Familienrecht

Jugendhilfe; Kostenerstattungsanspruch; örtliche Zuständigkeit

Aktenzeichen  5 C 31/12

Datum:
14.11.2013
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 86 Abs 3 SGB 8
§ 86 Abs 4 SGB 8
§ 86 Abs 5 S 2 SGB 8
§ 86 Abs 5 S 3 SGB 8
§ 86 Abs 6 S 1 SGB 8
§ 89 SGB 8
§ 89a Abs 1 S 1 SGB 8
§ 89a Abs 2 SGB 8
§ 89a Abs 3 SGB 8
§ 112 SGB 10
Spruchkörper:
5. Senat

Leitsatz

1. Der Anwendungsbereich des § 89a Abs. 2 SGB VIII (juris: SGB 8) ist im Wege der Analogie auf die Fälle zu erstrecken, in denen dem nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständig gewordenen örtlichen Träger gegen einen anderen örtlichen Träger ein Kostenerstattungsanspruch nach § 89a Abs. 3 SGB VIII zusteht.
2. Bei der in § 86 Abs. 5 Satz 3 SGB VIII angeordneten entsprechenden Geltung des § 86 Abs. 4 SGB VIII ist auf die Aufenthaltsverhältnisse des Kindes oder Jugendlichen vor Beginn der Leistung abzustellen.
3. Eine analoge Anwendung des § 89a Abs. 1 oder 3 SGB VIII (i.V.m. § 89a Abs. 2 SGB VIII) auf Fälle, in denen der nach § 86 Abs. 6 SGB VIII zuständige örtliche Träger mit demjenigen örtlichen Träger identisch ist, der ohne Anwendung des § 86 Abs. 6 SGB VIII nach § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII (fiktiv) zuständig ist oder wird, kommt nicht in Betracht.

Verfahrensgang

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 3. September 2012, Az: 12 A 1571/12, Urteilvorgehend VG Köln, 31. Mai 2012, Az: 26 K 1054/11, Urteil

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger als überörtlicher Träger der Jugendhilfe die Rückerstattung der Kosten verlangen kann, die er der Beklagten als örtlicher Trägerin der Jugendhilfe im Fall des Kindes M. für die Zeit vom 18. Juni 2004 bis 15. Juni 2005 und vom 25. Juni 2007 bis 28. November 2007 erstattet hat.
2
M. wurde am 31. Juli 1996 in einem Krankenhaus im Bereich der beklagten Stadt geboren. Ihre zu diesem Zeitpunkt noch minderjährige drogenabhängige Mutter hatte ihren Wohnsitz ebenfalls im Zuständigkeitsbereich der Beklagten. Das Kind wurde nach der Geburt zunächst im Krankenhaus weiterbehandelt. Ab dem 16. September 1996 brachte es die Beklagte in einem Kinderheim unter und leistete hierfür Hilfe zur Erziehung. Ab dem 11. Dezember 1996 kam Michelle zu einer in K. lebenden Pflegefamilie.
3
Das Amtsgericht entzog der Mutter mit Beschluss vom 21. März 1997 das Personensorgerecht. Der Vater des Kindes, der ebenfalls drogenabhängig war und seinen gewöhnlichen Aufenthalt in K. hatte, erkannte am 27. März 1997 die Vaterschaft an. Am 2. April 1997 heirateten die Eltern des Kindes. Mit Beschluss vom 4. April 1997 erweiterte das Amtsgericht die Entziehung des Personensorgerechts auf den Vater. Die Pflegefamilie, die das Kind aufgenommen hatte, verzog am 1. Juni 1997 nach M. Am 14. September 2000 kehrte sie nach K. zurück.
4
Die Mutter des Kindes lebte ab 2. November 1998 im H.er Raum. Vom 31. Juli 1999 bis zu ihrem Tod am 18. November 2005 war ihr Aufenthalt unbekannt. Der Vater des Kindes befand sich von Februar 1998 bis April 1999 und erneut von April 2000 bis Februar 2002 in Haft in der Justizvollzugsanstalt S. Zwischenzeitlich, von April 1999 bis April 2000, lebte er wieder in K. Ab Februar 2002 hielt er sich in C. sowie in einer Drogeneinrichtung in A. auf. Von Januar bis Juni 2004 war er erneut in K. gemeldet. In dem Zeitraum vom 18. Juni 2004 bis zum 15. Juni 2005 war sein Aufenthalt unbekannt. Anschließend hatte er eine Meldeadresse in K. Im Zeitraum vom 25. Juni 2007 bis zum 28. November 2007 ließ sich sein Aufenthalt erneut nicht feststellen. Danach hielt er sich wieder in K. auf.
5
Für die Leistungszeiträume, in denen der Aufenthalt beider Eltern bzw. nach dem Tod der Mutter der des Vaters unbekannt war, erkannte der Kläger die Kostenerstattungspflicht nach § 89 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) an. Dementsprechend erstattete er der Beklagten für die Zeiträume vom 18. Juni 2004 bis zum 15. Juni 2005 und vom 25. Juni 2007 bis zum 28. November 2007 insgesamt 13 297,61 €.
6
Später zog der Kläger die Kostenanerkenntnisse zurück und begehrte Rückerstattung. Die Beklagte verweigerte diese mit der Begründung, ihr habe für die strittigen Zeiträume ein Kostenerstattungsanspruch gegen den Kläger aus § 89a Abs. 2 SGB VIII zugestanden.
7
Der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage hat das Verwaltungsgericht stattgegeben und die Beklagte verurteilt, den streitigen Betrag an den Kläger zurückzuzahlen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Der Kläger habe einen Anspruch auf Rückerstattung wegen zu Unrecht erstatteter Leistungen. Denn der Beklagten habe weder nach § 89 SGB VIII noch nach § 89a Abs. 2 SGB VIII ein Kostenerstattungsanspruch zugestanden. Die örtliche Zuständigkeit der Beklagten habe sich ohne Anwendung des § 86 Abs. 6 SGB VIII unter anderem aus § 86 Abs. 5 Satz 3 i.V.m. Abs. 4 SGB VIII ergeben. Danach sei auf den (gewöhnlichen oder tatsächlichen) Aufenthalt abzustellen, den das Kind oder der Jugendliche bei Eintritt eines der in Absatz 4 erfassten Sachverhalte gehabt habe. Die von § 86 Abs. 5 Satz 3 SGB VIII angeordnete entsprechende Anwendung des Absatzes 4 führe zu einer Verschiebung der tatbestandlichen Merkmale auf die zeitliche Ebene des Absatzes 5 mit der Folge, dass sich der örtlich zuständige Träger in allen Fällen, in denen die Eltern ihren bzw. der zuvor maßgebliche Elternteil seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland aufgegeben hätten, dieser nicht feststellbar sei oder sie verstorben seien, anhand des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes im Zeitpunkt dieser Veränderung bestimme.
8
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 89a Abs. 2 SGB VIII sowie des § 86 Abs. 5 Satz 3 i.V.m. Abs. 4 SGB VIII.
9
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.

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