Familienrecht

Kein Anspruch auf Übernahme bzw. Bezuschussung der Kosten für Unterbringung

Aktenzeichen  B 3 K 16.691

Datum:
20.7.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VIII SGB VIII § 27, § 34, § 35a, § 36a Abs. 1 S. 1
VwGO VwGO § 42 Abs. 2, § 88
GG GG Art. 6 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

1. Der Anspruch auf Eingliederungshilfe nach § 35a Abs. 1 SGB VIII steht dem Kind/Jugendlichen und nicht den Erziehungsberechtigten zu. (Rn. 27)
2. Klagen die Eltern im eigenen Namen auf die Bewilligung von Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII, so fehlt es der Klage bereits an der notwendigen Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO. (Rn. 27 und 28)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I.
Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Halbs. 1 VwGO). Die Beteiligten wurden gem. § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört.
II.
Nach sachgerechter Auslegung des klägerischen Vorbringens (§ 88 VwGO) begehrt die die Klägerin mit ihrer „2. Untätigkeitsklage“ die Gewährung von Hilfe zur Erziehung (§§ 27, 34 SGB VIII) bzw. – nach Vorlage der Stellungnahme des Kinder- und Jugend-psychotherapeuten … vom 27.12.2016 – Eingliederungshilfe (§ 35a SGB VIII) in Form der Übernahme bzw. Bezuschussung der Kosten für die Unterbringung ihrer Tochter … im „Landheim …“ ab dem 30.11.2014.
III.
Die so auszulegende Klage ist bereits unzulässig, soweit die Klägerin die Übernahme bzw. Bezuschussung der Internatskosten als Maßnahme der Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder oder Jugendliche nach § 35a SGB VIII (i.V.m. § 36a Abs. 3 SGB VIII) im eigenen Namen klageweise geltend macht.
Gem. § 42 Abs. 2 VwGO ist – soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist – eine Anfechtungsbzw. Verpflichtungsklage nur zulässig, wenn der Klägerin geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in eigenen Rechten verletzt zu sein. Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz wird daher grundsätzlich nur dann gewährt, soweit die Klägerin die Verletzung subjektiver Rechte – und nicht nur rein objektiven Rechts – geltend machen kann. Demnach schließt § 42 Abs. 2 VwGO auch Klagen aus, in denen sich der Kläger auf subjektive Rechte Dritter beruft (vgl. Happ in: Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 42 Rn. 72 und 76). Zwar dürfen die Anforderungen an das Vorliegen der Klagebefugnis nicht überspannt werden (vgl. Happ a.a.O., § 42 Rn. 93), jedoch ist vorliegend unter keinem denkbaren Gesichtspunkt eine Verletzung subjektiver Klägerrechte ersichtlich.
Eine subjektive, materielle Rechtsposition, die das Klagebegehren – Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII – tragen könnte, ist für das Gericht nicht erkennbar. Anspruchsberechtigt nach nach § 35a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sind das jeweilige Kind bzw. der jeweilige Jugendliche, nicht hingegen die Eltern bzw. die Personensorgeberechtigten. Da der Anspruch den Kindern und Jugendlichen zusteht, kann die Klägerin allenfalls als gesetzliche Vertreterin ihrer 13-jährigen Tochter handeln (vgl. Wiesner, SGB VIII, 4. Aufl. 2011, § 35a, Rz. 29). Die Klage wurde aber ausschließlich im eigenen Namen und nicht – zumindest auch – im Namen und in Vertretung ihrer Tochter erhoben.
Eine Klagebefugnis der Klägerin folgt auch nicht unmittelbar Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG (BayVGH, U.v. 13.3.2003 – 12 B 99.2992 – juris; OVG Lüneburg, B.v. 14.8.2012 – 4 LA 203.12 – juris).
III.
Soweit die Klägerin den Aufwendungsersatz auf §§ 27, 34 SGB VIII (i.V.m. § 36a Abs. 3 SGB VIII) stützt, ist Klage zwar zulässig, aber unbegründet.
1. Die Klage ist als Untätigkeitsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 3 VwGO statthaft. Sie ist gemäß § 75 Satz 1 VwGO zulässig, da bislang ohne zureichenden Grund in angemessener Frist (vgl. § 75 Satz 2 VwGO) über den Widerspruch vom 13.04.2016 nicht entschieden wurde. Insbesondere stellt das Vorbringen der Beklagten, sie habe den Vorgang der Widerspruchsbehörde nicht vorlegen können, da sich die Unterlagen noch beim Verwaltungsgericht im Verfahren B 3 K 16.142 befunden haben, keinen zureichenden Grund für die Verzögerung dar.
