Aktenzeichen 8 SA 31/17
Leitsatz
1. Die Bestimmung eines gemeinsamen Gerichtsstands nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO kommt über den Wortlaut der Vorschrift (“verklagt werden sollen”) auch dann in Betracht, wenn gegen alle Beklagten bereits eine Klage anhängig ist. (Rn. 12)
2. Die Bestimmung eines gemeinsamen Gerichtsstandes ist in diesem Falle im Interesse der Prozessökonomie jedoch nur dann zulässig, wenn der Antragsteller bereits mehrere Beklagte vor einem Gericht verklagt hat und einzelne davon die Unzuständigkeit dieses Gerichts geltend gemacht haben. (Rn. 12)
3. Hat der Kläger allerdings nicht bei einem, sondern bei mehreren Gerichten Prozesskostenhilfe für mehrere gegen Streitgenossen beabsichtigte Klagen beantragt, steht der Wortlaut des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO („verklagt werden sollen”) einer Gleichbehandlung von Klageerhebung und Prozesskostenhilfeantrag entgegen, sodass auch in diesem Fall eine Gerichtsstandsbestimmung noch zulässig ist. (Rn. 13 – 14)
Tenor
Als zuständiges Gericht wird das Landgericht Nürnberg-Fürth bestimmt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin berühmt sich Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche gegen die fünf Antragsgegner wegen behaupteter, ihnen zurechenbarer ärztlicher Behandlungsfehler im Rahmen der Behandlung von Kniebeschwerden. Streitgegenständlich sind insbesondere die Behandlungen im Rahmen von drei Operationen und zwar im Mai 2012 und im Juli 2012 in der Klinik der Antragsgegnerin zu 3) und im Februar 2015 in der Klinik der Antragsgegnerin zu 1).
Verbunden mit einem gegen die Antragsgegner zu 1) und 2) gerichteten Klageentwurf beantragte sie mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 10.10.2016, dort eingegangen am 18.01.2017, bei dem Landgericht Nürnberg-Fürth, Az.: 11 O 370/17, die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 14.03.2017 haben die Antragsgegner zu 1) und 2) mit der Begründung behauptet fehlender Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klage Zurückweisung des PKH-Antrags beantragt. Mit Schriftsatz vom 03.05.2017 hat die Antragstellerin repliziert. Über den Prozesskostenhilfeantrag ist bislang nicht entschieden worden.
Verbunden mit einem gegen die Antragsgegner zu 3) bis 5) gerichteten Klageentwurf beantragte die Antragstellerin zudem mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 22.12.2016, dort eingegangen am 23.12.2016, bei dem Landgericht Bayreuth, Az.: 32 O 750/16, die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Auch die Antragsgegner jenes Verfahrens haben mit ausführlicher Begründung behauptet fehlender Erfolgsaussicht der von der Antragstellerin beabsichtigten Klage (§ 114 ZPO) Zurückweisung ihres PKH-Antrags beantragt. Auch in jenem Verfahren hat die Antragstellerin repliziert, ohne dass bislang über den Antrag befunden worden wäre.
Mit Schriftsatz vom 18.08.2017, bei dem Oberlandesgericht eingegangen am selben Tag, beantragte die Antragstellerin die Bestimmung eines gemeinsamen Gerichts, wobei sie die Auffassung vertrat, dass das Landgericht Bayreuth zu bestimmen sei.
Alle Parteien hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
Unter Zugrundelegung der von der Antragstellerin vorgelegten Unterlagen gab der Senat das Bestimmungsverfahren mit Verfügung vom 07.11.2017 an das Oberlandesgericht Nürnberg ab, welches die Übernahme jedoch ablehnte. Angesichts der unzureichenden Angaben der Antragstellerin hat der Senat die Akten der beiden beteiligten Landgerichte beigezogen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, auf den Akteninhalt der beigezogenen Akten der Landgerichte Bayreuth und Nürnberg-Fürth sowie auf die im Bestimmungsverfahren ergangenen gerichtlichen Verfügungen Bezug genommen.
