Familienrecht

Einstweiliger Rechtsschutz, Inobhutnahme eines Säuglings

Aktenzeichen  M 18 S7 20.5384

Datum:
17.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 48742
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 7
SGB VIII § 42

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich (erneut) gegen die am … September 2020 erfolgte Inobhutnahme ihres am … … 2020 geborenen Sohnes M. Sie begehrt die gerichtliche Anordnung der Herausgabe ihres Kindes an sie.
Hinsichtlich des Sachverhalts wird zunächst auf die Gründe des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Münchens vom 2. Oktober 2020 (M 18 S. 20.4482) verwiesen, mit dem der Antrag der Antragstellerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Inobhutnahme abgelehnt worden war.
Die gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts München erhobene Beschwerde der Antragstellerin verwarf der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 23. Oktober 2020. Zur Begründung wird ausgeführt, die Beschwerde sei unzulässig, da sie nicht von einem postulationsfähigen Bevollmächtigten innerhalb der Frist des § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO eingereicht worden sei. Der Senat könne daher nicht (mehr) zugunsten der Antragstellerin tätig werden. Der Antragstellerin bleibe es jedoch unbenommen, einen Antrag auf Abänderung der Entscheidung vom 2. Oktober 2020 gemäß § 80 Abs. 7 VwGO zu stellen. Sofern das Verwaltungsgericht – wie im vorliegenden Fall vollkommen zu Recht – Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Inobhutnahme hege und die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin unter der Maßgabe der Fortsetzung der Jugendhilfemaßnahmen ausdrücklich für geboten erachte, habe es diese anzuordnen und könne sich insoweit nicht auf ein angeblich „fehlendes Rechtsschutzinteresse“ der Antragstellerin zurückziehen. Vielmehr sei das Jugendamt, dem das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht zur Beantragung von Jugendhilfemaßnahmen für das Kind im Wege der Einrichtung einer Ergänzungspflegschaft übertragen sei, bereits von Amts wegen gehalten und „gegebenenfalls entsprechend zu verpflichten, die aufgrund einer stattgebenden Entscheidung der Kammer im Eilverfahren gebotenen jugendhilferechtlichen Begleitmaßnahmen zur Herausgabe des Kindes an seine – stillende (!) – Mutter unverzüglich ins Werk zu setzen“.
Ausweislich des Vermerks des Amtsgerichts München – Familiengericht – über die mündliche Verhandlung am … Oktober 2020 gab die Antragstellerin zunächst u.a. an, sie würde auch in ein Mutter-Kind-Heim gehen, aber nur in eines mit 8-Stunden-Betreuung. Sie wolle in kein Mutter-Kind-Heim für psychisch Kranke mit vollstationärer Betreuung und wolle ihren Säugling sofort zurückhaben. Hierauf habe der Vertreter des Jugendamts ausgeführt, dass aus seiner Sicht nur eine vollstationäre Einrichtung in Frage komme. Dies setze eine Einsicht voraus, an welchen Punkten gearbeitet werden solle. Dies sehe er bei der Antragstellerin nicht. Ihm sei mitgeteilt worden, dass es ratsam sei, wenn entsprechende Erziehungsfähigkeits- und psychiatrische Gutachten bereits vorhanden seien. Außerdem müsse ein Platz in einer Mutter-Kind-Einrichtung frei sein und diese bereit sein, die Kindsmutter aufzunehmen. Die Antragstellerin habe schreiend eingeworfen, sie sei nicht einverstanden mit einer vollstationären Mutter-Kind-Einrichtung. Sie biete 8 Stunden an. Nachdem der Antragstellerin seitens des Gerichts erläutert worden sei, dass aus Sicht des Jugendamts nur eine vollstationäre Mutter-Kind-Betreuung infrage komme, habe die Antragstellerin mitgeteilt, sie stimme einem 24-Stunden-Mutter-Kind-Heim zu, wolle aber im Gegenzug sofort ihr Kind zurückhaben. Der Vertreter des Jugendamts habe erneut erklärt, dass ein Platz im Mutter-Kind-Heim erst beantragt werden müsse und nicht sofort ein Platz frei sein werde. Sie könne mit dem Kind ins Mutter-Kind-Heim ziehen, wenn ein Platz frei werde, aber das Kind könne in der Zwischenzeit aus seiner Sicht nicht zurückgegeben werden. Die Antragstellerin habe daraufhin mitgeteilt, sie habe noch mal darüber nachgedacht, sie stimme gar keinen Maßnahmen zu. Die Vorwürfe seien unrecht und die Wegnahme sei ebenfalls zu Unrecht erfolgt. Sie habe das Kind komplett gestillt. Nachdem es ihr einfach weggenommen worden sei, sei es jetzt mit der Flasche ernährt worden. Das sei Unrecht gegenüber dem Säugling. Sie müsse sich nicht in ein Heim stecken lassen. Sie sei ein freier Mensch. Laut Vermerk erläuterte die Kinderkrankenschwerster Frau H. die drei Punkte, die zusammen zu der Gefährdungsmitteilung geführt hätten: Erstens habe man nicht weiter mit der Antragstellerin zusammenarbeiten können, weil sie die Kooperation verweigert habe. Zudem habe das Kind Belastungsanzeichen gezeigt. Besorgniserregend sei der Rückgang der Kompetenz gewesen. Bereits seit zwei Wochen sei M. mit seinen Augen ihren Pupillen gefolgt. Später habe er das nicht mehr gekonnt. Schließlich sei das Alter des Babys ausschlaggebend gewesen. In so einem Alter könne es sein, dass sich der Zustand rapide verschlechtere und das Baby vollkommen apathisch werde. Abschließend heißt es in dem Vermerk, alle Beteiligten seien sich einig, dass in der Hauptsache ein psychiatrisches und Erziehungsfähigkeitsgutachten eingeholt werden solle.