2. Die insoweit zulässige Klage ist jedoch unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Übernahme bzw. Bezuschussung der Kosten für die Unterbringung ihrer Tochter … im „Landheim …“ vom 30.11.2014 bis zum 31.12.2016 (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Gem. § 36a Abs. 1 SGB VIII trägt der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Kosten für Hilfe zur Erziehung gem. §§ 27, 34 SGB VIII grundsätzlich nur dann, wenn sie auf der Grundlage seiner Entscheidung nach Maßgabe des Hilfeplans unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts erbracht wird. Werden Hilfen zur Erziehung abweichend von § 36a Abs. 1 SGB VIII vom Leistungsberechtigten selbst beschafft, so ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe nach § 36a Abs. 3 SGB VIII zur Übernahme der erforderlichen Aufwendungen nur verpflichtet, wenn der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat, die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorlagen und die Deckung des Bedarfs bis zu einer Entscheidung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe über die Gewährung der Leistung oder bis zu einer Entscheidung über Rechtsmittel nach einer zu Unrecht abgelehnten Entscheidung keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat.
§ 36a Abs. 3 SGB VIII regelt damit den Anspruch auf Aufwendungsersatz nach Selbstbeschaffung von Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe ohne vorherige positive Entscheidung über die Hilfegewährung durch den Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Voraussetzung hierfür ist ein „Systemversagen“, also dass die selbstbeschaffte Leistung nicht rechtzeitig erbracht oder zu Unrecht abgelehnt wurde. Der Anspruch auf eine Leistung nach §§ 27 ff. SGB VIII (Primäranspruch) wandelt sich bei zulässiger Selbstbeschaffung in einen Anspruch auf Erstattung der Kosten um (vgl. Wiesner in SGB VIII, 4. Auflage 2011, § 36a, Rz. 42 ff.).
Die Voraussetzungen des § 36a Abs. 3 SGB VIII liegen bezüglich der von der Klägerin selbstbeschafften Internatsunterbringung nicht vor.
a) Vorliegend hat die Kammer bereits erhebliche Bedenken, ob die Klägerin die Beklagte vor Unterbringung ihrer Tochter im Landheim … über den Hilfebedarf im Sinne des § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII (rechtzeitig) in Kenntnis gesetzt hat.
Laut Aktenlage (Bl. 7 der Jugendhilfeakte) hat sich die Klägerin erstmals mit E-mail vom 02.07.2015 bei der Beklagten nach den Voraussetzungen für die Bezuschussung der – seit 30.11.2014 erfolgten – Internatsunterbringung erkundigt. Am 09.07.2015 erfolgte ein Telefongespräch. Mit Schreiben vom 18.08.2017 beantragte die Klägerin sodann schriftlich die Bezuschussung des Internatsbesuchs. Auch aus der im Klageverfahren vorgelegten Stellungnahme der fallzuständigen Sozialpädagogin vom 29.12.2016 ergeben sich keine Anhaltspunkte, dass die Klägerin die Beklagte vor dem 02.07.2016 über die Unterbringung ihrer Tochter seit dem 30.11.2014 im Landheim … in Kenntnis gesetzt hat. Die Klägerin trägt hingegen im Klageverfahren vor, bereits im November 2014 – anlässlich einer anonymen Meldung wegen Vernachlässigung ihrer Tochter – der Jugendamtsmitarbeiterin Frau K … mitgeteilt zu haben, dass ihre Tochter zum 01.12.2014 im Internet angemeldet sei. Im Januar 2015 habe es sodann erstmals telefonischen Kontakt mit Frau L … vom Jugendamt wegen einer Förderung der Internatsunterbringung gegeben.
Zwar setzt die Kenntnis des Jugendamts vom Hilfebedarf nach § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII keinen förmlichen Antrag voraus. Es bedarf jedoch einer eindeutigen Willensbekundung des Leistungsberechtigten Hilfe für Erziehung in Anspruch nehmen zu wollen. Diese Bekundung kann schriftlich oder mündlich erfolgen oder sich konkludent aus dem Zusammenhang des Beratungskontakts ergeben. Ggf. hat das Jugendamt darauf hinzuwirken, dass das Hilfebegehren vom Leistungsberechtigten konkretisiert und spezifiziert wird (vgl. Meysen in: Münder/Meysen/Trenczek, SGB VIII, 6. Aufl. 2009, § 36a, Rz. 41; Wiesner a.a.O., § 36a, Rz. 44). Greift der Leistungsberechtigte zur „Selbstbeschaffung“, so trägt er im Nachhinein das Risiko, dass die Voraussetzungen des Aufwendungsersatzanspruches des § 36a Abs. 3 SGB VIII nachzuweisen sind. Ihn trifft insbesondere die Beweislast für die Umstände wegen derer davon auszugehen ist, dass der Träger der öffentlichen Jugendhilfe Kenntnis vom Hilfebedarf hatte (Meysen a.a.O., § 36a, Rz. 56).
b) Unabhängig von der Frage, wann die Klägerin die Beklagte von der Unterbringung ihrer Tochter im Landheim … letztlich ordnungsgemäß in Kenntnis gesetzt hat und unabhängig davon, dass die Beklagte jedenfalls im Juli/August 2015 von den – in Zeitabschnitten teilbaren Unterbringungskosten (vgl. dazu VG Aachen, U.v. 28.7.2014 – 2 K 1679/12 – juris) – wusste, scheitert der Aufwendungsersatzanspruch nach § 36a Abs. 3 SGB VIII jedenfalls daran, dass die materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen für eine Unterbringung im Landheim … nicht vorliegen (vgl. § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII).