Trotz der völlig unzureichenden Antragstellung sowie der bis zuletzt lückenhaften Darlegung von Sachverhalt und Prozessgeschichte durch die Antragstellerin steht nach Beiziehung und Einsicht in die Akten der beteiligten Landgerichte nunmehr fest, dass das Landgericht Bayreuth zuerst mit der Sache befasst war und deshalb der erkennende Senat als dessen Obergericht zur Entscheidung über die beantragte Gerichtsstandsbestimmung zuständig ist, § 36 Abs. 2 ZPO.
Auch sind die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO gegeben.
Nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO erfolgt auf Antrag eine Gerichtsstandsbestimmung, wenn mehrere Personen, die bei verschiedenen Gerichten ihren allgemeinen Gerichtsstand haben (§§ 12, 17 ZPO), als Streitgenossen verklagt werden sollen und für den Rechtsstreit ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand nicht begründet ist. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
§ 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO findet bei allen Arten der passiven Streitgenossenschaft gemäß §§ 59, 60 oder 62 ZPO Anwendung (vgl. BGH NJW 1998, 685; OLG Frankfurt WM 2014, 701; Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl., § 36 Rdn. 14 m.w.N.). Im gegenständlichen Verfahren ist von einer einfachen Streitgenossenschaft der Beklagten im Sinne des § 60 ZPO auszugehen. Danach müssen gleichartige oder auf einem im Wesentlichen gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Grund beruhende Ansprüche oder Verpflichtungen den Gegenstand des Rechtsstreits bilden. Die Vorschrift ist aus Zweckmäßigkeitsgründen weit auszulegen (vgl. BGH a.a.O.). Dies gestattet es, auch ohne Identität oder Gleichheit des tatsächlichen und rechtlichen Grundes der geltend zu machenden Ansprüche Streitgenossenschaft anzunehmen, wenn diese Ansprüche in einem inneren sachlichen Zusammenhang stehen, der sie ihrem Wesen nach als gleichartig erscheinen lässt (vgl. BGH MDR 2011, 807; MDR 2014, 239; Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 36, Rn. 7). Von einer Streitgenossenschaft der Antragsgegner zu 1) bis 5) kann vorliegend ebenso ausgegangen werden (so auch zutreffend das LG Nürnberg-Fürth in seiner Verfügung vom 25.07.2017, vgl. Bl. 62 d. beigezogenen Akten) wie von einem verschiedenen allgemeinen Gerichtsstand der Antragsgegner.
Die Bestimmung eines gemeinsamen Gerichtsstands nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO kommt über den Wortlaut der Vorschrift („verklagt werden sollen“) auch dann in Betracht, wenn gegen alle Beklagten bereits eine Klage anhängig ist. Entscheidend dafür ist insbesondere, dass die Bestimmung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO auf Zweckmäßigkeitserwägungen beruht und dass es im Interesse der Parteien liegen kann, bei einer von vornherein gegen mehrere Beklagte (mit verschiedenen allgemeinen Gerichtsständen) gerichteten Klage auch noch nach Klageerhebung ein für alle Beklagten zuständiges Gericht zu bestimmen, um die Entscheidung des Rechtsstreits durch ein einziges Gericht herbeizuführen (vgl. BGH NJW 1978, 321; NJW 1980, 188; NJW-RR 2006, 1289; OLG Hamm MDR 2012, 799; BayObLGZ 1992, 90; 1993, 171; 2004, 64). Der Bundesgerichtshof hat die Bestimmung eines gemeinsamen Gerichtsstandes im Interesse der Prozessökonomie deshalb für zulässig erachtet, wenn der Antragsteller bereits mehrere Beklagte vor einem Gericht verklagt hat und einzelne davon die Unzuständigkeit dieses Gerichts geltend gemacht haben (vgl. BGH MDR 2011, 558; ebenso BayObLG NJW-RR 2000, 1592). Entscheidend dafür sei, so der BGH in der zitierten Entscheidung, dass die Bestimmung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO auf Zweckmäßigkeitserwägungen beruhe und dass es im Interesse der Parteien liegen könne, bei einer von vornherein gegen mehrere Beklagte (mit verschiedenen allgemeinen Gerichtsständen) gerichteten Klage auch noch nach Klageerhebung ein für alle Beklagten zuständiges Gericht zu bestimmen, um die Entscheidung des Rechtsstreits durch ein einziges Gericht herbeizuführen.
