Familienrecht

Keine eine Aufenthaltserlaubnis begründende elterliche Sorge vor dem Geburtszeitpunkt

Aktenzeichen  B 4 K 16.472

Datum:
12.12.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 31 Abs. 4 S. 2
BGB BGB § 1626a Abs. 1

 

Leitsatz

Erst ab dem Geburtszeitpunkt nach § 1626a Abs. 1 BGB entsteht die elterliche Sorge, welche einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG begründet (vgl. OVG Greifswald BeckRS 2012, 56529). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt …, wird abgelehnt.
2. Das Verfahren wird eingestellt.
3. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
4. Der Streitwert wird auf 7.500 EUR festgesetzt.

Gründe

1. Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten für die Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bzw. hilfsweise eine entsprechende Bescheidungsklage und die Verpflichtungsklage. auf Erteilung einer Duldung bzw. hilfsweise eine entsprechenden Bescheidungsklage wird abgelehnt. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO liegen nicht vor, weil die Rechtsverfolgung nach der Sach- und Rechtslage zum für die Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag maßgeblichen Zeitpunkt keine hinreichende Aussicht auf Erfolg geboten hat.
a) Der Gewährung von Prozesskostenhilfe, die grundsätzlich für die Zukunft bewilligt wird, steht zwar nicht entgegen, dass beide Beteiligten das Klageverfahren übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, also eine weitere Rechtsverfolgung gerade nicht mehr beabsichtigt ist. Denn die Klägerin kann ihren Anspruch auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe ausnahmsweise weiterverfolgen und rückwirkend auf den Zeitpunkt der Antragstellung Prozesskostenhilfe erhalten, weil sie den Prozesskostenhilfeantrag rechtzeitig und vollständig vor dem Abschluss des Verfahrens gestellt hat, indem sie Klage erhoben, einen Prozesskostenhilfeantrag gestellt und am 03.11.2016 im Prozesskostenhilfeverfahren der Klagen auf die im Eilverfahren bereits vorgelegten Unterlagen verwiesen hat (vgl. BayVGH, B. v. 10.02.2016 – 10 C 15.849 – juris Rn. 2).
b) Die Rechtsverfolgung der Klägerin bot aber zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungs- oder Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrages keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Entscheidungsreif ist der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe erst dann, wenn die vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen vorliegen und das Gericht nach dem Sach- und Streitstand tatsächlich in der Lage ist zu beurteilen, ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung Aussicht auf Erfolg bietet. Dazu ist es insbesondere auch erforderlich, den Sachverhalt – soweit nötig – aufzuklären (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 118 Abs. 2 Satz 2 ZPO), und der Gegenseite gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 ZPO i. V. m. § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (BayVGH, a.a.O. Rn. 3).
Dementsprechend war der Prozesskostenhilfeantrag hier erst entscheidungsreif, als die Beklagte, nachdem ihr das Gericht die Klagebegründung am 04.11.2016 übermittelt hatte, in der Weise zur Klagebegründung erstmals Stellung genommen hatte, dass sie den Bescheid vom 07.11.2016 am gleichen Tag zur Kenntnis übersandte, mit dem der Klägerin eine Duldung bis 31.03.2017 erteilt worden war.
Da die Beklagte damit die mit der Klage begehrte Duldung ausgestellt hatte, war die Klage auf Erteilung der Duldung mangels allgemeinem Rechtsschutzbedürfnis bei Entscheidungsreife unzulässig und versprach keinen Erfolg (vgl. dazu BayVGH, a.a.O. Rn. 4).
Auch die zulässige Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hatte zum maßgeblichen Zeitpunkt keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Die Beklagte war zwar nicht gehindert, der Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis in Aussicht zu stellen, wenn sie nach der Geburt ihres Kindes, das über seinen deutschen Vater die deutsche Staatsangehörigkeit haben wird, eine Geburtsurkunde vorlegt und bestätigt, dass sie beabsichtigt, auf Dauer mit dem Kind zusammenzuleben.
Die Beklagte war jedoch zum einen nicht verpflichtet, ihr schon jetzt eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu erteilen. Eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG zur Ausübung der Personensorge für ein minderjähriges lediges deutsches Kind setzt voraus, dass der Ausländer die elterliche Sorge im Rechtssinne besitzt und tatsächlich ausübt. Wie sich aus der Anknüpfung an den Geburtszeitpunkt in § 1626 a Abs. 1 BGB ergibt, können Eltern zivilrechtlich die elterliche Sorge erst ab Geburt des Kindes innehaben und sie erst dann auch tatsächlich ausüben. Deshalb besteht erst ab diesem Zeitpunkt ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (OVG Greifswald, B. v. 6.07.2012… 2 M 111/12 – juris Rn. 9; Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 28 AufenthG Rn. 26).
Zum anderen hatte die Klägerin auch keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte ihre zunächst bis 11.07.2016 gültige, später dann auf 27.11.2015 verkürzte Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug als eigenständiges Aufenthaltsrecht gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG für ein Jahr verlängert.
