Familienrecht

Billigkeitserlass bei Kindergeldrückforderung

Aktenzeichen  III R 45/19

Datum:
27.5.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BFH:2020:U.270520.IIIR45.19.0
Normen:
§ 227 AO
§ 68 Abs 1 EStG 2009
§ 74 Abs 1 EStG 2009
EStG VZ 2015
EStG VZ 2016
Abschn 17 Abs 4 S 1 DA-KG 2019
Spruchkörper:
3. Senat

Leitsatz

1. NV: Ein Erlass aus Billigkeitsgründen scheidet regelmäßig aus, wenn der Kindergeld- oder Abzweigungsberechtigte seinen Mitwirkungspflichten (§ 68 Abs. 1 EStG) nicht nachgekommen ist und kein überwiegendes behördliches Mitverschulden vorliegt.
2. NV: Allein die fehlende Kommunikation zwischen der Sozialbehörde und der Familienkasse sowie die unterlassenen halbjährlich vorgesehenen internen Überprüfungen durch die Familienkasse verpflichten die Familienkasse nicht zu einem Billigkeitserlass der Rückforderung des Kindergeldes.

Verfahrensgang

vorgehend Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, 25. März 2019, Az: 3 K 9/18, Urteil

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 25.03.2019 – 3 K 9/18 aufgehoben, soweit der Klage stattgegeben wurde.
Die Klage wird auch insoweit abgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.
1
Die Beteiligten streiten über einen Billigkeitserlass einer Kindergeldrückforderung gemäß § 227 der Abgabenordnung (AO).
2
Der im Mai 1995 geborene Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erhielt Kindergeld aufgrund eines Abzweigungsbescheids vom 05.03.2015 für den Zeitraum Januar 2015 bis einschließlich Mai 2016. Kindergeldberechtigt war seine Mutter.
3
Mit Schreiben vom 29.01.2015 teilte die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) der Kindergeldberechtigten zunächst mit, dass ein Anspruch auf Kindergeld für den Kläger nicht mehr bestehe und die Kindergeldfestsetzung ab Januar 2015 aufzuheben sei, da der Kläger seiner Meldepflicht bei der Arbeitsvermittlung nicht nachgekommen sei.
4
Mit Schreiben vom 18.02.2015 beantragte das Jobcenter des Kreises X bei der Familienkasse Kindergeld für den Kläger, da er sich bei ihr ausbildungsplatzsuchend gemeldet habe. Der Kläger beantragte im Februar 2015 die Abzweigung des Kindergeldes und Zahlung an sich selbst, da er nicht mehr im Haushalt seiner Mutter lebe. Mit Bescheid vom 05.03.2015 bewilligte die Familienkasse das Kindergeld ab Januar 2015 mit dem Hinweis, dass das durch das Jobcenter vorverauslagte Kindergeld für die Monate Januar und Februar 2015 verrechnet werde. Mit einem weiteren Bescheid vom selben Tag bewilligte die Familienkasse die Abzweigung des monatlichen Kindergeldes zugunsten des Klägers. Die Familienkasse wies den Kläger im Bescheid darauf hin, dass er verpflichtet sei, “jede wichtige Veränderung –wie z.B. Umzug, Beendigung der Ausbildung und ähnliches– unverzüglich unter Angabe der Kindergeldnummer und des Namens der Kindergeldberechtigten” der Familienkasse mitzuteilen. Die Familienkasse zahlte das Kindergeld bis einschließlich Mai 2016 an den Kläger aus. Das Kindergeld wurde bei dem Kläger als Einkommen bei den Sozialleistungen gemäß § 11 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) angerechnet.
5
Mit Bearbeitungshinweis vom 19.08.2015 stellte die Familienkasse fest, dass der streitbefangene Kindergeldfall zur Überprüfung anstehe, da der Kläger ein Kind ohne Ausbildungsplatz sei und diese Fälle halbjährlich zu überprüfen seien. Eine Überprüfung fand jedoch nicht statt. Auch nach einem weiteren Bearbeitungshinweis vom 17.02.2016 fand keine Überprüfung statt.
6
Nachdem der Kläger im Mai 2016 das 21. Lebensjahr vollendete, hob die Familienkasse die Bewilligung der Kindergeldzahlung mit Bescheid vom 11.05.2016 auf. Sie bat das Jobcenter um Mitteilung, ob der Kläger in der Zeit vom März 2015 bis Mai 2016 durchgehend ausbildungsplatzsuchend gemeldet gewesen sei. Mit Schreiben vom 31.05.2016 teilte das Jobcenter der Familienkasse mit, dass der Kläger seit März 2015 keine Ausbildungsplatzbewerbungen vorgelegt habe und daher nicht mehr ausbildungsplatzsuchend gemeldet sei.