Im vorliegenden Fall hat die Antragstellerin ihre Anträge nicht von vornherein gegen alle Antragsgegner vor einem Landgericht, sondern hat sie in getrennten Verfahren vor unterschiedlichen Gerichten eingereicht (die Antragsgegner zu 1) und 2) betreffend vor dem LG Nürnberg-Fürth und die Antragsgegner zu 3) bis 5) betreffend vor dem LG Bayreuth). Sie hat damit gerade nicht zum Ausdruck gebracht, dass die Antragsgegner als Streitgenossen im allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden sollen. Vielmehr war sie sogar der Überzeugung, dass eine Streitgenossenschaft zwischen den Antragsgegnern zu 1) und 2) einerseits sowie den Antragsgegnern zu 3) bis 5) andererseits gar nicht bestehe (vgl. Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 18.08.2017 im Verfahren 11 O 370/17).
§ 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO bildet keine ausreichende Grundlage, über den Anwendungsbereich § 147 ZPO hinaus zwei anhängige Verfahren auch dann miteinander zu verbinden, wenn diese bei unterschiedlichen Gerichten anhängig sind. Ein Kläger, der mehrere Personen wegen eines gleichgelagerten Sachverhalts in Anspruch nimmt, hat es vor Klageerhebung in der Hand, ob er diese gemeinsam oder in getrennten Prozessen verklagt. Entscheidet er sich für eine dieser Möglichkeiten, ist es auch unter dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie nicht geboten, den Rechtsstreit nachträglich an ein anderes Gericht zu verlagern (BGH MDR 2011, 558; vgl. hierzu auch Zöller/ Schultzky, ZPO, 32. Aufl., Rn. 26 zu § 36; Bey in Prütting – Gehrlein, ZPO, 9. Aufl., Rn. 7 zu § 36; Smid/Hartmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., Rn. 80 zu § 36).
Vorliegend war allerdings zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin noch keine Klage vor verschiedenen Landgerichten erhoben, sondern dort „nur“ jeweils einen Klageentwurf, verbunden mit einem Prozesskostenhilfeantrag eingereicht hat. Über beide Anträge haben die beteiligten Landgerichte bislang nicht befunden. Es war deshalb darüber zu entscheiden, ob die oben genannten Grundsätze auch dann gelten, wenn nicht eine Klage, sondern ein Prozesskostenhilfeantrag bei verschiedenen Gerichten anhängig gemacht wird.
Für eine Gleichbehandlung jener beiden Fallkonstellationen spricht, dass sich die Antragstellerin auch im gegenständlichen Verfahren entschieden hat, die Klage vor unterschiedlichen Landgerichten erheben zu wollen und dort jeweils einen darauf bezogenen Prozesskostenhilfeantrag eingereicht hat.
