Aktenzeichen 28 W 1615/17
Leitsatz
1. Die angebliche oder tatsächliche Unrichtigkeit oder Lückenhaftigkeit einer sachverständigen Feststellung oder Bewertung kann grundsätzlich nicht die Besorgnis der Befangenheit begründen. (Rn. 11 und 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Tatrichter muss sich in einer Entscheidung über einen Befangenheitsantrag gegen einen Sachverständigen nicht mit jedem denkbaren Gesichtspunkt und jeder Behauptung ausdrücklich oder gar ausführlich auseinandersetzen, es muss sich nur aus den Gründen ergeben, dass eine sachgerechte Beurteilung überhaupt stattgefunden hat. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
5 O 2108/13 Bau 2017-09-15 Bes LGMUENCHENII LG München II
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des Landgerichts München II vom 15.09.2017, Az. 5 O 2108/13 Bau, wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 96.233, 87 € festgesetzt.
Gründe
I.
Gegenstand des Rechtsstreits sind Ansprüche der Klägerin auf Kostenvorschuss zur Mängelbeseitigung.
Mit Schriftsatz vom 26.04.2017 lehnte der Beklagte den Sachverständigen Dipl.-Ing. P. wegen Besorgnis der Befangenheit ab.
Dieser Antrag wurde mit Beschluss des Landgerichts München II vom 15.09.2017 zurückgewiesen.
Hiergegen legte der Beklagte mit Schriftsatz vom 05.10.2017 Beschwerde ein.
Das Landgericht München II half der – sofortigen – Beschwerde des Beklagten mit Beschluss vom 09.10.2017 unter Bezugnahme auf den Ausgangsbeschluss nicht ab.
II.
1. Die gemäß §§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 406 Abs. 5 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde ist in der Sache unbegründet.
Es liegen keinerlei Gründe vor, die geeignet sind, ein Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des vom Landgericht bestellten Sachverständigen Dipl.-Ing. P. zu rechtfertigen.
a) Nach §§ 406 Abs. 1 Satz 1, 42 Abs. 2 ZPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Für die Besorgnis der Befangenheit ist es nicht erforderlich, dass der vom Gericht beauftragte Sachverständige bei Gesamtbetrachtung (BGH NJW 1956, 271; OLG Dresden, Beschl. v. 25.1.2010 – 9 U 2258/05 – juris; OLG München, DAR 2014, 273 ff) parteiisch ist oder das Gericht Zweifel an seiner Unparteilichkeit hat. Vielmehr rechtfertigt bereits der bei der ablehnenden Partei erweckte Anschein der Parteilichkeit die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit. Dieser Anschein muss sich jedoch auf Tatsachen oder Umstände gründen, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (BGH IBR 2009, 53 m.w.N.); rein subjektive, unvernünftige oder eingebildete Vorstellungen des Ablehnenden scheiden aus (BVerfG NJW 1993, 2230 m.w.N.; BGH NJW-RR 2003, 1220; IBR 2009, 53 m.w.N.).
b) Vorliegend rechtfertigt das vom Beschwerdeführer beanstandete Verhalten des abgelehnten Sachverständigen die Annahme einer Befangenheit nicht.
aa) Die Auffassung des Beschwerdeführers, der Sachverständige stünde ihm nicht unvoreingenommen gegenüber, da er sich in seinem Gutachten vom 19.07.2016 und seinem Ergänzungsgutachten vom 09.03.2017 in Widerspruch zu seinen Feststellungen im Gutachten vom 07.11.2002 gesetzt habe, so dass entweder das damals oder das aktuell erstellte Gutachten falsch sein und der Sachverständige daher mit Schadensersatzansprüchen des Beklagten rechnen müsse, ist – vom Standpunkt eines vernünftigen Ablehnenden betrachtet – nicht zu rechtfertigen.
(1) Insoweit hat das Landgericht bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass die angebliche oder tatsächliche Unrichtigkeit einer sachverständigen Feststellung oder Bewertung grundsätzlich nicht im Wege einer Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit geltend gemacht werden kann. Denn die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit ist kein Mittel zur Fehlerkontrolle (vgl. BGH, MDR 2011, 1373; OLG München, Rpfleger 1980, 303; OLG Nürnberg, MDR 2002, 291; OLG Naumburg, OLGR 2007, 376 [377]; OLG Saarbrücken, OLGR 2007, 587; OLG Köln, Beschl. v. 26.7.2007 – 2 W 58/07 –, juris; OLG München, DAR 2014, 273 ff). Solche Einwände sind im Wege des § 411 Abs. 4 ZPO durch schriftliche Ergänzung des Gutachtens oder durch Befragung des Sachverständigen in mündlicher Verhandlung (OLG München, DAR 2014, 273 ff) oder durch Erholung eines weiteren Gutachtens gemäß §§ 404, 408 Abs. 1 Satz 2, 412 ZPO (OLG Frankfurt BauR 1995, 133) zu berücksichtigen.
