Familienrecht

Weitere Genehmigung einer bereits langjährig währenden Unterbringung

Aktenzeichen  11 T 108/17

Datum:
16.11.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 145318
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Schweinfurt
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 1906 Abs. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

1. Auch bei einer fast achteinhalb Jahre währenden Unterbringung eines alkoholkranken Betroffenen lässt sich zur Begründung der aus einem neuerlichen Alkoholkonsum folgenden Gefahren ohne Weiteres lange Zeit zurückliegendes Verhalten des Betroffenen heranziehen (entgegen BGH BeckRS 2018, 5164).  (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Gefahr der Verwahrlosung in einer eigenen Wohnung begründet ohne Weiteres eine Selbstgefährdung im Sinne des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB und ist auch bei langjähriger Unterbringung nur durch deren Aufrechterhaltung abzuwenden (entgegen BGH BeckRS 2018, 5164).  (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

06 XVII 182/14 2017-03-14 Bes AGBADKISSINGEN AG Bad Kissingen

Tenor

1. Die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bad Kissingen vom 14.03.2017, AZ: 06 XVII 182/14, UL-Nr. 20/17, wird zurückgewiesen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seiner Beschwerde zu tragen.
3. Der Beschwerdewert wird auf 5.000,00 EURO festgesetzt.

