Aktenzeichen 1 BvR 2538/10
Verfahrensgang
vorgehend LG Limburg, 15. September 2010, Az: 7 T 152/10, Beschlussvorgehend AG Wetzlar, 2. Juli 2010, Az: 63 XVII 723/09 K, Beschlussvorgehend AG Wetzlar, 11. Mai 2010, Az: 63 XVII 723/09 K, Beschlussvorgehend AG Wetzlar, 2. Februar 2010, Az: 63 XVII 723/09 K, Beschlussnachgehend BVerfG, 12. Januar 2011, Az: 1 BvR 2538/10, Stattgebender Kammerbeschluss
Tenor
1. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Limburg vom 15. September 2010 – 7 T 152/10, 7 T 153/10, 7 T 154/10 – richtet, wird sie nicht angenommen, weil sie unzulässig ist.
2. Die Wirksamkeit der Beschlüsse des Amtsgerichts Wetzlar vom 2. Februar und 11. Mai in der Gestalt des Beschlusses vom 2. Juli 2010 – 63 XVII 723/09 K – wird einstweilen bis zur Entscheidung der Hauptsache, längstens für sechs Monate, ausgesetzt.
3. …
Gründe
1
Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen verschiedene Beschlüsse, die im Zusammenhang mit ihrem Betreuungsverfahren stehen.
I.
2
1. a) Die Kinder der Beschwerdeführerin und ihres Ehemannes (der Beschwerdeführer im Verfahren 1 BvR 2539/10) regten mit Schreiben
vom 19. Oktober 2009 an das Amtsgericht Wetzlar, Betreuungsgericht, an, ihre Eltern unter Betreuung zu stellen. Hintergrund
war eine Auseinandersetzung um ein Hausgrundstück in der V.-Straße, das im Eigentum der Kinder stand, aber von der Beschwerdeführerin
und ihrem Ehemann bewohnt wurde. Die Kinder wollten das Hausgrundstück verkaufen, um Verbindlichkeiten tilgen zu können, und
forderten ihre Eltern auf, das Haus zu räumen. Als die Eltern dies ablehnten, wurde die Versorgung mit Strom, Wasser und Gas
auf Veranlassung der Kinder angesichts hoher Kosten im Juni 2009 eingestellt. Die Ausführungen der Kinder und des Ehemannes
der Beschwerdeführerin in verschiedenen Schreiben deuten daraufhin, dass dieser sich von der öffentlichen Gewalt und dem organisierten
Verbrechen verfolgt fühlt.
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Am 14. und 15. Oktober 2009 hatten bereits Mitarbeiter der Betreuungsbehörde des L.-Kreises die Beschwerdeführerin und ihren
Ehemann auf Anregung der Kinder aufgesucht. Nach dem Bericht der Betreuungsbehörde habe sich das Haus in einem ordentlichen
Zustand befunden, wenn es auch angesichts der eingestellten Gaslieferung nicht beheizt wurde und daher sehr kalt gewesen sei.
Das Ehepaar habe ein Zimmer im Obergeschoss des Hauses bewohnt, das mit einem Schrank, Bett und Tisch ausgestattet gewesen
sei. Auf dem Tisch hätten Kuchen und eine Thermoskanne gestanden. Auf die Nachfrage der Eheleute teilten die Mitarbeiter der
Betreuungsbehörde mit, die Kinder des Ehepaares machten sich Sorgen, weil ihre Eltern in einem kalten Haus lebten und möglicherweise
auch nicht ausreichend mit Lebensmitteln versorgt seien. Der Ehemann der Beschwerdeführerin erklärte daraufhin, gegen die
Kälte könne man sich durch Bekleidung schützen, im Übrigen seien sie ausreichend versorgt. Ein weiteres Gespräch über die
Lage sei nach Auskunft der Betreuungsbehörde aufgrund der wechselseitigen Vorwürfe zwischen Kindern und Eltern nicht möglich
gewesen.