Der gegenständliche Fall weicht auch schon grundsätzlich ab von jenen Fällen, in denen ein gegen mehrere Antragsgegner eingeleitetes Mahnverfahren nach Widerspruch zunächst an verschiedene Gerichte abgegeben worden war und in denen der BGH eine Bestimmung der Zuständigkeit gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO vorgenommen hat (BGH NJW 1978, 1982). In dem jener Entscheidung zu Grunde liegenden Fall hatte der Antragsteller beide Beklagte zunächst gemeinsam im Wege des Mahnverfahrens in Anspruch genommen. Nach der damals geltenden Fassung von § 690 Abs. 1 Nr. 5 ZPO musste im Antrag auf Erlass eines Mahnbescheides als für das Streitverfahren zuständig zwingend das Gericht angegeben werden, bei dem der Antragsgegner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Der Antragsteller konnte damit nicht verhindern, dass es zu einer vorübergehenden Trennung der Verfahren kommt, wenn er sich zur Geltendmachung seiner Rechte im Mahnverfahren entschloss und mehr als ein Antragsgegner Widerspruch einlegte. Der Bundesgerichtshof hat dies als vom Gesetz nicht gewollte Benachteiligung angesehen und deshalb die nachträgliche Bestimmung eines gemeinsamen Gerichtsstands zugelassen.
Im gegenständlichen Fall hat die Antragstellerin ihre Ansprüche aber nicht im Wege des Mahnverfahrens geltend gemacht, sondern von vornherein den Klageweg – mit vorgeschaltetem Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren – beschritten. Auf diesem Weg stand es ihr frei, sämtliche Antragsgegner von vornherein gemeinsam in Anspruch zu nehmen. Hinzu kommt im gegenständlichen Fall, dass über die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klagen seit Antragstellung – und mittlerweile seit mehr als einem Jahr – vor zwei getrennten Gerichten schriftsätzlich gestritten wird, wobei sich auch die jeweiligen Antragsgegner nicht auf eine bloße Antragstellung (einer Zurückweisung des PKH-Antrags) beschränkt haben, sondern sich ausführlich und jeweils unter Beweisantritt zur Sache eingelassen haben.
Auch hinsichtlich der Verjährungshemmung stellt § 204 Abs. 1 Nr. 14 BGB den Prozesskostenhilfeantrag der Klageerhebung (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB) gleich.
Allerdings vertritt der Senat nach nochmaliger eingehender Prüfung die Rechtsansicht, dass der Wortlaut des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO („verklagt werden sollen“) einer Gleichbehandlung von Klageerhebung und Prozesskostenhilfeantrag bei mehreren Gerichten entgegensteht. Auch der stets zu beachtende Grundsatz der Prozessökonomie erfordert eine solche Gleichbehandlung nicht. Zwar haben sich die Parteien in beiden Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren auch zur Sache (Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klagen) bereits sehr umfangreich eingelassen, es hat jedoch noch keine mündliche Verhandlung oder etwa eine Beweisaufnahme stattgefunden, zu der es im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren grundsätzlich ohnehin nicht kommt.
Eine Gerichtsstandsbestimmung ist dem Senat folglich auch in den jetzigen Verfahrensstadien beider landgerichtlicher Verfahren grundsätzlich möglich.
Als zuständiges Gericht war das Landgericht Nürnberg-Fürth zu bestimmen.
Der Senat hat diese Entscheidung auf der Grundlage von Erwägungen der Zweckmäßigkeit und der Prozesswirtschaftlichkeit getroffen, die er der Bestimmung des zuständigen Gerichts regelmäßig zu Grunde legt.
Der Wohnort der Klägerin bzw. der Kanzleisitz der beteiligten Rechtsanwälte konnte hierbei keinen Ausschlag geben, da sie sämtlich in keinem der beteiligten Landgerichtsbezirke liegen. Die Dauer der Verfahren sowie der derzeitige Verfahrensstand sind in beiden Verfahren annähernd identisch.
Ausschlaggebend war deshalb jener Ort, von dem im Falle einer – im eventuellen Hauptverfahren durchzuführenden Beweisaufnahme – mögliche Zeugen anzureisen haben. Das ist in der Regel der Ort der behauptet fehlerhaften Behandlung, von dem auch das regelmäßig in Betracht kommende Behandlungspersonal wird anreisen müssen. Das Bezirksklinikum A. ist in G., somit in keinem der beiden Landgerichtsbezirke, gelegen. Hingegen ist das Krankenhaus D. in E., mithin im Landgerichtsbezirk Nürnberg-Fürth, gelegen.