Familienrecht

Keine Entscheidungsübertragung zur Beauftragung eines Rechtsanwaltes mit der Vertretung eines Kindes in einer Kindschaftssache bei bereits bestehender Verfahrensbeistandschaft

Aktenzeichen  16 UF 454/17

Datum:
26.6.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 150257
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 1629 Abs. 2 S. 3, § 1671, § 1796
FamFG § 158 ABS. 2 Nr. 5

 

Leitsatz

Die Übertragung der alleinigen Entscheidungsbefugnis hinsichtlich der Anwaltsbeauftragung zur Vertretung eines Kindes in einem Umgangsverfahren auf einen mitsorgeberechtigten Elternteil stellt einen unverhältnismäßigen Eingriff in die elterliche Sorge des anderen Elternteils dar, wenn das Amtsgericht in dem Umgangsverfahren bereits nach § 158 Abs. 2 Nr. 5 FamFG einen Verfahrensbeistand bestellt hat (Fortführung BGH BeckRS 2011, 23922).  (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

002 F 28/17 2017-03-10 Bes AGLANDAUADISAR AG Landau

Tenor

1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Landau a.d. Isar vom 10.3.2017 wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsteller.
3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000.– € festgesetzt.
4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten parallel zu einem laufenden Verfahren wegen Umgangsregelung um die Frage, ob dem Antragsteller die alleinige elterliche Sorge für zwei gemeinsame Kinder insoweit zu übertragen ist, dass er in Umgangs- und sorgerechtlichen Verfahren zwischen den Elternteilen für die Kinder einen eigenen anwaltlichen Vertreter beauftragen kann.
Die Beteiligten D… S… und O… S… waren von 2004 bis 2014 miteinander verheiratet. Die Ehe wurde rechtskräftig geschieden. Aus der Ehe sind die drei Kinder M… S… geb. am 02.03.2004, L… A… S…, geb. am 21.02.2007 und N… S… geb. am 11.08.2008 hervorgegangen. Seit der Trennung im Jahr 2011 leben die Kinder … und … beim Vater und N… S… bei der Mutter.
Die Beteiligte D… S… beantragte in dem parallel geführten Verfahren vor dem Amtsgericht Landau a.d. Isar wegen Umgangsregelung, Az. 2 F 179/16, mit Schriftsatz vom 01.04.2016, den Umgang mit den Kindern M… und L… dahingehend zu regeln, dass sie berechtigt sein sollte, einen begleiteten Umgang im dreiwöchigen Turnus von jeweils 3 Stunden auszuüben, wobei der Kontakt auf Empfehlung des Jugendamtes bzw. der Umgangsbegleitung entsprechend auszuweiten sei.
Der Beteiligte Ch… S… beantragte die Zurückweisung des Antrags. Mit Schriftsatz vom 19.04.2016 beantragte der Beteiligte C… den Kindern M… und L…-A… Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen und den Kindern Rechtsanwalt M… G… von M…, G… als anwaltlichen Vertreter beizuordnen.
Mit Beschluss vom 03.05.2016 bestellte das Amtsgericht Landau a.d. Isar für die Kinder M… S… und … A… S… Herrn U… D… zum Verfahrensbeistand.
Mit Schriftsatz vom 28.06.2016 teilte Rechtsanwältin B… mit, dass diesseits anwaltlich vertreten werden die beiden Kinder M… und L… A… S… beide gesetzlich vertreten durch den Kindesvater Ch… S… zur Geltendmachung von Verfahrenskostenhilfe. Namens und im Auftrag der beiden Kinder werde Beschwerde eingelegt gegen die Entscheidung des Amtsgerichts – Familiengericht – Landau, mit folgendem Antrag:
