Familienrecht

Verpflichtung der Familienkasse zur Zahlung des Kindergeldes

Aktenzeichen  7 K 826/16

Datum:
17.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 25424
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
FGO § 79a Abs. 3, Abs. 4, § 90 Abs. 2, § 100 Abs. 1 S. 1
EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Bescheid der Beklagten vom 01.04.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 09.05.2016 wird aufgehoben. Die beklagte Familienkasse wird verpflichtet, gegenüber dem Kläger für das Kind A für den Zeitraum von Oktober 2015 bis Mai 2016 Kindergeld in gesetzlicher Höhe festzusetzen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.
3. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

Gründe

Der Berichterstatter entscheidet gemäß § 79a Abs. 3 und 4 FGO mit Einverständnis der Beteiligten anstelle des Senats gemäß § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung.
Die Klage hat Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 01.04.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 09.05.2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Ihm steht für seinen leiblichen Sohn A, geb. am xx.xx.1997, für den beantragten Zeitraum von Oktober 2015 bis Mai 2016 Kindergeld zu. Die Monate August und September 2015 sind nicht Streitgegenstand.
Gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG besteht ein Anspruch auf Kindergeld u. a. für Kinder, die das 18., aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben und für einen Beruf ausgebildet werden.
Nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums wird ein Kind in den Fällen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG nur berücksichtigt, wenn es keiner Erwerbstätigkeit nachgeht (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG). Eine Erwerbstätigkeit mit bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit, ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis i. S. der §§ 8 und 8a des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch sind unschädlich (§ 32 Abs. 4 Satz 3 EStG).
Nach Auffassung des Gerichts ist im Streitfall eine einheitliche Erstausbildung des Sohns des Klägers gegeben.
Für die Frage, ob bereits der erste (objektiv) berufsqualifizierende Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang zum Verbrauch der Erstausbildung führt oder ob bei einer mehraktigen Ausbildung auch ein nachfolgender Abschluss in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang Teil der Erstausbildung sein kann, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs darauf abzustellen, ob sich der erste Abschluss als integrativer Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsgangs darstellt (vgl. BFH-Urteile vom 03. Juli 2014 III R 52/13, BStBl II 2015, 152; vom 15. April 2015 V R 27/14, BStBl II 2016, 163; vom 16. Juni 2015 XI R 1/14, BFH/NV 2015, 1378; vom 03. September 2015 VI R 9/15, BStBl II 2016, 166; vom 04. Februar 2016 III R 14/15, BStBl II 2016, 615).
Insoweit kommt es vor allem darauf an, ob die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen (z. B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) und zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden. Es muss aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar sein, dass das Kind die für sein angestrebtes Berufsziel erforderliche Ausbildung nicht bereits mit dem ersten erlangten Ausbildungsabschluss beendet hat (vgl. BFH-Urteile vom 03. Juli 2014 III R 52/13, BStBl II 2015, 152; vom 15. April 2015 V R 27/14, BStBl II 2016, 163).
Der Sohn des Klägers strebt nach dem glaubhaften Parteivortrag die Übernahme des elterlichen Hofes und hierfür als Berufsziel den „Landwirtschaftlichen Betriebsleiter“ an.
Dieses von A gesteckte Ziel konnte im Streitfall daher nur über einen weiteren Abschluss – also eine weiterführende Ausbildungsmaßnahme im Rahmen einer mehraktigen Ausbildung – erreicht werden.
Hierfür bietet die Landwirtschaftsschule 1 einen entsprechenden Studiengang an, der die Studierenden auf ihren späteren Beruf als landwirtschaftliche Unternehmer und Leiter eines landwirtschaftlichen Betriebs vorbereiten soll.