Das Gericht kann, zumal im Prozesskostenhilfeverfahren, offen lassen, ob die Geltungsdauer dieses Aufenthaltsrechts bereits mit der endgültigen Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft am 01.04.2015 endete (so VG München, U. v. 21.06.2012 – M 12 K 12.1638 – juris Rn. 26 – 31), so dass weiter zu prüfen gewesen wäre, ob im Anschluss daran ab 01.04.2016 eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG zu erteilen war oder ob das eigenständige Aufenthaltsrecht erst im unmittelbarem Anschluss an das Ende der verkürzten Geltungsdauer der bisherigen Aufenthaltserlaubnis am 27.11.2015 (so OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 22.11.2013 – OVG 12 S. 103.13 – juris Rn. 3 – 5) entstand, so dass der Aufenthaltstitel gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 AufenthG erst am 27.11.2016 abgelaufen wäre.
Denn die Klage hätte nur Aussicht auf Erfolg gehabt, wenn auf das Vorliegen der dreijährigen Ehebestandsdauer verzichtet werden konnte, weil es der Klägerin als Opfer häuslicher Gewalt nicht mehr zuzumuten war, an der ehelichen Lebensgemeinschaft festzuhalten (§ 31 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG). Wie auch in der Klagebegründung (S.5) ausgeführt wird, wären, um die Erfolgsaussichten der Klage zu prüfen, eine umfangreiche Zeugenvernehmung und eventuell eidliche Vernehmung ihres getrennt lebenden Ehemanns erforderlich gewesen. Insbesondere auch dann, wenn wie hier die Hauptsache erledigt ist, bleibt es ist in einem Prozesskostenhilfeverfahren jedoch dabei, dass Zeugen nicht vernommen und nicht beeidigt werden (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 118 Abs. 2 Satz 3 ZPO; Fischer in Musielak/Voit, ZPO, 13. Aufl. 2016, § 118 Rn. 13f.). Auf der Grundlage der derzeit vorliegenden Erkenntnisse, auf die sich das Gericht deshalb bei der Sachverhaltsermittlung zu beschränken hat, kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin ausreichend glaubhaft gemacht hat, dass ihr als Opfer häuslicher Gewalt ein Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft mit Herrn D. über den 01.04.2015 hinaus unzumutbar war. Deshalb hat die auf § 31 Abs. 1 Satz 1 AufentG gestützte Verpflichtungsklage keine hinreichende Erfolgsaussicht.
Weitere Rechtsgrundlagen für einen zwingenden Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis oder zumindest für einen Anspruch auf erneute Bescheidung des Aufenthaltserlaubnisantrages sind nicht ersichtlich.
2. Nachdem die Beteiligten mit dem am 21.11.2016 und 03.12.2016 bei Gericht eingegangenen Erklärungen den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist durch Beschluss in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 VwGO das Verfahren einzustellen.
3. Gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist über die Kosten des Verfahrens unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. Billigem Ermessen entspricht es, die Kosten der Klägerin aufzuerlegen.
Bei der Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage hat das Gericht den bisherigen Sach- und Streitstand zugrunde zu legen und ist von der Verpflichtung entbunden, allein im Hinblick auf die offene Kostenentscheidung alle für eine abschließende Hauptsacheentscheidung sonst erforderlichen Feststellungen zu treffen und schwierige Rechtsfragen zu klären (Neumann in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 161 Rn. 84-86). Zu berücksichtigen ist weiter, ob die Behörde unter Aufgabe ihres bisherigen Rechtsstandpunktes nachgegeben hat und den begehrten Verwaltungsakt während des Gerichtsverfahrens erlassen hat. Das ist u.a. dann nicht der Fall, wenn sie nur auf eine Änderung der Sachlage oder nachträglichen Tatsachenvortrag reagiert (a.a.O. Rn. 100).
Die Verpflichtungs- bzw. Bescheidungsklage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hatte, wie ausgeführt, unmittelbar vor dem erledigenden Ereignis, das hinsichtlich dieser Klage darin zu sehen ist, dass die Beklagte am 07.11.2016 der Klägerin nach der Geburt ihres Kindes bei Vorlage entsprechender Unterlagen eine Aufenthaltserlaubnis in Aussicht gestellt hat, keine Aussicht auf Erfolg.
Was die Verpflichtungs- bzw. Bescheidungsklage betreffend die Duldung angeht, hat die Beklagte zwar am 07.11.2016 eine Duldung erteilt. Sie hat damit aber nicht ihren bisherigen Rechtsstandpunkt geräumt. Vielmehr hat sie nur darauf reagiert, dass die Klägerin das von der Beklagten bereits am 04.07.2016 eingeforderte Vaterschaftsanerkenntnis, das am 30.09.2016 beim Jugendamt der Beklagten erstellt worden war, nunmehr am 09.10.2016 vorgelegt hatte, so dass sie nach der in zwei Monaten zu erwartenden Geburt ihres Kindes, einen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis geltend machen kann.
4. Der Streitwert für den Antrag auf Aufenthaltserlaubnis (§ 63 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 2 GKG, Ziff. 8.1. Streitwertkatalog 2013) beträgt 5.000 EUR, der Streitwert für den Antrag auf Duldung (§ 63 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 2 GKG, Ziff. 8.3 Streitwertkatalog) 2.500 EUR. Da die Streitgegenstände jeweils einen eigenen materiellen Gehalt haben, werden sie addiert (§ 39 Abs. 1 GKG, Ziff. 1.1.1.Streitwertkatalog 2013).

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