Aktenzeichen III R 9/19
Leitsatz
1. NV: Die für die Annahme eines Pflegekindschaftsverhältnisses i.S. von § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG erforderliche Voraussetzung, dass der Steuerpflichtige mit der Person „durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist“, lässt sich bei einer bereits volljährigen Person nur unter engen Voraussetzungen und bei Vorliegen besonderer Umstände begründen (Bestätigung des BFH-Urteils vom 09.02.2012 – III R 15/09, BFHE 236, 399, BStBl II 2012, 739).
2. NV: Handelt es sich um eine geistig oder seelisch behinderte Person, muss die Behinderung so schwer sein, dass der geistige Zustand des Behinderten dem typischen Entwicklungsstand einer noch minderjährigen Person entspricht (Bestätigung des BFH-Urteils vom 09.02.2012 – III R 15/09, BFHE 236, 399, BStBl II 2012, 739).
3. NV: Eine umfangreiche Überwachung, Anweisung und Unterstützung einer geistig behinderten oder seelisch kranken Person reichen allein nicht aus, um ein familienähnliches Band zu begründen.
Verfahrensgang
vorgehend Finanzgericht des Saarlandes, 13. Dezember 2018, Az: 2 K 1254/17, Urteil
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts des Saarlandes vom 13.12.2018 – 2 K 1254/17 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht des Saarlandes zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.
Tatbestand
I.
1
Streitig ist das Kindergeld für ein behindertes volljähriges Kind für den Zeitraum Juni 2017 bis März 2018.
2
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist die Schwester des 1950 geborenen und 2018 verstorbenen B. B war von Geburt an schwerbehindert (100 GdB). In seinem Schwerbehindertenausweis waren u.a. die Merkzeichen „G“ und „H“ eingetragen. Es war ferner vermerkt, dass die Notwendigkeit ständiger Begleitung besteht. B bezog Eingliederungshilfe sowie eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen in Höhe von 742,05 € monatlich. B bedurfte der Betreuung, die auch durchschnittlich neun Stunden pro Woche durch die Lebenshilfe … (Y) erbracht wurde. B wurde von seiner Mutter, die für ihn Kindergeld bezog, bis zu deren Tod im Mai 2017 betreut.
3
Die Klägerin übernahm nach dem Tod der Mutter die Betreuung von B. Am 24.08.2017 wurde sie vom Amtsgericht X auch zur gesetzlichen Betreuerin von B für die Aufgabenkreise Gesundheitsvorsorge, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge, Geltendmachung von Ansprüchen auf Altersversorgung und Sozialhilfe und Geltendmachung von Ansprüchen auf Unterhalt bestellt.
4
B lebte in einer eigenen Wohnung in Z. Bei der Klägerin verfügte er über ein eigenes Zimmer und lebte im Streitzeitraum an allen Wochenenden, Feiertagen und zu Familienfeiern im Haushalt und in der Familiengemeinschaft der Klägerin. Die Klägerin telefonierte mit B täglich, erledigte Arztbesuche oder Einkäufe mit ihm zusammen und übernahm regelmäßig seine Wäsche und organisierte und bezahlte auch eine Putzhilfe für seine Wohnung. Der Klägerin oblag die Fürsorge für B, sie trug die Verantwortung für sein materielles Wohl.
5
Am 16.06.2017 beantragte die Klägerin Kindergeld für B ab dem Monat Juni 2017. Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) lehnte den Antrag mit Bescheid vom 20.06.2017 ab. Den Einspruch der Klägerin wies die Beklagte als unbegründet zurück. Das Finanzgericht (FG) gab der dagegen erhobenen Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2019, 1828 veröffentlichten Gründen statt. Es war der Ansicht, dass B ein Pflegekind der Klägerin gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) war.
6
Mit der Revision rügt die Familienkasse die Verletzung des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG.
7
Die Familienkasse beantragt,das Urteil des FG des Saarlandes vom 13.12.2018 – 2 K 1254/17 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
8
Die Klägerin beantragt,die Revision zurückzuweisen.