Familienrecht

Verlängerung der Betreuung wegen krankheitsbedingter Unfähigkeit des Betroffenen zur selbständigen Regelung eigener Angelegenheiten – Handhabung des § 275 FamFG

Aktenzeichen  63 T 1674/17

Datum:
25.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 161653
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 1896 Abs. 1 S. 1, § 1903
FamFG § 275

 

Leitsatz

1. Die Voraussetzungen für eine Fortdauer der Betreuung sind gegeben, wenn der Betroffene aufgrund einer längerfristigen krankhaften Störung seiner Geistestätigkeit zu kurzschlüssig/impulsiven Entscheidungen im finanziellen Bereich, zu realitätsfernen Wunschdenken und zum Abschluss von Rechtsgeschäften, deren Folgen er nicht überschauen kann, neigt und nicht in der Lage, einfachste Rechenaufgaben zu bewältigen oder einfache Sachverhalte geistig zu erfassen. (Rn. 5 – 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Voraussetzungen für die Einrichtung eines Einwilligungsvorbehalts im Bereich der Vermögenssorge sind erfüllt, wenn der Betroffene in der Vergangenheit wegen Überschuldung Privatinsolvenz anmelden musste und im finanziellen Bereich zu kurzschlüssigen und impulsiven Entscheidungen neigt.  (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