Mit Beschluss des Amtsgerichts München vom 28. Oktober 2020 wurde der Antragstellerin im Wege der einstweiligen Anordnung das Recht zur Aufenthaltsbestimmung, das Recht zur Regelung der ärztlichen Versorgung, das Recht zur Zuführung zu medizinischen Behandlungen und das Recht zur Beantragung von Jugendhilfemaßnahmen nach §§ 27 ff. SGB VIII nebst der dazugehörigen Regelung der wirtschaftlichen Jugendhilfe nach SGB XII für ihr Kind M. vorläufig entzogen. Zudem wurde – soweit die Rechte der Antragstellerin entzogen wurden – die Ergänzungspflegschaft angeordnet und die entzogenen Rechte auf das Jugendamt der Antragsgegnerin übertragen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Antragstellerin seien die aus der Entscheidung ersichtlichen Teilbereiche der elterlichen Sorge zur Abwendung der bestehenden Gefahr für ihr Kind M. zu entziehen. Das Wohl des Kindes sei zur Überzeugung des Gerichts gefährdet. Ihre zunächst erklärte Bereitschaft, sich in ein Mutter-Kind-Heim zu begeben, habe sie, nachdem das Jugendamt mitgeteilt habe, dass ein Platz nicht sofort verfügbar und lediglich eine vollstationäre Unterbringung denkbar sei, zweimal lautstark wieder zurückgenommen. Die Antragstellerin sei zur Überzeugung des Gerichts nicht in der Lage, die bestehende Gefahr für das Kindeswohl abzuwenden. So habe sie zwar zunächst die Bereitschaft erklärt, sich mit M. in ein Mutter-Kind-Heim zu begeben, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass dieser sofort an sie herausgegeben werde. Nachdem mitgeteilt worden sei, dass zunächst nach einer entsprechenden Stelle gesucht werden müsse, und diese nicht sofort verfügbar sei, habe sie ihre Einwilligung widerrufen. Die Herausnahme und Fremdunterbringung mit Teilentzug der elterlichen Sorge sei das verhältnismäßige Mittel. Weniger einschneidende Maßnahmen seien derzeit nicht geeignet, die Gefahr für das Kind abzuwenden. Sollte ein passender Platz in einer Mutter-Kind-Einrichtung für die Antragstellerin und ihr Kind gefunden werden, die eine engmaschige Betreuung gewährleiste, und die Antragstellerin diese Hilfe auch adäquat annehmen, könne erwogen werden, einzelne oder alle Teilbereich der elterlichen Sorge auf die Antragstellerin zurück zu übertragen. Nach derzeitiger Sachlage erkenne die Antragstellerin die Notwendigkeit einer Betreuung jedoch nicht an und zeige keine ernsthafte Kooperationsbereitschaft, die über Lippenbekenntnisse hinausgingen.
Mit Schriftsatz vom 24. Oktober 2020, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am selben Tag, stellte die Antragstellerin einen
Antrag auf Abänderung der Entscheidung vom 2. Oktober 2020 gemäß § 80 Abs. 7 VwGO.
Zur Begründung führte sie aus, aufgrund des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 23. Oktober 2020 bitte sie um erneute Bearbeitung. Sie wolle ihrer gestrigen Aussage vor dem Familiengericht widersprechen. Sie stimme einer Unterbringung in einem Mutter-Kind-Heim endgültig zu. Ihr Anliegen sei es, schnellstmöglich ihren Sohn wieder bei sich zu haben. Eine Betreuung im Umfang von acht Stunden täglich halte sie für ausreichend.
Mit am 6. November 2020 bei Gericht eingegangenem undatiertem Schriftsatz erklärte die Antragstellerin nochmals ihre Bereitschaft, in ein Mutter-Kind-Heim zu ziehen, „damit mein Säugling mir schnellstens übergeben wird“.
