Familienrecht

Tenorberichtigung der Kostengrundentscheidung

Aktenzeichen  L 2 U 110/16 B

Datum:
29.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG SGG § 138, § 197a

 

Leitsatz

Wird in einem Verfahren nach § 197a SGG im Urteil keine Entscheidung über das Tragen der Gerichtskosten getroffen und zugleich ein Streitwert festgesetzt, erlaubt diese Widersprüchlichkeit des Tenors allein keine Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit nach § 138 SGG. (amtlicher Leitsatz)
Voraussetzung für eine Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit ist, dass für einen Außenstehenden ohne Weiteres und eindeutig ersichtlich ist, dass die Widersprüchlichkeit auf einem Fehler der Erklärung, nicht einer fehlerhaften Entscheidungsfindung oder Rechtsanwendung beruht, und dass erkennbar ist, welche Entscheidung tatsächlich getroffen, aber fehlerhaft erklärt worden ist. (amtlicher Leitsatz)
Ein Tenor-Berichtigungsbeschluss ist rechtswidrig, wenn die Berichtigung von Amts wegen ohne vorherige Anhörung der Beteiligten beschlossen wurde. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 44 KR 116/13 2016-03-10 Bes SGMUENCHEN SG München

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts München vom 10.03.2016 aufgehoben.

