Familienrecht

Bewilligung von Prozesskostenhilfe

Aktenzeichen  10 C 16.1584

Datum:
12.10.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwVfG Art. 51 Abs. 5, Art. 48 Abs. 1 Satz 1, Art. 49 Abs. 2 BayVwVfG; § 31 Abs. 2, Satz 1, 2, 3 AufenthG

 

Leitsatz

Bislang ungeklärte Rechts- und Tatfragen dürfen nicht im Prozesskostenhilfverfahren entschieden werden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung zugeführt werden können.  (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 1 K 16.760 2016-07-25 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

Unter Aufhebung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 25. Juli 2016 wird dem Kläger für das Verfahren Au 1 K 16.760 Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt T. P., S., beigeordnet.

Gründe

Mit seiner Beschwerde verfolgt der Kläger seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für sein beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg anhängiges Klageverfahren (Au 1 K 16.760) auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis weiter.
Die zulässige Beschwerde hat Erfolg. Dem Kläger ist Prozesskostenhilfe zu gewähren und sein Bevollmächtigter beizuordnen.
Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V. mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Hinsichtlich der Erfolgsaussichten dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit in dem Sinn, dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss, ist nicht erforderlich, sondern es genügt bereits eine sich bei summarischer Überprüfung ergebende Offenheit des Erfolgs. Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nämlich nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen. Deshalb dürfen bislang ungeklärte Rechts- und Tatfragen nicht im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden werden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung zugeführt werden können. Dabei muss Prozesskostenhilfe nicht immer schon dann gewährt werden, wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage noch nicht höchstrichterlich geklärt ist. Die Ablehnung von Prozesskostenhilfe kann ungeachtet des Fehlens einschlägiger höchstrichterlicher Rechtsprechung gerechtfertigt sein, wenn die Rechtsfrage angesichts der gesetzlichen Regelung oder im Hinblick auf Auslegungshilfen, die von bereits vorliegender Rechtsprechung bereitgestellt werden, ohne Schwierigkeiten beantwortet werden kann (stRspr d. BVerfG, vgl. z.B. B.v. 4.8.2016 – 1 BvR 380/16 – juris Rn. 12; B.v. 28.7.2016 – 1 BvR 1695/15 – juris Rn. 16 f.; B.v. 13.7.2016 – 1 BvR 826/13 – juris Rn. 11 f.; B.v. 20.6.2016 – 2 BvR 748/13 – juris Rn. 12). Im Hinblick auf offene Tatsachenfragen darf Prozesskostenhilfe nicht verweigert werden, wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil der Klagepartei ausgehen könnte (BVerfG, B.v. 28.1.2013 – BvR 274/12 – juris Rn. 20).
Gemessen an diesen Grundsätzen sind im vorliegenden Fall hinreichende Erfolgsaussichten der Klage anzunehmen, denn deren Ausgang ist nach derzeitigem Stand als offen anzusehen.
Der Sache nach erstrebt der Kläger hinsichtlich des bestandskräftigen Bescheids vom 25. August 2014 ein Wiederaufgreifen des Verfahrens (im weiteren Sinn) nach Art. 51 Abs. 5 i.V.m. Art. 48 Abs. 1 Satz 1 und Art. 49 Satz 1 BayVwVfG. Er ist der Meinung, dass ihm damals ein eigenständiges Aufenthaltsrecht aufgrund einer besonderen Härte nach § 31 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zugestanden hätte, weil ihm eine erhebliche Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange gedroht habe. Dabei macht der Kläger – entgegen der Ansicht des Beklagten und des Verwaltungsgerichts – nicht nur „zielstaatsbezogene“ Umstände aufgrund der Bürgerkriegssituation in Syrien geltend. Vielmehr trägt er – erstmals im Schreiben an das Landratsamt vom 7. März 2016 – vor, dass auch im Hinblick auf die Situation in Syrien im Fall seiner Rückkehr dorthin jeglicher Kontakt zu seinen im Bundesgebiet verbleibenden Kindern abreißen würde und nicht einmal telefonischer oder ähnlicher Kontakt gesichert wäre; auch für die Kinder wäre es belastend, den Vater in ständiger Gefahr zu wissen. Nach § 31 Abs. 2 Satz 3 AufenthG zählt zu den schutzwürdigen Belangen, deren Beeinträchtigung eine besondere Härte im Sinn des § 31 Abs. 2 Satz 1 und 2 AufenthG begründen kann, auch das Wohl eines mit dem Ehegatten (also dem Kläger) in familiärer Lebensgemeinschaft lebenden Kindes. Im vorliegenden Fall lebte der Kläger bis zur Trennung von seiner Ehefrau (auch) mit seinen Kindern in familiärer Lebensgemeinschaft; er hat auch weiterhin – nach seinen Angaben – gemeinsam mit seiner Ehefrau das Sorgerecht für die minderjährigen Kinder und regelmäßigen tatsächlichen Umgang mit ihnen sowie mit den beiden volljährigen Kindern. Jedoch finden sich weder im Bescheid des Landratsamts vom 25. August 2014 noch im Bescheid vom 14. April 2016 und auch nicht im Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 25. Juli 2016 substantiierte Erwägungen dazu, ob das Wohl der Kinder eine Beeinträchtigung in diesem Sinn begründen könnte.
Ebenso hat das Verwaltungsgericht die prozessuale Situation nicht hinreichend geklärt, insbesondere das Verhältnis der beiden Bescheide vom 25. August 2014 und vom 14. April 2016. Nach gefestigter Rechtsprechung besteht kein allgemeiner strikter Rechtsanspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinn und auf den Erlass eines Zweitbescheides, selbst wenn der bestandskräftige Verwaltungsakt rechtswidrig ist; jedoch hat der Betroffene grundsätzlich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über das Wiederaufgreifen (vgl. Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 8. Auflage 2014, § 51 VwVfG Rn. 13 ff.). Welcher Regelungsgehalt dem Bescheid vom 14. April 2016 zuzumessen ist, ist offen, denn er enthält in seiner Begründung keine Ausführungen dazu, ob damit im Rahmen einer Ermessensentscheidung ein Wiederaufgreifen abgelehnt wird oder ob zwar das Verfahren wiederaufgegriffen, aber die ursprüngliche Entscheidung bestätigt wird.
Bedürftigkeit im Sinne von § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO liegt vor. Da die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint, war dem Kläger sein Bevollmächtigter beizuordnen (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO).
Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO), Gerichtsgebühren fallen nicht an.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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