Mit einem weiteren, am 7. November 2020 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz vom 6. November 2020 begründete die Antragstellerin ihren Antrag im Wesentlichen damit, dass die gegen sie erhobenen Vorwürfe der Kindeswohlgefährdung nicht zuträfen. Die Beobachtungen der Kinderkrankenschwester bezüglich ihres Kindes seien falsch, es sei sehr agil und lebendig. Ihr oberstes Ziel sei es, ihren Sohn wieder bei sich zu haben, auch wenn dies bedeute, dass sie in eine Mutter-Kind-Einrichtung einziehen müsse. Sie sehe ein, dass sie besser mit der Kinderkrankenschwester und dem Jugendamt hätte kooperieren sollen. Sie nehme alle Vorwürfe an bis auf die Apathie. Sie sehe ein, dass eine mögliche Rückführung von M. nur mit ihrer vollsten Kooperation funktionieren könne. Sie gebe ihre Verantwortung aber nicht in die Hände anderer. Ihr Verhalten sei nicht falsch. Die Vernachlässigungsvorwürfe seien durch die ärztlichen Untersuchungen widerlegt. Die Mitarbeiter des Jugendamts hätten keine Ahnung im Umgang mit Säuglingen, seien empathielos und sollten ihren Fall nicht mehr betreuen. Es sei ihr Kind und nicht das der Antragsgegnerin. Sie bestimme ihr Leben und nicht Sozialpädagogen.
Mit Schriftsatz vom 10. November 2020 beantragte die Antragsgegnerin,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Antragstellerin könne eine Herausgabe ihres Sohnes M. auf dem Verwaltungsrechtsweg nicht erreichen. Diesbezüglich müsse sie sich an das Amtsgericht – Familiengericht – wenden. Die Antragstellerin sei des Weiteren nicht antragsbefugt. Jedenfalls fehle ihr das Rechtsschutzbedürfnis, wie das Verwaltungsgericht München in seinem Beschluss vom 2. Oktober 2020 festgestellt habe. Da der Antragstellerin insbesondere das Recht zur Aufenthaltsbestimmung vorläufig entzogen sei, werde sie durch die Inobhutnahme, die gerade das Recht zur Aufenthaltsbestimmung und Beantragung von Jugendhilfeleistungen betreffe, nicht in eigenen Rechten verletzt, da diese ihr insoweit nicht zukämen.
Die Inobhutnahme sei im Übrigen rechtmäßig erfolgt. Das Wohl des Kindes der Antragstellerin sei dringend gefährdet gewesen. Es sei zu befürchten gewesen, dass das Wohl des Kindes aufgrund der bereits bestehenden gravierenden Vernachlässigung noch weiter beeinträchtigt worden wäre. Die Kinderkrankenschwester Frau H. habe auf Nachfrage des Bezirkssozialarbeiters der Antragsgegnerin, ob sie – bei entsprechender Bereitschaft der Kindsmutter – zur Wiederaufnahme der Betreuung bereit sei, erklärt, diese Art der Betreuung sei zu niederschwellig. Die Antragstellerin benötige eine andere, intensivere Hilfe. Als einzige denkbare Maßnahme der Unterbringung der Antragstellerin mit ihrem Kind komme eine Maßnahme nach § 19 SGB VIII in Betracht. Diese könne aber nicht kurzfristig umgesetzt werden. Die Inobhutnahme sei auch verhältnismäßig. Eine weniger einschneidende Maßnahme komme auch nach Ansicht des Amtsgerichts München – Familiengericht – nicht in Betracht. Am 25. September 2020 habe ein Mitarbeiter der Antragsgegnerin mit einer von der Antragstellerin vorgeschlagenen Mutter-Kind-Einrichtung telefoniert und die Antragstellerin im Anschluss darüber informiert, dass diese nicht geeignet sei, weil die Betreuung laut Einrichtungsleitung nur fünf Stunden pro Woche betrage. Bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Familiengericht am … Oktober 2020 habe die Antragstellerin mehrfach telefonische Beratung bezüglich verschiedener Einrichtungen gemäß § 19 SGB VIII erhalten. Aus fachlicher Sicht der Antragsgegnerin sei für Mutter und Kind lediglich eine vollstationäre Einrichtung die adäquate Hilfeform. Hierfür sei notwendig, dass die Kindsmutter eine grundsätzliche Mitwirkungsbereitschaft zeige und gegebenenfalls psychiatrische Diagnosen und Aussagen zur grundsätzlichen Erziehungsfähigkeit vorlägen. Auch wenn die Antragstellerin gegenüber dem Verwaltungsgericht und gegenüber dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof äußere, sie sei mittlerweile bereit, sich mit ihrem Sohn in eine Einrichtung gemäß § 19 SGB VIII zu begeben, so entspreche dies nicht ihrem ernstlichen Willen. Sie habe sich bis heute nicht bereit erklärt, eine solche ganztägige Einrichtung zu besuchen. Lediglich für fünf Stunden pro Woche bzw. für acht Stunden am Tag würde sie sich in eine Mutter-Kind-Einrichtung begeben. Nach Einschätzung aller involvierten Fachkräfte sei eine solche Unterbringung jedoch nicht geeignet, die Kindeswohlgefährdung zu beseitigen. Hierzu bedürfe es einer Betreuung rund um die Uhr. Ein Hilfeplan, der die Unterbringung von Mutter und Kind in einer Einrichtung nach § 19 SGB VIII vorsehe, setzte eine Kooperations- und Mitwirkungsbereitschaft der Antragstellerin voraus, die momentan nicht gegeben sei. Diesbezüglich verweise die Antragsgegnerin auf den Vermerk des Amtsgerichts München über die Sitzung am … Oktober 2020 sowie dessen Beschluss vom 28. Oktober 2020.
