516,37 €
63.521,72 €
64.798,30 €
Jahresnettoalimentation bei drei Kindern
67.155,77 €
Mehrbetrag bei drei Kindern im Jahr im Monat
4.639,40 € 386,62 €
Jahresnettoalimentation bei vier Kindern
73.186,19 €
74.570,76 €
Mehrbetrag bei vier Kindern im Jahr im Monat
9.664,47 € 805,37 €
9.772,46 € 814,37 €
89
3. Im Jahr 2013 betrug der aus dem Grundsicherungsniveau abgeleitete monatliche Mehrbedarf für ein Kind
mindestens 419,59 Euro, der alimentationsrechtliche Mehrbedarf für das dritte Kind (115 % hiervon) mindestens 482,53
Euro. Die Nettoalimentation von Richtern und Staatsanwälten der Besoldungsgruppe R 2 mit drei Kindern lag im
gleichen Jahr (einschließlich des Kindergeldes für das dritte Kind von 190 Euro) monatlich um 386,62 Euro über
derjenigen ihrer Kollegen mit zwei Kindern. Sie blieb also um mindestens 95,91 Euro im Monat hinter dem
alimentationsrechtlichen Mehrbedarf zurück.
90
Im Jahr 2014 betrug der aus dem Grundsicherungsniveau abgeleitete monatliche Mehrbedarf für zwei Kinder
mindestens 858,38 Euro, der alimentationsrechtliche Mehrbedarf für das dritte und vierte Kind (115 % hiervon)
mindestens 987,14 Euro. Die Nettoalimentation von Richtern und Staatsanwälten der Besoldungsgruppe R 2 mit vier
Kindern lag im gleichen Jahr (einschließlich des Kindergeldes für das dritte und vierte Kind von 405 Euro) monatlich
um 805,37 Euro über derjenigen ihrer Kollegen mit zwei Kindern. Sie blieb also um mindestens 181,77 Euro im Monat
hinter dem alimentationsrechtlichen Mehrbedarf zurück.
91
Im Jahr 2015 betrug der aus dem Grundsicherungsniveau abgeleitete monatliche Mehrbedarf für zwei Kinder
mindestens 868,68 Euro, der alimentationsrechtliche Mehrbedarf für das dritte und vierte Kind (115 % hiervon)
mindestens 998,98 Euro. Die Nettoalimentation von Richtern und Staatsanwälten der Besoldungsgruppe R 2 mit vier
Kindern lag im gleichen Jahr (einschließlich des Kindergeldes für das dritte und vierte Kind von 413 Euro) monatlich
um 814,37 Euro über derjenigen ihrer Kollegen mit zwei Kindern. Die Besoldung blieb also um mindestens 184,61 Euro
im Monat hinter dem alimentationsrechtlichen Mehrbedarf zurück.
92
Diese Vergleichsberechnungen zeigen, dass die Besoldung der Richter und Staatsanwälte der
Besoldungsgruppe R 2 in Bezug auf das dritte Kind im Jahr 2013 und in Bezug auf das dritte und vierte Kind in den
Jahren 2014 und 2015 den verfassungsgebotenen Mindestabstand von 15 % zur Grundsicherung nicht eingehalten hat. Es
wurde nicht einmal der grundsicherungsrechtliche Gesamtbedarf für ein Kind durch die bei steigender Kinderzahl
gewährten Nettomehrbeträge ausgeglichen. Nach alledem hat der Gesetzgeber den ihm zustehenden Gestaltungsspielraum
überschritten. Er ist mit den zur Prüfung vorgelegten Regelungen deutlich unterhalb der Grenze geblieben, welche die
den Richtern und Staatsanwälten dieser Besoldungsgruppe mit mehr als zwei Kindern geschuldete Alimentation nicht
unterschreiten darf.
D.
93
Der Verstoß einer Norm gegen das Grundgesetz kann entweder zur Nichtigerklärung (vgl. § 82 Abs. 1 i.V.m.
§ 78 Satz 1 BVerfGG) oder dazu führen, dass das Bundesverfassungsgericht die Unvereinbarkeit der Norm mit dem
Grundgesetz feststellt (vgl. § 82 Abs. 1 i.V.m. § 79 Abs. 1 und § 31 Abs. 2 BVerfGG). Eine Nichtigerklärung hätte
zur Folge, dass es für die Besoldung an der gesetzlichen Grundlage fehlte, derer es mit Blick auf den
verfassungsrechtlich vorgegebenen und einfachrechtlich (vgl. § 2 Abs. 1 LBesG NRW) angeordneten Gesetzesvorbehalt
bedarf. Damit würde ein Zustand geschaffen, der von der verfassungsmäßigen Ordnung noch weiter entfernt wäre als der
bisherige (vgl. BVerfGE 139, 64 ; 140, 240 ; 150, 169
m.w.N.).
94
Stellt das Bundesverfassungsgericht die Unvereinbarkeit einer Norm oder mehrerer Normen mit dem
Grundgesetz fest, folgt daraus grundsätzlich die Verpflichtung des Gesetzgebers, die Rechtslage rückwirkend
verfassungsgemäß umzugestalten. Ausnahmen von dieser Regelfolge der Unvereinbarkeit hat das Bundesverfassungsgericht
wiederholt bei haushaltswirtschaftlich bedeutsamen Normen bejaht. Speziell bei besoldungsrechtlichen Normen gilt es
zu beachten, dass die Alimentation der Richter und Beamten der Sache nach die Befriedigung eines gegenwärtigen
Bedarfs aus gegenwärtig zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln darstellt. Eine allgemeine rückwirkende Behebung
des Verfassungsverstoßes ist daher mit Blick auf die Besonderheiten des Richter- und Beamtenverhältnisses nicht
geboten (vgl. BVerfGE 139, 64 ; 140, 240 ; 150, 169
m.w.N.).
95
Eine rückwirkende Behebung ist jedoch sowohl hinsichtlich der Kläger der Ausgangsverfahren als auch
hinsichtlich etwaiger weiterer Richter und Staatsanwälte erforderlich, über deren Anspruch noch nicht abschließend
entschieden worden ist (vgl. BVerfGE 139, 64 ; 140, 240 ; 150, 169 <193 Rn.
64>). Dabei kommt es nicht darauf an, ob insoweit ein Widerspruchs- oder ein Klageverfahren schwebt (vgl. BVerfG,
Beschluss des Zweiten Senats vom 4. Mai 2020 – 2 BvL 4/18 -, Rn. 183).