Gründe

I. Die Klägerin machte als Unfallversicherungsträger im Verfahren vor dem Sozialgericht München (SG) unter dem Az. S 44 KR 116/13 zunächst mit Klageschrift vom 10.01.2013 gegenüber der beklagten Krankenkasse von F.P. Erstattungsansprüche für Aufwendungen im Zusammenhang mit dessen Heilbehandlung in Höhe von 4.142,65 Euro geltend. Das SG forderte von der Klägerin einen vorläufigen Gerichtskostenvorschuss in Höhe von 339,- Euro auf Basis eines Streitwerts von 4.142,65 Euro. Mit Schriftsatz vom 13.10.2015 reduzierte die Klägerin ihre Klageforderung auf einen Betrag in Höhe von 2.693,55 Euro.
Nach mündlicher Verhandlung wies das SG mit Urteil vom 10.03.2016 die Klage mit folgendem verkündeten Tenor ab:
„I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
III.
Der Streitwert wird auf 4.142,65 Euro festgesetzt.“
Das SG erließ noch am Sitzungstag in Kammerbesetzung einen Beschluss mit folgender Abänderung von Ziffer II des Urteils in „II. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.“
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass im verkündeten Tenor des Urteils versehentlich anstelle der für Verfahren nach § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zwingend resultierenden Kostenfolge eine Kostenentscheidung unter Zugrundelegung des – hier nicht anwendbaren – § 193 SGG „ausgeworfen“ worden sei. Auf die Entscheidungsgründe des Urteils werde Bezug genommen. Dieser offensichtliche Fehler sei von Amts wegen nach § 138 SGG zu berichtigen. Die schriftliche Abfassung des Urteils enthält bereits die geänderte Kostenentscheidung entsprechend dem Berichtigungsbeschluss; in der Begründung zur Kostenentscheidung wird auf den Berichtigungsbeschluss Bezug genommen.
Am 29.03.2016 ist beim Bayerischen Landessozialgericht (LSG) die Beschwerde der Klägerin gegen den Berichtigungsbeschluss eingegangen. Die Klägerin habe der Beklagten ohnehin keine außergerichtlichen Kosten erstatten müssen. Die Unvollständigkeit des Kostenausspruchs hinsichtlich der Gerichtskosten rechtfertige keine Korrektur nach § 138 SGG. Die Beklagte hält den Beschluss für rechtmäßig; es habe sich um eine offenbare Unrichtigkeit gehandelt. Ausreichend sei, dass sich die Unrichtigkeit wie hier aus den später abgefassten Entscheidungsgründen ergebe.
II. Die Beschwerde gegen den Berichtigungsbeschluss ist gemäß § 172 SGG statthaft. Sie ist insbesondere nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 3 SGG oder nach § 197a Abs. 1 SGG i. V. m. § 158 Abs. 1 VwGO ausgeschlossen, weil sich die Beschwerde nicht gegen den Inhalt der Kostengrundentscheidung richtet, sondern gegen die Rechtmäßigkeit der Urteilsberichtigung (vgl. hierzu LSG NRW Beschluss vom 28.10.2015 – L 8 R 401/15 B – Juris RdNr. 10, BVerwG Beschluss vom 17.09.2007 – 8 B 30/07 – Juris RdNr. 7).
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist begründet.
Der Senat kann offenlassen, ob der Berichtigungsbeschluss schon deswegen aufzuheben ist, weil anstelle der gemäß § 138 Abs. 1 Satz 2 SGG zuständigen Vorsitzenden die Kammer entschieden hat (vgl. hierzu BSG im Beschluss vom 06.03.2012 – B 1 KR 43/11 B – Juris RdNr. 4). Der Berichtigungsbeschluss ist jedenfalls deswegen rechtswidrig und aufzuheben, weil die Berichtigung von Amts wegen ohne vorherige Anhörung der Beteiligten beschlossen wurde. Das Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG) immanente Anliegen, den Einzelnen nicht zum bloßen Objekt richterlicher Entscheidung werden zu lassen, gebietet im Berichtigungsverfahren nach § 138 SGG eine vorherige Anhörung der Beteiligten, außer wenn von der Berichtigung reine Formalien – wie Schreib- oder Rechenfehler – betroffen sind oder ein Eingriff in die Rechte der Beteiligten ausgeschlossen ist (vgl. BVerfG Beschluss vom 19.07.1972 – 2 BvR 872/71 – Juris RdNr. 19 ff.; Keller in Meyer-Ladewig /Keller /Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Auflage zu § 138 RdNr. 4). Durch den Berichtigungsbeschluss wurde aber in Rechte der Klägerin eingegriffen, denn sie wurde dem Grunde nach verpflichtet, die Gerichtskosten und – soweit erstattungsfähig – die Kosten der Beklagten zu tragen, während der verkündete Tenor regelte, dass keiner der Beteiligten Anspruch auf Erstattung seiner außergerichtlichen Kosten hat.
Nach Ansicht des Senats kann die vorgenommene Änderung des Urteilstenors außerdem nicht auf § 138 SGG gestützt werden. Gemäß § 138 SGG sind Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten im Urteil jederzeit von Amts wegen zu berichtigen. Bei der Unrichtigkeit darf es sich nicht um einen Fehler in der Willensbildung des Gerichts handeln, z. B. aufgrund unrichtiger Tatsachenwertung oder aufgrund Rechtsirrtums, denn die Berichtigung ist kein Mittel zur Änderung einer nachträglich als unrichtig erkannten Entscheidung (vgl. grundlegend BSG Urteil vom 15.10.1987 – 1 RA 57/85 -SozR 1500 § 164 Nr. 33). Berichtigungsfähig sind vielmehr ausschließlich die einem „mechanischen Versehen“ gleich zu achtenden Erklärungsmängel bzw. Fehler im Ausdruck des Willens, die zu dem Erklärungswillen erkennbar in Widerspruch stehen (vgl. BSG Beschluss vom 06.03.2012 – 1 KR 43/11 R – Juris RdNr. 5; BSG SozR 1500 § 164 Nr. 33). Erforderlich ist, dass die gewollte Entscheidung nicht mit dem übereinstimmt, was tatsächlich ausgesprochen wurde bzw. dass das Urteil nicht mit dem Ergebnis der Beratung übereinstimmt (vgl. Keller in M-L zu § 138 RdNr. 3).