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Am 15. Oktober 2009 suchten die Mitarbeiter der Betreuungsbehörde das Ehepaar in Abwesenheit der Kinder auf. Auffallend war
nach Auffassung der Mitarbeiter der Betreuungsbehörde, dass die Beschwerdeführerin sich wiederum nicht habe äußern dürfen.
Vielmehr habe ihr der Ehemann das Wort abgeschnitten oder durch eine Handbewegung deutlich gemacht, dass sie zu schweigen
habe. Der Ehemann der Beschwerdeführerin habe außerdem überraschend mitgeteilt, dass er nichts sagen könne. Er arbeite für
eine Initiative zu Sicherheits- und Umweltfragen. Man habe bereits versucht, ihn umzubringen. Die Mitarbeiter der Betreuungsbehörde
erklärten daraufhin, dass seine Ideen wahnhaft seien, wohl eine psychische Erkrankung vorliege und eine Betreuung anzuraten
sei. Dies nahm der Ehemann der Beschwerdeführerin gelassen auf und verabschiedete die Mitarbeiter wie am Vortag sehr höflich.
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Mit Schreiben vom 8. November 2009 nahmen die Kinder ihre “Betreuungsanträge” für ihre Eltern zurück. Zur Begründung gaben
sie an, die Eltern hätten inzwischen das Haus verlassen und hielten sich bei Bekannten, der Familie A., in “geregelten Verhältnissen”
auf. Sie seien bereit, konstruktiv zur Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse beizutragen. Damit bestehe keine Selbstgefährdung
mehr und die Einleitung eines Betreuungsverfahrens sei nicht mehr erforderlich. Der zuständige Amtsrichter antwortete unter
dem 13. November 2009, dass die Betreuungsbedürftigkeit der Eltern von Amts wegen zu prüfen sei.
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b) Mit Beschluss vom 2. Februar 2010 entschied das Amtsgericht Wetzlar, das Gericht habe zu prüfen, ob und inwieweit für die
Beschwerdeführerin und ihren Ehemann ein Betreuer zu bestellen sei. Die Sachverständige P. solle nach persönlicher Untersuchung
und Befragung ein Gutachten erstatten. Unter dem 25. Februar 2010 widersprach der Ehemann der Beschwerdeführerin sinngemäß
der Einrichtung einer Betreuung für sich und seine Frau und verlangte eine Erklärung, warum das Verfahren trotz des Schreibens
der Kinder weitergeführt werde. Ein von der Gutachterin P. angesetzter Begutachtungstermin wurde von der Beschwerdeführerin
und ihrem Mann nicht wahrgenommen.
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Unter dem 6. April 2010 teilte der Amtsrichter schriftlich mit, er entnehme dem Schreiben des Ehemannes, dass sie nicht bereit
seien, sich untersuchen zu lassen. Er müsse die Beschwerdeführerin daher darauf hinweisen, dass das Gericht die zwangsweise
Vorführung zur Untersuchung und auch eine geschlossene Unterbringung anordnen werde, wenn das Ehepaar auch einem weiteren
Termin unentschuldigt fernbleibe. Die Gutachterin setzte daraufhin einen neuen Termin auf den 21. April 2010 fest, bei dem
die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann ebenfalls nicht anwesend waren.
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c) Mit Beschluss vom 11. Mai 2010 ordnete das Amtsgericht Wetzlar jeweils die Vorführung zur Untersuchung der Beschwerdeführerin
und ihres Mannes an. Weiter wurde die Betreuungsbehörde ermächtigt, bei einem Widerstand Gewalt anzuwenden, ohne Einwilligung
die Wohnung der Beschwerdeführerin zu betreten und sich gewaltsam Zutritt zu verschaffen. Zur Begründung führte das Gericht
aus, zur Prüfung der Einrichtung einer Betreuung sei nunmehr nach § 283 FamFG zu verfahren, da das Betreuungsverfahren mangels
Mitwirkung nicht habe gefördert werden können. Da damit zu rechnen sei, dass die Beschwerdeführerin die Tür nicht öffnen und
Widerstand leisten würde, sei die Befugnis zur Gewaltanwendung gemäß § 283 Abs. 2 FamFG und eine Ermächtigung zum Betreten
der Wohnung § 283 Abs. 3 FamFG notwendig.