Gründe

I.
Für den Betroffenen besteht seit langer Zeit eine Betreuung.
Mit Beschluss des Amtsgerichts vom 27.06.2016 wurde die Betreuung geändert und verlängert. Es wurde bestimmt, dass die Betreuung weiterhin folgende Aufgabenkreise umfasst:
– Vermögenssorge
– Gesundheitsfürsorge
– Aufenthaltsbestimmung
– Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern, ausgenommen wird die Vertretung des Betroffenen im Schadensersatzverfahren wegen eines 1986 erlittenen Unfalls. Insoweit geht die Bevollmächtigung auf RA … vor.
Entscheidung über Unterbringung und unterbringungsähnliche Maßnahmen.
Der bestehende Einwilligungsvorbehalt wurde dahingehend abgeändert, dass er unbeschränkt gilt.
Betreuer des Betroffenen ist … Beginnend ab 1993 befand sich der Betroffene bis März 2008 30 Mal in stationärer psychiatrischer Behandlung.
Mit Beschluss des Amtsgerichts W. vom 26.03.2008 wurde die Einwilligung des Betreuers in der Unterbringung des Betroffenen bis zum 01.04.2009 genehmigt.
Mit Beschluss des Amtsgerichts Würzburg vom 16.06.2009 wurde die Unterbringung des Betroffenen durch den Betreuer bis 16.06.2011 genehmigt. Seit dem ist der Betroffene dauerhaft untergebracht. Die Genehmigung der Unterbringung wurde mit den Beschlüssen des Amtsgerichts H. vom 13.05.2011, des Amtsgerichts H. vom 28.05.2013 und des Amtsgerichts B. vom 08.04.2015 jeweils verlängert.
Zuletzt wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Bad Kissingen vom 14.03.2017 die Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bzw. der beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung bis längstens 22.02.2019 genehmigt. Dieser Beschluss wurde dem Betroffenen am 16.03.2017 zugestellt.
Mit Schreiben seines Verfahrensbevollmächtigten vom 13.04.2017, beim Amtsgericht Bad Kissingen eingegangen am 18.04.2017, hat der Betroffene gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bad Kissingen vom 14.03.2017 Beschwerde eingelegt. Ziel der Beschwerde ist, den Beschluss vom 14.03.2017 aufzuheben.
Das Amtsgericht Bad Kissingen hat mit Beschluss vom 03.08.2017 der Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss vom 14.03.2017 nicht abgeholfen.
Der Einzelrichter der Beschwerdekammer hat den Betroffenen am 13.11.2017 persönlich angehört. Dabei hat der Betroffene zum Ausdruck gebracht, dass er mit der Beschwerde die Beendigung der Unterbringung erstrebt.
II.
1. Die Beschwerde ist gemäß §§ 58 ff FamFG statthaft und auch sonst zulässig. Insbesondere wurde die Beschwerde form- und fristgerecht eingelegt, §§ 63, 64 FamFG.
2. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.
Die Voraussetzungen für die Genehmigung der Unterbringung gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB liegen vor. Die Unterbringung ist zum Wohl des Betroffenen erforderlich, weil aufgrund einer psychischen Krankheit des Betroffenen die Gefahr besteht, dass dieser sich selbst erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt.
Dies ergibt sich aus den Gutachten des Sachverständigen Dr. F., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie, vom 22.02.2017, vom 18.07.2017 und vom 21.08.2017.
Nach den Feststellungen des Sachverständigen ist folgende Diagnose zu stellen:
– hirnorganisches Syndrom bei Zustand nach Schädel-Hirn-Trauma (ICD-10:F 078).
– Abhängigkeitssyndrom vom Alkoholtyp (ICD-10:F 10.2).
– Epilepsie, z.Zt. erscheinungsfrei (ICD-10:G 40.9).
Nach den Ausführungen des Sachverständigen ergibt sich die konkrete Gefahr, dass sich der Betreute selbst einen erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt, aus folgenden Umständen:
Beim Betroffenen liegt ein hirnorganisches Psychosyndrom nach einer Verletzung des Gehirns bei einem Verkehrsunfall vor. Dies schränkt seine Fähigkeit zur Impulskontrolle ebenso ein wie auch seine Einsichtsfähigkeit und seine Urteils- und Kritikfähigkeit. Bei unzureichender Urteils- und Kritikfähigkeit, fehlender Einsichtsfähigkeit und unzureichender Impulskontrolle wäre aber für den Fall, dass der Betroffene in einem offenen Rahmen und nicht wie derzeit, im Rahmen einer Unterbringung auf einer geschlossenen therapeutischen Einrichtung versorgt wurde, eine gravierende gesundheitliche Schädigung durch erneuten Alkoholkonsum zu erwarten.
Die Epilepsie ist bei Betroffenen zwar derzeit erscheinungsfrei. Dennoch trägt die depressive Disposition des Betroffenen zu seiner ganz besonderen gesundheitlichen Selbstgefährdung im Falle eines erneuten Alkoholkonsums bei. Durch Alkohol wird generell die Krampfschwelle gesenkt. Im Falle eines erneuten Alkoholkonsums wäre beim Betroffenen das Risiko, einen Krampfanfall zu erleiden, beträchtlich erhöht. Da sein Gehirn bereits vorgeschädigt ist, wäre eine weitere Gehirnschädigung nicht nur durch die toxische Wirkung des Suchtmittels Alkohol anzunehmen, sondern auch durch die unmittelbaren Folgen eines Krampfanfalls. Derartige unmittelbare Folgen von Krampfanfällen können einerseits in Verletzungen, zum Beispiel Schädelprellungen etc. bestehen, andererseits in einer verminderten Sauerstoffversorgung des Gehirns während eines Krampfanfalls.
Schließlich ist beim Betroffenen ohne freiheitsentziehende Unterbringung mit einer akuten Selbstschädigung im Straßenverkehr zu rechnen, weil die Fähigkeit der Impulskontrolle, seine Einsichtsfähigkeit und seine Urteils- und Kritikfähigkeit eingeschränkt sind.
Weiterhin ist im Rahmen einer offenen Betreuung die Verwahrlosung des Betreuten zu befürchten.
Die Beschwerdekammer hat die Gutachten kritisch geprüft. Der Sachverständige hat für seine Begutachtung die Gerichtsakte 06 XVII 142/14 sowie die Angaben des Heimpersonals ausgewertet. Weiterhin hat der Sachverständige den Betroffenen am 21.02.2017 persönlich untersucht. Die vom Sachverständigen gestellten Diagnosen ziehen sich im Wesentlichen durch seit dem ersten dokumentierten stationären Aufenthalt im psychiatrischen Krankenhaus in L. im Januar/Februar 1993 (vgl. Gutachten vom 19.04.2004). Der Umstand, dass der Betroffene (solange er nicht aus der Unterbringung entweicht) in der Unterbringung gezwungenermaßen keinen Alkohol zu sich nehmen kann, spricht nicht gegen ein Abhängigkeitssyndrom. In der Vergangenheit kam es vielfach zu Einweisungen, denen eine Alkoholisierungssituation zugrunde lag. Dies ist im Einzelnen dargestellt in dem Gutachten des psychiatrischen Krankenhauses L. vom 12.03.2008. Dass weiterer Alkoholkonsum des Betroffenen bei der gegebenen Vorschädigung des Gehirns in Verbindung mit der derzeit erscheinungsfreien Epilepsie zur Gefahr führt, dass sich der Betroffene selbst einen erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt, ist nachvollziehbar und wurde durch das Verhalten des Betroffenen in der Vergangenheit belegt. Dieses Verhalten führte zu den aus der Akte ersichtlichen häufigen kurzfristigen Unterbringungseinweisungen in den Jahren 1993 bis 2008.
Aufgrund der Einschränkung der Fähigkeit zur Impulskontrolle, der Einsichtsfähigkeit und der Urteils- und Kritikfähigkeit besteht auch die konkrete Gefahr, dass der Betroffene sich selbst im Verkehr einen erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt. Dies hat sich in der Vergangenheit bereits darin manifestiert, dass der Betroffene am 04.06.2016 in der Gleisanlage kurz vor dem Bahnhof M. offensichtlich hilflos angetroffen wurde, so dass von einem Zugführer ein Rettungswagen gerufen wurde.
Weiterhin besteht die Gefahr, dass der Betroffene ohne die Unterbringung beim Bewohnen der eigenen Wohnung verwahrlost. Dies wurde dokumentiert für die Zeit, in der der Betroffene noch seine eigene Wohnung selbständig bewohnt hat (Vermerk Dr. N. vom 18.03.2004).
Nach den Ausführungen des Sachverständigen im Gutachten vom 22.02.2017 wird die Unterbringung auf unabsehbare Zeit notwendig sein, so dass die vom Amtsgericht ausgesprochene Unterbringungsdauer nicht zu beanstanden ist. Die Einschätzung des Sachverständigen wird bestätigt durch das Krankheitsbild und den bisherigen Verlauf.
Der Betroffene kann seinen Willen aufgrund einer psychischen Krankheit nicht frei bestimmen. Dies ergibt sich aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. F. vom 21.08.2017. Der Sachverständige hat dies nachvollziehbar und zutreffend abgeleitet aus dem Zusammenwirken von organischem Psychosyndrom und Alkoholabhängigkeit, die dazu führen, dass die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen im Hinblick auf seine Erkrankung und im Hinblick auf die Unterbringung unzureichend ist. Bestätigt wird dies durch den Eindruck, den der Einzelrichter der Beschwerdekammer bei der Anhörung des Betroffenen gewonnen hat.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.
Der Beschwerdewert wird gemäß §§ 36 Abs. 3, 61 GNotKG festgesetzt.
Erlass des Beschlusses (§ 38 Abs. 3 Satz 3 FamFG):

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