Aktenzeichen III R 93/10
Leitsatz
1. NV: Eine Vollzeiterwerbstätigkeit steht der Berücksichtigung als Kind im Sinne des § 32 Abs. 4 EStG nicht entgegen. Zur Prüfung der Frage, ob der Grenzbetrag überschritten ist, sind daher auch die während der Vollzeiterwerbstätigkeit erzielten Einkünfte und Bezüge des Kindes einzubeziehen.
2. NV: Eine Anschlussrevision muss innerhalb eines Monats nach Zustellung der Revisionsbegründung eingelegt werden.
Verfahrensgang
vorgehend Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern, 27. Juli 2010, Az: 2 K 40/10, Urteil
Tatbestand
1
I. Die Klägerin, Revisionsbeklagte und Anschlussrevisionsklägerin (Klägerin) ist die Mutter eines volljährigen Sohnes (S), der im Jahr 2005 erfolgreich seine Ausbildung zum Hotelfachmann absolviert hatte und von März 2006 bis zum August des Streitjahres 2009 vollschichtig in seinem erlernten Beruf arbeitete. Im Januar 2009 bewarb er sich bei einer beruflichen Schule um einen Platz für eine weitere Ausbildung zum staatlich geprüften Betriebswirt in der Fachrichtung Hotel- und Gaststättengewerbe. S erhielt im März eine Aufnahmezusage und begann die Ausbildung am 1. September 2009. Ab Ausbildungsbeginn erhielt er ein Betriebsstipendium seines bisherigen Arbeitgebers.
2
Im August 2009 beantragte die Klägerin Kindergeld für die Zeit ab September 2009. Die Beklagte, Revisionsklägerin und Anschlussrevisionsbeklagte (Familienkasse) lehnte die Festsetzung von Kindergeld für die Zeit ab Januar 2009 ab. Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Die Familienkasse ging davon aus, dass S im gesamten Jahr 2009 kindergeldrechtlich zu berücksichtigen sei und seine Einkünfte und Bezüge über dem Grenzbetrag lägen.
3
Das Finanzgericht (FG) gab der hiergegen gerichteten Klage teilweise statt. S könne in den Monaten seiner Vollzeitbeschäftigung nicht als Kind berücksichtigt werden, weshalb der Klägerin für die Monate Januar bis August 2009 kein Kindergeld zustehe. Für die Zeit der zweiten Ausbildung ab September 2009 sei Kindergeld jedoch festzusetzen, da die in diesem Zeitraum bezogenen Einkünfte den anteiligen Grenzbetrag unterschreiten würden.
4
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat auf Beschwerde der Familienkasse mit Beschluss vom 28. Dezember 2010 die Revision für beide Beteiligte in vollem Umfang zugelassen. Die Familienkasse hat Revision, die Klägerin Anschlussrevision eingelegt.
5
Die Familienkasse rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Nach der geänderten Rechtsprechung des BFH sei ein Kind, das auf einen Ausbildungsplatz warte oder sich zwischen zwei Ausbildungsabschnitten befinde, auch dann zu berücksichtigen, wenn es einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgehe. Daher seien die Einkünfte aus dieser Tätigkeit bei der Prüfung der Grenzbetragsüberschreitung einzubeziehen. Feststellungen zur Höhe der Jahreseinkünfte habe das FG nicht getroffen.
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Die Familienkasse beantragt, das Urteil des FG Mecklenburg- Vorpommern vom 27. Juli 2010 2 K 40/10 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
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Die Klägerin beantragt (sinngemäß), die Revision der Familienkasse zurückzuweisen und die Familienkasse zu verpflichten, abweichend von dem Bescheid vom 21. Oktober 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. Januar 2010 ab dem 1. Januar 2009 Kindergeld für ihren Sohn festzusetzen.
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Bei Anwendung der neuen höchstrichterlichen Rechtsprechung (BFH-Urteil vom 17. Juni 2010 III R 34/09, BFHE 230, 61, BStBl II 2010, 982) wäre das FG zu dem Ergebnis gelangt, dass ein Kindergeldanspruch bereits ab dem Zeitpunkt der Bewerbung zur Ausbildung als staatlich geprüfter Betriebswirt bestanden hätte. Die Jahreseinkünfte seien niedriger als der Grenzbetrag. Also habe sie einen Kindergeldanspruch für das ganze Jahr.
9
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.