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Der Beschluss wurde an die Adresse V.-Straße zugestellt. Die Zustellung schlug fehl, da das Hausgrundstück inzwischen veräußert
worden war. Die Betreuungsbehörde ermittelte daraufhin, dass sich das Ehepaar weiterhin bei Familie A. aufhielt. Mit Beschluss
vom 2. Juli 2010 wurde der Beschluss vom 11. Mai 2010 im Hinblick auf die Adresse der Beschwerdeführerin bei Familie A. abgeändert.
Aus der nebenstehenden Verfügung ergibt sich, dass von diesem Beschluss eine Abschrift zu den Akten genommen und eine Ausfertigung
an die Betreuungsbehörde zur weiteren Veranlassung geschickt werden sollte. Außerdem sollte ein gleichlautender Beschluss
für das Verfahren des Ehemannes der Beschwerdeführerin mit entsprechenden Verfügungen 2. und 3. gefertigt werden. Ein Hinweis
auf eine förmliche oder formlose Zustellung des Beschlusses vom 2. Juli 2010 mit dem Beschluss vom 11. Mai 2010 ist nicht
erkennbar.
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Unter dem 26. Mai 2010 beantragte die Verfahrensbevollmächtigte der Beschwerdeführerin und ihres Mannes erstmals Akteneinsicht.
Unter dem 6. Juli 2010 erinnerte die Verfahrensbevollmächtigte noch einmal an den Antrag. Unter dem 26. Juli 2010 rügte die
Verfahrensbevollmächtigte erneut, dass bisher keine Akteneinsicht gewährt wurde und erklärte, das Recht der Beschwerdeführerin
aus Art. 103 Abs. 1 GG werde verletzt. Unter dem 5. August 2010 erhielt die Verfahrensbevollmächtigte die Betreuungsakten
schließlich für drei Tage zur Einsicht.
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Unter dem 20. August 2010 erhob die Verfahrensbevollmächtigte Beschwerde gegen die Beschlüsse vom 2. Februar, 11. Mai und
2. Juli 2010 und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die Beschlüsse entbehrten nach der Rücknahme des Antrags
der Kinder jeder Grundlage und seien damit willkürlich. Auch der Beschluss vom 11. Mai 2010 sei nicht zugestellt worden. Auch
sei die Beschwerdeführerin nicht angehört worden. Gleiches gelte für den Beschluss vom 2. Juli 2010.
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Mit Beschluss vom 24. August 2010 wurde der Beschwerde nicht abgeholfen. Rechtliches Gehör sei durch Übersendung der gerichtlichen
Verfügungen gewährt worden. Die Reaktionen des Ehemannes der Beschwerdeführerin belegten den Zugang.
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d) Mit Beschluss vom 15. September 2010 – 7 T 152/10, 7 T 153/10, 7 T 154/10 – wurde die Beschwerde verworfen. Der Antrag
auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gehe ins Leere, da keine gesetzliche Frist ersichtlich sei, an deren Einhaltung
die Beschwerdeführerin unverschuldet gehindert gewesen sein könne. Für eine Entscheidung nach § 44 FamFG sei das Landgericht
nicht zuständig, sondern das Amtsgericht.
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Im Übrigen seien die Beschwerden nicht statthaft und damit unzulässig. Gemäß § 58 Abs. 1 FamFG anfechtbare Endentscheidungen
lägen nicht vor. Die Beschwerden seien auch nicht wegen einer Verletzung des rechtlichen Gehörs statthaft. Dies könne der
Fall sein, wenn die getroffenen Entscheidungen objektiv willkürlich seien und insbesondere mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG
und Art. 103 Abs. 1 GG nicht mehr verständlich erschienen. Dies sei nicht der Fall. Die Beschwerdeführerin sei durch das Amtsgericht
über die Einleitung des Betreuungsverfahrens einschließlich der Beauftragung der Sachverständigen sowie über die Möglichkeit
einer zwangsweisen Vorführung schriftlich in Kenntnis gesetzt worden. Dass das Ehepaar die entsprechenden Schreiben vom 2.