Gem. § 27 Abs. 1 SGB VIII hat ein Personensorgeberechtigter bei der Erziehung eines Kindes oder eines Jugendlichen Anspruch auf Hilfe zur Erziehung, wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist. Eine dem Wohl des Kindes oder Jugendlichen entsprechende Erziehung ist dann nicht gewährleistet, wenn ein erzieherischer Bedarf (Erziehungsdefizit) des Kindes im Einzelfall vorliegt und diese Mängellage durch die Erziehungsleistung der Eltern nicht behoben wird, d.h. es muss sich um einen objektiven Ausfall von Erziehungsleistungen der Eltern/Personensorgeberechtigten handeln (vgl. VG Aachen a.a.O.). Selbst wenn vorliegend davon auszugehen ist, gilt es zu beachten, dass sich Art und Umfang der Hilfe nach dem erzieherischen Bedarf im Einzelfall richten (§ 27 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII). Dem Jugendamt steht insoweit ein Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu, der vom Verwaltungsgericht nur eingeschränkt überprüfbar ist. Die verwaltungsgerichtliche Überprüfung hat sich dabei darauf zu beschränken, ob allgemein gültige fachliche Maßstäbe beachtet, keine sachfremden Erwägungen eingeflossen sind und die Leistungsadressaten in umfassender Weise beteiligt worden sind (vgl. VG Aachen a.a.O. m.w.N.).
Mit fachlichen Stellungnahmen vom 04.03.2016 (Bl. 48 der Jugendhilfeakte) bzw. 16.09.2016 (Bl. 93/94 der Jugendhilfeakte) hat die Beklagte wiederholt festgestellt, dass es der Klägerin hauptsächlich um die schulische Förderung ihrer Tochter geht. Eine stationäre Hilfegewährung bzw. ein jugendhilferechtlicher Bedarf für eine Heimerziehung konnte nicht festgestellt werden. Für die Kammer ist dabei nicht ersichtlich, dass die Behörde insoweit die Grenzen ihres Beurteilungsbzw. Ermessensspielraums unterbzw. überschritten hat, insbesondere da die von der Klägerin vorgenommene Selbstbeschaffung (vollstationäre Unterbringung) eine der kostenträchtigsten und intensivsten Maßnahmen der Hilfe zur Erziehung beinhaltet. Auch die Kammer vermag nicht zu erkennen, dass aufgrund – eines unterstellten – Erziehungsdefizits sogleich eine Internatsunterbringung auf Kosten der Allgemeinheit notwendig ist.
Nichts anderes ergibt sich aus dem Umstand, dass Anfang Dezember 2015 bekannt geworden ist, dass die Tochter der Klägerin bei einem Camping-Urlaub im Jahr 2013 sexuell missbraucht worden sein soll. Infolgedessen schlägt nunmehr der Dipl.-Psychologe … mit Stellungnahme vom 27.12.2016 eine Maßnahme der Eingliederungshilfe gem. § 35a SGB VIII vor. Unabhängig davon, dass ein Anspruch auf Eingliederungshilfe allenfalls der Tochter und nicht der Klägerin zusteht (s.o.), erfüllt die von der Klägerin vorgelegte Einschätzung des Dipl.-Psychologen vom 27.12.2016 nach Überzeugung des Gerichts schon formal nicht die Anforderungen einer Stellungnahme nach § 35a Abs. 1a SGB VIII (vgl. dazu Meysen a.a.O. § 35a, Rz. 45 ff.). Die äußerst dürftige „Stellungnahme“ (knapp eine DIN A4 Seite) resultiert im Wesentlichen aus Behauptungen und einem Therapievorschlag (Internatsbeschulung mit ausreichend strukturierten Setting). Dabei ist für das Gericht nicht ersichtlich, wie durch die Unterbringung der Tochter der Klägerin in einem Internat das im Raum stehende Trauma bewältigt werden soll. Weiterhin empfiehlt der Psychotherapeut eine Traumatherapie (finanziert durch die Krankenkasse). Warum neben einer Traumatherapie zur Behandlung der sexuellen Übergriffe eine zusätzliche Unterbringung und Beschulung der Tochter der Klägerin im Internat im Rahmen des § 35a SGB VIII bzw. der §§ 27, 34 SGB VIII erforderlich sein soll, erschließt sich für das Gericht aufgrund der vorliegenden Unterlagen nicht.
Nach alledem hat die Klägerin keinen Anspruch auf Erstattung bzw. Bezuschussung der Internatskosten nach §§ 27, 34 SGB VIII bzw. § 35a SGB VIII.
IV.
Die Kostenentscheidung ergibt aus § 154 Abs. 1, § 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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