„Die Entscheidung des Amtsgerichts – Familiengericht – Landau a.d. Isar, durch Untätigkeit und Versagung einer Entscheidung, somit unter Versagung eines zustehenden Rechtsschutzes, unter Verletzung des Art. 6 Europäische Menschenrechtskonvention, den beiden Antragstellern Verfahrenskostenhilfebewiligung zu versagen, die anwaltliche Beiordnung der Rechtsanwaltskanzlei M… G… on versagen, wird aufgehoben. Den beiden Antragstellern wird Verfahrenskostenhilfe bewilligt für die Vertretung ihrer Rechte als Betroffene in dem Verfahren der Frau D… S… gegen C… S…, Az. 2 F 179/16, des Amtsgerichts – Familiengericht – Landau/Isar unter Beiordnung des Rechtsanwaltes M… J… O… von M…“
Das Oberlandesgericht München hat die Beschwerde mit Beschluss vom 19.9.2016, Az. 16 WF 962/16, verworfen. Die Entscheidung wurde im wesentlichen damit begründet, dass die von Frau Rechtsanwältin B… vorgelegte Vollmacht vom 14.04.2016 nur von dem Vater der Kinder erteilt worden sei. Es bestehe keine Alleinsorge des Vaters. Im Falle der gemeinsamen elterlichen Sorge würden die Eltern ihre Kinder nach § 1629 Abs. 1 Satz 2 BGB gemeinschaftlich vertreten, wenn nicht ausnahmsweise ein Fall des Alleinvertretungsrechts vorliege, was hier nicht ersichtlich sei. Eine wirksame Vollmacht könnten somit nur beide Elternteile gemeinschaftlich erteilen.
Daraufhin leitete der Beteiligte Ch… S… mit Schriftsatz seiner anwaltlichen Vertreterin vom 11.1.2017 das vorliegende Verfahren ein. Er beantragt, ihm für die Kinder M… S… und L… A… S… die alleinige elterliche Sorge zu übertragen für die Regelung der Beauftragung eines eigenen anwaltlichen Vertreters in jeglichen sorgerechtlichen und umgangsrechtlichen Verfahren zwischen dem Kindsvater, bei dem die Kinder leben, und der Kindesmutter.
Das Amtsgericht wies den Antrag mit Beschluss vom 10.3.2017 zurück.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde des Antragstellers vom 30.3.2017, mit der er sein ursprüngliches Ziel weiter verfolgt.
Das Verfahren des Amtsgericht Landau a.d. Isar, Az. 2 F 179/16, ist noch im ersten Rechtszug anhängig und nicht abgeschlossen.
II.
Die Beschwerde ist nach §§ 58 Abs. 1, 63 Abs. 1 FamFG zulässig. Sie ist in der Sache nicht begründet.
Die Frage, in welcher Weise minderjährige Kinder in Kindschaftssachen, die sie selbst betreffen, vertreten sein können, wurde nur teilweise gesetzlich geregelt, insbesondere in den folgenden Vorschriften:
Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 FamFG gelten Kinder ab 14 Jahre als verfahrensfähig. Damit benötigen sie keine Vertretung durch die Eltern, um Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Sie können auch selbst einen Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts stellen (MüKoFamFG/Schumann, 2. Aufl. 2013, FamFG § 158 Rz. 15).
§ 158 FamFG regelt die Bestellung eines Verfahrensbeistands, der das Interesse des Kindes festzustellen und im gerichtlichen Verfahren zur Geltung zu bringen hat (§ 158 Abs. 4 Satz 1 FamFG).
Nach § 158 Abs. 5 FamFG soll die Bestellung eines Verfahrensbeistands unterbleiben oder aufgehoben werden, wenn die Interessen eines Kindes von einem Rechtsanwalt oder einem anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten angemessen vertreten werden. Das Kriterium der Angemessenheit soll verhindern, dass Eltern die gerichtliche Bestellung eines unabhängigen Interessenvertreters dadurch umgehen, dass sie einen Vertreter damit beauftragen, die Interessen des Kindes in einer bestimmten, ihren eigenen Interessen entsprechenden Weise wahrzunehmen (MüKoFamFG a.a.O., FamFG § 158 Rz. 15; Musielak/Borth/Grandel/Borth, 5. Aufl. 2015, FamFG § 158 Rz. 19).