Februar 2010 und 6. April 2010 erhalten habe, zeigten die vom Ehemann verfassten Schreiben. Eine förmliche Zustellung sei
nicht erforderlich. Das Amtsgericht sei auch nicht verpflichtet gewesen, die Beschwerdeführerin vor Erlass der Vorführungsanordnung
gemäß § 283 Abs. 1 Satz 2 FamFG persönlich anzuhören. Die Beschwerdeführerin habe deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie
eine Untersuchung ablehne. Ein Betroffener, der sich beharrlich weigere, mit dem Sachverständigen Kontakt aufzunehmen, werde
im Zweifel auch einen gerichtlichen Termin zur persönlichen Anordnung über die Gründe seiner Weigerung nicht wahrnehmen. Da
die Anhörung gemäß § 283 Abs. 1 Satz 2 FamFG in erster Linie den Sinn habe, dem Betroffenen die Konsequenzen seines Verhaltens
vor Augen zu führen, genüge bei ernsthaft verweigerter Kontaktaufnahme auch die schriftliche Anhörung des Betroffenen, in
der er unter Gewährung einer Stellungnahmemöglichkeit über die Folgen seines Verhaltens belehrt werde (Keidel/Budde, FamFG,
16. Aufl. 2009, § 283 Rn. 3).
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2. Mit Schreiben vom 30. September 2010, eingegangen am 4. Oktober 2010, hat die Beschwerdeführerin Verfassungsbeschwerde
erhoben. Die angegriffenen Beschlüsse seien, abgesehen vom Beschluss des Landgerichts, nicht zugestellt und rechtliches Gehör
nicht gewährt worden. Hätte das Gericht die Beschwerdeführerin persönlich angehört, hätte es erkennen müssen, dass die Einrichtung
einer Betreuung nicht erforderlich sei. Insbesondere vor der Vorführungsanordnung hätte die Beschwerdeführerin persönlich
angehört werden müssen. Das Gericht habe auch nicht dargelegt, aus welchen Gründen es auch nach der Rücknahme des Antrags
durch die Kinder an der Prüfung der Betreuung festhalte. Die Kinder des Beschwerdeführers hätten die Einrichtung einer Betreuung
angeregt, um die Durchsetzung eigener Rechte zu erleichtern, nicht um die Interessen ihrer Eltern zu schützen. Eine Selbstgefährdung
der Beschwerdeführerin sei nicht ersichtlich, so dass die Einrichtung einer Betreuung nicht in Betracht komme.
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Insbesondere die Beschlüsse vom 11. Mai und 2. Juli 2010 verletzen Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG. § 283 Abs. 3 FamFG
ermächtige zum gewaltsamen Eindringen in die Wohnung des Betroffenen, nicht jedoch in die eines völlig Unbeteiligten, wie
hier der Familie A., bei der die Beschwerdeführerin und ihr Mann lebten. Auch hier hätte die persönliche Anhörung dazu geführt,
dass das Gericht von dem Erlass des Beschlusses und der weiteren Überprüfung der Einrichtung einer Betreuung Abstand genommen
hätte.
II.
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Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.
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1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig
regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund
zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes
vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, das in der Hauptsache zu verfolgende Begehren, hier
also die Verfassungsbeschwerde, erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 88,
185 ; 103, 41 ; stRspr). Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens sind die Folgen, die eintreten würden, wenn
die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen,
die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen
wäre (vgl. BVerfGE 88, 185 ; stRspr). Wegen der meist weittragenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem
verfassungsgerichtlichen Verfahren auslöst, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab
anzulegen (vgl. BVerfGE 87, 107 ; stRspr). Im Zuge der nach § 32 Abs. 1 BVerfGG gebotenen Folgenabwägung legt das Bundesverfassungsgericht
seiner Entscheidung in aller Regel die Tatsachenfeststellungen und Tatsachenwürdigungen in den angegriffenen Entscheidungen
zugrunde (vgl. BVerfGE 34, 211 ; 36, 37 ; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 2. Dezember 2009
– 1 BvR 2797/09 -, FamRZ 2010, S. 186 ).
