Familienrecht

Beteiligtenfähigkeit der Leibesfrucht im gerichtlichen Vaterschaftsfeststellungsverfahren

Aktenzeichen  16 UF 242/16

Datum:
13.4.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
FamRZ – 2016, 1793
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
FamFG FamFG § 8
BGB BGB §§ 1600d, 1712 I Nr. 1, 1713 II 1, 1714

 

Leitsatz

1 Die Leibesfrucht ist im gerichtlichen Verfahren zur Feststellung der Vaterschaft beteiligtenfähig. (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine vorgeburtliche Beistandschaft ist auch zur Vaterschaftsfeststellung zulässig und wird mit Eingang des Antrages beim Jugendamt wirksam, ohne dass es einer zusätzlichen behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung bedarf. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

526 F 1074/16 2016-02-03 Bes AGMUENCHEN AG München

Tenor

1. Dem beteiligten Kind … geboren … wird Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren bewilligt.
1. Auf die Beschwerde des Stadtjugendamts M. – Beistandschaft – wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – München vom 03.02.2016 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Beschwerde, an das Amtsgericht zurückverwiesen.
3. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.000 € festgesetzt.

Gründe

Das Stadtjugendamt – Beistandschaft – stellte mit Schriftsatz vom 27.01.2016 als Beistand für das damals ungeborene Kind den Antrag, festzustellen, dass der Beteiligte zu 2) …, geboren … Vater des noch ungeborenen Kindes der Beteiligten zu 3) …, geboren am … ist. Dabei hat das Stadtjugendamt vorgetragen, dass der Beteiligte … der Beteiligten … während der gesetzlichen Empfängniszeit, das heißt vom 22.04.2015 bis 19.08.2015 beigewohnt habe. Die Beteiligte … habe im Empfängniszeitraum mit keinem weiteren Mann als dem Beteiligten zu 2) Geschlechtsverkehr ausgeübt.
Der Beteiligte … verweigere die Anerkennung der Vaterschaft ausdrücklich, so dass die gerichtliche Feststellung notwendig sei.
Weiter führte das Stadtjugendamt aus, dass das antragstellende ungeborene Kind diesen Anspruch bereits vorgeburtlich geltend machen könne.
Das Familiengericht wies mit Beschluss vom 03.02.2016 den Antrag des Beistands ohne rechtliches Gehör der übrigen Beteiligten zurück und begründete seine Entscheidung damit, dass die Möglichkeit der Vaterschaftsfeststellung für das ungeborene Kind gesetzlich nicht eröffnet sei. Auf die Begründung im einzelnen (Bl. 3 bis 4 d. A.) wird Bezug genommen. Über den Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe entschied das Amtsgericht nicht.
Gegen diesen, dem Stadtjugendamt als Beistand am 08.02.2016 formlos übersandten Beschluss, legte das Stadtjugendamt mit Schriftsatz vom 16.02.2016, eingegangen beim Amtsgericht München am 16.02.2016, sofortige Beschwerde ein und begründete diese damit, dass der Antrag auf Feststellung der Vaterschaft auch schon vor Geburt des Kindes zulässig sei. Der Beschwerdeführer verwies auf die bereits im Antrag zitierte Entscheidung des OLG Schleswig vom 15.12.1999.
II. Die gemäß § 58 Abs. 1 FamFG statthafte und im Übrigen zulässige Beschwerde führt gemäß § 69 Abs. 1 Satz 2 FamFG auf Antrag des beteiligten Kindes, das am 16.02.2016 geboren wurde, vertreten durch seinen Beistand, zur Aufhebung und Zurückverweisung zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht – Familiengericht – München, denn das Amtsgericht hat in der Sache noch nicht über den Antrag des Kindes auf Feststellung der Vaterschaft entschieden.
Eine Entscheidung in der Sache liegt nur dann vor, wenn das erstinstanzliche Gericht eine Regelung hinsichtlich des dem Verfahrensgegenstand zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses trifft (Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 18. Aufl., § 38 Rn. 4). Daran fehlt es, da das Amtsgericht davon ausgegangen ist, dass ein ungeborenes Kind keine Möglichkeit der Vaterschaftsfeststellung nach deutschem Recht habe.