Die Inobhutnahme sei grundsätzlich eine vorläufige Schutzmaßnahme im Sinne einer Krisenintervention. Die Inobhutnahme können jedoch trotz ihres vorläufigen Charakters im Bedarfsfall über die eigentliche Krisensituation hinaus bis zum Abschluss des Hilfeplanungsprozesses andauern. Dies spiegele sich auch in der Gesetzesbegründung wider: Ende die Inobhutnahme nicht mit der Übergabe des Kindes oder Jugendlichen an die Personensorgeberechtigten, so werde sie über die Entscheidung des Familiengerichts hinaus bis zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Gewährung von Hilfen weitergeführt, weil andernfalls eine Lücke in der sozialpädagogischen Unterstützung entstehe, die angesichts der Gefährdungssituation nicht hingenommen werden könne (vgl. BT-Drs. 15/3676). Die Inobhutnahme ende gemäß § 42 Abs. 4 Nr. 2 SGB VIII mit der Entscheidung über die Anschlusshilfe. Dies setze ein Hilfeplanverfahren voraus. Eine automatische Überleitung einer begonnenen Inobhutnahme in eine Hilfe zur Erziehung ohne genaue Prüfung der Leistungsvoraussetzungen und ohne den qualitätssichernden Hilfeplanungsprozess sei nicht zulässig. Die Überführung in eine Jugendhilfemaßnahme nach §§ 27 ff. SGB VIII sei nicht „von heute auf morgen“ möglich. Die zukunftsgerichtete Anschlusshilfe für das Kind M. bedürfe einer umfassenden Klärung und einer Absprache im Fachteam. Der Sohn der Antragstellerin befinde sich derzeit in einer Bereitschaftspflegefamilie gemäß § 42 SGB VIII, die eine Form der Kurzzeitunterbringung für die Dauer der Inobhutnahme darstelle. Bereitschaftspflegefamilien erhielten einen weitaus höheren Satz als eine Pflegefamilie gemäß § 33 SGB VIII. Eine Umwidmung von § 42 SGB VIII auf § 33 SGB VIII sei momentan nicht ohne weiteres und ohne Hilfeplanverfahren möglich, sondern wäre deshalb mit einem Wechsel des Kindes in eine andere Familie und somit einem Wechsel der Bezugspersonen verbunden. Sollte die Antragstellerin doch noch einer Unterbringung gemäß § 19 SGB VIII zustimmen, so würde M. erneut aus seinem Betreuungssetting gerissen. Ein solches Vorgehen sei dem Kindeswohl nicht zuträglich. Zwar sei die Kindeswohlgefährdung mit der Inobhutnahme und Unterbringung in der Bereitschaftspflege abgewendet, nichtsdestotrotz stehe die Entscheidung über die Anschlusshilfe und den Verbleib des Kindes jedenfalls bis zur Feststellung der Erziehungsfähigkeit der Antragstellerin noch aus. Die fachliche Entscheidung über die Anschlusshilfe werde in einen Beratungsprozess mit Beteiligung der relevanten Fachstellen sowie sorgeberechtigten Personen gemeinsam erarbeitet. Aufgrund des Beschlusses des Familiengerichts werde die Antragsgegnerin diesen Prozess mit dem Ziel einer Hilfe gemäß § 33 SGB VIII einleiten. Entscheidend im Hilfeplanprozess seien die Bedarfe des Kindes, die unabhängig vom familiengerichtlichen Verfahren festzustellen und pädagogisch aufzuarbeiten seien. Die Antragstellerin sei derzeit nicht in der Lage, konstruktiv an einem Hilfeplanprozess zur Suche nach einer geeigneten Mutter-Kind-Einrichtung mitzuwirken.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren M 18 S 20.4482 sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO bleibt ohne Erfolg.
Gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache Beschlüsse über Anträge nach § 80 Abs. 5 VWOG jederzeit abändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen (§ 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO).
Auch der Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO ist nach Auffassung der Kammer unzulässig, da kein Rechtsschutzbedürfnis besteht, jedenfalls unbegründet.
Die Antragstellerin ist antragsberechtigt. Antragsberechtigt ist jeder Beteiligter des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO, der durch die Entscheidung – hier die Eilentscheidung vom 2. Oktober 2020 – beschwert ist (Hoppe in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 132).