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2. Nach diesen Maßstäben ist hier der Erlass einer einstweiligen Anordnung angezeigt.
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a) Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise zulässig.
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aa) aaa) Soweit sich die Verfassungsbeschwerde jedoch gegen die Entscheidung des Landgerichts Limburg vom 15. September 2010
wendet, ist sie unzulässig. Die Beschwerdeführerin hat ihrer Substantiierungspflicht gemäß §§ 23 Abs. 1, 92 BVerfGG nicht
genügt. Das Begründungserfordernis verlangt neben der Bezeichnung des angeblich verletzten Grundrechts auch die substantiierte
Darlegung des die Verletzung enthaltenden Vorgangs (vgl. BVerfGE 81, 208 ). Die pauschale Rüge der Verletzung von – auch
benannten – Grundrechten genügt diesen Voraussetzungen nicht (vgl. BVerfGE 79, 203 ). Ein Beschwerdeführer muss insbesondere
vortragen, weshalb die angegriffene Entscheidung die Verfassung missachtet und in diesem Zusammenhang auf die Entscheidungsgründe
eingehen (vgl. BVerfGE 82, 43 ). Nicht ausreichend ist, wenn ein Beschwerdeführer den Erwägungen der angegriffenen Entscheidungen
nur die eigene Sichtweise entgegenstellt, ohne deutlich zu machen, weshalb die angegriffene Entscheidung verfassungsrechtlich
fehlerhaft ist (BVerfGK 2, 22 ).
22
Dies ist vorliegend nicht geschehen. Die Beschwerdeführerin wiederholt in ihrer Verfassungsbeschwerde im Wesentlichen die
Argumente aus der Beschwerdeschrift, ohne sich mit dem Beschluss des Landgerichts Limburg auseinanderzusetzen.
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bbb) Im Übrigen hat die Beschwerdeführerin jedoch die Rüge einer Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 103 Abs. 1 GG hinreichend
substantiiert. Zwar hat sie den Beschluss vom 2. Juli 2010 nicht mit der Verfassungsbeschwerde vorgelegt, jedoch hat sie ihn
inhaltlich so zusammengefasst, dass eine Prüfung möglich ist.
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bb) Die Voraussetzungen des § 90 Abs. 2 BVerfGG sind ebenfalls erfüllt.
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aaa) Zunächst muss der Bürger gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG die behauptete Grundrechtsverletzung durch das Einlegen von
Rechtsbehelfen vor den Fachgerichten abzuwenden versuchen (BVerfGE 68, 376 ; 70, 180 ), wie es die Beschwerdeführerin
durch Einlegung einer Beschwerde bereits anstrebte. Die Anordnung der Untersuchung und Vorführung ist als nicht instanzabschließende
Zwischenentscheidung jedoch grundsätzlich nicht anfechtbar. Anfechtbar sind seit dem 1. September 2009 gemäß § 58 Abs. 1 FamFG
grundsätzlich nur Endentscheidungen der Amts- und Landgerichte (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom
30. April 2010 – 1 BvR 2797/09 -, FamRZ 2010, S. 1145 ). Dies wurde im angegriffenen Beschluss des Landgerichts Limburg
auch festgestellt.
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bbb) Die Verfassungsbeschwerde ist auch nicht deshalb unzulässig, weil die Beschwerdeführerin nicht ausdrücklich eine Anhörungsrüge
gemäß § 44 FamFG erhoben hat.