(2) Diese Grundsätze gelten zwar nicht uneingeschränkt, bei einer Häufung schwerwiegender sachlicher Mängel kann Befangenheit gegeben sein (OLG Karlsruhe MDR 2010, 230; OLG München, a.a.O.). Derartige Mängel sind bei vernünftiger Betrachtung vorliegend jedoch nicht gegeben, insbesondere fehlt es schon an der Häufung schwerwiegender sachlicher Mängel. Der Beschwerdeführer stützt sich selbst insoweit nur darauf, dass der Sachverständige mangels Erstellung einer Bauwerksdiagnose die Sanierungskosten wohl zunächst zu niedrig angegeben habe (Schriftsatz vom 26.04.2017, S. 3 = Bl. 263 d.A.; Schriftsatz vom 05.10.2017, S. 2 = Bl. 278 d.A.).
Der Beklagte übersieht zudem, dass der Sachverständige sich zu dem Einwand der Widersprüchlichkeit seines Gutachtens im Beweisverfahren und seinem Gutachten im vorliegenden Verfahren in der ergänzenden Stellungnahme vom 09.03.2017 sachlich erklärt hat.
bb) Die Kritik des Beschwerdeführers, das Landgericht habe die aufgezeigten Widersprüche in den Gutachen des Sachverständigen in seiner Entscheidung nicht hinreichend gewertet, ist nicht zielführend. Die offensichtlich vorliegende Rechtsauffassung, das Ablehnungsverfahren diene der inhaltlichen Auseinandersetzung mit einem Gerichtsgutachten, ist, wie oben bereits ausgeführt, abzulehnen. Das Erstgericht, und dies gilt bereits für den angegriffenen Ausgangsbeschluss des Landgerichts, musste daher zu den die Befangenheit begründenden Ausführungen, der Sachverständige habe mangels Erstellung einer Bauwerksdiagnose die Sanierungskosten wohl zunächst zu niedrig angegeben, so dass entweder das damals oder das zuletzt erstellte Gutachten falsch sei, nicht im Einzelnen Stellung nehmen. Der Tatrichter muss nur die für seine Überzeugungsbildung leitenden Gründe angeben. Es muss erkennbar werden, dass der Parteivortrag erfasst und in Betracht gezogen wurde.
Dies ist hier der Fall. Der Tatrichter muss sich aber selbst in einem Urteil (geschweige im Befangenheitsverfahren) nicht mit jedem denkbaren Gesichtspunkt und jeder Behauptung ausdrücklich oder gar ausführlich auseinandersetzen (RGZ 156, 314 [315]; BGHZ 3, 162 [175]; BGH NJW 1987, 1557 [1558]; BAG NZA 2003, 483 [484]), erforderlich ist nur, dass sich aus den Gründen ergibt, dass eine sachgerechte Beurteilung überhaupt stattgefunden hat (BGH a.a.O.; ferner BGH NJW 1994, 3295).
cc) Soweit der Beschwerdeführer eine Befangenheit damit begründen will, der Sachverständige habe auch in seinem Ergänzungsgutachten gezielt gestellte Fragen „umschifft“ und nicht wirklich zu beantworten versucht, ist ein Befangenheitsgrund nicht ersichtlich. Auch hier greift der Beschwerdeführer in Wirklichkeit die sachverständigen Feststellungen inhaltlich als nicht ausreichend an. Lücken oder Unzulänglichkeiten im schriftlichen Gutachten rechtfertigen für sich allein jedoch nicht die Ablehnung eines gerichtlichen Sachverständigen wegen Befangenheit, weil dessen Unparteilichkeit dadurch nicht in Frage gestellt wird (BGH, NJW-RR 2011, 1555).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 101 ZPO.
Der Beschwerdewert wurde im konkreten Fall gemäß § 3 ZPO auf 1/3 des vorläufigen Hauptsachestreitwerts festgesetzt (BGH, Beschluss vom 15.12.2003, II ZB 32/03, – juris –; OLG München, MDR 2010, 1012; OLG Düsseldorf OLGR 2009, 334).