Die Antragstellerin ist auch antragsbefugt. Eine Antragsbefugnis ist jedenfalls dann gegeben, wenn sich aus neu vorgetragenen Umständen zumindest die Möglichkeit einer Abänderung der früheren Eilentscheidung ergibt (BVerwG, B.v. 29.1.1999 – 11 VR 13/98 – juris Rn. 2; Hoppe in: Eyermann, a.a.O., § 80 Rn. 133 m.w.N.). Umstritten ist dabei, ob bereits im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung abschließend entschieden werden muss, ob tatsächlich eine Veränderung der Umstände (Sach- oder Rechtslage) vorliegt, oder ob mit Blick auf die (bloße) Filterfunktion der Antragsbefugnis die Geltendmachung veränderter Umstände in dem Sinne genügen muss, dass der Antragsteller einen schlüssigen Vortrag zur Änderung der Sach- und Rechtslage bietet (so Schoch in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Januar 2020, § 80 Rn. 576). Vorliegend hat die Antragstellerin insofern veränderte Umstände vorgetragen, als sie nunmehr (erneut) gegenüber dem Gericht ihre Bereitschaft erklärt hat, sich mit ihrem Kind in eine Mutter-Kind-Einrichtung begeben zu wollen. Ob dieser Erklärung ein ernsthafter Wille zugrunde liegt – mithin tatsächlich eine Änderung der Sachlage vorliegt – erscheint zwar zweifelhaft (vgl. dazu unten). Aus Sicht der Kammer dürfen allerdings die Anforderungen an die Zulässigkeit eines Antrags nach § 80 Abs. 7 VwGO nicht überspannt werden. Ebenso wie für einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist daher erforderlich, aber auch ausreichend, dass eine Verletzung eigener Rechte möglich erscheint (§ 42 Abs. 2 VwGO analog). Die Frage, ob die Antragstellerin tatsächlich zur Mitwirkung im Hilfeplanverfahren bereit ist – und dies zu einer Abänderung des Beschlusses vom 2. Oktober 2020 führt – ist mithin erst eine Frage der Begründetheit des Antrags.
Die Antragsbefugnis scheitert (wohl) auch nicht daran, dass der Antragstellerin insbesondere das Recht zur Aufenthaltsbestimmung, das Recht zur Regelung der ärztlichen Versorgung und das Recht zur Zuführung zu medizinischen Behandlungen (zuletzt) mit Beschluss des Amtsgerichts München vom 28. Oktober 2020 vorläufig entzogen worden ist. Denn die Inobhutnahme tangiert nicht nur das Aufenthaltsbestimmungsrecht und die Gesundheitsfürsorge und damit die der Antragstellerin entzogenen Teile der elterlichen Sorge, sondern darüber hinaus auch das von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG umfasste Recht, M. zu erziehen (vgl. BayVGH, B.v. 9.1.2017 – 12 CS 16.2181 – juris Rn. 5).
Das Gericht ist jedoch weiterhin der Ansicht, dass dem Antrag zumindest hinsichtlich der Herausgabe des Sohnes der Antragstellerin das Rechtsschutzbedürfnis fehlt (vgl. VG München, B.v. 2.10.2020 – M 18 S 20.4482 – juris Rn. 43), denn das Ziel der Antragstellerin, die Verpflichtung des Antragsgegners zur Herausgabe ihres Kindes an sie zu erwirken, lässt sich mit dem vorliegenden Verfahren nicht erreichen.
Selbst wenn – wovon der Bayerische Verwaltungsgerichtshof ausgeht – das Rechtsschutzbedürfnis alleine auf Grund der (unbestrittenen) Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte hinsichtlich der Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Inobhutnahme zu bejahen sein sollte (vgl. BayVGH, B.v. 23.10.2020 – 12 CS 20.2324 – unveröffentlicht), so ist der Antrag auf Abänderung des Beschlusses des Gerichts vom 2. Oktober 2020 jedenfalls unbegründet.
Eine Abänderung des Beschlusses vom 2. Oktober 2020 unter Anordnung der Herausgabe des Kindes an die Antragstellerin kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin nur mit der Maßgabe erfolgen könnte, dass sich die Antragstellerin zur Wiederaufnahme der vor der Inobhutnahme bereits installierten Hilfe bzw. – darüber hinausgehend – zu einer Intensivierung der Hilfe etwa in Form der Unterbringung in einer Mutter-Kind-Einrichtung bereit erklärt (vgl. insoweit B.v. 2.10.2020, Rn. 55 ff.). Dass die Antragstellerin hierzu ernsthaft bereit ist, hat sie dem Gericht gegenüber nicht glaubhaft gemacht.