7
Die Familienkasse forderte daraufhin die Kindergeldberechtigte im Juni 2016 auf, die entsprechenden Nachweise der Ausbildungsplatzsuche vorzulegen. Die Mutter erklärte, entsprechende Nachweise nicht vorlegen zu können, da der Kläger nicht mehr bei ihr wohne.
8
Der Kläger teilte der Familienkasse mit, dass das Kindergeld bei den erhaltenen Leistungen nach dem SGB II vollumfänglich angerechnet worden sei. Im Rahmen seiner Weiterbewilligungsanträge im Mai 2015, im November 2015 und Mai 2016 sei er nicht auf die Vorlage entsprechender Nachweise zur Ausbildungsplatzsuche hingewiesen worden. Er sei davon ausgegangen, dass das Jobcenter die Meldung “ausbildungsplatzsuchend” für den streitigen Zeitraum bestätigen würde.
9
Die Familienkasse hob die Kindergeldfestsetzung gegenüber der Kindergeldberechtigten mit Bescheid vom 18.10.2016 ab März 2015 auf und forderte den gezahlten Betrag in Höhe von 2.830 € zurück. Sie wies darauf hin, dass sie den Betrag aufgrund der Abzweigung vom Kläger zurückfordern würde. Dies erfolgte mit Bescheid vom 20.10.2016.
10
Nach Erhalt einer entsprechenden Vollstreckungsankündigung teilte der Kläger der Familienkasse im März 2017 mit, dass er keinen Rückforderungsbescheid erhalten habe. Darüber hinaus vertrat er die Auffassung, dass ein Rückforderungsanspruch nicht bestehen könne, da bei den erhaltenen SGB II-Leistungen das Kindergeld angerechnet worden sei. Die Familienkasse erließ daraufhin mit Datum vom 04.04.2017 einen neuen Rückforderungsbescheid gegenüber dem Kläger. Den dagegen eingelegten Einspruch wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 24.05.2017 als unbegründet zurück.
11
Mit Schreiben vom 30.05.2017 stellte der Kläger einen Antrag auf Erlass des Rückforderungsbetrages gemäß § 227 AO. Diesen lehnte die Familienkasse mit Bescheid vom 16.08.2017 ab und wies den dagegen eingelegten Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 11.12.2017 zurück. Zur Begründung führte sie u.a. aus, eine sachliche Unbilligkeit liege nicht vor, da der Kläger seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen sei.
12
Die Klage hatte teilweise Erfolg. Das Finanzgericht (FG) verpflichtete die Familienkasse für die Monate September 2015 bis Mai 2016 einen Betrag in Höhe von 1.890 € zu erlassen. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. Das FG nahm einen Teilerlass aus sachlichen Billigkeitsgründen an. Zur Begründung führte es aus, die Familienkasse habe ihr eigenes Mitverschulden bei der Höhe des Rückforderungsbetrages ermessensfehlerhaft nicht berücksichtigt. Insbesondere hätte die Familienkasse das Bestehen der Anspruchsvoraussetzungen nicht in dem dafür vorgesehenen Turnus überprüft. Zumindest hätte eine Nachfrage beim Jobcenter erfolgen müssen, ob der Kläger noch immer ausbildungsplatzsuchend gemeldet sei. Durch das Übergehen der Bearbeitungshinweise seien Rückzahlungsansprüche in Höhe von 1.890 € entstanden, die vermeidbar gewesen wären.
13
Mit der Revision rügt die Familienkasse die Verletzung materiellen Rechts.
14
Die Familienkasse beantragt,das Urteil des Schleswig-Holsteinischen FG vom 25.03.2019 – 3 K 9/18 aufzuheben, soweit es die Familienkasse unter Aufhebung der ablehnenden Einspruchsentscheidung vom 11.12.2017 dazu verpflichtet habe, die durch den Bescheid vom 04.04.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24.05.2017 ausgesprochene Kindergeldrückforderung für die Monate September 2015 bis Mai 2016 in Höhe eines Betrages von 1.890 € zu erlassen und die Klage auch insofern abzuweisen.
15
Der Kläger beantragt sinngemäß,die Revision zurückzuweisen.

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