306 XVII 627/13 2017-06-19 Bes AGLANDSHUT AG Landshut

Tenor

1. Die Beschwerden der Betroffenen vom 30.06.2017 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Landshut vom 19.06.2017 werden kostenpflichtig z u r ü c k g e w i e s e n .
2. Der Antrag der Betroffenen auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe vom 10.07.2017 wird kostenpflichtig z u r ü c k g e w i e s e n .
3. Der Beschwerdewert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I. Die Betroffene steht unter Betreuung. Mit Beschluss des Amtsgerichts Landshut vom 31.03.2014 wurde die Betreuung für die Aufgabenkreise Wohnungsangelegenheiten und Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern angeordnet. Zur Betreuerin wurde Frau M.H. als Berufsbetreuerin bestellt. Mit Beschluss des Amtsgerichts Landshut vom 21.05.2015 wurde die Betreuung um den Aufgabenkreis Vermögenssorge erweitert. Mit Beschluss vom 25.02.2016 ordnete das Amtsgericht Landshut einen Einwilligungsvorbehalt für den Aufgabenkreis der Vermögenssorge an. Mit Beschluss vom 12.04.2016 wurde die Betreuung im genannten Umfang durch das Amtsgericht Landshut bis 16.03.2017 verlängert.
Zur Frage der weiteren Verlängerung der Betreuung ordnete das Amtsgericht Landshut mit Beschluss vom 09.02.2017 die neuerliche Erstellung eines Gutachtens zu den medizinischen Voraussetzungen der Betreuungsverlängerung an und beauftragte mit der Erstellung des Gutachtens den medizinischen Sachverständigen Dr. med. T.S, der im Betreuungsverfahren bereits in der Vergangenheit mehrere Gutachten diesbezüglich erstellt hatte. Mit Schreiben vom 20.02.2017 teilte der psychiatrische Sachverständige Dr. S. mit, dass eine Begutachtung durch ihn nicht möglich sei, weil sich die Betroffene strikt weigere, sich von ihm untersuchen zu lassen. Die Betroffene habe unmissverständlich angegeben, nicht untersucht und in Ruhe gelassen werden zu wollen. Zum anberaumten Untersuchungstermin am 17.02.2017 sei sie folglich auch nicht erschienen. Am 23.03.2017 wurde die Betroffene durch den zuständigen Richter des Amtsgerichts Landshut angehört. Im Zuge der Anhörung erklärte sie sich einverstanden, sich von einem anderen Gutachter untersuchen zu lassen, gab jedoch zu verstehen, dass sie keine Betreuung wünsche. Mit Beschluss vom 30.03.2017 wurde sodann mit der Erstellung des Gutachtens der psychiatrische Sachverständige Dr. G.P. beauftragt. Dieser erstattete sein Gutachten am 15.05.2017. Mit Beschluss vom 19.06.2017 verlängerte das Amtsgericht Landshut die Betreuung mit den Aufgabenkreisen Vermögenssorge, Wohnungsangelegenheiten, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern, sowie dem bestehenden Einwilligungsvorbehalt bis 14.05.2020. Mit zwei Schreiben datiert vom 30.06.2017, eingegangen bei Gericht am 03.07.2017, legte die Betroffene gegen diesen Beschluss Beschwerde ein. Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akte zur Entscheidung dem Landgericht Landshut vorgelegt.
Am 10.07.2017 erschien die Betroffene beim Betreuungsgericht und erklärte zu Protokoll der Geschäftsstelle: „Hiermit beantrage ich Verfahrenskostenhilfe im Beschwerdeverfahren und die Beiordnung eines Rechtsanwalts.“.
II. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Amtsgericht hat die Voraussetzungen für eine Fortdauer der Betreuungsbedürftigkeit zu Recht angenommen. Die Voraussetzung für die Bestellung eines Betreuers liegen zur Überzeugung der Kammer bei der Betroffenen weiterhin vor.
Gemäß § 1896 I 1 BGB bestellt das Betreuungsgericht einen Betreuer, soweit ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann. In Übereinstimmung mit mehreren vorausgegangenen Gutachten liegt gemäß dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Dr. G.P. vom 15.05.2017 bei der Betroffenen eine leichte Intelligenzminderung vor, sowie eine affektive Labilität (ICD 10: F 70.0 und F 38.0). Es ist von einer längerfristigen, krankhaften Störung der Geistestätigkeit auszugehen. Aufgrund ihrer Krankheit könne die Betroffene ihren Willen in Teilbereichen nicht mehr frei bestimmen bzw. entsprechend ihrer Einsicht handeln. Dabei sind die genannten Aufgabengebiete Wohnungsangelegenheiten, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern, sowie Vermögenssorge betroffen. Für den Bereich der Vermögenssorge sei weiterhin ein Einwilligungsvorbehalt notwendig. Andere Hilfsmöglichkeiten, die eine Betreuung ganz oder teilweise entbehrlich machen könnten, seien nicht vorhanden.
Wie sich aus dem gesamten Akteninhalt ergibt, neigt die Betroffene zu kurzschlüssig/impulsiven Entscheidungen im finanziellen Bereich, zu realitätsfernen Wunschdenken und zum Abschluss von Rechtsgeschäften, deren Folgen sie nicht überschauen kann. So hat sie beispielsweise eine Lebensversicherung abgeschlossen, welche sie sich gar nicht leisten kann, da sie lediglich ALG 2 bezieht und nur einer geringfügigen Beschäftigung nachgeht. Darüber hinaus ist sie nicht in der Lage, einfachste Rechenaufgaben zu bewältigen, wie sich aus den zahlreichen Explorationen durch die medizinischen Sachverständigen ergeben hat. Sie kann einfache Sachverhalte nicht geistig erfassen. Darüber hinaus überschätzt sie ihre Fähigkeiten maßlos. Aus den Anhörungsprotokollen der jeweils zuständigen Amtsrichter ergibt sich stets, dass die Betroffene kaum umreißen kann, worum es bei den jeweiligen Anhörungen geht. Die Betroffene gibt selbst an, dass sie Probleme habe, Schreiben von Behörden oder dem Jobcenter zu verstehen bzw. Anträge richtig auszufüllen. Nach Angaben der Betreuerin kaufe die Betroffene wiederholt verhältnismäßig viel ein und hebe ständig Geld von ihrem Konto ab. Zudem habe sie Ende 2013 ihre damalige Wohnung in der xy-Straße in A. gekündigt, ohne eine Ersatzwohnung gehabt zu haben, weshalb sie vorübergehend obdachlos geworden sei.
Insgesamt ist die Betroffene daher zur Überzeugung der Kammer krankheitsbedingt nicht in der Lage, ihre eigenen Angelegenheiten selbständig zu regeln. Es besteht weiterhin ein Betreuungsbedarf. Auch erscheint die Betroffene nicht in der Lage, andere Hilfen, die die Anordnung einer Betreuung entbehrlich machen würden, in Anspruch zu nehmen.
Auch die Voraussetzungen für die Einrichtung eines Einwilligungsvorbehaltes im Bereich der Vermögenssorge gemäß § 1903 BGB sind erfüllt. Bereits in der Vergangenheit musste die Betroffene wegen Überschuldung Privatinsolvenz anmelden und neigt im finanziellen Bereich zu kurzschlüssigen und impulsiven Entscheidungen. Zur Überzeugung der Kammer ist daher die Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes erforderlich, da ohne diesen erhebliche Gefahren für das Vermögen der Betroffenen drohen.
An der Eignung der bestellten Betreuerin bestehen keine Zweifel. Andere geeignete Personen, die zur ehrenamtlichen Führung der Betreuung der Betroffenen bereit sind, sind nicht vorhanden.
Aus gleichen Gründen war der Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe mangels Erfolgsaussicht der Beschwerde abzulehnen.
III. Von einer erneuten Anhörung der Betroffenen hat die Kammer gemäß § 68 III FamFG abgesehen. Die Protokolle der amtsrichterlichen Anhörungen haben einen eindrucksvollen Eindruck von der Betroffenen vermittelt.
IV. Die Festsetzung des Beschwerdewertes erfolgte gemäß §§ 36, 79 GNotKG.

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