Das Gericht geht (weiterhin) davon aus, dass eine Gefährdung von M. nur dann abgewendet werden, mithin das Kind nur dann in der Obhut seiner Mutter verbleiben kann, wenn diese sich ernsthaft bereit erklärt, Hilfe – sei es als Hilfe zur Erziehung gemäß §§ 27 ff. SGB VIII, sei es als Hilfe nach § 19 SGB VIII in Form der Unterbringung in einer Mutter-Kind-Einrichtung oder einer sonst geeigneten Form – in Anspruch zu nehmen. Aus der Gefährdungsmeldung der Kinderkrankenschwester vom 17. September 2020 ergeben sich hinreichend Anhaltspunkte dafür, dass das Kind der Antragstellerin ohne unterstützende Maßnahmen des Jugendamts in seiner Entwicklung gefährdet ist. So heißt es darin, bei M. habe sich bei den Hausbesuchen mehrmals u.a. folgende Symptomatik gezeigt: Körperliche Anspannung, insbesondere auf dem Arm seiner Mutter, gepresstes Schreien, marmorierte Haut, Schluckauf, Vermeidung des Blickkontakts mit der Mutter durch Abwenden des Köpfchens, sehr zögerliche Aufnahme und kaum Halten des Blickkontakts, ernster Gesichtsausdruck, flache Mimik, wenig Interesse an seiner Umwelt. Die Gefährdungsmeldung erfolge, da nach dem Abbruch der Kooperation mit den Fachkräften von „… … …“ die Grundversorgung des Säuglings nicht mehr gewährleistet werden könne. Zudem seien in der Symptomatik des Säuglings Hinweise auf eine bereits bestehende gravierende Vernachlässigung erkennbar. Dies hat die Kinderkrankenschwester auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Familiengericht nochmals erläutert und ausgeführt, dass drei Gründe, nämlich die fehlende Kooperationsbereitschaft der Antragstellerin, die Belastungsanzeichen bei M. und das (junge) Alter des Säuglings zusammen zur Gefährdungsmeldung geführt hätten. Bei einem Säugling könne sich der Zustand rapide verschlechtern und das Baby vollkommen apathisch werden. Besorgniserregend sei insbesondere der Rückgang der Kompetenz gewesen. Unabhängig davon, ob die Kinderkrankenschwester dem Jugendamt gegenüber zum Ausdruck gebracht hat, dass eine Fortsetzung dieser Hilfe nicht mehr als ausreichend erachtet werde und stattdessen eine Unterbringung in einer Mutter-Kind-Einrichtung geboten sei – der Gefährdungsmeldung lässt sich dies jedenfalls nicht (eindeutig) entnehmen -, bestehen hier jedenfalls ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass das erst knapp drei Monate alte Kind der Antragstellerin ohne engmaschige Betreuung in seiner Entwicklung gefährdet wäre. Allein der Verweis der Antragstellerin auf die unauffälligen ärztlichen Untersuchungen des Kindes unmittelbar nach der Geburt vermag die – späteren – Beobachtungen der Kinderkrankenschwester nicht zu entkräften. Auch der ohne Zweifel positiv zu bewertende Umstand, dass das Kind der Antragstellerin bis zur Inobhutnahme gestillt worden ist, ist allein nicht geeignet, die drohende Kindswohlgefährdung abzuwenden. Im Rahmen der vorzunehmenden Interessensabwägung käme eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin im Interesse des Kindes daher nur mit der Maßgabe in Betracht, dass sich die Antragstellerin bereit erklärt, die fachlich als erforderlich gesehene Hilfe bei der Erziehung ihres Kindes anzunehmen. Nur mit dieser Maßgabe lässt sich das Risiko für das Kind hinreichend sicher ausschließen. Dass die Antragstellerin zur Inanspruchnahme solcher Hilfe ernstlich bereit ist, hat sie dem Gericht gegenüber jedoch nicht hinreichend glaubhaft gemacht.
In Ihren Schriftsätzen vom 24. Oktober 2020 und 6. November 2020 hat sie zwar ihre Erklärung vor dem Familiengericht „widersprochen“ und sich nunmehr bereit erklärt, sich in eine Mutter-Kind-Einrichtung zu begeben. Die Kammer hat jedoch erhebliche Zweifel, dass dieser Erklärung ein ernsthafter Wille der Antragstellerin zugrunde liegt. Denn schon in ihrer Beschwerdeschrift an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 12. Oktober 2020 hatte sie einer Unterbringung in einer Mutter-Kind-Einrichtung zunächst zugestimmt. Gleichwohl hat die Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht München am … Oktober 2020 ihre auch diesem Gericht gegenüber erklärte Zustimmung zu dieser Maßnahme im Anschluss zweimal widerrufen. Hinzu kommt, dass die Antragstellerin insbesondere in ihrem Schriftsatz vom 7. November 2020 sich zwar mit der vom Jugendamt für notwendig erachteten Maßnahme für einverstanden erklärt, aber vom Sinn dieser Maßnahme nach wie vor nicht ansatzweise überzeugt zu sein scheint. So führt sie aus, oberstes Ziel sei es, ihr Kind wieder bei sich zu haben, auch wenn dies bedeute, dass sie in ein Mutter-Kind-Heim ziehen müsse. Während ihre Ausführungen zu Beginn des Schriftsatzes noch von einer gewissen Einsicht in die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit dem Jugendamt zeugen, endet der Schriftsatz letztlich damit, dass die Beobachtungen der Kinderkrankenschwester falsch seien, der Vorwurf der Vernachlässigung widerlegt, ihr eigenes Verhalten richtig sei und das Jugendamt keine Ahnung im Umgang mit Säuglingen habe. Sie bestimme über ihr Leben und nicht Sozialpädagogen. Diese Ausführungen lassen eine ernsthafte Auseinandersetzung mit ihrem eigenen Verhalten und der daraus resultierenden Gefährdung ihres Kindes nicht erkennen. Vielmehr erscheint das Einverständnis mit der vom Jugendamt für geboten erachteten Hilfemaßnahme lediglich vorgeschoben, um die Herausgabe ihres Kindes erreichen zu können. Die erforderliche Mitwirkungsbereitschaft der Antragstellerin ist daher nicht ausreichend dargetan.