Das FamFG sieht die Bestellung eines Verfahrensbeistands demnach gegenüber der Vertretung des Kindes durch einen Rechtsanwalt als grundsätzlich subsidiär an (vgl. OLG Stuttgart vom 20.1.2014, Az. 11 WF 271/13). Dies gilt dann nicht, wenn einem Rechtsanwalt ein Auftrag primär zur Durchsetzung elterlicher Interessen anstelle der Kindesinteressen erteilt wurde.
Ein Rechtsanwalt kann im wesentlichen folgendermaßen beauftragt werden:
Auf unmittelbares Betreiben eines bereits selbst verfahrensfähigen, also mindestens 14 Jahre alten, Kindes;
durch übereinstimmende Entscheidung zweier Elternteile, denen die gemeinsame elterliche Sorge zusteht (§§ 9 Abs. 2 FamFG, 1629 Abs. 1 Satz 1, 2 BGB);
aufgrund der Entscheidung eines jedenfalls im Hinblick auf die Verfahrensführung für das Kind allein sorgeberechtigten Elternteils.
Die letztere Fallvariante ist weniger problematisch, wenn einem Elternteil die elterliche Sorge unabhängig von dem laufenden kindschaftsrechtlichen Verfahren bereits allein zusteht. Problematisch ist die Konstellation des vorliegenden Falles, in dem den Eltern die gemeinsame elterliche Sorge zusteht, keine Einigung über eine Anwaltsbeauftragung erzielt werden kann und deshalb während des laufenden kindschaftsrechtlichen Verfahrens ein Elternteil – sei es nach § 1671 BGB oder nach § 1628 BGB – die alleinige Entscheidungs- und Vertretungsberechtigung zur Beauftragung eines Rechtsanwalts für das Kind anstrebt.
Die ober- und höchstrichterliche Rechtsprechung hat einen solchen Fall – soweit ersichtlich – bisher nicht entschieden. Der Bundesgerichtshof hat sich aber mit der Frage der Vertretung eines minderjährigen Kindes im Kindschaftsverfahren in seinem Beschluss vom 7.9.2011, Az. XII ZB 12/11 befasst:
In der Entscheidung ging es um gemeinsam sorgeberechtigte Eltern, deren Kind mit Zustimmung der Mutter im Haushalt des Vaters lebte. Die Mutter strebte einen Aufenthaltswechsel in ihren Haushalt an. Das Amtsgericht ordnete eine Ergänzungspflegschaft für das Kindschaftsverfahren an und bestellte das Jugendamt als Ergänzungspfleger.
Der BGH ging von einer Entziehung der Vertretung gegenüber den Eltern nach §§ 1629 Abs. 2 Satz 3, 1796 BGB aus und sah einen erheblichen Gegensatz zwischen den Interessen der Eltern und des Kindes. Dennoch hob der BGH die Anordnung der Ergänzungspflegschaft auf. Die Bestellung eines Verfahrensbeistands sei als milderes Mittel anzusehen, die eine Entziehung der elterlichen Vertretungsbefugnis und die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft entbehrlich mache. Die Wahrnehmung der Kindesinteressen sei die originäre Aufgabe des Verfahrensbeistands. Das Rechtsinstitut sei unter dem Stichwort „Anwalt des Kindes“ eingeführt worden. Der Gesetzgeber habe den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine wirksame Vertretung der Kindesinteressen durch dieses Institut Genüge getan.