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Die Beschwerdeführerin moniert u.a. eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG. Die Beschwerdeführerin hat eine Anhörungsrüge
nicht ausdrücklich erhoben. Es ist auch fraglich, ob eine solche gemäß § 44 Abs. 1 Satz 2 FamFG zulässig ist. Es kann jedoch
dahinstehen, ob es sich bei der Vorführungsanordnung um eine – bei verfassungskonformer Auslegung von § 44 Abs. 1 Satz 2 FamFG
– einer Anhörungsrüge zugängliche Zwischenentscheidung handelt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom
30. April 2010 – 1 BvR 2797/09 -, FamRZ 2010, S. 1145 ).
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Die Verfahrensbevollmächtigte der Beschwerdeführerin hat ihr Vorbringen gegen die Beschlüsse jedoch auch ausdrücklich auf
eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gestützt. Das Amtsgericht hat in seinem Nichtabhilfebeschluss erklärt, eine Gehörsverletzung
habe nicht vorgelegen. Der Intention des Gesetzgebers bei Aufnahme von § 44 FamFG, dass bei unanfechtbaren Entscheidungen
das die Entscheidung erlassende Gericht über eine etwaige Verletzung des rechtlichen Gehörs befinden soll, wurde somit entsprochen.
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b) Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, ist sie nicht offensichtlich unbegründet. Nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin
erscheint jedenfalls eine Verletzung ihres Grundrechts auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG möglich.
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aa) Für das Gericht erwächst aus Art. 103 Abs. 1 GG die Pflicht, vor dem Erlass einer Entscheidung zu prüfen, ob den Verfahrensbeteiligten
rechtliches Gehör gewährt wurde (BVerfGE 36, 85 ). Maßgebend für diese Pflicht des Gerichts ist der Gedanke, dass die
Verfahrensbeteiligten Gelegenheit haben müssen, die Willensbildung des Gerichts zu beeinflussen. Der Anspruch auf rechtliches
Gehör fordert, dass das erkennende Gericht die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis nimmt und in Erwägung zieht
(vgl. BVerfGE 83, 24 ; 96, 205 ; stRspr; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 30. April 2010 – 1
BvR 2797/09 -, FamRZ 2010, S. 1145 ).
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bb) Ob der angegriffene Beschluss diesen Voraussetzungen genügt, ist zweifelhaft. Die Beschwerdeführerin wurde vor dem Erlass
des Beschlusses vom 2. Februar 2010 weder schriftlich noch mündlich vom Betreuungsgericht von der beabsichtigten Untersuchung
und Einrichtung einer Betreuung informiert und konnte sich dementsprechend nicht dazu äußern, ob die Einrichtung einer Betreuung
angesichts der Unterstützung durch die Familie A., bei der sie lebt, erforderlich ist. Der Beschluss, mit dem die zwangsweise
Vorführung und Untersuchung angeordnet wurde, wurde der Beschwerdeführerin nicht zugestellt. Auch wurde sie nicht persönlich
angehört. Dies könnte ihr Grundrecht auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verletzen. Ob darüber hinaus eine Verletzung
weiterer Grundrechte in Betracht kommt, kann offen bleiben.
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c) Die Folgenabwägung fällt zugunsten der Beschwerdeführerin aus.
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Erginge die einstweilige Anordnung nicht, so könnte bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde aufgrund der
Beschlüsse vom 2. Februar und 11. Mai in der Gestalt des Beschlusses vom 2. Juli 2010 eine Untersuchung der Beschwerdeführerin
stattfinden, zu der sie unter Anwendung von Gewalt gezwungen werden könnte. Sollte sich die Verfassungsbeschwerde als erfolgreich
erweisen, würde dies einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff darstellen, der durch eine nachträgliche Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
nicht mehr ungeschehen gemacht werden könnte.
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Erginge die einstweilige Anordnung und bliebe die Verfassungsbeschwerde später ohne Erfolg, so käme es lediglich zu einer
Verzögerung der Untersuchung. Für eine Selbstgefährdung der Beschwerdeführerin liegen keine Anhaltspunkte vor. Die Beschwerdeführerin
hält sich in der Obhut von Bekannten auf, so dass sie gegebenenfalls Unterstützung in ihrem Umfeld finden kann.