Das Gericht hat dabei durchaus berücksichtigt, dass es in seinem Beschluss vom 2. Oktober 2020 erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Inobhutnahme geäußert hat. So hat es zum Zeitpunkt seiner ersten Entscheidung bezweifelt, dass angesichts der seinerzeit erklärten Bereitschaft der Antragstellerin zur Wiederaufnahme der Hilfemaßnahme eine derart akute Gefährdungssituation vorlag, dass ein Zuwarten bis zu einer familiengerichtlichen Entscheidung nicht zu verantworten war. Das Gericht hat aber keineswegs das Vorliegen einer Gefährdungssituation als solche in Frage gestellt, sondern eine stattgebende Entscheidung auch nur mit der Maßgabe für möglich gehalten, dass die Jugendhilfemaßnahme fortgesetzt wird. Vor diesem Hintergrund erscheint es zwar als durchaus nachvollziehbar, dass die Antragstellerin dem Vorgehen des Jugendamts der Antragsgegnerin mit einer gewissen Skepsis begegnet und sich mit einer Kooperation schwertut. Gleichwohl kann die bei Herausgabe des Kindes an die Antragstellerin aus den oben dargelegten Gründen drohende Gefährdung des Kindes nur dann mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, wenn die Antragstellerin grundsätzlich (ernsthaft) bereit ist, Hilfe bei der Erziehung ihres Kindes in Anspruch zu nehmen. Denn die Folgen, die einträten, wenn die Herausgabe des Kindes ohne Maßgabe angeordnet würde und sich später herausstellte, dass der Widerspruch der Antragstellerin in der Hauptsache erfolglos bleibt, weil die Inobhutnahme rechtmäßig war, wiegen schwerer als die Folgen, die einträten, wenn die Herausgabe mit Maßgabe angeordnet würde, sich später aber der Widerspruch als begründet erwiese, weil die Inobhutnahme rechtswidrig war. Denn das Risiko, dass das erst knapp drei Monate alte Kind der Antragstellerin ohne flankierende Maßnahmen seitens des Jugendamts in seiner Entwicklung, insbesondere seinem Bindungsvermögen nachhaltig und irreversibel geschädigt wird, wiegt schwerer als die mit der Inanspruchnahme der Hilfeleistung – etwa in Form der Unterbringung in einer Mutter-Kind-Eirichtung – verbundene Beeinträchtigung der Antragstellerin. Auf die grundsätzliche Bereitschaft der Antragstellerin mit der Inanspruchnahme einer Hilfemaßnahme kann daher nicht verzichtet werden.
Der Antrag war daher schon mangels Mitwirkungsbereitschaft der Antragstellerin an der für einen stattgebenden Beschluss erforderlichen Hilfemaßnahme abzulehnen.
Im Übrigen sieht das Gericht auch – entgegen offenbar der Annahme des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes im Beschluss vom 23. Oktober 2020 (Rn. 5 f.) – keine Möglichkeit, das Jugendamt zu verpflichten, jugendhilferechtliche Begleitmaßnahmen zur Herausgabe des Kindes an die Antragstellerin einzuleiten.
Das Verwaltungsgericht kann die Antragsgegnerin nicht verpflichten, auf das Jugendamt in seiner Funktion als Ergänzungspfleger dahingehend einzuwirken, von seinen zivilrechtlichen Aufgaben, insbesondere dem ihm übertragenen Aufenthaltsbestimmungsrecht, in einer bestimmten Richtung Gebrauch zu machen. Denn die Wahrnehmung der Aufgaben des Amtsvormunds bzw. – wie hier – des Amtsergänzungspflegers – hat getrennt von der Wahrnehmung der sonstigen Aufgaben des Jugendamts zu erfolgen. Der gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII Beauftragte ist allein den Interessen des Kindes verpflichtet (OVG NW, U.v. 25.4.2001 – 12 A 924/99 – juris Rn. 20). Inwieweit der als Ergänzungspfleger eingesetzte Mitarbeiter dabei Weisungen des Jugendamts unterliegt, ist umstritten. Während teilweise Weisungsfreiheit angenommen wird, halten andere eine beschränkte Weisungsgebundenheit für zulässig, soweit das Jugendamt selbst Weisungen des Familiengerichts (vgl. § 1837 Abs. 2 BGB) unterliegt (vgl. zum Ganzen etwa Winkler in BeckOK, SGB VIII, § 55 SGB LV Rn. 13 m.w.N; Tillmanns in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2020, SGB VIII, § 55 Rn. 10). Jedenfalls solange das Familiengericht – wie hier – von einer bestehenden Gefährdung des Kindeswohls durch die Antragstellerin ausgeht, wird schon wegen der gebotenen Einheit der Rechtsordnung eine entsprechende Weisung an den Ergänzungspfleger, das Aufenthaltsbestimmungsrecht in der Weise auszuüben, dass das Kind an seine Mutter herauszugeben wäre, weder durch das Jugendamt noch durch eine entsprechende gerichtliche Verpflichtung in Betracht kommen.
