Familienrecht

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus

Aktenzeichen  4 T 1241/19, 4 T 1242/19

Datum:
23.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 44392
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 1906 Abs. 1 Nr. 1
FamFG § 68 Abs. 3 S. 2

 

Leitsatz

1. Nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist die freiheitsentziehende Unterbringung durch den Betreuer nur zulässig, wenn die Gefahr besteht, dass der Betroffene auf Grund einer psychischen Erkrankung oder geistigen oder seelischen Behinderung sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt; in diesem Zusammenhang müssen objektivierbare, konkrete Anhaltspunkte für eine akute Suizidgefahr oder den Eintritt eines erheblichen Gesundheitsschadens bestehen (so auch BGH BeckRS 2010, 1714). (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Unterbringung zur Verhinderung einer Selbstschädigung infolge psychischer Erkrankung setzt in verfassungskonformer Auslegung des Gesetzes weiter voraus, dass der Betroffene auf Grund der Krankheit seinen Willen nicht frei bestimmen kann (so auch BayObLG BeckRS 2000, 30146409). (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

11 XVII 567/19 2019-10-07 Bes AGANSBACH AG Ansbach

Tenor

1. Die sofortigen Beschwerden des Betreuten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Ansbach vom 17.09.2019 und 07.10.2019, dort jeweils Az. 11 XVII 567/19, werden zurückgewiesen.