Wie sich aus der Entscheidung des Oberlandesgerichts Schleswig vom 15.12.1999 (NJW 2000, 1271 f.) ergibt, bot der beabsichtigte Antrag vom 27.01.2016 jedoch hinreichende Aussicht auf Erfolg. Da die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe vorlagen, hätte das Amtsgericht München dem Antragsteller Verfahrenskostenhilfe bewilligen müssen.
Das Stadtjugendamt M. – Abteilung Beistandschaften – hat gemäß § 1712 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BGB verschiedene gesetzlich zugewiesene Aufgaben. So sind dem Jugendamt als Beistand des Kindes auf schriftlichen Antrag eines Elternteils die Aufgaben der Feststellung der Vaterschaft und der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen übertragen. Aus § 1713 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. BGB ergibt sich, dass der Antrag auf Beistandschaft auch für ein ungeborenes Kind gestellt werden kann (Palandt/Götz, BGB, 75. Aufl., § 1713 Rn. 6). Dort heißt es, dass der Antrag auf Beistandschaft schon vor Geburt des erwarteten Kindes von dem Elternteil gestellt werden kann, dem für den Aufgabenkreis der beantragten Beistandschaft die alleinige elterliche Sorge zusteht oder zustünde, wenn das Kind bereits geboren wäre. Im vorliegenden Fall stünde bzw. steht die elterliche Sorge der Mutter des damals erwarteten Kindes alleine zu, nämlich der Beteiligten …
Gemäß § 1714 BGB tritt die Beistandschaft ein, sobald der Antrag dem Jugendamt zugeht. Nach Satz 2 dieser Vorschrift gilt dies auch, wenn der Antrag vor der Geburt des Kindes gestellt wird. Hieraus ergibt sich, dass eine vorgeburtliche Beistandschaft zulässig und wirksam ist und zwar allein aufgrund des Eingangs des entsprechenden Antrags beim Jugendamt ohne dass es einer zusätzlichen behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung bedurfte (Palandt/Götz, a. a. O., § 1714 Rn. 2).
Der Senat schließt sich der Entscheidung des OLG Schleswig vom 15.12.1999 dahingehend an, dass das noch nicht geborene Kind, gesetzlich vertreten durch den Beistand, bereits rechtsfähig, und beteiligtenfähig ist.
Zwar hat der Gesetzgeber des Bürgerlichen Gesetzbuches davon abgesehen, einen allgemeinen Satz über die Rechtsfähigkeit noch nicht geborener Kinder aufzustellen.
Aus den Vorschriften der §§ 1, 331 Abs. 2 BGB, 823 Abs. 1, 1594 Abs. 4 BGB i. V. m. §§ 1595 Abs. 3 BGB, 1615 o Abs. 1 BGB, 1912 Abs. 1 BGB, 1923 Abs. 2, 2108 und 2178 BGB ergibt sich aber, dass der Gesetzgeber dem noch nicht geborenen Kind Rechte einräumen wollte, soweit es um den Vorteil und die Wahrung von Rechtspositionen des erwarteten Kindes geht. Einen solchen Sachverhalt regelt auch § 1712 BGB.
Der Senat teilt somit die Auffassung, dass der Leibesfrucht eine beschränkte Rechtsfähigkeit zukommt, die ihr die Geltendmachung ihrer Rechte im Sinne einer Beteiligtenfähigkeit ermöglicht (Palandt/Ellenberger, a. a. O., § 1 Rn. 7).
Die Entscheidung des Familiengerichts war zudem deshalb aufzuheben, da zwischenzeitlich das Kind geboren wurde, nämlich am … Insoweit trägt die Begründung der Antragsabweisung die inzwischen eingetretene Tatsachenlage nicht.
Da das Amtsgericht in der Bache bislang nicht entschieden hat, war das Verfahren zur weiteren Entscheidung an das Amtsgericht München zurückzuverweisen (§ 69 Abs. 1 Satz 2 FamFG).
Für das weitere Verfahren wird das Amtsgericht zu beachten haben, dass es gegebenenfalls ein Sachverständigengutachten zur Feststellung der Vaterschaft einholen muss.
Bei der Kostenentscheidung wird es zu beachten haben, dass die für diesen Fall maßgebliche Entscheidung des Oberlandesgerichts Schleswig vom Antragsteller bereits im Schriftsatz vom 27.01.2016 zitiert wurde.
Der Beschwerdewert beruht auf § 47 Abs. 1 FamGKG i. V. m. § 169 Nr. 1 FamFG.
Erlass des Beschlusses (§ 38 Abs. 3 Satz 3 FamFG): Übergabe an die Geschäftsstelle am 19.04.2016.

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