Der Senat ist der Auffassung, dass die im o.g. Beschluss des BGH entwickelten Rechtsgedanken auf den vorliegenden Fall zu übertragen sind. Eine Übertragung der alleinigen Entscheidungsbefugnis hinsichtlich der Anwaltsbeauftragung für ein Kind auf einen Elternteil stellt zwangsläufig einen Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte elterliche Sorge des anderen Elternteils dar. Grundrechtseingriffe dürfen ausnahmslos nur dann erfolgen, wenn kein milderes Mittel zur Verfügung steht, um den angestrebten Zweck zu erreichen. Der BGH hat entschieden, dass die Bestellung eines Verfahrensbeistands den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine wirksame Vertretung von Kindern in Kindschaftsverfahren genügt. Somit ist ein Eingriff in die elterliche Sorge der Mutter im vorliegenden Fall nicht zulässig, nachdem das Amtsgericht bereits zu Recht auf der Grundlage des § 158 Abs. 2 Nr. 5 FamFG einen Verfahrensbeistand bestellt hat.
Somit kommt es auf die weitere Frage, ob nicht das Interesse des Antragstellers im kindschaftsrechtlichen Verfahren in einem erheblichen Gegensatz zum Kindesinteresse steht (§§ 1629 Abs. 2 Satz 3, 1796 BGB) und daher eine Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge für verfahrensrechtliche Angelegenheiten dem Kindeswohl nicht entsprechen kann, nicht entscheidend an.
Soweit der Antragsteller ausführt, dass dem grundrechtlich geschützten Elternrecht der Mutter die Grundrechte der Kinder gemäß Art. 1 und Art. 2 GG gegenüber stehen, ist dies im Grundsatz sicherlich richtig. Im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden Grundrechte ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Bestellung eines Verfahrensbeistands den grundrechtlich geschützten Interessen der Kinder auf eine wirksame Geltendmachung ihrer Belange im kindschaftsrechtlichen Verfahren bereits genügend Rechnung trägt. Nach der Gesetzesbegründung zur Einführung des Verfahrenspflegers für Kinder nach § 50 FGG a.F. ist es von besonderer Bedeutung für die am Kindeswohl zu orientierende Entscheidung, dass die Interessen minderjähriger Kinder in einer Weise in das Verfahren eingebracht werden, die ihrer grundrechtlichen Position hinreichend Rechnung trägt. Zu diesem Zweck wurde die Möglichkeit zur Bestellung eines Verfahrenspflegers geschaffen (BT-Drucksache 13/4899, Seite 129). Mit Einführung des FamFG wurde der Verfahrenspfleger bei im wesentlichen identischer Rechtsstellung zum Verfahrensbeistand umbenannt. Somit ergibt sich auch aus der Gesetzesbegründung, dass die Bestellung eines Verfahrensbeistands der grundrechtlichen Position von Kindern im Verfahren hinreichend Rechnung trägt. Die Grundrechte der Kinder verlangen also nicht noch einen zusätzlichen Eingriff in das Elternrecht der Mutter, damit eine Anwaltsbeauftragung ermöglicht wird.
Der Senat hat über die Beschwerde ausnahmsweise ohne mündliche Anhörung der Beteiligten und der Kinder entschieden, §§ 68 Abs. 3 Satz 1, 160 Abs. 1 Satz 1 FamFG. Gegenstand der Beschwerde ist eine reine Rechtsfrage, so dass durch eine persönliche Anhörung keine nähere Aufklärung über die schriftsätzlich ausgetauschten Argumente hinaus erzielt werden kann.
III.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 84 FamFG.
IV.
Die Festsetzung des Verfahrenswerts für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus § 45 Abs. 1 Nr. … FamGKG.
V.
Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf § 70 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 FamFG. Der BGH hat über die vorliegende Fallkonstellation noch nicht entschieden. Die Frage, ob ein Elternteil die alleinige Entscheidungsbefugnis über die Beauftragung eines Rechtsanwalts für das Kind erhalten kann, obwohl bereits ein Verfahrensbeistand bestellt ist, hat grundsätzliche Bedeutung.

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