Gründe

I.
Mit Beschluss vom 17.09.2019 hat das Amtsgericht Ansbach die Unterbringung des Betroffenen durch den Betreuer in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bzw. der beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung bis längstens 17.09.2020 genehmigt. Ferner hat das Amtsgericht Ansbach in diesem Beschluss die Einwilligung des Betreuers in folgende ärztliche Zwangsmaßnahmen vorläufig bis längstens 12.11.2019 genehmigt:
– Heilbehandlung – durch eine Depotbehandlung mit Haldol in einer Anfangsdosis von 50 mg, die Dosis kann dann alle 4 Wochen um 25 mg bis auf maximal 150 mg gesteigert werden
Ferner hat das Amtsgericht Ansbach mit Beschluss vom 17.09.2019 die vorläufige zeitweise oder regelmäßig erfolgende Freiheitsentziehung des Betreuten durch den Betreuer bis längstens 12.11.2019 durch Isolierung genehmigt, wobei sich der Durchführende vor und während der Maßnahme jeweils von der Unbedenklichkeit überzeugen muss, sich die Beschränkung immer nur auf das unbedingt erforderliche Maß erstrecken darf, eine schriftliche Aufzeichnung über Art und Dauer zu erstellen ist und das Personal für den Betreuten stets erreichbar sein muss.
Ferner hat das Amtsgericht Ansbach mit Beschluss vom 17.09.2019 die vorläufige freiheitsentziehende Maßnahme der Fünf-Punkt Fixierung durch den Betreuer nach Weisung des behandelnden Arztes bis längstens 12.11.2019 genehmigt, wobei sich der Arzt bzw. die Ärztin vor und während der Maßnahme von deren Unbedenklichkeit überzeugen muss, durch eine Eins zu Eins Betreuung durch therapeutisches oder pflegerisches Personal die Sicherheit des Betroffenen gewährleistet sein muss, sich die Beschränkung immer nur auf das unbedingt erforderliche Maß erstrecken darf und eine schriftliche Aufzeichnung der maßgeblichen Gründe der Maßnahme, ihrer Durchsetzung, Dauer sowie der Art der Überwachung zu erstellen ist.
Mit Beschluss vom 07.10.2019 hat das Amtsgericht Ansbach in Ergänzung des Beschlusses vom 17.09.2019 die Einwilligung des Betreuers in folgende ärztliche Zwangsmaßnahmen vorläufig bis längstens 12.11.2019 genehmigt:
– Haldol Dekanoat Injektion 14-tägig, Anfangsdosierung 100 mg, Steigerung möglich bis 150 mg im weiteren Verlauf, je nach Zustandsbild;
– Gabe von Diazepam intramuskulär bei einer täglichen Maximalgabe von 3 × 10 mg Mit Beschluss vom 17.09.2019 sowie 07.10.2019 wurde zudem Rechtsanwalt … als Verfahrenspfleger bestellt. Die sofortige Wirksamkeit der Entscheidungen wurde angeordnet. Der Betroffene wurde am 16.09.2019 und 26.09.2019 vom Amtsgericht Ansbach angehört.
Der Betroffene hat mit Telefax vom 09.10.2019, eingegangen bei Gericht am 09.10.2019 sowie mit Schreiben vom 09.10.2019, eingegangen bei Gericht am 11.10.2019, Beschwerde eingelegt. Das Amtsgericht hat den Beschwerden nicht abgeholfen.
II.
1. Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
a) Nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist die freiheitsentziehende Unterbringung durch den Betreuer nur zulässig, wenn auf Grund der psychischen Krankheit bzw. geistigen oder seelischen Behinderung des Betroffenen die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt. In diesem Zusammenhang müssen objektivierbare, konkrete Anhaltspunkte für eine akute Suizidgefahr oder den Eintritt eines erheblichen Gesundheitsschadens bestehen (BGH NJW-RR 2010, 291; 2010, 1370 (1370, 1371); OLG München BeckRS 2005, 11854). Nicht erfasst sind dagegen grundsätzlich Schäden oder Gefährdungen anderer Rechtsgüter als Leben und Gesundheit des Betroffenen, wie z. B. Vermögensschäden. Ferner muss die Ursache für die bestehende Selbstschädigungsgefahr in der psychischen Krankheit bzw. geistigen oder seelischen Behinderung des Betroffenen liegen. Hiermit soll klargestellt werden, dass Gesundheitsgefährdungen oder -schädigungen, die auch bei Nichtbetreuten üblich sind, keine freiheitsentziehende Unterbringung des Betroffenen rechtfertigen (BT-Drucks. 11/4528, S. 146). Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung setzt die Unterbringung zur Verhinderung einer Selbstschädigung infolge psychischer Erkrankung in verfassungskonformer Auslegung des Gesetzes weiterhin voraus, dass der Betroffene auf Grund der Krankheit seinen Willen nicht frei bestimmen kann (BayObLG, FamRZ 1993, 600; NJW-RR 1998, 1014 (1015); NJWE-FER 2001, 150 (150)).
b) § 1906 Abs. 1 bis 3 BGB gelten entsprechend, wenn dem Betreuten, der sich in einem Krankenhaus, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung aufhält, durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig die Freiheit entzogen werden soll (§ 1906 Abs. 4 BGB).
c) Gem. § 1906a BGB kann der Betreuer in einen ärztlichen Eingriff, der dem natürlichen Willen des Betroffenen widerspricht, nur dann einwilligen, wenn (1) die ärztliche Zwangsmaßnahme zum Wohl des Betroffenen notwendig ist um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden, (2) der Betroffene aufgrund einer psychischen Krankheit oder eine geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Maßnahme nicht erkennen kann oder nach dieser Einsicht handeln kann, (3) die ärztliche Zwangsmaßnahme dem nach § 1901a BGB zu beachtenden Willen des Betroffenen entspricht, (4) zuvor ernsthaft, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks versucht wurde den Betroffenen von der Notwendigkeit der Maßnahme zu überzeugen, (5) der drohende gesundheitliche Schaden durch keine andere den Betroffenen weniger belastende Maßnahme abgewendet werden kann, (6) der zu erwartende Nutzen der ärztlichen Zwangsmaßnahme die zu erwartende Beeinträchtigung deutlich überwiegt und (7) die ärztliche Zwangsmaßnahme im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus erfolgt, in dem die gebotene medizinische Versorgung des Betroffenen einschließlich einer erforderlichen Nachbehandlung sichergestellt ist.
2. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Ausweislich des psychiatrischen Gutachtens des Sachverständigen Dr. med. … vom 10.09.2019 liegt bei dem Betroffenen eine lange verlaufende kodifizierte schizophrene Psychose vor. Diese sei in den letzten Monaten akut exacerbiert, nachdem der Betroffene die Medikamente selbständig abgesetzt habe. Vorübergehend sei es zu einer leichten Besserung gekommen, nachdem der Betroffene kurzfristig bereit gewesen sei, Medikamente einzunehmen. Seit Ende August werde die Medikamenteneinnahme wieder verweigert, dadurch habe sich der psychische Zustand sehr stark verschlechtert. Im Rahmen der Untersuchung am 10.09.2019 habe der Betroffene einen altersentsprechenden und ausreichend gepflegten Eindruck hinterlassen. Eine verbale Verständigung mit ihm sei zwar möglich gewesen, er habe aber nicht auf die ihm gestellten Fragen geantwortet, sodass eine Orientierungsprüfung nicht habe durchgeführt werden können. Affektiv sei der Betroffene eingeengt und stark angespannt gewesen sowie agitiert, dysphorisch gereizt und reduziert schwingungsfähig. Ein Gesprächskontakt sei nicht herstellbar gewesen. Der Betroffene habe sich dabei als unfreundlich, ablehnend, misstrauisch und unkooperativ gezeigt. Der psychomotorische Antrieb sei stark gesteigert. Es habe eine sehr deutlich ausgeprägte Verweigerungshaltung mit Aggressivität, Dysphorie und Ablehnung vorgelegen.
Der Betroffene könne aufgrund seiner Erkrankung seinen Willen in Bezug auf die freiheitsentziehenden Maßnahmen nicht mehr frei bestimmen. Andere, weniger einschneidende Maßnahmen, seien nicht möglich. Es bestünde akute Selbstgefahr. Der Betroffene würde weiterhin keine Medikamente einnehmen, was den psychischen Zustand nochmals verschlechtern würde. Es wäre zu befürchten, dass er bei weiterer Verschlechterung des psychischen Befindens auch wieder Selbstmordgedanken entwickeln und umsetzen könnte. Er würde zudem, da zur Zeit obdachlos, verwahrlosen und im Winter Gefahr laufen zu erfrieren. Ohne eine Heilbehandlung mit Haldol drohe eine Verstärkung der psychotischen Symptomatik. Sie sei deshalb zur Abwendung eines drohenden erheblichen gesundheitlichen Schadens notwendig. Der zu erwartende Nutzen der Zwangsmaßnahme überwiege die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich. Hinsichtlich der Anpassung der Medikamentierung erklärte der Sachverständige am 28.09.2019, dass eine Gabe von Haldol 14-tägig aus sachverständiger Sicht positiv zu bewerten sei. Auch die vorgeschlagene Sedierung mit Diazepam bewertet der Sachverständige positiv.
Auch die 5-Punkt-Fixierung und die Isolierung seien zur Abwendung einer Selbstgefahr und zum Zwecke der Medikamentenverabreichung notwendig.
3. Der Verfahrenspfleger hat die Unterbringung und die angeordneten Zwangsmaßnahmen mit Schreiben vom 30.09.2019 für notwendig und rechtens erachtet. Der Nutzen der angeordneten Maßnahmen überwiege unter Abwägung des Rechts auf Krankheit und freie Selbstbestimmung mit dem Recht auf Abwehr nachhaltiger und lebensbedrohender gesundheitlicher Schäden aus Sicht des Betroffenen die damit verbundenen Beeinträchtigungen deutlich.
4. Die Kammer schließt sich den nachvollziehbaren, schlüssigen und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen nach eigener kritischer Prüfung an. Aus diesen ist eindeutig erkennbar, dass der Betroffene aufgrund seiner Krankheit seinen Willen in Bezug auf die freiheitsentziehenden Maßnahmen nicht frei bestimmen kann, er kann die Notwendigkeit der beschriebenen Maßnahmen nicht erkennen und danach handeln. Dies wird auch aus den Erklärungen des Betroffenen im Rahmen der richterlichen Anhörungen deutlich. Die Kammer ist nach alledem davon überzeugt, dass die Unterbringung, die Durchführung der o. g. ärztlichen Zwangsmaßnahmen sowie die Isolierung und Fixierung zum Wohle des Betroffenen unabdingbar sind. Insbesondere kann der drohende gesundheitliche Schaden durch keine andere den Betroffenen weniger belastende Maßnahme abgewendet werden kann. Auch überwiegt der zu erwartende Nutzen der ärztlichen Zwangsmaßnahmen die zu erwartende Beeinträchtigung insbesondere im Hinblick auf die sonst drohende Verschlechterung des psychischen Zustandes und der damit einhergehenden Gefährdung des Betroffenen. Auch die Dauer der Genehmigung der Unterbringung ist nicht zu beanstanden, da in Übereinstimmung mit der Einschätzung des Sachverständigen bei dem Betroffenen angesichts der langjährigen Krankheitsgeschichte offenkundig ein langfristiger Unterbringungsbedarf besteht.
5. Eine Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren ist entbehrlich, weil dieser erst am 26.09.2019 vom Amtsgericht Ansbach angehört worden ist. Neue Erkenntnisse sind im Falle einer erneuten Anhörung nicht zu erwarten, § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG.
6. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

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