Aufnahmevoraussetzung ist u. a. ein Berufsabschluss in einem anerkannten Ausbildungsberuf der Landwirtschaft sowie ein vorgeschaltetes Praxisjahr.
Die Ausbildung umfasst zwei fachtheoretische Wintersemester mit jeweils 20 Unterrichtsstunden. Das Sommersemester umfasst einen schulischen und einen fachpraktischen Teil. Wer das dritte Semester besteht, darf die Berufsbezeichnung „Staatlich geprüfter Wirtschafter/Staatlich geprüfte Wirtschafterin Landbau“ führen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs kommt es für die Annahme einer einheitlichen Erstausbildung vor allem darauf an, ob die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen (z. B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) und zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden. Mehraktige Ausbildungsmaßnahmen sind dann als Teil einer einheitlichen Erstausbildung zu qualifizieren, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden soll und das – von den Eltern und dem Kind – bestimmte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann.
Im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG ist somit das angestrebte Berufsziel des Kindes entscheidend.
Der Sohn des Klägers hat zur Erreichung seines Berufsziels zunächst eine landwirtschaftliche Ausbildung absolviert. Unmittelbar danach hat er zum nächstmöglichen Termin den weiteren Ausbildungsabschnitt zu seinem Berufsziel mit der notwendigen Zielstrebigkeit aufgenommen. Gemäß der vorliegenden Bestätigung des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten – 1 mit Landwirtschaftsschule vom xx.xx.2015 hat er sich am xx.xx.2015 zum Besuch der Landwirtschaftsschule ab dem Schuljahr 2016 angemeldet. Insoweit ist von einem Ausbildungszusammenhang zur absolvierten Ausbildung auszugehen.
Das vorgesehene vorgeschaltete Praxisjahr lief vom 19. Oktober 2015 bis Ende September 2016.
Auch das Praxisjahr zählt gemäß § 5 Abs. 1 Ziff. 2 der Schulordnung für die staatlichen Landwirtschaftsschulen in Bayern zu den Aufnahmevoraussetzungen für die Landwirtschaftsschule. Dieses ist dem Besuch der Landwirtschaftsschule vorgeschaltet und wird von den Lehrkräften der Landwirtschaftsschule betreut. Es soll nach den Erläuterungen auf der Internetseite der Landwirtschaftsschule 1 dazu dienen, Erfahrungen auf dem Betrieb zu sammeln und betriebseigene Daten und Unterlagen für den anstehenden Schulbesuch zu sammeln. Hierzu finden auch mehrere Veranstaltungen durch die Schule statt.
Nach der vorliegenden schulischen Bestätigung vom xx.xx.2015 wird das Praxisjahr entsprechend der Regelung im verbindlichen Leitfaden für das Praxisjahr von der Landwirtschaftsschule fachschulisch begleitet und betreut. Hierzu finden mindestens sieben Schultage statt.
Vor diesem Hintergrund sieht das Gericht das vorgeschaltete Praxisjahr als unverzichtbaren und damit integrativen Bestandteil des von der Landwirtschaftsschule angebotenen Studiengangs an. Nach der Konzeption der Ausbildung bilden die im Praxisjahr gesammelten Informationen zum Betrieb mit die Grundlage für die sich anschließenden Lehrveranstaltungen. Es ist daher nach Meinung des Gerichts auch insoweit von einem Ausbildungszusammenhang auszugehen.
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht mit Blick auf das von der Beklagten angeführte Urteil des Bundesfinanzhofs vom 04. Februar 2016 (III R 14/15, BStBl II 2016, 615), da der dort entschiedene Fall eines berufsbegleitenden Studiums nach einer abgeschlossenen kaufmännischen Ausbildung und danach vorausgesetzter Berufstätigkeit mit der hier zu beurteilenden Konstellation nicht unmittelbar vergleichbar ist.
Dabei ist insbesondere zu beachten, dass das landwirtschaftliche Praxisjahr im Streitfall durch die Landwirtschaftsschule planmäßig in den Ausbildungsgang integriert ist und insoweit eine Ausbildungseinheit vorliegt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten war notwendig, da die Sach- und Rechtslage nicht so einfach war, dass sich die Beteiligten selbst hätten vertreten können.

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