Der Fehler im Ausdruck des Gewollten bzw. das Auseinanderfallen von Gewolltem und Erklärtem muss offenbar sein, also auf der Hand liegen und auch einem verständigen Außenstehenden ohne Weiteres aus der Entscheidung selbst oder aus den Vorgängen bei Erlass der Entscheidung klar erkennbar, eindeutig und augenfällig sein (vgl. Keller in M-L zu§ 138 RdNr. 3a; BSG SozR 1500 § 164 Nr. 33; vgl. BVerwG Beschluss vom 26.02.2013 – 5 B 100/12 – Juris RdNr. 2 zu § 118 VwGO). Schon die Möglichkeit eines Irrtums in der Entscheidungsfindung (z. B. unrichtige Tatsachenwertung, Rechtsirrtum) schließt die Möglichkeit einer Berichtigung aus (vgl. BSG SozR 1500 § 164 Nr. 33). Eine versehentliche Unvollständigkeit des Tenors kann berichtigt werden, wenn die Entscheidungsgründe klar ergeben, dass die Entscheidung so getroffen werden sollte, wie es der Berichtigungsbeschluss ausweist (vgl. Keller in M-L zu § 138 RdNr. 3c). Hat das Gericht den Ausspruch nicht vergessen, sondern über Kosten überhaupt nicht oder unvollständig entschieden, ist nach § 140 SGG vorzugehen (vgl. Keller ebenda). Dass eine Kostenentscheidung unbrauchbar ist, rechtfertigt auch bei offensichtlichen Rechtsfehlern keine weitergehende Korrekturmöglichkeit (vgl. so Keller in M-L zu § 138 RdNr. 3c m. w. N. zu abweichenden Meinungen).
Im vorliegenden Fall ist schon nicht erkennbar, ob der verkündete Kostenausspruch von der Kostenentscheidung abweicht, wie sie die Kammer zuvor beschlossen hatte. Dass nach Begründung des Berichtigungsbeschlusses versehentlich anstelle der zwingend resultierenden Kostenfolge eine Kostenentscheidung auf Grundlage einer hier unanwendbaren (also falschen) Rechtsgrundlage „ausgeworfen“ – gemeint wohl: verkündet – wurde, drückt nur aus, dass der verkündete Tenor in diesem Punkt rechtlich falsch ist. Die Formulierung legt dabei nahe, dass der verkündete Kostenausspruch auf einem Rechtsirrtum über die anzuwendende Rechtsgrundlage beruht und nicht auf einem Fehler der Erklärung. Aus den schriftlich abgefassten Urteilsgründen können hier keine Rückschlüsse auf die Willensbildung der Kammer vor Verkündung des Urteils gezogen werden, weil das Urteil erst nach Erlass des Berichtigungsbeschlusses schriftlich abgefasst worden ist und darin bereits auf den Berichtigungsbeschluss Bezug genommen wird.
Zwar erscheint der verkündete Urteilstenor für einen mit den Rechtsvorschriften des SGG vertrauten Außenstehenden widersprüchlich, weil einerseits keine Entscheidung über Gerichtkosten getroffen wird, andererseits aber die für die Gerichtskosten notwendige Streitwertfestsetzung erfolgt ist. Weder aus dem Urteilstenor noch aus weiteren Ausführungen in der Niederschrift lässt sich aber ohne Weiteres bzw. eindeutig entnehmen, ob Ziffer II oder Ziffer III des Tenors fehlerhaft ist. Ebenso unklar bleibt, ob der Widerspruch auf einem Fehler in der Erklärung beruht, also Gewolltes und Erklärtes auseinanderfallen, oder ob der Widerspruch auf einem Rechtsanwendungsfehler beruht (vgl. zur Voraussetzung eines Artikulationsfehlers BSG Beschluss vom 06.03.2012 – 1 B KR 43/11 B – Juris RdNr. 5 unter Aufhebung des Urteils des LSG Sachsen-Anhalt vom 16.03.2011 – L 4 KR 66/09 – Juris RdNr. 56).
Die vollständige Ersetzung von Ziffer II des verkündeten Urteilstenors im angegriffenen Beschluss kann auch nicht auf § 140 SGG gestützt werden, weil der dafür nötige Antrag eines Beteiligten auf Urteilsergänzung (vgl. dazu Keller in M-L zu § 140 RdNr. 3 m. w. N.) nicht vorlag.
Der Senat weist darauf hin, dass das SG in den schriftlichen Urteilsgründen bereits den Tenor des Berichtigungsbeschlusses übernommen hatte. Daher wird die Vorsitzende der zuständigen SG-Kammer im Nachgang zu diesem Senatsbeschluss, mit dem der Berichtigungsbeschluss aufgehoben wird, eine Berichtigung der Urteilsgründe nach § 138 SGG von Amts wegen zu prüfen haben, da der verkündete Urteilstenor von dem Tenor in der schriftlichen Abfassung des Urteils abweicht.
Einer Kostenentscheidung bedarf die Beschwerdeentscheidung nicht, weil der Berichtigungsbeschluss keinen eigenständigen Verfahrensabschnitt abschließt (vgl. Leitherer in M-L zu § 176 RdNr. 5a; zur fehlenden Selbstständigkeit Keller in M-L zu § 138 RdNr. 4; Wolff-Dellen in Breitkreuz /Fichte zu § 138 RdNr. 20).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Die Scheidung einer Ehe

War es bis vor etlichen Jahren noch undenkbar, eine Ehe scheiden zu lassen, so ist eine Scheidung heute gesellschaftlich akzeptiert. Die Zahlen der letzten Jahre zeigen einen deutlichen Trend: Beinahe jede zweite Ehe wird im Laufe der Zeit geschieden. Was es zu beachten gilt, erfahren Sie hier.
Mehr lesen