Im Übrigen wäre im Fall einer verwaltungsgerichtlichen Anordnung der Herausgabe des Kindes an die Antragstellerin das Jugendamt der Antragsgegnerin in seiner Funktion als – der Aufsicht des Familiengerichts unterstehendem (vgl. § 56 Abs. 1 SGB VIII i.V.m. § 1915 Abs. 1 Satz 1, § 1837 BGB) – Ergänzungspfleger aufgrund des ihm übertragenen Rechts zur Aufenthaltsbestimmung berechtigt, gemäß § 1632 Abs. 1 BGB umgehend die Herausgabe des Kindes an das Jugendamt zu verlangen. Würde die Herausgabe des Kindes verweigert, müsste – und könnte – das Jugendamt beim Familiengericht einen Herausgabetitel nach § 1632 Abs. 3 BGB erwirken (vgl. BayVGH, B.v. 20.1.2014 – 12 ZB 12.2766 – juris Rn. 15 für den Fall, dass die Pflegeeltern die Herausgabe des Kindes verweigern).
Dahingestellt bleiben kann daher die Frage, ob die Inobhutnahme rechtmäßig ist bzw. war. Es bedarf weder der Entscheidung, ob sie von Anfang an rechtswidrig war, weil trotz der bestehenden Gefährdungssituation ein Zuwarten bis zu einer familiengerichtlichen Entscheidung möglich gewesen wäre, oder jedenfalls deshalb rechtswidrig (geworden) ist, weil sie angesichts der inzwischen vorliegenden (erneuten) familiengerichtlichen Entscheidung jedenfalls jetzt nicht mehr erforderlich ist. Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII ist das Jugendamt u.a. dann berechtigt und verpflichtet, ein Kind oder einen Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen, wenn eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen die Inobhutnahme erfordert und a) die Personensorgeberechtigten nicht widersprechen oder b) eine familiengerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig eingeholt werden kann. Eine Inobhutnahme ist danach dann nicht erforderlich, wenn das Jugendamt selbst in der Lage ist, die Gefährdung abzuwenden, weil ihm zuvor bereits durch das Familiengericht das Aufenthaltsbestimmungsrecht als Ergänzungspfleger (§ 1909 BGB) übertragen worden ist. Ist dem Jugendamt das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen, umfasst es das Recht, von den Eltern die Herausgabe des Kindes zu fordern, es also ggf. ohne weitere Mitwirkung des Familiengerichts aus dem Haushalt der Eltern zu entfernen. Einer Inobhutnahme bedarf es dann (grundsätzlich) nicht. Erfolgte die Inobhutnahme – wie hier – vor der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts, verliert die Inobhutnahme mit dieser Übertragung nicht bereits ihre Rechtsgrundlage (BVerwG, U.v. 25.3.2010 – 5 C 12/09 – juris Rn. 12 zur Vormundschaftsbestellung). Aufgrund des ihm übertragenen Aufenthaltsbestimmungsrechts ist das Jugendamt aber in der Lage, zur Gefahrenabwehr unverzüglich über den Aufenthalt des Kindes zu entscheiden und die Inobhutnahme damit zu beenden (vgl. § 42 Abs. 4 Nr. 2 SGB VIII sowie zum Ganzen: Kirchhoff in: JurisPK-SGB VIII, § 42 Rn. 91 m.w.N.). Wie die Antragsgegnerin zu Recht ausführt, handelt es sich bei der Inobhutnahme um eine vorläufige Schutzmaßnahme im Sinne einer Krisenintervention, die darauf gerichtet ist, die Krisensituation zu beseitigen bzw. ihr mit geeigneten Hilfeangeboten zu begegnen (vgl. VG Augsburg, B.v. 13.4.2015 – Au 3 E 15.251 – juris Rn. 107 – unter Hinweis u.a. auf BVerwG, U.v. 8.7.2004 – 5 C 63/03 – juris Rn. 14). Es gibt aber keine feste zeitliche Grenze, bis zu der eine Inobhutnahme in eine Folgemaßnahme übergehen oder das Kind wieder allein dem Sorgeberechtigen überlassen werden muss (VG Augsburg, B.v. 13.4.2015 a.a.O. juris Rn. 107 – für den Fall, dass eine familiengerichtliche Entscheidung noch aussteht). Vorliegend erscheint die Inobhutnahme – ihre ursprüngliche Rechtsmäßigkeit unterstellt, s.o. – jedenfalls angesichts der derzeitigen Dauer von noch deutlich unter drei Monaten und dem noch bestehenden Klärungsbedarf hinsichtlich der geeigneten Hilfemaßnahme jedenfalls nicht schon allein aufgrund ihrer Dauer als rechtswidrig. Das Gericht weist jedoch vorsorglich darauf hin, dass die Aufrechterhaltung der Inobhutnahme anstelle einer Überleitung in eine Maßnahme nach §§ 27, 33 SGB VIII jedenfalls nicht auf längere Dauer allein mit der unterschiedlichen Vergütung von Bereitschaftspflegefamilien nach § 42 SGB VIII und Pflegefamilien nach § 33 SGB VIII, sondern allenfalls mit dem durch den (erneuten) Wechsel der Pflegefamilie beeinträchtigten Kindeswohl gerechtfertigt werden kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.

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